Die Objektive Hermeneutik als wissenschaftliches ... - Mannigfaltig
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SUSANNE BRANDES & OLAF JANTZ: <strong>Die</strong> objektive <strong>Hermeneutik</strong> <strong>als</strong> <strong>wissenschaftliches</strong>, pädagogisches und politisches Instrumentarium. In: MEDIUM e.V.<br />
/ Jantz, Olaf (Hrsg.): Seminarunterlagen politische Bildung - Hintergründe für die wissenschaftlich-politische Arbeit in der Erwachsenenbildung. Band 1:<br />
Kritische Theorie gesellschaftlicher Strukturen, Geschlechteransatz, Antirassismus und Pädagogik. Göttingen November 1997<br />
(IV) Sequentielle Feinanalyse des ersten Interaktes:<br />
Erneut per gedankenexperimenteller Exploration werden in diesem Schritt Satz für Satz<br />
sämtliche denkbaren Lesarten der ersten Äußerung gesammelt und gedeutet. Dabei kann jedes<br />
Wort, jede Pause entscheidend zu der Interpretation beitragen (nichts entsteht zufällig, s.o.).<br />
Es geht im Zentrum darum, die latenten Sinnstrukturen und folglich die objektive Bedeutung<br />
des ersten Interaktes dadurch ‘herauszuschälen’, daß zunächst versucht wird, „möglichst<br />
präzise die gesamte Klasse an Bedeutungsmöglichkeiten einer Äußerung, die durch das<br />
Regelsystem der Sprache gegeben ist, zu explizieren“(SCHNEIDER, S.83), um diese dann mit<br />
den faktisch gegebenen Handlungsproblemen zu vergleichen. Das Verhältnis dieser beiden<br />
Ebenen gibt erste Aufschlüsse über die Emergenz dieser Interaktionssequenz. Dabei muß sich<br />
stets auf die Ebene (III) interpretativ zurückbewegt werden, um dann von dem Kontext auf<br />
diesen ersten Interakt zurückzuschließen:<br />
„Von daher wird in der objektiv-hermeneutischen Sequenzanalyse die Sinnstruktur gleichzeitig von zwei Seiten<br />
her entwickelt: Zum einen ausgehend von der Bedeutung einer Äußerung oder Handlung, die nur eine<br />
bestimmte Klasse von Kontexten <strong>als</strong> Erfüllungsbedingung impliziert, zum anderen ausgehend von einem<br />
gegebenen Kontext, der nur eine bestimmte Klasse von Typen von möglichen Äußerungen oder Handlungen<br />
geregelt zuläßt. <strong>Die</strong> Sinnstruktur eines Falles schält sich damit über die sukzessive Rekonstruktion des<br />
Passungsverhältnisses von Handlungen (Äußerungen) und Kontext heraus.“(Schneider, S.83f)<br />
<strong>Die</strong>ses ‘Kernstück’ (Ebene (IV) zusammen mit (V) und (VI)) der objektiv hermeneutischen<br />
Strukturrekonstruktion erfordert die meiste Zeit, den größten Raum und die intensivste<br />
Aufmerksamkeit. Wir werden weiter unten (0) genauer darauf eingehen, doch sei das ‘grobe’<br />
Prinzip an einem Beispiel verdeutlicht:<br />
„Mutti, wann krieg ich denn endlich mal was zu essen,<br />
ich hab so Hunger.“(OAKK, S.415)<br />
Mit dieser Äußerung aus einem Interaktionsprotokoll verdeutlichen die AutorInnen ihr<br />
Vorgehen. Zunächst werden typische Situationen entworfen, in denen diese Äußerung gemäß<br />
der Sparsamkeitsregel objektiv sinnvoll erscheint. OAKK (1979) geben (aus Platzgründen<br />
lediglich drei) exemplarische Möglichkeiten an:<br />
„1. <strong>Die</strong> Äußerung hätte ein kleines Kind zu einer Zeit machen können, zu der es normalerweise<br />
Essen gibt, oder nachdem es schon mehrere Male um Essen gebeten hatte.<br />
2. Ein berufstätiger Ehemann, der -wie hierzulande in bestimmten Schichten sehr verbreitet- seine<br />
Frau mit Mutti adressiert, sitzt nach seiner Rückkehr von der Arbeit seit längerem am Küchentisch oder kommt<br />
aus der Wohnstube vom Fernsehen ins Eßzimmer.<br />
3. Ein krankes älteres Kind ruft aus seinem Schlafzimmer die Mutter.“(S.416)<br />
Dann wird analysiert, welche pragmatischen Erfüllungen gemeinsam sind:<br />
(a) Der/die SprecherIn hat wirklich Hunger.<br />
(b) Das ‘Auftischen’ ist überfällig.<br />
(c) Der/die AdressatIn ist offensichtlich für das Essen<br />
zuständig und verantwortlich, was den/die SprecherIn<br />
zu der Aussage berechtigt.<br />
(d) Dem/der SprecherIn kann nicht zugemutet werden, sich<br />
selbst um das Essen zu kümmern.<br />
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