DIE NEUE ORDNUNG - Tuomi
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Kreisen zu hören und zu lesen, daß unser<br />
Sozialstaat reformiert werden, die soziale<br />
Gerechtigkeit aber bewahrt werden müsse.<br />
Aber begründete und realisierbare<br />
Konzepte werden nur in verschwommenen<br />
Andeutungen, auch wenn sie populär<br />
erscheinen, angeboten. Jetzt hat endlich<br />
einmal ein junger Sozialethiker, der in<br />
Theologie und in Wirtschaftswissenschaft<br />
hervorragend ausgewiesen ist, eine umfassende<br />
Arbeit vorgelegt, die beides<br />
leistet: Theoretische Begründung und<br />
praktische Anwendbarkeit:<br />
Elmar Nass: Der humangerechte Sozialstaat.<br />
Ein sozialethischer Entwurf<br />
zur Symbiose aus ökonomischer Effizienz<br />
und sozialer Gerechtigkeit. Mohr<br />
Siebeck, Tübingen 2006, 323 S.<br />
Die sozialökonomische Dissertation ist in<br />
den Untersuchungen zur Ordnungstheorie<br />
und Ordnungspolitik des Walther-<br />
Eucken-Instituts erschienen, von keinem<br />
geringeren Ökonomen als Joachim Starbatty<br />
in der FAZ lobend besprochen –<br />
was bereits für die wirtschaftswissenschaftliche<br />
Kompetenz des Theologen<br />
spricht, eine heute leider selten gewordene<br />
Doppelqualifikation. Die Arbeit, obwohl<br />
von bewundernswerter Stringenz<br />
und durchsichtiger Gliederung, die den<br />
roten Faden der Gedankenentwicklung<br />
immer wieder aufgreift, wiederholt und<br />
weiterführt, ist dennoch nicht immer ganz<br />
leicht zu lesen, verlangt gewisse Kenntnisse<br />
in Ethik und Ökonomie, die interessierten<br />
Laien wohl fehlen. Eine staunenswerte<br />
Belesenheit vor allem in der<br />
gesellschafts- und wirtschaftswissenschaftlichen<br />
Literatur (besonders z.B.<br />
Buchanan, Hayek, Homann, Kersting,<br />
Nozick, Nussbaum, Rawls, Sen), aber<br />
auch in den philosophisch-ethischen<br />
Klassikern wie Aristoteles, Thomas,<br />
Kant, die immer wieder Referenzpunkte<br />
darstellen.<br />
Ausgangspunkt ist der liberale Sozialstaat,<br />
in dem Freiheitsrechte die Grundla-<br />
478<br />
ge bilden. Aber diese müssen in eine der<br />
Menschenwürde verpflichtete rechtsstaatliche<br />
Sozialordnung mit juristischer gegenseitiger<br />
Verpflichtung der Mitglieder<br />
eingebettet sein, wodurch Eingriffe in die<br />
Verteilung des Marktes legitimiert werden.<br />
Nass geht immer von den liberalen<br />
Freiheitsrechten aus, setzt sich vornehmlich<br />
mit der individualistischen, utilitaristischen,<br />
auf Eigennutz beruhender und<br />
daraus erwachsender Kooperationsbereitschaft<br />
und dem Vertragsmodell der Neoklassik<br />
auseinander, deren Grundannahmen<br />
er zwar z.T. anerkennt, aber ohne<br />
deontologisch verankertes, in der Natur<br />
des Menschen gelegenes Wir-Gefühl für<br />
unzureichend, ja widersprüchlich hält.<br />
Man wird in der Literatur lange suchen<br />
müssen, bis man eine so detaillierte, an<br />
den Kriterien von Begriffsklarheit, Konsistenz,<br />
Kohärenz und realen Implementierbarkeit<br />
gewonnene Prüfung von Sozialstaatstheorien<br />
findet. Allerdings ist den<br />
hinter dem heutigen Verteilungsstaat<br />
offen oder verborgen tragenden sozialistischen<br />
Gedanken keine ausführliche Diskussion<br />
gewidmet; der Diskussionspartner<br />
sind anspruchsvollere, liberale Kooperationsmodelle<br />
– Marx, Keynes, Blüm,<br />
Lafontaine spielen hier keine Rolle. Interessant<br />
ist, daß durchgängig immer wieder<br />
auf das Pareto-Kriterium Bezug genommen<br />
wird. Nass ist in seiner Arbeit<br />
weit entfernt vom sozialutopischen Verteilungs-,<br />
Versorgungs- und Wohlfahrtsstaat,<br />
aber mit Argumenten, und er setzt<br />
andererseits gegenüber dem rationalen<br />
Individualismus, besonders amerikanischer<br />
Provenienz auf „Humangerechtigkeit“<br />
und „Befähigungsfreiheit“ zur sozialen<br />
und solidarischen Verantwortung im<br />
„humangerechten Sozialstaat“ (die Terminologie<br />
scheint von Nass kreiert zu<br />
sein). Es wird eine Symbiose von wirtschaftlicher<br />
Effizienz und Humanität<br />
entwickelt, bei der Effizienz ein Dienstwert<br />
der Humanität ist und nicht umgekehrt.<br />
Kollektivismus und normativer