DIE NEUE ORDNUNG - Tuomi
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Gleichheits- und Differenzprinzip von Rawls. 27 Ausführlicher stellte der Münsteraner<br />
Sozialethiker Franz Furger die Grundzüge der beiden Gerechtigkeitsprinzipien<br />
dar und bewertete sie: „Zwar scheint Rawls mit diesen Grundsätzen noch sehr nahe<br />
beim Utilitarismus zu stehen. Immerhin ist hier aber nicht das Glück der größten<br />
Zahl das ethische Kriterium, sondern das gleiche Recht jedes Menschen, das dem<br />
meist materiell verstandenen Glück vorangeht. Die vom Utilitarismus geforderte<br />
Nutzenmaximierung kann daher ethisch nur im Rahmen dieses Rechtes sittlich<br />
sein, wobei dieser Rahmen nicht im Belieben der Mehrheit (allenfalls zuungunsten<br />
einer Minderheit) steht, sondern an sich gilt. Um diese den Utilitarismus entscheidend<br />
übersteigende Bedingung aber begründen zu können, muß Rawls dessen<br />
Voraussetzungen verlassen und die unbedingte und gleiche Würde eines jeden<br />
Menschen (sogar des noch nicht geborenen) annehmen und deren uneingeschränkte<br />
Achtung grundsätzlich fordern.<br />
Hinsichtlich ihrer Inhalte werden sich zwar die Regeln dieser Gerechtigkeitstheorie<br />
von denen des Utilitarismus nicht sehr unterscheiden. Der Unterschied liegt allein<br />
in der letzten Begründung, welche die empirisch-pragmatische Ebene übersteigt<br />
und einen ideellen Grund, nämlich die Würde des Menschen, fordert. Damit bewegt<br />
sich Rawls in der philosophischen Konzeption von Kant, den er auch ausdrücklich<br />
zitiert. Unbedingte Menschenrechte und deren Gerechtigkeit gelten nämlich<br />
– das sieht Rawls mit voller Klarheit – nur unter dieser Annahme einer Letztbegründung,<br />
die freilich selbst in der UNO-Menschenrechtscharta von 1948 nicht<br />
ausdrücklich festgehalten ist.“ 28 Man kann sich weiter fragen, ob hier nicht nur<br />
eine Fortführung Kants, sondern auch der Naturrechtslehre der katholischen Tradition<br />
vorliegt. Furger sagt selbst: „Kant wie Rawls, der sich in seiner Utilitarismuskritik<br />
auf diesen beruft, stehen daher, ohne es wohl selber zu wissen und ohne<br />
explizit die gleiche Begrifflichkeit zu verwenden, in einer langen christlichethischen<br />
Tradition.“ 29 Ohne daß der Begriff Natur vorkommt, werden hier die<br />
Gedanken von Thomas von Aquin erneut thematisiert. Die nur scheinbaren Unterschiede<br />
sind zum großen Teil darin begründet, daß Rawls keine philosophische,<br />
sondern eine politische Theorie entwirft und sich um die Begriffe und Ideen der<br />
kontinentalen Naturrechtstradition nicht kümmert.<br />
Auch der Eichstätter Sozialethiker und Politologe Bernhard Sutor zitiert die bekannten<br />
beiden Prinzipien, scheint sie unausgesprochen sogar zu akzeptieren, erhebt<br />
aber Einwendungen, die allerdings nicht grundsätzlicher Art sind: „Eine<br />
Schwierigkeit in der Anwendung dieser Grundsätze liegt darin, daß sie keine sicheren<br />
Voraussagen erlauben. Selbst im Wirtschaftlichen kann man immer nur Vermutungen<br />
anstellen, ob Maßnahmen mehr Vor- oder Nachteile für bestimmte<br />
Gruppen bringen werden. Eine weitaus größere Schwierigkeit liegt in der Mehrdeutigkeit<br />
der Kriterien: Was heißt ‚Vorteil’, wenn man über das Materielle hinaus<br />
an das Verhältnis von Freiheitschancen der Menschen und Steuerungsbefugnis des<br />
Staates denkt? Was heißt Chancengleichheit, wenn man darunter mehr versteht als<br />
den rechtlich gleichen Zugang für alle zu höheren Positionen?“ 30 Diese Kritik<br />
scheint nicht speziell Rawls zu treffen. Man kann sie ebenso auf die üblichen Lehren<br />
von der sozialen Gerechtigkeit auch innerhalb der katholischen Ethik anwenden.<br />
Man kann wohl schreiende Ungerechtigkeiten genau feststellen, aber was<br />
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