EDVARD MUNCH ERNST LUDWIG KIRCHNER - Galerie Thomas
EDVARD MUNCH ERNST LUDWIG KIRCHNER - Galerie Thomas
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Munch die Linie aus ihrer memorierenden, statisch-beschreibenden<br />
Funktion löst. Im Gemälde Der Schrei 35<br />
durchzittern schwingende Wellen die Komposition. Sie<br />
formulieren nicht statische Bildzusammenhänge. Sie verdichten<br />
vielmehr ein dynamisches, länger andauerndes,<br />
sich ausbreitendes akustisches Ereignis. Die Linie übernimmt<br />
das Bildgeschehen: Sie krümmt sich in Spannung,<br />
versammelt in Wellen sich ausbreitende Energie, ergreift<br />
die Vordergrundfigur, die sich unter dem Anprall windet.<br />
Ein kostbares Erbe, das hier weitergegeben wurde.<br />
Einer, der diese neu errungenen Freiheiten in Anspruch<br />
nahm, war Ernst Ludwig Kirchner.<br />
Will Grohmann sieht die Zusammenhänge und spricht<br />
von der „Linie, die nach einem besonderen Gesetz<br />
geordnet erscheint, man könnte es das Gesetz der<br />
Spannung nennen … Die Welt, das Leben sind<br />
erfüllt von solchen Spannungsenergien.“ 36<br />
Wie Kirchner Großstadtsituationen, Gebirgslandschaften<br />
in ihrer a-perspektivischen und akustischen Dynamik;<br />
wie er Tanz und Zirkus als versammelte Energie in Linien<br />
fasst, das ist seine Schrift – und zugleich die Nutzung<br />
jenes gestalterischen Neulandes, das der ‘Schneepflug’<br />
mit Namen Edvard Munch freigelegt hatte.<br />
Bittere Pfeile<br />
Ernst Ludwig Kirchner sah das nicht, konnte nicht wertund<br />
einschätzen, was durch Edvard Munch möglich<br />
geworden war. Sein ich-zentrierter Charakter ließ das<br />
nicht zu. „Mich hat diese weichliche formlose Malerei<br />
und Grafik von ihm eher abgestoßen“ 37 , schrieb er 1930.<br />
Anerkennung und Dankbarkeit war seine Sache nicht.<br />
Kirchner konnte immer und in jeder Lage bittere Pfeile<br />
abschießen – gegen seine Konkurrenten, seine Widersacher<br />
und auch gegen seine Freunde 38 , auch gegen<br />
Gustav Schiefler.<br />
Dessen Hochachtung und vor allem dessen Einsatz für<br />
Person und Werk von Edvard Munch stachelte Kirchner<br />
immer wieder auf. 39<br />
Seine Briefe enthalten Jahr um Jahr Bemerkungen, die<br />
nur aus seiner Sicht zutreffen. So schrieb er nach dem<br />
Besuch einer international besetzten Ausstellung in<br />
Zürich 1925 an Schiefler: „Die Deutschen wirken durch<br />
Nolde und Schmidt-Rottluff noch am besten, Franzosen<br />
67<br />
Edvard Munch Weiblicher Akt – Anna<br />
1920, Öl auf Leinwand, Woll1322<br />
Sarah Campbell Blaffer Foundation, Houston<br />
Ernst Ludwig Kirchner Brauner Akt am Fenster<br />
1912, Öl auf Leinwand, Gordon 260<br />
Privatsammlung