DIE NEUE ORDNUNG - Tuomi

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404 Reinhard Marx Für P. Edgar Nawroth OP zum 95. Geburtstag Lieber Pater Nawroth, wie gerne erinnere ich mich an unsere Begegnungen in der Kommende in Dortmund, dem Sozialinstitut des Erzbistums Paderborn. Knapp zwei Jahre nach meiner Priesterweihe – ich war kaum 28 Jahre alt – schickte Erzbischof Degenhardt mich an dieses Institut und beauftragte mich, intensiv die Katholische Soziallehre zu studieren und auch eine Promotion zu beginnen. Ich muß zugeben, daß ich während meines Studiums kein besonderes Interesse für die Christliche Gesellschaftslehre entwickelt habe, wenn auch mein Sinn für das Politische immer sehr stark entwickelt war. Das lag sicher auch an meinem Elternhaus, insbesondere an meinem Vater, der auf einem Zementwerk als Schlossermeister arbeitete und gewerkschaftlich engagiert war. Insofern ergab es sich von selbst, daß er eher „links“ orientiert war und manche kirchliche Position kritisch beurteilte. Im Alter von zehn/elf Jahren hörte ich von ihm zum ersten Mal den Namen Oswald von Nell-Breuning. Er meinte, das sei einer der wenigen in der Kirche, der überhaupt etwas von der Arbeiterfrage verstanden habe. Aber als ich nach Dortmund kam, war doch vieles neu und die Soziallehre der Kirche, die mir in groben Zügen bekannt war, mußte nun in die aktuellen konkreten politischen Auseinandersetzungen hineingestellt werden. Die großen Prinzipien mußten sich bewähren. Ich fand mich also im politischgesellschaftlichen „Handgemenge“ wieder, das mir aber durchaus große Freude machte. Wie dankbar war und bin ich deshalb für die Menschen, die wie Sie, lieber Pater Nawroth, die gesamte Tradition der Katholischen Soziallehre im Blick hatten und sich nicht scheuten, immer wieder in die Tagesdiskussion einzusteigen. Ihre Vorträge und Diskussionsbeiträge waren geprägt durch ein klares Denken, eine scharfe Analyse im Horizont der Prinzipien der Soziallehre und ein nachvollziehbares sozialethisches Urteil. Ich habe Sie in der Diskussion mit Unternehmern und Gewerkschaftern erlebt: Sie machten immer auf alle Beteiligten einen großen überzeugenden Eindruck. Das gilt auch für Ihre Referate in unserem Arbeitskreis hoch angesehener Sozialwissenschaftler, der sich einmal im Jahr traf. Lieber Pater Nawroth, Sie stehen auch als Zeitzeuge einer großen und wichtigen Epoche der Katholischen Soziallehre in unserem Land vor mir. Nach dem Zweiten Weltkrieg – und zum Teil auch schon während des Krieges – waren es Jesuiten und Dominikaner, die mitarbeiteten an Konzepten für ein zukunftsfähiges Deutschland. Vielen war klar: Nach einer solchen Katastrophe durfte es keinen Neuanfang ohne Umkehr geben. Es sollte ein Gemeinwesen aufgebaut werden, das die Freiheit des Menschen respektiert. Ein Staat sollte entstehen, der sich am

Gemeinwohl orientiert und der die soziale Gerechtigkeit im Blick behält. Wie das im einzelnen aussehen könnte, darüber gab es natürlich durchaus Streit. Sie, Pater Nawroth, konnten immer wieder spannend von den vierziger und fünfziger Jahren erzählen, von der Diskussion über den Ordoliberalismus und seine Beurteilung durch die Katholische Soziallehre und auch von der Vorbereitung des Godesberger Programms der SPD, das schließlich ein Ja zur sozialen Marktwirtschaft ausgesprochen hat. Immer wieder habe ich gespürt, daß Sie die formulierte Idee, nach dem Zweiten Weltkrieg einen „Dritten Weg“ zwischen Kommunismus und Kapitalismus zu finden, nie ganz aufgegeben haben. So war bei Ihnen der Antikommunismus eine selbstverständliche Überzeugung, aber auch die Reserve gegenüber dem Liberalismus war spürbar, wenn auch in anderer Weise. Inwiefern der Ordoliberalismus wirklich ein Qualitätssprung war und ist oder doch nur ein „verkappter alter Liberalismus“, darum gingen die Debatten, und es waren keine fruchtlosen Debatten, denn sie gehen im Grunde bis heute weiter. Auch ein so dem Ordoliberalismus positiv zugewandter Denker wie Joseph Höffner hat die Grenzen dieses Konzepts in den fünfziger und sechziger Jahren sehr deutlich markiert. Er hat einmal festgehalten: „Soziale Marktwirtschaft und Ordoliberalismus sind nicht einfach dasselbe.“ 1 Dem würden Sie, lieber Pater Nawroth, sicher auch heute noch zustimmen. Wenn heute sogar manche meinen, die soziale Marktwirtschaft sei ein „Nachkriegsprodukt“, das sich durch die Globalisierung überholt habe, spürt man: Die Debatten sind nicht zu Ende, sie müssen im Gegenteil neu geführt werden. Und selbst die Vertreter des Ordoliberalismus der Freiburger Schule, von denen her immer noch am ehesten eine Brücke zur Katholischen Soziallehre zu bauen wäre, sind in den Wirtschaftswissenschaften heute in der Minderheit. Das beunruhigt mich sehr. Denn die Wirtschaftswissenschaft ist schließlich eine Geisteswissenschaft. Da geht es nicht nur ums Rechnen, Bilanzieren, um Mathematik und Kybernetik, sondern um das „Handeln von Menschen unter Knappheitsbedingungen“. Lieber Pater Nawroth, so sage ich Ihnen Dank für Ihre große Lebensleistung, für Ihr Zeugnis und Ihr Wirken. Ihre Themen werden uns in neuer Weise weiter begleiten. Dazu gehört die Diskussion um das Verhältnis von Staat und Markt im Rahmen einer globalen Weltwirtschaft. Wir werden weiter sprechen müssen über das Verhältnis von Arbeit und Kapital. Mit Sorge sehen wir, daß sich die Marktwirtschaften stärker zum Kapitalismus hin entwickeln und damit die Mitte jedes Wirtschafts- und Gesellschaftssystems aus dem Blick verlieren: den Menschen. Kurz vor seinem Tod veröffentliche Papst Johannes Paul II. den Interviewband „Erinnerung und Identität“. In diesem Buch fragt er sich, was denn der zentrale Konstruktionspunkt der Soziallehre der Kirche und damit auch seiner großen Sozialenzykliken „Laborem exercens“ (1981), „Sollicitudo rei socialis“ (1987) und „Centesimus annus“ (1991) sei. Und er antwortet: „Man kann sagen, daß an der Wurzel all dieser Dokumente des Lehramts das Thema der Freiheit des Menschen steht. Die Freiheit wird dem Menschen vom Schöpfer gegeben als Gabe und Aufgabe zugleich. Der Mensch ist nämlich dazu berufen, mit seiner Freiheit die Wahrheit über das Gute anzunehmen und zu verwirklichen. Indem er einen 405

Gemeinwohl orientiert und der die soziale Gerechtigkeit im Blick behält. Wie<br />

das im einzelnen aussehen könnte, darüber gab es natürlich durchaus Streit. Sie,<br />

Pater Nawroth, konnten immer wieder spannend von den vierziger und fünfziger<br />

Jahren erzählen, von der Diskussion über den Ordoliberalismus und seine Beurteilung<br />

durch die Katholische Soziallehre und auch von der Vorbereitung des<br />

Godesberger Programms der SPD, das schließlich ein Ja zur sozialen Marktwirtschaft<br />

ausgesprochen hat. Immer wieder habe ich gespürt, daß Sie die formulierte<br />

Idee, nach dem Zweiten Weltkrieg einen „Dritten Weg“ zwischen Kommunismus<br />

und Kapitalismus zu finden, nie ganz aufgegeben haben. So war bei<br />

Ihnen der Antikommunismus eine selbstverständliche Überzeugung, aber auch<br />

die Reserve gegenüber dem Liberalismus war spürbar, wenn auch in anderer<br />

Weise. Inwiefern der Ordoliberalismus wirklich ein Qualitätssprung war und ist<br />

oder doch nur ein „verkappter alter Liberalismus“, darum gingen die Debatten,<br />

und es waren keine fruchtlosen Debatten, denn sie gehen im Grunde bis heute<br />

weiter.<br />

Auch ein so dem Ordoliberalismus positiv zugewandter Denker wie Joseph<br />

Höffner hat die Grenzen dieses Konzepts in den fünfziger und sechziger Jahren<br />

sehr deutlich markiert. Er hat einmal festgehalten: „Soziale Marktwirtschaft und<br />

Ordoliberalismus sind nicht einfach dasselbe.“ 1 Dem würden Sie, lieber Pater<br />

Nawroth, sicher auch heute noch zustimmen. Wenn heute sogar manche meinen,<br />

die soziale Marktwirtschaft sei ein „Nachkriegsprodukt“, das sich durch die<br />

Globalisierung überholt habe, spürt man: Die Debatten sind nicht zu Ende, sie<br />

müssen im Gegenteil neu geführt werden. Und selbst die Vertreter des Ordoliberalismus<br />

der Freiburger Schule, von denen her immer noch am ehesten eine Brücke<br />

zur Katholischen Soziallehre zu bauen wäre, sind in den Wirtschaftswissenschaften<br />

heute in der Minderheit. Das beunruhigt mich sehr. Denn die Wirtschaftswissenschaft<br />

ist schließlich eine Geisteswissenschaft. Da geht es nicht nur<br />

ums Rechnen, Bilanzieren, um Mathematik und Kybernetik, sondern um das<br />

„Handeln von Menschen unter Knappheitsbedingungen“.<br />

Lieber Pater Nawroth, so sage ich Ihnen Dank für Ihre große Lebensleistung, für<br />

Ihr Zeugnis und Ihr Wirken. Ihre Themen werden uns in neuer Weise weiter<br />

begleiten. Dazu gehört die Diskussion um das Verhältnis von Staat und Markt im<br />

Rahmen einer globalen Weltwirtschaft. Wir werden weiter sprechen müssen über<br />

das Verhältnis von Arbeit und Kapital. Mit Sorge sehen wir, daß sich die Marktwirtschaften<br />

stärker zum Kapitalismus hin entwickeln und damit die Mitte jedes<br />

Wirtschafts- und Gesellschaftssystems aus dem Blick verlieren: den Menschen.<br />

Kurz vor seinem Tod veröffentliche Papst Johannes Paul II. den Interviewband<br />

„Erinnerung und Identität“. In diesem Buch fragt er sich, was denn der zentrale<br />

Konstruktionspunkt der Soziallehre der Kirche und damit auch seiner großen<br />

Sozialenzykliken „Laborem exercens“ (1981), „Sollicitudo rei socialis“ (1987)<br />

und „Centesimus annus“ (1991) sei. Und er antwortet: „Man kann sagen, daß an<br />

der Wurzel all dieser Dokumente des Lehramts das Thema der Freiheit des Menschen<br />

steht. Die Freiheit wird dem Menschen vom Schöpfer gegeben als Gabe<br />

und Aufgabe zugleich. Der Mensch ist nämlich dazu berufen, mit seiner Freiheit<br />

die Wahrheit über das Gute anzunehmen und zu verwirklichen. Indem er einen<br />

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