EDVARD MUNCH ERNST LUDWIG KIRCHNER - Galerie Thomas
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DER EINFLUSS <strong>MUNCH</strong>S UND <strong>KIRCHNER</strong>S<br />
AUF DEN NACHKRIEGSEXPRESSIONISMUS<br />
ØIVIND STORM BJERKE<br />
Der Einfluss Munchs und Kirchners auf den Nachkriegsexpressionismus<br />
war vielschichtig: Auf allgemeiner<br />
Ebene entspricht ihre Bedeutung der Rolle, die die<br />
beiden Künstler bei der Entstehung und Entwicklung des<br />
Expressionismus als historisches Phänomen in der<br />
Kunstgeschichte spielten; spezieller lässt sich dies an<br />
dem Einfluss ablesen, den sie gesondert, wenn auch<br />
teilweise simultan auf einzelne Künstler hatten.<br />
Nach 1945 suchten viele deutsche Künstler ihren<br />
Platz in der internationalen Kunstszene. Die meisten<br />
von ihnen widmeten sich formalen und materiellen<br />
Aspekten und ließen die Figuration außen vor. Jene<br />
Kunsthistoriker, die ihr Hauptaugenmerk auf Stil und<br />
Ikonographie richten, vergessen dabei häufig die Be -<br />
deutung, die dem Ex perimentieren mit Materialien bei<br />
der Entwicklung des künstlerischen Ausdrucks zukommt.<br />
Munch und Kirchner spielten in dieser Hinsicht eine<br />
wichtige Rolle, beispielsweise in ihrer Verwendung von<br />
Holz als Material für die Bildgestaltung und im Falle<br />
Kirchners als Ausgangsmedium für Skulpturen. Künstler<br />
betrachten die Bearbeitung von Materialien und die<br />
physische Beschaffenheit der Oberfläche als Teil dessen,<br />
was ihren Werken Leben einhaucht, ebenso, wie die<br />
Behandlung der Materialien einen Teil ihres psycho -<br />
logischen Gehalts vermittelt. Die Betonung der Verletzlichkeit<br />
und des Zerfalls von Materialien veranschaulicht<br />
somit den physischen Übergang vom Leben zum Tod.<br />
Sowohl Munch als auch Kirchner griffen bei der Motivwahl<br />
auf eigene Erlebnisse zurück. Ihr Expressionismus<br />
hatte persönliche Wurzeln und erzählt von ihren eigenen<br />
Auseinandersetzungen mit existenziellen Fragen.<br />
Holzskulpturen in Kirchners Atelier, 1911<br />
111<br />
Man könnte sagen, dass eines der Grundprinzipien<br />
ihrer Weltsicht der Widerstand des Einzelnen gegen<br />
die Masse war. Mit persönlichem Engagement und der<br />
Identifikation mit den eigenen Motiven schufen sie eine<br />
kraftvolle Dramaturgie, die auf einen Höhepunkt zu -<br />
steuerte und großen Wert auf die dramatischen und<br />
performativen Aspekte ihrer Werke legte. Die Bilder<br />
bieten ein weites Spektrum, von Figuren in idyllischen<br />
Landschaften bis hin zur modernen Stadt als Kulisse<br />
für menschliche Dramen.<br />
Munch verwendet eine Ikonographie, bei der das<br />
Alltägliche und das Fremde gegeneinander ausgespielt<br />
werden. In seinen Arbeiten neigen Alltäglichkeiten<br />
dazu, zu etwas Erschreckendem und Bedrohlichem zu<br />
mutieren: Die Lebenden sehen sich vielleicht nur noch<br />
als Schatten oder gar als Tote; ein Felsbrocken oder<br />
eine Baumkrone kann sich plötzlich in ein Ungetüm<br />
verwandeln. Trotzdem widmet Munch all seine Dar -<br />
stellungen von mit der Natur zu einem organischen<br />
Ganzen verschmelzenden Männern und Frauen der<br />
Bejahung des Lebens. Kirchner verfolgte zu Anfang<br />
seiner künstlerischen Laufbahn ein ganz ähnliches<br />
Konzept, hatte jedoch darüber hinaus einen viel tieferen<br />
Bezug zu den gesellschaftlichen Spannungen des<br />
modernen Stadtlebens als sein älterer Kollege Munch.<br />
Die Kunst des frühen 20. Jahrhunderts in der Tradition<br />
der deutschen Romantik wird oft mit Worten wie<br />
‘erhaben’, ‘gotisch’, ‘unheimlich’ oder ‘dekadent’ beschrieben.<br />
Diese Begriffe lassen darauf schließen, dass<br />
die nordeuropäische Kunst als antiklassisch, sinnlich,<br />
phantas tisch und mit existenziellen Fragen befasst gilt.