Gesundes Südtirol 2010
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03/<strong>2010</strong><br />
G e s u n d h e i t s d i e n s t e<br />
Die hausärztin<br />
Sie war 1970 die erste Chirurgin<br />
<strong>Südtirol</strong>s. Spezialgebiet<br />
Kinderchirurgie. 15 Jahre hat<br />
sie im Krankenhaus Bozen gearbeitet,<br />
dann ist Gerlinde von<br />
Fioreschy als Basisärztin nach<br />
Auer gegangen. Und hat sich<br />
damit ihre ganz persönliche<br />
Vorstellung vom Arzt-Sein<br />
verwirklicht.<br />
Die Arbeit als Kinderchirurg ist<br />
hochspezialisiert, aber als Hausarzt<br />
ist man frei in der Einteilung seiner<br />
Arbeit, ist nicht an einen Arbeitsplatz<br />
gebunden und – was für Gerlinde<br />
von Fioreschy ausschlaggebend war –<br />
man hat einen anderen, einen ganzheitlichen<br />
Zugang zum Patienten.<br />
Was heute, 25 Jahre später, anders ist?<br />
„Die Arbeitsbedingungen waren nicht<br />
besser, aber anders. Der Stress war<br />
nicht so groß und vor allem hat man<br />
nicht so viel Zeit in den bürokratischen<br />
Aufwand investieren müssen.“ Heute,<br />
so Gerlinde von Fioreschy, könnte sie<br />
ohne Sekretärin nicht mehr arbeiten.<br />
Übertriebenes Anspruchsdenken<br />
Was sich auch geändert hat, sind die Patienten.<br />
„Die Leute glauben, sie hätten<br />
Anspruch auf alles und sofort, verlangen<br />
Leistungen, die gar nicht gerechtfertigt<br />
sind. Lassen sich durch die Medien verwirren,<br />
die ihnen Pseudoinformationen<br />
vermitteln und haben deshalb weniger<br />
Vertrauen in den Hausarzt, aber auch in<br />
sich selbst, in das, was ihnen ihr Körper<br />
mitteilt.“ Die Leiden sind mehr oder weniger<br />
die gleichen, aber die Menschen haben<br />
immer weniger Zeit oder sind nicht<br />
bereit, das Kranksein anzunehmen.<br />
hausarzt mehr als nur Mediziner<br />
Daran hat sich nichts geändert. „Wir sind<br />
Seelsorger, Sozialhelfer, Psychologen,<br />
Erste Hilfe. Anlaufstelle für alles und jeden,<br />
haben eine Filterfunktion und sind<br />
mit Sicherheit nicht nur Zettelschreiber,<br />
als die wir oft hingestellt werden.“ Vor<br />
allem in den heutigen Krisenzeiten, so<br />
Gerlinde von Fioreschy, suchen die Leute<br />
vermehrt den Arzt auf. „Wer verunsichert<br />
ist, möchte wenigstens seine Ge-<br />
Allgemeinmedizinerin<br />
Gerlinde von Fioreschy (l.)<br />
sundheit absichern.“ Was sich geändert<br />
hat, ist die Einstellung der Patienten.<br />
„Viele sehen uns als notwendiges Übel,<br />
um schnell zum Rezept zu kommen, haben<br />
gar kein Interesse daran, eine persönliche<br />
Beziehung aufzubauen.“<br />
Immer im Einsatz<br />
Auf dem Land ist der Hausarzt<br />
mehr im Einsatz als vielleicht in der<br />
Stadt. „In unserem Bereich sind wir<br />
zu dritt. Wir machen Hausbesuche,<br />
Nacht- und Wochenenddienste. Die<br />
Menschen werden heute richtig alt,<br />
auch das hat sich auf unsere Arbeit<br />
ausgewirkt.“ Wer zu Hause gepflegt<br />
wird, bedarf einer intensiven Betreuung<br />
durch den Hausarzt.<br />
Würde sie die gleiche Berufswahl noch<br />
einmal treffen? Gerlinde von Fioreschy<br />
hat keinen Zweifel: Sie ist Arzt mit Leib<br />
und Seele, hat es verstanden ihr Leben,<br />
ihre Familie (sie hat drei Kinder) mit ihrem<br />
Beruf, ihrer Berufung, in Einklang<br />
zu bringen. „Ich habe meine Wahl keine<br />
Minute bereut.“ Aber die Jungen tun ihr<br />
leid. „Der Beruf des Arztes ist nicht mehr,<br />
was er einmal war. Wird erstickt durch<br />
Bürokratie, Kontrollen, Sanktionen.“<br />
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G e s u n d h e i t s d i e n s t e<br />
Ärztekammer redet mit<br />
Michele Comberlato ist Primar<br />
in Bozen und Präsident der<br />
<strong>Südtirol</strong>er Ärztekammer. Als solcher<br />
ist er ein streitbarer Partner<br />
des Landesgesundheitsressorts.<br />
Wenn es um die klinische<br />
Reform geht, dann möchte<br />
die Ärztekammer besser in die<br />
Entscheidungen miteinbezogen<br />
werden.<br />
Radius: Wo sehen Sie Schwachpunkte<br />
im Gesundheitswesen?<br />
M. comberlato: Dass Krankenhäuser<br />
und Territorium nicht an einem Strang<br />
ziehen. Wir haben sieben Krankenhäuser<br />
in <strong>Südtirol</strong>. Da muss gezielt investiert<br />
werden. Es hat keinen Sinn, alles<br />
überall anzubieten.<br />
Radius: Ein Beispiel?<br />
M. comberlato: Nehmen sie meine Abteilung<br />
in Bozen, die Gastroenterologie.<br />
Wir sind hochspezialisiert, haben 14.000<br />
Operationen im Jahr. Wenn wir von den<br />
Routineexamen und kleinen Eingriffen<br />
entlastet würden, wäre mehr Platz für<br />
Akutfälle, müssten die Patienten weniger<br />
warten. Sowohl auf die Operationen, als<br />
auch auf die Untersuchungen.<br />
Radius: Wie sieht es mit dem Informationsfluss<br />
zwischen einzelnen Abteilungen,<br />
zwischen Krankenhaus und Basisärzten<br />
aus?<br />
M. comberlato: Wir haben kein einheitliches<br />
Informationssystem, nur ein<br />
Patchwork. In Trient hingegen gibt es<br />
das schon. Niemand kontrolliert die<br />
Daten oder wie sie gesammelt werden.<br />
Es gibt derzeit keine Möglichkeit, zu<br />
sehen, was die anderen machen oder<br />
Daten über einen Patienten zu sammeln<br />
und dann gemeinsam zu entscheiden.<br />
Für uns ist der Einheitsbetrieb eine Vision!<br />
Zuerst müssen wir die Voraussetzungen<br />
schaffen. Vernetzen.<br />
Radius: Die Ärztekammer hat verschiedene<br />
Vorschläge …<br />
M. comberlato: Wir haben vorgeschlagen,<br />
sechs Ärzte Part-Time einzustellen,<br />
als beratendes Element in<br />
den Verwaltungsgremien, die über<br />
die Reform entscheiden. Das wurde<br />
abgelehnt. Wir verfolgen ein Projekt<br />
der Vereinheitlichung der Verschreibungskriterien.<br />
Es wäre wichtig, dass<br />
die Wartezeiten den entsprechenden<br />
Pathologien zugeordnet werden. Untersuchungen,<br />
die innerhalb drei Tagen,<br />
einer Woche, einem Monat oder<br />
drei Monaten durchgeführt werden<br />
müssen. Nach unseren Vorstellungen<br />
sollte man sogenannte Bedürftigkeitsniveaus<br />
(livelli di intensità di<br />
cura) einführen, dass Patienten mit<br />
verschiedenen Pathologien aber gleichen<br />
Behandlungsbedürfnissen zusammengelegt<br />
werden. In Kranken-<br />
„ Besuchen Sie uns<br />
auf der ENERGETIKA –<br />
Messe in Vahrn/ Brixen<br />
am 14.-16. Mai“<br />
Ärztekammerpräsident<br />
Michele<br />
Comberlato<br />
häusern in der Toskana oder Emilia<br />
Romagna funktioniert das schon.<br />
Radius: Sie sind seit 25 Jahren Arzt.<br />
Wenn sie zurückblicken, was hat sich<br />
geändert?<br />
M. comberlato: Heute zählt nicht mehr,<br />
wie viel du tust, sondern wie du es tust.<br />
Die Methoden haben sich revolutioniert.<br />
Sind weniger invasiv, greifen besser. Aber<br />
es gibt auch mehr Risiken. Früher – und<br />
ich sage nicht, dass das richtig war – war<br />
der Arzt unumstrittener Herr über Leben<br />
und Tod. Heute landet der Arzt vor Gericht.<br />
Internet gaukelt den Patienten ein<br />
Pseudowissen vor. Wir Ärzte können unseren<br />
höchsten Einsatz garantieren, aber<br />
nicht das Ergebnis! Umberto Veronesi<br />
spricht von der schmerzvollen Einsamkeit<br />
des Arztes. In unserem Beruf erleben<br />
wir Momente unglaublicher Intensität<br />
und unglaublichen Glücks – wenn es<br />
schief geht, dann bist du allein.<br />
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