DIE NEUE ORDNUNG - Tuomi
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Hans-Peter Raddatz<br />
Christentum und Islam<br />
Der vermeintlich „Eine Gott“<br />
Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil lautet die offizielle Lesart in der Kirche,<br />
daß „wir mit den Muslimen den einen Gott anbeten“ (Nostra Aetate). Damit ist<br />
eine auf zwei völlig verschiedenen Vorstellungen beruhende Gottheit gemeint, die<br />
von nun an aber doch so viele wichtige Gemeinsamkeiten aufweisen sollten, daß<br />
die Verfasser der Declaratio von dem „einen Gott“ sprechen zu können glaubten.<br />
Die Aktion geschah allerdings nicht ganz freiwillig, sondern unter erheblichem<br />
Druck seitens einiger arabischer Staaten. Sie hatten der Kirche für den Fall mit<br />
Repressionen gedroht, daß man den Islam nicht in die ursprünglich auf die Juden<br />
beschränkte Erklärung aufnähme.<br />
Trotzdem wurde die Wunschidee von dem einen Gott zum Fundament des „Dialogs<br />
mit dem Islam“, der sich nunmehr über vier Jahrzehnte hinzieht. Da die<br />
grundsätzliche Basis als geklärt galt, beschäftigte man sich kaum noch mit dem<br />
Gottesbild selbst, sondern bemühte sich in unzähligen Veranstaltungen, eher die<br />
großen Reizthemen wie Koran, Tradition, Scharia, Frauen etc. in den Blick zu<br />
nehmen. Erst Papst Benedikt XVI. brachte es vor einiger Zeit wieder ausdrücklich<br />
mit der Forderung auf die Tagesordnung, „daß der Name Gottes nicht mit Gewalt<br />
verbunden werden darf“.<br />
Im nachfolgenden Beitrag wollen wie der Frage nachgehen, ob und warum der<br />
christliche und islamische Gottesbegriff tatsächlich so ähnlich ist, wie vom Konzil<br />
angenommen, so daß einige vielleicht zu Voreilige bereits vom „Chrislam“ zu<br />
sprechen begannen. Da Gott ohne den Menschen nicht denkbar ist, gibt er in der<br />
Regel das Verständnis und die Entwicklung der jeweiligen Zeit und Kultur wieder.<br />
In ihm spiegeln sich nicht zuletzt auch Herrschaftssysteme, die das kollektive<br />
Leben und Zusammenwirken von Eliten und Massen regeln.<br />
Zwar wissen wir heute immer noch nicht allzu viel über die Entstehung der Welt,<br />
ganz zu schweigen von den archaischen Gesellschaften der Frühzeit und den nachfolgenden<br />
Kulturstufen. Doch hatten ihre Gottesideen immer etwas mit dem jeweiligen<br />
Stand der Kosmologie und des elitären Herrschaftswissens zu tun. Es verhält<br />
sich also nicht ganz so, wie Kurt Hübner meint, „daß wir nichts über Gottes Wege<br />
wissen können, nichts nämlich darüber, warum er die Welt so geschaffen hat wie<br />
sie ist und folgerichtig auch nichts darüber, daß er die Menschen so geschaffen hat,<br />
wie sie sind“ (Das Christentum im Wettstreit der Weltreligionen, 116).<br />
Denn gerade wenn es so wäre, gerade wenn wir über die Bedingungen göttlichen<br />
Schaffens nichts wüßten, wenn keinerlei Ähnlichkeit zwischen Gottes und der<br />
Menschen Denken bestünde, wäre jeder Versuch, die Religion zur Grundlage<br />
menschlichen Zusammenlebens zu machen, eine völlig abwegige Maßnahme ge-