DIE NEUE ORDNUNG - Tuomi
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Man muß hier beachten, daß die Begriffe Natur und Vernunft in dem obsoleten<br />
Verständnis von Naturrecht eine krude biologische Faktizität und deren gegenständliche<br />
Vernunftordnung meinen, am Ende des Zitats aber die normative Funktion<br />
einer praktischen Vernunft auf Seiten des Menschen beschrieben wird, welche<br />
die Gegebenheiten der Menschennatur auslegen kann und muß. In diesem Sinne<br />
hat sich Benedikt XVI. später deutlicher erklärt: „Dieses Wort (i.e. das natürliche<br />
Sittengesetz. Der Verf.) ist heute für viele beinahe unverständlich; der Grund dafür<br />
liegt in einem Naturbegriff, der nicht mehr metaphysisch, sondern rein empirisch<br />
ist. Die Tatsache, daß die Natur, das Sein selbst nicht mehr transparent für eine<br />
moralische Botschaft ist, erzeugt ein Gefühl von Orientierungslosigkeit, das die<br />
Entscheidungen des täglichen Lebens prekär und unsicher macht. (...) Im Lichte<br />
dieser Feststellungen wird mit aller Dringlichkeit die Notwendigkeit sichtbar, über<br />
das Naturrecht nachzudenken und seine Wahrheit, die allen Menschen gemeinsam<br />
ist, wiederzuentdecken.“ 24<br />
Katholische Sozialethiker<br />
Wohl wegen der scheinbaren Unverträglichkeit mit der katholischen Soziallehre,<br />
wird aber Rawls Theorie auch in ihren kompatiblen Aspekten nur wenig von katholischen<br />
Sozialethikern rezipiert. Im „Staatslexikon – Recht, Wirtschaft, Gesellschaft“<br />
der katholischen Görres-Gesellschaft von 1988 und 1995 wird Rawls in<br />
mehreren Artikeln der sieben Bände kurz als bedeutend erwähnt und mit einigen<br />
Strichen skizziert, es findet sich aber keine gründliche Darstellung und auch keine<br />
Auseinandersetzung. Eine Ausnahme ist der Beitrag des Philosophen Otfried Höffe<br />
über „Praktische Philosophie“. Obwohl dieser den Beitrag Rawls' zur Rehabilitierung<br />
der praktischen Philosophie hoch einschätzt, erhebt er Bedenken gegen eine<br />
ethikfreie Begründung politischer Philosophie: „Es fragt sich nur, ob man den<br />
Moralbegriff vollständig aufgeben kann, ohne unverzichtbare Verbindlichkeiten<br />
menschlicher Praxis zu unterschlagen.“ 25 Es fehlt nach ihm eine eingehende Semantik<br />
des Begriffs „gut“ bei Rawls. In dem dreibändigen ökumenischen „Handbuch<br />
der christlichen Ethik“ von 1978 und 1982 wird Rawls nur wenige Male,<br />
meist unkommentiert und nur in den Anmerkungen, erwähnt, obwohl dort auch<br />
vermerkt wird, daß es sich bei der „Theorie der Gerechtigkeit“ um die bedeutendste<br />
immanente, d.h. nichttranszendente Ethik der jüngsten Zeit handelt. 26 Dies hat<br />
sich nur wenig geändert.<br />
In den Schriften des Leiters der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle<br />
in Mönchengladbach Professor Anton Rauscher finden sich seit 1988 keine<br />
Auseinandersetzungen mit Rawls. Einige andere der maßgebenden Autoren der<br />
katholischen Soziallehre seien hier aber noch erwähnt: Einer der deutschen Altmeister<br />
der katholischen Soziallehre, der Jesuitenpater Oswald von Nell-Breuning,<br />
hat sich anscheinend in seinen letzten Lebensjahren nicht mehr mit Rawls beschäftigt,<br />
während ein anderer, der Dominikaner Arthur F. Utz, ihn immerhin einige<br />
Male referiert. Er vergleicht dessen Beschreibung des Urzustandes und die Anlage<br />
im Menschen zur wechselseitigen Nützlichkeit mit dem theologischen Urzustand<br />
vor der Sünde, aber ihm reicht diese rudimentäre Wesensaussage über den Menschen<br />
nicht. Er setzt die Lehre vom Gemeinwohl gegen das nicht ausreichende<br />
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