DIE NEUE ORDNUNG - Tuomi
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wesen. Es käme dem Wahnsinn gleich, ein System, das keinen Bezug zum<br />
Menschlichen hat, zur Schicksalsbasis desselben zu machen. Denn die Frage nach<br />
dem Sinn seiner Existenz ist dem Menschen so eingeschrieben, daß wir von einer<br />
„anthropologischen Konstante“ sprechen. So verwundert nicht, daß der „unerforschliche<br />
Ratschluß Gottes“ Priestern und Imamen schon oft dabei behilflich<br />
war, unbeliebte Entscheidungen der Eliten beim Volk durchzusetzen.<br />
Zumindest wußten die Menschen aller Zeiten, daß dem Wachstum der Natur, dem<br />
Wechsel des Wetters, dem Lauf der Gestirne etc. eine unerklärliche Kraft innewohnte,<br />
die man durch Zauber, Riten und Opfer zu beeinflussen suchte. Dabei<br />
erwies es sich für die Verwaltung des Kultes und die Steuerung der Menschen als<br />
hilfreich, die Vielzahl der Götter auf schließlich einen einzigen zu reduzieren.<br />
Indem Zarathustra als erstem um 600 v. Chr. im Iran dieser Durchbruch gelang,<br />
wurde er zum Impuls und Gründungsmuster der großen Monotheismen Judentum,<br />
Christentum, Islam.<br />
Die unsterbliche Seele, die Idee vom Lebensbaum, der Gut und Böse hervorbringt,<br />
vom heiligen Geist, der den Teufel abwehrt, von der jungfräulichen Empfängnis<br />
etc. sind – mit Ausnahme der Person Jesu – Vorstellungen, die Eingang in die drei<br />
Religionen gefunden und sie erheblich mitgeprägt haben. Während die Juden und<br />
Muslime die radikale Vereinfachung der iranischen Götterwelt durchaus nachvollzogen<br />
und einen Monotheismus mit strengen Rechts- und Kultregeln entwickelten,<br />
nimmt sich das christlich-trinitarische Prinzip eher wie eine Lockerung aus, die<br />
nicht zuletzt auch Muhammad den Vorwand an Hand gab, den Christen die „Beigesellung“<br />
(arab.: shirk), eine Art polytheistischen Rückfall, anzulasten.<br />
Das Zeichen, das die Mehrdeutigkeit der Religionen regelt, ist das Symbol. Es<br />
beruht auf der Analogie zwischen Form und Inhalt, die allerdings rasch in eine<br />
Schieflage geraten kann: Die Überbetonung der Form führt zur „materiellen Versteinerung“,<br />
die des geistigen Inhalts zur „spirituellen Auflösung“ (Kulte und Riten,<br />
92). Das Symbol verbindet Gegensätze und schafft Harmonien dort, wo die<br />
Logik keine erkennt. Der Symboliker wandelt auf einem schmalen Grat zwischen<br />
Formalismus und Leichtsinn, zwischen Magie und Mystik.<br />
So war es auch das Symbol des „einen Gottes“, das die im modernen Strukturwandel<br />
eher auseinander strebenden, schwankenden Welten verbinden sollte. Über<br />
längere Verhandlungen hinweg hatten sich die Teilnehmer des Konzils auf diese<br />
neue Perspektive geeinigt. Was über Jahrhunderte als trennend gegolten hatte,<br />
sollte nun als eher verbindend gesehen werden. Die Zeit, so schien es, war reif für<br />
eine fundamentale Umkehr des Verhältnisses zwischen Christentum und Islam.<br />
Selten hat es eine Situation gegeben, in der Eliten das Gottesbild so eindeutig bestimmt,<br />
aber auch so zweideutig „begründet“ haben. Jahrhundertelang war es<br />
durch den historischen Konflikt geprägt und sollte nun endlich – sozusagen durch<br />
Akklamation – durch die moderne Harmonie abgelöst werden. Wer bis dahin noch<br />
daran gezweifelt hatte, daß Gottesbilder etwas mit dem menschlichen, vor allem<br />
elitären Willen zu tun haben, konnte sich entweder durch diesen Vorgang oder<br />
Konzilsberater Schillebeexcks überzeugen lassen: „Wir haben auf dem Konzil<br />
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