DIE NEUE ORDNUNG - Tuomi
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maligen Jugoslawien die Umgangssprache Deutsch war, aber nur für 21 Prozent<br />
der Zuwanderer aus der Türkei. 19 Zwar vermögen erfahrene Fachkräfte die Befindlichkeit<br />
eines Menschen bis zu einem gewissen Grad auch aus nicht-verbalen<br />
Äußerungen zu erschließen, doch sind einem solchen Vorgehen bei komplexen<br />
Problemlagen rasch Grenzen gesetzt. Weiterhin hängt die Kooperationsfähigkeit<br />
von Klienten davon ab, in welchem Maße sie eine Vorstellung haben vom Zustandekommen<br />
grundlegender physischer, psychischer und sozialer Zustände<br />
und Abläufe. Solche Vorstellungen sind aber häufig wiederum durch die Kultur<br />
geprägt. Dies gilt etwa für die Funktion, die bestimmten Organen zugeschrieben<br />
wird und für die Lokalisierung und Beschreibung von Schmerzen. Ein „kultursensibles“<br />
Vorgehen bedeutet hier, die Äußerungen des Klienten zunächst einmal<br />
ernst zu nehmen und durch entsprechendes Nachfragen Informationen zu<br />
erhalten, die auch in einem westlich orientierten Wahrnehmungs- und Handlungsrepertoire<br />
relevant sind. An dieser Stelle wird indessen deutlich, daß „kultursensibles“<br />
Handeln recht zeitaufwendig sein kann. Und dies in einer Situation,<br />
in der Zeit bei der Erbringung sozialer Dienstleistungen eine besonders knappe<br />
Ressource darstellt!<br />
Die Kooperationsbereitschaft von Klienten wird zunächst einmal – unabhängig<br />
von deren kulturellem Hintergrund – von persönlichen Eigenschaften sowie von<br />
situativen Bedingungen bestimmt. Allerdings spielt der kulturelle Hintergrund da<br />
eine Rolle, wo es um die Beachtung kulturspezifischer Tabus geht, insbesondere<br />
solcher, die sich auf das Verhältnis der Geschlechter beziehen. Derartige Tabus<br />
gelten nicht nur für das Verhalten im Alltag, sondern auch für die Akzeptanz<br />
professionellen Handelns. So kann das, was an Betreuungs- und Pflegeleistungen<br />
gegenüber Angehörigen des anderen Geschlechts gestattet ist, sehr beschränkt<br />
sein. Manche Leistungen können oftmals auch nur erbracht werden, wenn der<br />
Ehepartner des Adressaten oder ein anderes Familienmitglied anwesend ist. Aus<br />
diesem Grunde kann ein Verhalten, das aus der Sicht des Leistungserbringers auf<br />
Passivität, Desinteresse oder Sturheit zurückzuführen ist, Ausdruck kulturell<br />
geprägter Vorstellungen von Intimität und von der Stellung der Geschlechter<br />
sein.<br />
Eine große Rolle bei der Erbringung sozialer Dienstleistungen für Menschen aus<br />
anderen Kulturkreisen spielt das Verhältnis von einzelnem und Kollektiv. Das<br />
westliche Menschenbild ist individualistisch. Das Individuum ist Träger von<br />
Rechten, und es ist, sieht man von Familienleistungen ab, das Individuum, das<br />
gewöhnlich im Zentrum sozialstaatlicher Programme steht. Demgegenüber stellen<br />
Dienstleister, die es mit einem Adressaten aus anderen Kulturkreisen zu tun<br />
haben, oftmals fest, daß es die Familie oder sogar die erweiterte Familie ist, die<br />
sich als von einem Problem betroffen betrachtet. Um zielgerichtet beraten,<br />
betreuen oder pflegen zu können, muß dann die Aufmerksamkeit vom einzelnen<br />
auf die Gruppe gelenkt werden. Dies kann in manchen Fällen durchaus ein „modernes“<br />
Vorgehen darstellen. So setzen ja viele Theoretiker sozialer Dienstleistungen<br />
auf einen „systemischen“ Ansatz. Gleichwohl stoßen Fachkräfte unter<br />
solchen Umständen nicht selten an die Grenzen ihres professionellen Handelns.<br />
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