Homosexual's Film Quarterly - Sissy

Homosexual's Film Quarterly - Sissy Homosexual's Film Quarterly - Sissy

03.03.2013 Aufrufe

profil Kaltmiete | Speed Dating von Gregor Buchkremer D 2007, 76 Min Edition Salzgeber, www.salzgeber.de „EIn FIlM MuSS DIcHT SEIn.“ von hanno stecher Der junge deutsche Regisseur Gregor Buchkremer macht queeres Genrekino. SiSSY sprach mit ihm über seine Filme „Kaltmiete“ und „Speed Dating“. s Der 29-jährige Gregor Buchkremer ist Absolvent der Kölner Hochschule für Medienkunst. Obwohl er in seiner Arbeit auf klassische Erzähltechniken sowie auf handwerkliche Präzision setzt und sich immer wieder neu an herkömmlichen Genregrenzen abarbeitet, zeichnen sich seine Filme durch einen ganz eigenen Duktus aus. Sie hadern stets mit den Konventionen des Kinos und hebeln diese bisweilen auch ganz aus. Zu Buchkremers wichtigsten Stilmitteln gehören dabei insbesondere sein für das deutsche Kino überraschend trockener und treffsicherer schwarzer Humor, sowie eine Schwäche für Elemente der Überzeichnung und Verfremdung, die immer wieder Assoziationen an alte Grusel- oder Trashklassiker hervorrufen. Wichtigstes Beispiel dieses Zusammenspiels aus Humor und Horror ist der Film Kaltmiete. Der 45-Minüter erzählt die Geschichte einer Studenten-WG, deren vier Bewohner sich einen zermürbenden Kleinkrieg liefern: Einer von ihnen bleibt für den Zuschauer bis zum Schluss ein Phantom – er hat sich seit Tagen in seinem Zimmer verschanzt, was eine eigenartige zwischenmenschliche Dynamik unter seinen Zimmernachbarn in Gang ruft. Nach und nach offenbart sich wie in einem Kammerspiel das komplizierte Beziehungsgeflecht innerhalb der WG. Es dauert nicht lange, bis die Nerven blank liegen und die Geschichte in gleich mehreren persönlichen Tragödien endet. Auch in Speed Dating lauert das Grauen direkt unter der Oberfläche. Das Prinzip des Films ist schnell erzählt: Wer keinen Partner hat, stirbt. Die Suche nach Liebe wird für die Protagonisten des Films, egal ob homo oder hetero, zum Überlebenskampf. Der Kurzfilm kann so als Satire auf eine Gesellschaft verstanden werden, in der die monogame Zweierbeziehung nach wie vor idealisiert wird, während der große Teil der Individuen um sich selbst kreist und damit letztlich unfähig ist, eine Beziehung nach den selbst gestellten Vorgaben zu leben. Gemeinsam ist Buchkremers Debütfilmen, dass sie fast schon auffällig stark mit den Erwartungshaltungen und Sehgewohnheiten des Zuschauers spielen und diese notorisch unterlaufen. Und tatsächlich gehört die Möglichkeit, den Zuschauer zu führen und immer wieder auf eine falsche Fährte zu locken, für Gregor Buchkremer zu den reizvollsten Instrumenten des Mediums Film, wie er im Interview erzählt. Ebenso wie die filmische Reflektion des eigenen Umfeldes, die er mit viel Liebe zum Detail und zu seinen Figuren betreibt. Während der Vorbereitung zu seinem ersten Langfilm hat sich der Regisseur für SISSY Zeit genommen und ein paar Fragen beantwortet. GREGoR LöCHER sissy: Deine Filme spielen – ähnlich wie Seifenopern – fast alle in einem bestimmten sozialen Milieu. Es sind junge Menschen zwischen 20 und 30 und die meisten von ihnen scheinen Studenten oder Leute aus der Kreativwirtschaft zu sein. Was reizt Dich daran, deine Geschichten gerade in diesem Gesellschaftsbereich anzusiedeln? gregor buchkremer: Ich sehe mich auch selbst in so einem Milieu – meine Freunde und Bekannten sind alle dort zu finden. Mir liegt es nicht unbedingt, Geschichten zu schreiben, die zu weit von mir selbst entfernt sind, ich sehe mich lieber in meinem Umfeld um und beschäftige mich mit dem, was dort passiert. Das finde ich einfach spannender und ich fühle mich da sicherer. Ich kenne viele Leute im Filmbereich, die bewusst irgendwelche Themen bearbeiten, die weit weg von ihrem eigenen Leben sind, die sie vielleicht nur aus Zeitungsartikeln kennen. Ich glaube die Gefahr ist dann groß, dass man etwas falsch macht. Geht es bei diesem „vor der eigenen Tür kehren“ auch um den Gedanken, genauer hinschauen zu können? Mir kommt es manchmal so vor, als wolltest Du mit Deinen Filmen auch kleine Milieustudien liefern. Auf jeden Fall. Ich habe das Gefühl, dass ich mit meinen Drehbüchern und Filmen nicht nur dem Zuschauer, sondern auch mir selbst bestimmte Zusammenhänge erklären will. Ich versuche das, was mich beschäftigt, in eine Form zu packen, eine Ordnung herzustellen oder ein Muster zu entwickeln und dadurch einen neuen Blick darauf zu werfen. Und manchmal finde ich auf diesem Weg tatsächlich etwas ganz Neues über mich oder meine Umwelt heraus. Gleichzeitig wird von ‚anspruchsvollen‘ Filmen ja immer auch verlangt, dass sie über den Tellerrand blicken können, dass sie sich z.B. mit gesellschaftlichen Problemen oder mit den speziellen Problemen von sozialen Minderheiten auseinandersetzen. Ich will kein Betroffenheitskino machen für Leute, die ins Kino gehen und sich einen dramatischen Film über Drogen, Migration oder Vergewaltigung ansehen und dann denken, sie seien durch den Kinobesuch bessere Menschen geworden. Das liegt mir nicht. Es gibt da sicherlich viele tolle Filme in diesem Bereich, aber es gibt auch viele Filmemacher, die da auf Nummer sicher gehen und auf Teufel komm raus einen ‚Problemfilm‘ machen wollen. Natürlich will aber auch jeder, der Filme macht oder Drehbücher schreibt, der Welt seinen Blickwinkel aufdrängen. Trotzdem ist es mein Hauptanliegen, mit meinen Filmen zu unterhalten, Momente zu schaffen, wo ich als Regisseur dann einfach will, das der Zuschauer genau an dieser bestimmten Stelle lacht oder erschrickt. Das Timing ist mir da total wichtig. Ich denke, dass der Zuschauer viel mehr mitnimmt, wenn er sich unterhalten fühlt und sich nicht die ganze Zeit den Kopf zerbrechen muss. Mehr auf jeden Fall, als wenn er die ganze Zeit den erhobenen Zeigefinger auf der Leinwand sieht. War es für Dich als jemand, der an einer Medienkunsthochschule studiert hat, schwierig, sich mit diesem Anspruch durchzusetzen? Da hat man sich ja sicherlich etwas anderes unter Kunst vorgestellt als das, was Du in Deinen Filmen machst. Es war in beide Richtungen schwierig. Ich war ja in der Fächergruppe Medienkunst, wo es überhaupt nicht üblich ist, narrative Filme zu machen. Und auch meine Prüfer, u.a. Marcel Odenbach und Mattthias Müller, waren ja größtenteils Medienkünstler. Da war es dann schon so, dass ich das Narrative verteidigen musste. Auf der anderen Seite stachen die Filme auch im Fachbereich Film und Fernsehen heraus, weil es sich bei Speed Dating ja um eine Komödie bzw. um eine Satire und bei Kaltmiete um einen Thriller handelt. Alle anderen hatten Dramen, kurze Dramen, während ich Genrefilme gemacht habe. Das war da total exotisch, da war ich wirklich der Einzige. Ich hatte oft das Gefühl, dass ich mich auf beiden Seiten rechtfertigen muss, obwohl ich meine Filme persönlich nicht so außergewöhnlich finde, im Kino und Fernsehen laufen doch auch fast ausschließlich Genrefilme. Wobei Du ähnlich wie Alfred Hitchcock, der, wie ich weiß, zu Deinen Vorbildern gehört, ja auch bewusst mit Genres spielst. Neben den unter- haltsamen Momenten gibt es auch noch viele andere Ebenen, die man vielleicht auf den ersten Blick nicht unbedingt bemerkt. Das stimmt schon. Da geht es aber auch wieder um einen bestimmten Anspruch, den ich an Unterhaltung habe. Wenn Hitchcock beispielsweise aus Psycho ein klassisches Drama über einen Mann mit einer gespaltenen Persönlichkeit gemacht hätte, das dieses Thema völlig ausreizt, wäre der Film sicher weniger hängen geblieben und wohl auch nicht so gut geworden. Er wirkt ja dadurch, dass die Schizophrenie eben zum großen Twist der Geschichte gehört. Trotzdem ist sie Teil des Films. Ich mag einfach die Technik auch, wie Film über Schnitt funktioniert, über Sound, über eingelöste oder nicht eingelöste Erwartungshaltungen der Zuschauer. So funktioniert Film für mich, das ist das schöne daran, dass man die Zuschauer dirigieren kann. Deine Filme sind auch sehr dicht. Es gibt wenige Flächen. Ist Dir das wichtig? Meiner Meinung nach muss ein Film total dicht sein und ein gewisses Tempo haben. Manchmal ist es ganz gut, wenn es Momente gibt, wo man etwas ruhen lässt und vielleicht nur ein einzelnes Bild zeigt. Aber das muss schon wirklich total durchkomponiert sein, man darf ja auch nicht vergessen, dass Film unheimlich teuer ist. Ich würde in einem Drehbuch nie auch nur einen Satz ausgesprochen haben wollen, den ich eigentlich überflüssig finde. Ich sehe meine Filme als Chance, ein kleines eineinhalbstündiges Universum zu eröffnen und würde die Protagonisten daher nie Füllwörter sagen lassen, nur weil man das im normalen Leben so macht. Ich achte darauf, dass auch in dieser kleinen Geste irgend etwas steckt, was wichtig ist, damit man nicht aussteigt beim Zusehen. Es gibt ja viele Filme, die in sich total unlogisch sind, wenn man länger darüber nachdenkt. Die haben dann aber oft so ein tolles Tempo, dass man gar keine Zeit hat darüber nachzudenken, was da gerade alles schief läuft, das ist dann gar nicht so wichtig. Das ist ja dann eigentlich eine sehr klassische Perspektive auf Film. Für Dich steht die Illusion im Vordergrund. Das ist ja auch der Grund, warum ich Lynch so gerne mag, weil ich denke, dass er die Leinwand eben für sich so richtig nutzt. Er nutzt sie um Dinge zu behaupten, egal ob das nun ‚realistisch‘ ist oder nicht. Ich mag das lieber als das bloße Abbilden, da liegen meine Stärken, denke ich. Das Thema Homosexualität spielt zwar immer eine Rolle in Deinen Filmen, ist aber immer verwoben in einen größeren Zusammenhang. Hast Du Dir schon einmal überlegt, einen schwulen Film zu machen, bei dem schwule Beziehungen im Vordergrund stehen? Das würde ich gerne. Ich glaube nur, dass ich das aus taktischen Gründen nicht als Debütfilm machen könnte. Ich habe ja gerade erst mein neues Drehbuch fertiggestellt. Das wird dann vielleicht mein zweiter oder dritter Film. Ich würde gerne eine schwule Komödie machen, darüber denke ich oft nach. Ein Film, in dem wirklich alles durch und durch schwul ist, der aber eben kein ‚Szenefilm‘ oder Coming Out-Film werden soll, mit rosa Filmplakat und nackten Oberkörpern von geilen Typen. Es soll kein Problemfilm werden, einfach eine ganz gewöhnliche Komödie. Warum ist es denn Deiner Meinung nach so schwierig, solch einen Film als Projekt durchzusetzen? Die ganzen Redakteure und Produzenten, die ganzen Hände, durch die so ein Buch geht, die sind genauso schwul wie der Rest von Deutschland, eben nur zu einem kleinen Prozentsatz. Die werden dann immer diesen Stempel ‚schwul‘ draufsetzen und dann auch immer nach den ‚Problemen‘ suchen oder das Drehbuch in diese Richtung ändern wollen. Das wird sich auch leider nicht einfach so ändern. s 24 25 profil

profil<br />

Kaltmiete | Speed Dating<br />

von Gregor Buchkremer<br />

D 2007, 76 Min<br />

Edition Salzgeber,<br />

www.salzgeber.de<br />

„EIn FIlM MuSS<br />

DIcHT SEIn.“<br />

von hanno stecher<br />

Der junge deutsche Regisseur Gregor Buchkremer macht queeres Genrekino.<br />

SiSSY sprach mit ihm über seine <strong>Film</strong>e „Kaltmiete“ und „Speed Dating“.<br />

s Der 29-jährige Gregor Buchkremer ist Absolvent der<br />

Kölner Hochschule für Medienkunst. Obwohl er in seiner<br />

Arbeit auf klassische Erzähltechniken sowie auf handwerkliche<br />

Präzision setzt und sich immer wieder neu an<br />

herkömmlichen Genregrenzen abarbeitet, zeichnen sich<br />

seine <strong>Film</strong>e durch einen ganz eigenen Duktus aus. Sie<br />

hadern stets mit den Konventionen des Kinos und hebeln<br />

diese bisweilen auch ganz aus. Zu Buchkremers wichtigsten<br />

Stilmitteln gehören dabei insbesondere sein für das<br />

deutsche Kino überraschend trockener und treffsicherer<br />

schwarzer Humor, sowie eine Schwäche für Elemente<br />

der Überzeichnung und Verfremdung, die immer wieder<br />

Assoziationen an alte Grusel- oder Trashklassiker hervorrufen.<br />

Wichtigstes Beispiel dieses Zusammenspiels aus<br />

Humor und Horror ist der <strong>Film</strong> Kaltmiete. Der 45-Minüter<br />

erzählt die Geschichte einer Studenten-WG, deren vier<br />

Bewohner sich einen zermürbenden Kleinkrieg liefern:<br />

Einer von ihnen bleibt für den Zuschauer bis zum Schluss<br />

ein Phantom – er hat sich seit Tagen in seinem Zimmer<br />

verschanzt, was eine eigenartige zwischenmenschliche<br />

Dynamik unter seinen Zimmernachbarn in Gang ruft.<br />

Nach und nach offenbart sich wie in einem Kammerspiel<br />

das komplizierte Beziehungsgeflecht innerhalb der WG.<br />

Es dauert nicht lange, bis die Nerven blank liegen und die<br />

Geschichte in gleich mehreren persönlichen Tragödien<br />

endet. Auch in Speed Dating lauert das Grauen direkt<br />

unter der Oberfläche. Das Prinzip des <strong>Film</strong>s ist schnell<br />

erzählt: Wer keinen Partner hat, stirbt. Die Suche nach<br />

Liebe wird für die Protagonisten des <strong>Film</strong>s, egal ob homo<br />

oder hetero, zum Überlebenskampf. Der Kurzfilm kann<br />

so als Satire auf eine Gesellschaft verstanden werden, in<br />

der die monogame Zweierbeziehung nach wie vor idealisiert<br />

wird, während der große Teil der Individuen um<br />

sich selbst kreist und damit letztlich unfähig ist, eine<br />

Beziehung nach den selbst gestellten Vorgaben zu leben.<br />

Gemeinsam ist Buchkremers Debütfilmen, dass sie<br />

fast schon auffällig stark mit den Erwartungshaltungen<br />

und Sehgewohnheiten des Zuschauers spielen und diese<br />

notorisch unterlaufen. Und tatsächlich gehört die Möglichkeit,<br />

den Zuschauer zu führen und immer wieder auf<br />

eine falsche Fährte zu locken, für Gregor Buchkremer zu<br />

den reizvollsten Instrumenten des Mediums <strong>Film</strong>, wie er<br />

im Interview erzählt. Ebenso wie die filmische Reflektion<br />

des eigenen Umfeldes, die er mit viel Liebe zum Detail<br />

und zu seinen Figuren betreibt.<br />

Während der Vorbereitung zu seinem ersten Langfilm hat<br />

sich der Regisseur für SISSY Zeit genommen und ein paar<br />

Fragen beantwortet.<br />

GREGoR LöCHER<br />

sissy: Deine <strong>Film</strong>e spielen – ähnlich wie Seifenopern – fast alle in einem<br />

bestimmten sozialen Milieu. Es sind junge Menschen zwischen 20 und<br />

30 und die meisten von ihnen scheinen Studenten oder Leute aus der<br />

Kreativwirtschaft zu sein. Was reizt Dich daran, deine Geschichten<br />

gerade in diesem Gesellschaftsbereich anzusiedeln?<br />

gregor buchkremer: Ich sehe mich auch selbst in so einem Milieu<br />

– meine Freunde und Bekannten sind alle dort zu finden. Mir liegt<br />

es nicht unbedingt, Geschichten zu schreiben, die zu weit von mir<br />

selbst entfernt sind, ich sehe mich lieber in meinem Umfeld um und<br />

beschäftige mich mit dem, was dort passiert. Das finde ich einfach<br />

spannender und ich fühle mich da sicherer. Ich kenne viele Leute im<br />

<strong>Film</strong>bereich, die bewusst irgendwelche Themen bearbeiten, die weit<br />

weg von ihrem eigenen Leben sind, die sie vielleicht nur aus Zeitungsartikeln<br />

kennen. Ich glaube die Gefahr ist dann groß, dass man etwas<br />

falsch macht.<br />

Geht es bei diesem „vor der eigenen Tür kehren“ auch um den Gedanken,<br />

genauer hinschauen zu können? Mir kommt es manchmal so vor,<br />

als wolltest Du mit Deinen <strong>Film</strong>en auch kleine Milieustudien liefern.<br />

Auf jeden Fall. Ich habe das Gefühl, dass ich mit meinen Drehbüchern<br />

und <strong>Film</strong>en nicht nur dem Zuschauer, sondern auch mir selbst<br />

bestimmte Zusammenhänge erklären will. Ich versuche das, was<br />

mich beschäftigt, in eine Form zu packen, eine Ordnung herzustellen<br />

oder ein Muster zu entwickeln und dadurch einen neuen Blick darauf<br />

zu werfen. Und manchmal finde ich auf diesem Weg tatsächlich etwas<br />

ganz Neues über mich oder meine Umwelt heraus.<br />

Gleichzeitig wird von ‚anspruchsvollen‘ <strong>Film</strong>en ja immer auch verlangt,<br />

dass sie über den Tellerrand blicken können, dass sie sich z.B. mit gesellschaftlichen<br />

Problemen oder mit den speziellen Problemen von sozialen<br />

Minderheiten auseinandersetzen.<br />

Ich will kein Betroffenheitskino machen für Leute, die ins Kino<br />

gehen und sich einen dramatischen <strong>Film</strong> über Drogen, Migration<br />

oder Vergewaltigung ansehen und dann denken, sie seien durch den<br />

Kinobesuch bessere Menschen geworden. Das liegt mir nicht. Es gibt<br />

da sicherlich viele tolle <strong>Film</strong>e in diesem Bereich, aber es gibt auch<br />

viele <strong>Film</strong>emacher, die da auf Nummer sicher gehen und auf Teufel<br />

komm raus einen ‚Problemfilm‘ machen wollen. Natürlich will aber<br />

auch jeder, der <strong>Film</strong>e macht oder Drehbücher schreibt, der Welt seinen<br />

Blickwinkel aufdrängen. Trotzdem ist es mein Hauptanliegen,<br />

mit meinen <strong>Film</strong>en zu unterhalten, Momente zu schaffen, wo ich<br />

als Regisseur dann einfach will, das der Zuschauer genau an dieser<br />

bestimmten Stelle lacht oder erschrickt. Das Timing ist mir da total<br />

wichtig. Ich denke, dass der Zuschauer viel mehr mitnimmt, wenn er<br />

sich unterhalten fühlt und sich nicht die ganze Zeit den Kopf zerbrechen<br />

muss. Mehr auf jeden Fall, als wenn er die ganze Zeit den erhobenen<br />

Zeigefinger auf der Leinwand sieht.<br />

War es für Dich als jemand, der an einer Medienkunsthochschule studiert<br />

hat, schwierig, sich mit diesem Anspruch durchzusetzen? Da hat<br />

man sich ja sicherlich etwas anderes unter Kunst vorgestellt als das,<br />

was Du in Deinen <strong>Film</strong>en machst.<br />

Es war in beide Richtungen schwierig. Ich war ja in der Fächergruppe<br />

Medienkunst, wo es überhaupt nicht üblich ist, narrative <strong>Film</strong>e zu<br />

machen. Und auch meine Prüfer, u.a. Marcel Odenbach und Mattthias<br />

Müller, waren ja größtenteils Medienkünstler. Da war es dann schon<br />

so, dass ich das Narrative verteidigen musste. Auf der anderen Seite<br />

stachen die <strong>Film</strong>e auch im Fachbereich <strong>Film</strong> und Fernsehen heraus,<br />

weil es sich bei Speed Dating ja um eine Komödie bzw. um eine Satire<br />

und bei Kaltmiete um einen Thriller handelt. Alle anderen hatten Dramen,<br />

kurze Dramen, während ich Genrefilme gemacht habe. Das war<br />

da total exotisch, da war ich wirklich der Einzige. Ich hatte oft das<br />

Gefühl, dass ich mich auf beiden Seiten rechtfertigen muss, obwohl<br />

ich meine <strong>Film</strong>e persönlich nicht so außergewöhnlich finde, im Kino<br />

und Fernsehen laufen doch auch fast ausschließlich Genrefilme.<br />

Wobei Du ähnlich wie Alfred Hitchcock, der, wie ich weiß, zu Deinen<br />

Vorbildern gehört, ja auch bewusst mit Genres spielst. Neben den unter-<br />

haltsamen Momenten gibt es auch noch viele andere Ebenen, die man<br />

vielleicht auf den ersten Blick nicht unbedingt bemerkt.<br />

Das stimmt schon. Da geht es aber auch wieder um einen bestimmten<br />

Anspruch, den ich an Unterhaltung habe. Wenn Hitchcock beispielsweise<br />

aus Psycho ein klassisches Drama über einen Mann mit<br />

einer gespaltenen Persönlichkeit gemacht hätte, das dieses Thema<br />

völlig ausreizt, wäre der <strong>Film</strong> sicher weniger hängen geblieben und<br />

wohl auch nicht so gut geworden. Er wirkt ja dadurch, dass die Schizophrenie<br />

eben zum großen Twist der Geschichte gehört. Trotzdem<br />

ist sie Teil des <strong>Film</strong>s. Ich mag einfach die Technik auch, wie <strong>Film</strong> über<br />

Schnitt funktioniert, über Sound, über eingelöste oder nicht eingelöste<br />

Erwartungshaltungen der Zuschauer. So funktioniert <strong>Film</strong> für mich,<br />

das ist das schöne daran, dass man die Zuschauer dirigieren kann.<br />

Deine <strong>Film</strong>e sind auch sehr dicht. Es gibt wenige Flächen. Ist Dir das<br />

wichtig?<br />

Meiner Meinung nach muss ein <strong>Film</strong> total dicht sein und ein gewisses<br />

Tempo haben. Manchmal ist es ganz gut, wenn es Momente gibt,<br />

wo man etwas ruhen lässt und vielleicht nur ein einzelnes Bild zeigt.<br />

Aber das muss schon wirklich total durchkomponiert sein, man darf<br />

ja auch nicht vergessen, dass <strong>Film</strong> unheimlich teuer ist. Ich würde in<br />

einem Drehbuch nie auch nur einen Satz ausgesprochen haben wollen,<br />

den ich eigentlich überflüssig finde. Ich sehe meine <strong>Film</strong>e als<br />

Chance, ein kleines eineinhalbstündiges Universum zu eröffnen und<br />

würde die Protagonisten daher nie Füllwörter sagen lassen, nur weil<br />

man das im normalen Leben so macht. Ich achte darauf, dass auch<br />

in dieser kleinen Geste irgend etwas steckt, was wichtig ist, damit<br />

man nicht aussteigt beim Zusehen. Es gibt ja viele <strong>Film</strong>e, die in sich<br />

total unlogisch sind, wenn man länger darüber nachdenkt. Die haben<br />

dann aber oft so ein tolles Tempo, dass man gar keine Zeit hat darüber<br />

nachzudenken, was da gerade alles schief läuft, das ist dann gar nicht<br />

so wichtig.<br />

Das ist ja dann eigentlich eine sehr klassische Perspektive auf <strong>Film</strong>. Für<br />

Dich steht die Illusion im Vordergrund.<br />

Das ist ja auch der Grund, warum ich Lynch so gerne mag, weil ich<br />

denke, dass er die Leinwand eben für sich so richtig nutzt. Er nutzt<br />

sie um Dinge zu behaupten, egal ob das nun ‚realistisch‘ ist oder nicht.<br />

Ich mag das lieber als das bloße Abbilden, da liegen meine Stärken,<br />

denke ich.<br />

Das Thema Homosexualität spielt zwar immer eine Rolle in Deinen <strong>Film</strong>en,<br />

ist aber immer verwoben in einen größeren Zusammenhang. Hast<br />

Du Dir schon einmal überlegt, einen schwulen <strong>Film</strong> zu machen, bei dem<br />

schwule Beziehungen im Vordergrund stehen?<br />

Das würde ich gerne. Ich glaube nur, dass ich das aus taktischen Gründen<br />

nicht als Debütfilm machen könnte. Ich habe ja gerade erst mein<br />

neues Drehbuch fertiggestellt. Das wird dann vielleicht mein zweiter<br />

oder dritter <strong>Film</strong>. Ich würde gerne eine schwule Komödie machen,<br />

darüber denke ich oft nach. Ein <strong>Film</strong>, in dem wirklich alles durch<br />

und durch schwul ist, der aber eben kein ‚Szenefilm‘ oder Coming<br />

Out-<strong>Film</strong> werden soll, mit rosa <strong>Film</strong>plakat und nackten Oberkörpern<br />

von geilen Typen. Es soll kein Problemfilm werden, einfach eine ganz<br />

gewöhnliche Komödie.<br />

Warum ist es denn Deiner Meinung nach so schwierig, solch einen <strong>Film</strong><br />

als Projekt durchzusetzen?<br />

Die ganzen Redakteure und Produzenten, die ganzen Hände, durch die<br />

so ein Buch geht, die sind genauso schwul wie der Rest von Deutschland,<br />

eben nur zu einem kleinen Prozentsatz. Die werden dann immer<br />

diesen Stempel ‚schwul‘ draufsetzen und dann auch immer nach den<br />

‚Problemen‘ suchen oder das Drehbuch in diese Richtung ändern wollen.<br />

Das wird sich auch leider nicht einfach so ändern. s<br />

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