DIE NEUE ORDNUNG - Tuomi
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Gersonides folgte dem großen Islam-Philosophen Averroes (gest. 1198) in der<br />
Auffassung, daß das Wissen Gottes über den Gegensatz erhaben ist, der sich im<br />
endlichen Bewußtsein zwischen dem Allgemeinen und Individuellen abspielt. Als<br />
oberstes Formprinzip steht er über der Materie, die zwar nicht aus ihm abgeleitet<br />
werden kann, aber durch Willensakte – nicht aus dem Nichts – in die Schöpfung<br />
kommt (Guttmann, 242). Daraus ergibt sich Gott als höchstes Denken, das das<br />
Allgemeine bestimmt, ohne ins Spezielle einzugreifen.<br />
Das höchste Denken schafft innerhalb des göttlichen Wissens vom Allgemeinen<br />
die Freiheit des menschlichen Willens zur Gestaltung des Speziellen, das seinerseits<br />
wiederum durch die Grenzen des Allgemeinen bestimmt ist. Daraus folgen<br />
Gesetze empirischer Natur, die Gesetzen überempirischer, menschlich nicht erkennbarer<br />
Natur unterworfen sind. In dieser Abfolge zeichnet sich ein systematischer<br />
Geist ab, ein „aktiver Intellekt“, der im Wissen Gottes wirkt und aus dessen<br />
Interaktion mit dem Willen des Menschen das Werden des Weltganzen hervorgehen<br />
läßt. Indem Menschen mit besonderen Begabungen diese Entwicklungen anschieben,<br />
erweisen sie sich als Instrumente Gottes, als Propheten der Wissenschaft,<br />
deren Objekt früher oder später allerdings auch Gott selbst werden kann.<br />
So wie sich das Erkennbare aus dem Nichterkennbaren abbildet, erschließt sich für<br />
den Astronomen Gersonides die Astrologie aus dem Lauf der Gestirne. Dies jedoch<br />
nur in dem Maße, in dem der Mensch sich der Freiheit des Willens im Erkennbaren<br />
und der Möglichkeit bewußt ist, aus dem gewonnenen Wissen Schlüsse<br />
auf das Nichterkennbare ziehen zu können. Mit anderen Worten: Im Großen war<br />
der Wille des Menschen dem Lauf der Planeten unterworfen, im Kleinen gab es<br />
Toleranz in der Interpretation der Horoskope. Der Mensch war nicht unter einem<br />
ehernen, sondern in Grenzen gestaltbaren Gesetz geboren, das ihn am göttlichen<br />
Wissen teilhaben ließ.<br />
Dabei sind Wunder, Vorsehung und Prophetie religiöse Begriffe für natürliche<br />
Vorgänge, die der „aktive Intellekt“ aus dem Nichterkennbaren ins Erkennbare<br />
treten läßt und dem Geist des Menschen zugänglich macht. Prophetie bedeutet die<br />
Ergänzung Gottes in der Wirkung auf die Menschen. Da das Prinzip unabhängig<br />
von der Qualität ist, spannt es ein Spektrum auf, das von höchster geistiger Durchdringung<br />
bis zu platter Scharlatanerie reicht. Daß der menschliche Wille sich schon<br />
immer an der Macht zwischen Elite und Masse beteiligt hatte, war nichts Neues;<br />
Gersonides' bahnbrechende Leistung war vielmehr, die Freiheitsdimension des<br />
Willens als Teil der Macht bewußt gemacht zu haben.<br />
Anders ausgedrückt: In dem Maße, in dem sich Wissen und Wille der Eliten dem<br />
„aktiven Intellekt“ annäherten, konnten sich Wissen und Wille der Masse nach<br />
dem Muster der Gestirnsbahnen, also physikalisch strukturieren lassen. Es war<br />
bewußt geworden, daß sich Macht nicht nur durch Unterdrückung, sondern viel<br />
eleganter durch sinnvolle Mechanismen ausüben ließ. Eine vom Intellekt erleuchtete<br />
Elite konnte Herrschaftsregeln nach den Gesetzen der Natur bilden und die<br />
Masse sozusagen zu „Knechten des Universums“ machen.<br />
Auf diesem Gedankenweg entwickelte drei Jahrhunderte später der jüdische Philosoph<br />
B. Spinoza (gest. 1677) eine „Ethik nach geometrischer Methode“. Er hatte<br />
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