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Die Objektive Hermeneutik als wissenschaftliches ... - Mannigfaltig

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SUSANNE BRANDES & OLAF JANTZ: <strong>Die</strong> objektive <strong>Hermeneutik</strong> <strong>als</strong> <strong>wissenschaftliches</strong>, pädagogisches und politisches Instrumentarium. In: MEDIUM e.V.<br />

/ Jantz, Olaf (Hrsg.): Seminarunterlagen politische Bildung - Hintergründe für die wissenschaftlich-politische Arbeit in der Erwachsenenbildung. Band 1:<br />

Kritische Theorie gesellschaftlicher Strukturen, Geschlechteransatz, Antirassismus und Pädagogik. Göttingen November 1997<br />

Der nächste Schritt ist die Konfrontation der gefundenen Beispiele mit dem realen<br />

Kontext:<br />

„Der Sprecher war ein sechsjähriger Junge, die Äußerung fiel, nachdem die Familie gerade zum Abendessen am<br />

Eßtisch Platz genommen hatte. Auf dem Tisch standen Brot, Aufschnitt, Butter und Tomaten. Mit dem Essen<br />

konnte jeder beginnen. Er mußte sich nur Brote schmieren.“(OAKK, S.417)<br />

Der faktische Kontext ist in den gedankenexperimentell entworfenen, an der Normalität<br />

orientierten Kontextbedingungen nicht enthalten. In diesem Fall liegt <strong>als</strong>o eine Abweichung<br />

von der Normalität vor, weshalb hier „die Besonderheit des Falles zur Motivierung der<br />

Äußerung angenommen werden muß“(ebd., S.418). Bei der Betrachtung der Motivierung des<br />

Jungen ist nun ein Rückgriff auf die normalen Kontextbedingungen (die nach Auffassung der<br />

OH allein aufgrund ihrer Denkbarkeit ein Teil der Realität darstellen) bedeutsam, da diese<br />

entscheidende Fragen offenbaren:<br />

1. Hat der Junge -bewußt oder unbewußt- den Wunsch, von seiner Mutter behandelt zu<br />

werden, <strong>als</strong> sei er ein kleines Kind?<br />

(Darin könnte ein Hinweis auf Identitätsschwierigkeiten, auf einen Nachholbedarf an<br />

Zuwendung durch die Mutter oder auf Eifersucht gegenüber jüngeren Geschwistern zu sehen<br />

sein.)<br />

2. Hat der Junge die Potenzphantasie, so mächtig wie ein „traditionalistischer“ Ehemann<br />

zu sein?<br />

(Auch hierin äußert sich, wenngleich in entgegengesetzer Richtung, quasi <strong>als</strong> Gegenpol, ein<br />

unsicherer Identitätsentwurf.)<br />

3. Ist der Junge aufgrund einer dauerhaften Krankheit (z.B. einer Behinderung) nicht in<br />

der Lage, sich eigenständig ein Brot zu schmieren oder wurde diese Form der Selbständigkeit<br />

aus anderen Gründen bisher nicht von ihm verlangt?<br />

(<strong>Die</strong>se Frage ist leicht zu verwerfen; aus den Beobachtungen ist bekannt, daß der Junge in der<br />

Lage ist, sich seine Brote selbst zuzubereiten und er dies in der Regel auch tut.)<br />

Zu betonen ist, daß diese Vorgehensweise keine Aussagen über die innerpsychische Realität<br />

des Jungen macht, sondern Möglichkeiten konstruiert, die die Äußerung sinnvoll machen.<br />

Damit werden die gedankenexplorativ entworfenen Kontextbedingungen <strong>als</strong>o nicht einfach<br />

f<strong>als</strong>ifiziert, sondern aufgrund ihrer Prämisse der Sinnhaftigkeit zur weiteren Interpretation<br />

herangezogen.<br />

In diesem Beispiel ergab die Fallrekonstruktion, daß „die vermutete Identitätsunsicherheit [...]<br />

eines der zentralen psychischen Probleme des Kindes“ (ebd.) darstellt.<br />

„Das Beispiel zeigt <strong>als</strong>o, daß manchmal schon die extensive Auslegung des Sinnes einer einzelnen Äußerung<br />

über die spezifische Fallstruktur differenzierte Vermutungen motivieren kann.“(ebd.)<br />

(V) Sequentielle Feinanalyse der nachfolgenden Interakte:<br />

Ausgehend von dem ‘Zugzwang’ durch den ersten Interakt, ist die gedankenexperimentelle<br />

Exploration auf dieser Ebene <strong>als</strong> „interpretatorischer Zyklus der Bedeutungsrekonstruktion<br />

und kontextueller Einbettung“(SPÖHRING, S.240) zu sehen. An dieser Stelle fließt <strong>als</strong>o zum<br />

ersten Mal das fallstrukturelle (Kontext-)Wissen in die Betrachtung mit ein. Es geht im<br />

Wesentlichen darum, die ‘Interaktionsgeschichte’ der<br />

gesamten Sequenz zu erschließen. Dabei wird sich wiederum in verschiedener Hinsicht<br />

hermeneutisch bewegt:<br />

(1) Von der jeweilig betrachteten Äußerung zum (vorangehenden!) Kontext dieser Sequenz<br />

und wieder zurück zur Äußerung.<br />

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