mixed reality adventures - artecLab - Universität Bremen
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Sie fahren Achterbahn, sind im Eiskanal, surfen, fliegen<br />
zwischen Wolkenkratzern, im Grand Canyon und über die<br />
Niagara-Fälle. Sie zeigen leichte körperliche Reaktionen<br />
– hier ein Lächeln, dort bewegen sich die Körper im<br />
Gleichtakt passend zu den empfundenen Bewegungen.<br />
Doch was unterscheidet eigentlich die in TOYS oder<br />
BRAINSTORM skizzierten Möglichkeiten der Freizeitgestaltung<br />
vom rezeptiven Umgang mit Second-Hand-<br />
Abenteuern in Film und Fernsehen, wie wir sie heute<br />
kennen? Zwar wird postuliert, dass die sensorische oder<br />
cerebrale Stimulation die heute meist bestehenden<br />
Begrenzungen auf den visuellen und auditiven Kanal 3<br />
durchbrechen kann, doch ist dies wirklich ein zentraler<br />
qualitativer Unterschied? Hier wie dort haben die Empfänger<br />
keine eigenen Handlungsmöglichkeiten – sie sind<br />
passive Rezipienten eines vorgefertigten Abenteuers.<br />
Anders sieht es im Holo-Deck oder im Roboter-Freizeitpark<br />
aus, wo eigene Aktivität und Interaktionen nicht<br />
nur möglich, sondern für den Verlauf des Freizeitabenteuers<br />
notwendig sind. Doch auch dort wird es – ebenso<br />
wie bei den heutigen Computerspielen – Grenzen in den<br />
Handlungsspielräumen geben: die Rigidität der Interaktionsmöglichkeiten<br />
ist dabei sowohl von der Komplexität<br />
der zugrunde liegenden Modelle als auch von der Güte<br />
der zugrunde liegenden Programmierung abhängig.<br />
Die bislang genannten Ansätze und auch die einfache<br />
Rezeption von Filmen haben einen wichtigen<br />
Aspekt gemeinsam: Die Nutzerinnen und Nutzer erleben<br />
die Inhalte in einem bewussten Informationsverarbeitungsprozess.<br />
Die von verschiedenen Sinnesorganen<br />
erfassten Wahrnehmungseindrücke (bei BRAINSTORM<br />
ersetzt durch direkte cerebrale Stimulation) werden vor<br />
dem Hintergrund eigener Erinnerungen und Erfahrungen<br />
bewertet und verarbeitet. Aufgrund unterschiedlicher<br />
Vorerfahrungen wird dies bei jedem Menschen zu unterschiedlichem<br />
Erleben und Erinnern des so vermittelten<br />
Geschehens führen.<br />
Gleichzeitig ist diese Verarbeitung der realen, stimulierten<br />
oder dem Gehirn vorgegaukelten Sinneseindrücke<br />
relevant in Bezug auf die Frage einer Doppelperspektive:<br />
4 Im Kino kann ich mich sowohl mit Protagonisten<br />
im Film identifizieren und erlebe mich doch zugleich<br />
auch als Zuschauer im Kinosaal. Es scheint eine weit verbreitete<br />
Sehnsucht zu geben, diese Doppelperspektive<br />
verlassen und voll und ganz in das Medium eintauchen<br />
zu können. Dies gilt zum einen für die Rezipienten, zum<br />
anderen scheint das aber auch ein wesentlicher Antrieb<br />
für Entwickler im Virtual-Reality-Bereich zu sein: Das<br />
Erleben künstlicher Wirklichkeiten soll immer authentischer<br />
werden – und dies gilt gleichermaßen für die Entwicklung<br />
militärischer Flugsimulatoren wie für einfache<br />
Unterhaltungsanwendungen zum Heimgebrauch. 5<br />
Die Sehnsucht nach dem Aufheben der Grenze zwischen<br />
der eigenen Person und dem Erlebten würde – konsequent<br />
weitergedacht – eine Vereinigung des Ich mit dem<br />
Außen (von der anderen Person bis zur Welt an sich)<br />
bedeuten, wie sie beispielsweise von William Gibson<br />
schon 1984 in Neuromancer beschrieben wurde. 6 Paradigmatisch<br />
wurde diese Vereinigung 1992 im Film THE<br />
LAWNMOWER MAN (dt.: Der Rasenmähermann) in einer<br />
für die damalige Zeit visuell beeindruckenden Sequenz<br />
in Szene gesetzt: In einem Cyberspace verschmelzen<br />
Odorama: Wird<br />
im Film die Zahl<br />
gezeigt, rubbeln<br />
die Zuschauer<br />
das Duftfeld auf<br />
der Karte frei.<br />
3 Natürlich will ich die vielen witzigen bis ambitionierten<br />
Versuche (beispielsweise mit „Odorama“-Dufteintrittskarten<br />
zum Freirubbeln wie bei John Water’s<br />
POLYESTER von 1981 oder die auf physischer Stimulation<br />
basierenden Motion-Ride-Kinos) hier keinesfalls<br />
unterschlagen, doch handelt es sich dabei immer noch<br />
um Ausnahmen oder Experimente und keine breiten<br />
Regelangebote.<br />
4 Ich danke Hans-Jürgen Wulff für seine diesbezüglichen<br />
Diskussionsbeiträge und Anmerkungen im MIRA-<br />
Symposium.<br />
5 Eine spannende Ausnahme gibt es: Bei den immer<br />
wieder aufflammenden gesellschaftlichen Diskussionen<br />
über die Frage der Wirkungen von „Ego-Shootern“<br />
und anderen gewalthaltigen Computerspielen fällt<br />
auf, dass die Spieler hinsichtlich postulierter negativer<br />
Auswirkungen für sich gerade das Vorhandensein<br />
einer „Doppelperspektive“ reklamieren: Sie wären<br />
sich jederzeit der Spielsituation bewusst und eine<br />
Vermischung von Spiel und Realität sei damit unmöglich,<br />
lautet ein oft vorgetragenes Argument (vgl. auch<br />
Streibl 1996).<br />
6 Im Rahmen des MIRA-Symposiums fand eine beeindruckende<br />
Aufführung des von Radio <strong>Bremen</strong> produzierten<br />
Hörspiels „Neuromancer“ (Gibson 2003) in<br />
einem dunklen Kinosaal statt.<br />
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