HUGENOTTEN - Reformiert online
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ter wurde er auf die Garküche mit Ausschank reduziert. 29 In einem Gedicht heißt es: „ ... Man kariolt jetzt durch Berlin, trinkt een‘ in‘ne Budike und bei‘n Château-Schloß in‘n Jardeng spielt Militär-Müsike.” 30 2.2 Fleisch In diesen „Budiken” wurde auch die bekannte Berliner „Bulette” verkauft. Die Réfugiés aßen mit ihren Suppen Fleischkügelchen, die so genannten „boulettes” (Kügelchen). Aus ihnen wurden nach und nach die heutigen, größeren „Buletten”. Auch das Ragufeng (französisch: ragoût fin) erfanden die Réfugiés. Als Gericht aus feinen Fleischstückchen ist es in Frankreich unbekannt und kann heute als Berliner Spezialität angesehen werden. Für das Griebenschmalz mischten die Hugenotten dem reinen Schmalz in Fett gebratene kleine Fleischstückchen (französisch: gribelettes) unter. Heute kommen oft Zwiebeln und Äpfel hinzu. Des Weiteren stellten die Réfugiés die ersten Berliner Brühwürste her. Die so genannten „Saucischen” (französisch: saucisse) waren bald sehr beliebt und Bestandteil des „Budiken”-Angebotes. Möglicherweise waren sie die Vorläufer der heutigen Berliner Bockwurst. 31 Außerdem stellten die Réfugiés Blutwürste - die „boudins françois” (französische Blutwurst) - Leberwürste und Kalbswürste her. „Wenn auch die deutschen Schlächter nicht viel von den französischen zu lernen hatten, etwa ein vorteilhaftes Ausschlachten, so weiß man doch, daß sie die Einwohner die sogenannte Kälbermilch, und das Kälbergeschlinge, welches man sonst den Hunden vorwarf, als eine Delikatesse kennen lehrten ...” 32 Zunächst riefen Verarbeitung und Verzehr von Innereien, die bisher ans Vieh verfüttert wurden, den Ekel der Einheimischen hervor. Doch nach und nach lernten sie deren delikaten Geschmack zu schätzen. Kalbsmilch 33 , Kälbergeschlinge, Euter, Leber, Lunge und Herz von Schafen und Kälbern avancierten vom Hundefutter zur Delikatesse. 34 29 Vgl. WILKE, S. 411. 30 Det Berlina Franssösisch, http://kultur-netz.de/berlin/franzoes.htm 6.7.1999. 31 Vgl. WILKE, S. 267. / Die Würstchenhersteller („faiseurs de saucisse" bzw. „charcutiers") werden nicht extra in der Berufsstatistik von 1700 erwähnt. Möglicherweise zählen sie zu den dort angeführten elf Schlächtern. 32 C. REYER: Geschichte der französischen Colonie in Preußen, Berlin 1852, S. 178. 33 Kalbsmilch: Thymusdrüse des Kalbes, wegen Zartheit und Geschmack geschätzt. 34 Vgl. REYER, S. 178. 10
An die Eigenart der Réfugiés, Froschschenkel zu essen, gewöhnten sich die Berliner allerdings nicht. Erman & Reclam berichten hierzu eine Anekdote vom Königshof: Dort hielten sich die Küchenjungen einen Storch zur allgemeinen Ergötzung. Sie fingen Frösche für ihn in der Spree. Einmal soll der Storch eine Bittschrift im Schnabel getragen haben. Er beklagte sich darin beim Kurfürsten, dass die Franzosen ihm die Frösche wegessen würden. Deshalb wurden die Réfugiés auch „Paddenschlucker” („padde“ - niederdeutsch für „Frosch”) genannt. Dieses Schimpfwort - wie auch der „Bohnenfresser” - fiel noch lange bei Streitereien zwischen französischen und deutschen Schülern. 35 Mit den Nahrungsmitteln fanden deren französische Bezeichnungen Eingang in den Berliner Alltag. Brei und Stampfkartoffeln wurden bald zu „Püree”. Bouillon, Filet, Frikassee, Haschee, Kotelett, Omelett, Roulade, Remouladensoße (französisch: sauce) und viele weitere Wörter sind nach wie vor geläufig. 36 Im 19. Jahrhundert war das französische Vorbild in Berlin so dominierend, dass ein Berliner Autor sich beschwert: „In den Berliner Kaffeehäusern mit französischen Titeln ißt man Berliner Gerichte unter französischen Namen, und alle Lächerlichkeiten, welche Mode und Nachahmung erzeugen, treten recht lebhaft hervor, wenn man sich französisch boeuf à la mode fordern muß, um seinen deutschen Hunger mit deutschem Rindfleisch zu stillen.” 37 2.3 Getränke In Berlin trank man im 17. Jahrhundert vor allem Braunbier, gebraut auf der Basis von Gerstenmalz. Weiterhin wurde ein starkes Lagerbier verkauft, und es war erlaubt, den zweiten Aufguss (Confent) an Arme und Soldaten zu verkaufen. Zum Brauen benötigte man keinen Meisterbrief, sondern ein mit Braurecht versehenes Haus. Oft verband man das Brauen mit einem anderen Gewerbe, zum Beispiel der Bäckerei. Die Bäcker nutzten die Brauhefe zum Backen. Das Weizen- bzw. Weißbier kam erst Mitte des 17. Jahrhunderts aus der Umgebung nach Berlin, wurde aber nicht in der Stadt gebraut. „Unter Mitverwendung von Weizenmalz hergestelltes Bier ist wahrscheinlich erst um 1672 durch die ersten französischen Réfugiés eingeführt worden.” 38 Den Réfugiés war das deutsche Bier zu stark. Sie brauten sich ein leichtes Bier, 35 Vgl. ERMAN & RECLAM, Bd. VI, S. 143. 36 Vgl. HARNDT, S. 25/26. 37 C. von KERTHENY: Berlin wie es ist, Berlin 1831, S. 306. 38 H. SCHULZ-BESSE: Aus der Geschichte des Berliner Brauwesens und seiner Braumeister, Berlin 1927, S. 27. 11
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An die Eigenart der Réfugiés, Froschschenkel zu essen, gewöhnten sich<br />
die Berliner allerdings nicht. Erman & Reclam berichten hierzu eine Anekdote<br />
vom Königshof: Dort hielten sich die Küchenjungen einen Storch zur<br />
allgemeinen Ergötzung. Sie fingen Frösche für ihn in der Spree. Einmal soll<br />
der Storch eine Bittschrift im Schnabel getragen haben. Er beklagte sich<br />
darin beim Kurfürsten, dass die Franzosen ihm die Frösche wegessen<br />
würden. Deshalb wurden die Réfugiés auch „Paddenschlucker” („padde“ -<br />
niederdeutsch für „Frosch”) genannt. Dieses Schimpfwort - wie auch der<br />
„Bohnenfresser” - fiel noch lange bei Streitereien zwischen französischen<br />
und deutschen Schülern. 35<br />
Mit den Nahrungsmitteln fanden deren französische Bezeichnungen Eingang<br />
in den Berliner Alltag. Brei und Stampfkartoffeln wurden bald zu „Püree”.<br />
Bouillon, Filet, Frikassee, Haschee, Kotelett, Omelett, Roulade, Remouladensoße<br />
(französisch: sauce) und viele weitere Wörter sind nach wie<br />
vor geläufig. 36<br />
Im 19. Jahrhundert war das französische Vorbild in Berlin so dominierend,<br />
dass ein Berliner Autor sich beschwert: „In den Berliner Kaffeehäusern mit<br />
französischen Titeln ißt man Berliner Gerichte unter französischen Namen,<br />
und alle Lächerlichkeiten, welche Mode und Nachahmung erzeugen, treten<br />
recht lebhaft hervor, wenn man sich französisch boeuf à la mode fordern<br />
muß, um seinen deutschen Hunger mit deutschem Rindfleisch zu stillen.” 37<br />
2.3 Getränke<br />
In Berlin trank man im 17. Jahrhundert vor allem Braunbier, gebraut auf der<br />
Basis von Gerstenmalz. Weiterhin wurde ein starkes Lagerbier verkauft,<br />
und es war erlaubt, den zweiten Aufguss (Confent) an Arme und Soldaten<br />
zu verkaufen.<br />
Zum Brauen benötigte man keinen Meisterbrief, sondern ein mit Braurecht<br />
versehenes Haus. Oft verband man das Brauen mit einem anderen Gewerbe,<br />
zum Beispiel der Bäckerei. Die Bäcker nutzten die Brauhefe zum<br />
Backen.<br />
Das Weizen- bzw. Weißbier kam erst Mitte des 17. Jahrhunderts aus der<br />
Umgebung nach Berlin, wurde aber nicht in der Stadt gebraut. „Unter Mitverwendung<br />
von Weizenmalz hergestelltes Bier ist wahrscheinlich erst um<br />
1672 durch die ersten französischen Réfugiés eingeführt worden.” 38 Den<br />
Réfugiés war das deutsche Bier zu stark. Sie brauten sich ein leichtes Bier,<br />
35 Vgl. ERMAN & RECLAM, Bd. VI, S. 143.<br />
36 Vgl. HARNDT, S. 25/26.<br />
37 C. von KERTHENY: Berlin wie es ist, Berlin 1831, S. 306.<br />
38 H. SCHULZ-BESSE: Aus der Geschichte des Berliner Brauwesens und seiner Braumeister,<br />
Berlin 1927, S. 27.<br />
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