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Homosexual's Film Quarterly - Sissy

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ToBiS (2)<br />

kino<br />

ell manifestiert, kommt die befreiende Neubestimmung des Gegebenen dabei zumeist ohne das Skalpell des Chirurgen<br />

aus. So verdeutlicht der von Gael García Bernal verkörperte Revuestar Zahara in La Mala Educación – Schlechte<br />

Erziehung die performative Konstruktion des Geschlechtes im Rahmen eines ebenso wunderlichen wie wunderbaren<br />

Bühnenauftrittes allein mit den Mitteln der Travestie. Denn er/sie ist in ein – von Jean-Paul Gaultier entworfenes –<br />

atemberaubendes Abendkleid gehüllt, das einen nackten Frauenkörper imitiert: Die austauschbare Hülle bedeutet den<br />

angeblich unveränderlichen Kern, der Kern gibt sich als Hülle zu erkennen. Mit anderen Worten: Das Geschlecht stellt<br />

sich nicht als natürliche Gegebenheit, sondern<br />

als eine kulturell hervorgebrachte Einkleidung<br />

dar. Zu den die Grenzen herkömmlicher<br />

Geschlechtsidentitäten chamäleonhaft überwindenden<br />

Übergangswesen zählt ebenfalls<br />

Juez Domínguez (Miguel Bosé), der in High<br />

Heels – Die Waffen einer Frau (Tacones lejanos,<br />

1991) nicht nur als Untersuchungsrichter<br />

und Polizeispitzel, sondern auch als Travestiestar<br />

„Femme letal“ in Erscheinung tritt und<br />

in dieser Rolle die Mutter der Protagonistin<br />

Rebeca (Victoria Abril) imitiert, welche er später<br />

schwängert und am Ende ehelichen wird.<br />

Und obwohl es darin ausschließlich um heterosexuelle<br />

Paarbeziehungen geht, veranstaltet<br />

auch Sprich mit ihr (Hable con ella, 2002) einen<br />

intensiven „Gender Trouble“, sofern klassisch<br />

männliche und weibliche Rollenattribute in<br />

Bewegung gesetzt und ständig neu verteilt werden:<br />

Während die Torera Lydia (Rosario Flores)<br />

einer ausgesprochen männlichen Profession<br />

nachgeht, umsorgt, bemuttert, schminkt<br />

und frisiert die männliche Krankenschwester<br />

Benigno (Javier Cámara) die ins Koma gefallene<br />

Balletttänzerin Alicia (Leonor Watling).<br />

Dabei wirkt Benigno nicht nur ausgesprochen<br />

schwul, sondern er setzt sein schwules Image<br />

sogar ganz bewusst dazu ein, sein heterosexuelles<br />

Begehren zu verschleiern.<br />

Im Zusammenhang mit der Gender-Thematik<br />

betreibt Alles über meine Mutter überdies<br />

eine Neubestimmung der herkömmlichen<br />

Vorstellung von „Mutterschaft“, indem er<br />

– ausgehend von einer realen, aber nunmehr<br />

zerstörten Mutter-Kind Beziehung zwischen<br />

der Krankenschwester Manuela (Cecilia Roth)<br />

und ihrem verstorbenen Sohn Estéban (Eloy<br />

Nazarin) – diesen Begriff aus seinen ursprünglichen<br />

Bezügen löst, spiegelt, verschiebt, verzerrt,<br />

vervielfältigt und mit neuer Bedeutung<br />

auflädt. Jedoch nicht um ihn zu entwerten<br />

oder ihn lächerlich zu machen, sondern viel-<br />

Oben: Schlechte Erziehung – La mala educación (2004), unten: Zerrissene Umarmungen (Los abrazos rotos, 2009) mehr um seine positive emotionale Essenz<br />

freizulegen und auf zwischenmenschliche<br />

Beziehungen auszudehnen, die keine Mutter-Kind-Verhältnisse darstellen. „Mütterlich“, nämlich solidarisch, mitfühlend<br />

und selbstlos, können sich auch Menschen verhalten, die auf biologische Mutterschaft verzichten oder von ihr ausgeschlossen<br />

sind: Schwule, Lesben, Transsexuelle und kinderlose Heterosexuelle. Diese Botschaft des <strong>Film</strong>s möchte<br />

man immer dann dick unterstreichen, wenn angesichts eines tragischen Kindstodes in den Medien wieder einmal der<br />

unsägliche Satz erschallt: „Wer selber Kinder hat, kann den Schmerz der Eltern nachfühlen.“ Als ob die anderen das<br />

nicht könnten.<br />

Almodóvars filmisches Werk, das seit dem vergangenen Jahr auch hierzulande in Form einer sehr ansprechend ausgestatteten<br />

DVD-Kollektion zugänglich ist, wimmelt von offenen Zitaten und mehr oder weniger kryptischen Anspielungen<br />

sowohl intra- (Bezüge zu anderen <strong>Film</strong>en) als auch intermedialer (Bezüge zu anderen Medien) Natur: Das<br />

trashige Frühwerk Labyrinth der Leidenschaften (Laberinto de pasiones, 1982) rekrutiert sein fast unüberschaubares<br />

Personal offensichtlich direkt aus der Regenbogenpresse; Womit habe ich das verdient? (¿Qué he hecho yo para merecer<br />

esto!!, 1984) stibitzt die Idee, dass eine Hausfrau (Carmen Maura) ihren Ehemann mit einer Hammelkeule erschlägt<br />

und diese anschließend von der Polizei verspeisen lässt, aus einer Episode der TV-Serie Alfred Hitchcock Presents;<br />

in Das Gesetz der Begierde trifft man den schwulen Regisseur Pablo<br />

Quintero (Eusebio Poncela) und dessen transsexuelle Schwester Tina<br />

(Carmen Maura) in der Szenerie eines nächtlichen Cafés an, die deutlich<br />

von Edward Hoppers Gemälde „Nighthawks“ inspiriert ist; in<br />

Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs beobachtet Pepa (Carmen<br />

Maura) die beleuchteten Fenster eines Mietshauses und nimmt<br />

dabei exakt das Gleiche wahr wie James Stewart in Hitchcocks Das<br />

Fenster zum Hof (Rear Window, 1954); Fessle mich! (¡Átame!, 1990)<br />

zitiert das billige spanische Horrorkino der 1960er und 1970er Jahre;<br />

in High Heels – Die Waffen einer Frau, der sich auch auf Ingmar Bergmanns<br />

Herbstsonate (Höstsonaten, 1978) beruft, erklingt Musik aus<br />

Stephen Frears Gefährliche Liebschaften (Dangerous Liaisons, 1988);<br />

La mala Educación – Schlechte Erziehung, dessen Vorspannmusik die<br />

berühmten Geigenstakkatos aus Hitchcocks Psycho (1960) variiert,<br />

kann seine Erziehung durch das Genre des „<strong>Film</strong> noir“ nicht verleugnen;<br />

und mit Volver (Volver, 2006) kehren auch die Heroinen des italienischen<br />

Neo-Realismus sowie Hitchcocks Psycho und Marnie (1964)<br />

auf die Leinwand zurück. Etc. Etc.<br />

Almodóvar selbst will die zahllosen Medienzitate und -anspielungen<br />

in seinen <strong>Film</strong>en aber nicht als ehrerbietige, musealisierende<br />

Hommagen oder eitle Präsentationen kultureller Bildung verstanden<br />

wissen, sondern als aktive Collageelemente: „Der beste Weg, so meine<br />

ich, die Gefühle eines <strong>Film</strong>charakters zu vermitteln, ist, sie durch<br />

einen anderen <strong>Film</strong> vermitteln zu lassen, durch Bilder und Worte,<br />

die man schon kennt.“ Die ausgiebigen Medienbezüge, die etwa in<br />

Sprich mit ihr ein vielstimmiges intermediales Gespräch zwischen<br />

den Kunstformen (Stumm-) <strong>Film</strong>, Literatur, Malerei, Bildhauerei,<br />

Ballett und Stierkampf in Gang setzen, und die Tatsache, dass es sich<br />

bei vielen von Almodóvars <strong>Film</strong>figuren um Regisseure, Bühnenstars<br />

oder Literaten handelt, scheinen aber noch mehr zu bedeuten. Sie<br />

weisen nämlich auf eine undurchdringliche Vermischung von Kunst<br />

und Leben, Realität und Fiktion hin. Und zwar in dem Sinne, dass<br />

sich – wie die scheinbar natürliche und unveränderliche Realität des<br />

Geschlechts im Besonderen – auch die angeblich so wirkliche Wirklichkeit<br />

im Allgemeinen durch die permanente Imitation kultureller<br />

Entwürfe, also fiktiver Vorlagen konstituiert. Hat man dies begriffen,<br />

wird es möglich, die gesellschaftlichen Fremdentwürfe umzuschreiben,<br />

sie in einen eigenen zu verwandeln und wie Agrado den Traum<br />

zu leben, den man von sich selbst hat. Almodóvars Umgang mit seinen<br />

filmischen und sonstigen Vorbildern kennzeichnet sich demzufolge<br />

stets durch aneignende Imitation und produktive Verschiebung. So<br />

wird Joseph L. Mankiewicz’ Kinoklassiker Alles über Eva in Alles<br />

über meine Mutter zwar in vielen Einzelheiten offensichtlich imitiert,<br />

dabei aber zugleich entscheidend modifiziert. Denn Manuela (Cecilia<br />

Roth), die in einigen <strong>Film</strong>szenen augenscheinlich in die Rolle Eve<br />

Harrintons (Anne Baxter) schlüpft, stellt charakterlich das genaue<br />

Gegenteil dieser glatten, kalten und berechnenden Erpresserin dar.<br />

Und auch die Theater-Diva Huma Rojo (Marisa Paredes) unterscheidet<br />

sich im Verlauf der Handlung immer stärker vom zickig-selbstbezogenen<br />

Broadway-Star Margo Channing, den Davis in Mankiewicz’<br />

<strong>Film</strong> so eindrucksvoll verkörpert.<br />

Das Verhältnis von Realität und Fiktion thematisiert das Melodram<br />

Mein blühendes Geheimnis (La flor de mi secreto, 1995) auf<br />

besonders eindringliche Weise. Denn die Schriftstellerin Leo Macías<br />

(Marisa Paredes) verhält sich genauso wie die Heldin eines jener kitschigen<br />

Liebesromane, die sie unter dem Pseudonym Amanda Gris<br />

am laufenden Band produziert, und führt auch ansonsten eine geradezu<br />

buchstäbliche Schrift-Existenz. Eine Tatsache, die Almodóvar<br />

an vielen Stellen des <strong>Film</strong>s raffiniert ins Bild setzt: Kurz bevor Leo<br />

morgens erwacht, blättert der Wind durch die Seiten eines auf dem<br />

Nachttisch abgelegten Buches. Wenn sie ihren Ehemann anruft, verschmilzt<br />

die Tastatur ihres Telefons mit ihrer im Hintergrund sichtbaren<br />

Schreibmaschine, so dass es scheint, als ob sie ihn in diesem<br />

Moment erst schreibend erfinden würde. Und als ihre Ehe endgültig<br />

14 15<br />

kino

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