Edvard Munch Strandmystik 1892, Öl auf Leinwand, Woll 281, Sammlung Würth Edvard Munch Meereslandschaft 1897 (S.128) 42
In den meisten Landschaftsdarstellungen Munchs wurden diese zum Projektionsraum menschlicher Stimmungen und Gefühle. Dabei suchte er in Werken wie Der Tanz des Lebens (S.56) oder Lebensbaum (S.52) Figur und Landschaft miteinander in Beziehung zu setzen, in ihrem motivischen Zusammenspiel Gefühlslagen wie Einsamkeit und Melancholie auszudrücken. Im Sommer 1892 schafft er in Åsgårdstrand bereits seine ersten symbolistischen Landschaften, darunter Strandmystik (links oben): „Das Mystische wird immer vorhanden sein – entstehen – je mehr man entdeckt, um so mehr wird es Dinge geben, die man sich nicht erklären kann.“ 1 Dieser Mystizismus erfährt in dem vielarmigen Lebewesen, den amorphen Steinen und der weißen trollartigen anthropomorphen Gestalt in Strandmystik eine besondere Steigerung. Ein Kritiker der Aftenposten kommentierte dies nüchtern als „große Tintenfische mit langen Armen, die der Länge nach mit dem Gesicht auf dem Boden liegen“. 2 Die Metamorphose der Natur, die Vermenschlichung der Elemente lassen jedoch an die nordische Sagenwelt denken. Als Munch 1897 das Motiv in einen Holzschnitt übersetzte, verzichtete er auf die symbolischen Versatzstücke mystischer Meeresgeister. Er übertrug die Strandmystik in eine Meereslandschaft (links unten und S.128) mit phallus - artiger Lichtre flexion und einem Baumstumpf, dessen Wurzelwerk die Fangarme eines Tintenfisches assoziiert. In Werken wie Die Einsamen (S.126), Badende Knaben (S.146) und Badende Jünglinge (S.124) bildet die Strandszenerie die Bühne seiner Auseinandersetzung mit zwischenmenschlichen Beziehungen. Während Die Einsamen die Verein samung der beiden Protagonisten ausdrückt, denen es unmöglich scheint zu kommuni zieren, ist in Badende Knaben und Badende Jünglinge der Ausschluss und die Isolation eines der Badenden aus der Gruppe bezeichnet. Während in dem Gemälde ein Knabe, seine Scham bedeckend, das Thema der Pubertät zu bezeichnen scheint, ist der ausgewachsene junge Mann im Holzschnitt durch die Verschränkung seiner Arme in einer deutlich ablehnenden Körper sprache gegeben. 43 Auch Kirchner hatte in seinen Werken vor dem Ersten Weltkrieg, beispielsweise Zwei grüne Mädchen mit rotem Haar (S.148), die Landschaft zumeist als Hintergrund, teils zu Farbflächen abstrahiert, für Figurenkompositionen verwendet. In Werken wie Landschaft, Weg mit Bäumen (S.44), Fehmarndorf (S.50 unten)und Küstenlandschaft (S.50 oben)widmete er sich jedoch ausschließlich der Landschaftswiedergabe. Mit von van Gogh beeinflussten dynamisierenden Pinselzügen schuf er in Landschaft, Weg mit Bäumen ein ‘unmittelbares und unverfälschtes’ Farb- und Form-Spiel. In seinem Aquarell Frauen und Kinder auf einem Steg (S.51)sind die Frauen und Kinder noch kleine Staffagefiguren der Landschaft, während in Zwei grüne Mädchen mit rotem Haar die beiden Akte das Bildgeschehen dominieren. Beide Künstler veränderten nach ihren tiefen Krisen und ihren Rückzügen auf das Land ihre Landschaftsauffassungen. Bei Kirchner wurden die Landschaften zunehmend zum Hauptthema, die Berghütten, Dörfer, die arbeitenden Bauern und Tiere dienten zusehends als Staffage. Werke wie Rastende Spaziergänger (S.100) und Alpsonntag (S.95) präsentieren noch die weitgehend ent individualisierten Dargestellten gleich Gruppenporträts vor einer Hintergrundlandschaft. Auch in Heuernte (S.93) bildet die Landschaft den Hintergrund, während der Holzschnitt Bergtannen im Nebel (S.105) ganz der Landschaft als Thema verschrieben ist. Nach seiner Rückkehr nach Norwegen 1909 unterscheiden sich Munchs Landschaftspanoramen der zerklüfteten, kargen Fjordlandschaft mit vorgelagerten Schären deutlich von den Seelenlandschaften der Jahrhundertwende. In Herbstarbeit in der Nähe des Treibhauses (S.45) werden die beiden Feldarbeiter zur Staffage für seine dynamische Landschaftsdarstellung. Munchs Rückzug aufs Land wird offensichtlich. DB 1 Zit. nach Stang, Ragna. Edvard Munch. Der Mensch und der Künstler. Königstein 1979. S. 79 2 Kritiker der Aftenposten in seiner Rezension von Munchs Einzelausstellung im Gebäude des Juweliers Tostrup in Kristiania am 14.9.1892.