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Suburbanisierung von Handel und Dienstleistungen in ...

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,<br />

,<br />

I<br />

I<br />

I<br />

36. Jahrgang, 1997<br />

Ve r 1 a g s o rt : S tut t gar t<br />

INHALT<br />

Abh<strong>und</strong>lungen<br />

mmunalwiss nschaft<br />

I. Halbjahresband<br />

Zitienveise: AfK<br />

nomas Ellwe<strong>in</strong><br />

Perspektiven der kommunalen Selbstverwaltung <strong>in</strong> Deutschland .............<br />

Zusammenfassung/Summary ...........................................<br />

Jiirgen Friedrichs/Rolf Kuppen<br />

Dresden <strong>und</strong> Leipzig - Divergierende oder konvergierende Stadtentwicklungen?<br />

Zusammenfassung/Summa~ ...........................................<br />

Peter Franz/Raimar RichedManfred Weilepp<br />

Suburbanisiemng <strong>von</strong> <strong>Handel</strong> <strong>und</strong> <strong>Dienstleistungen</strong> <strong>in</strong> Ostdeutschland - Aus-<br />

wirkungen auf die Innenstädte <strong>und</strong> Maf<strong>in</strong>ahmen der Gegensteuerung .........<br />

Zusammenfassung/Sumnzary ...........................................<br />

Werner He<strong>in</strong>z<br />

Ansätze <strong>in</strong>terkommunaler Kooperation: Frankfurt <strong>und</strong> die Rhe<strong>in</strong>-Ma<strong>in</strong>-Region .<br />

Zusammenfassung/Szlmmary ...........................................<br />

Klaus Brake<br />

Städtenetze - e<strong>in</strong> neuer Ansatz <strong>in</strong>terkommunaler Kooperation ...............<br />

Zusammen fassung/Summary ...........................................<br />

Miszelle<br />

Janbernd Oebbecke<br />

Zur „englischen" Kommunalverfassung <strong>in</strong> Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen .............. 116<br />

Meldung<br />

Ergebnis der Kommunalwissenschaftlichen Prämienausschreibung 1995. Von<br />

Klaus IM. Rarisch .................................................... 131<br />

1<br />

20<br />

22<br />

46<br />

48<br />

71<br />

73<br />

95<br />

98<br />

114


PETER FRANZ / R AIMAR RICHERT / M ANFRED WEILEPP<br />

<strong>Suburbanisierung</strong> <strong>von</strong> <strong>Handel</strong> <strong>und</strong> <strong>Dienstleistungen</strong> <strong>in</strong><br />

Ostdeutschland - Auswirkungen auf die Innenstädte <strong>und</strong><br />

Magnahmen der Gegensteuerun<br />

I<br />

<strong>Suburbanisierung</strong> als Problem fir die Entwicklung der Städte<br />

Der aus dem englischen ,,suburb" abgeleitete Begriff „<strong>Suburbanisierung</strong>" bezeichnet<br />

die weltweit <strong>in</strong> allen Industrieländern zu beobachtende Tatsache, daß zunehmend<br />

Wohnbevölkerung ihren Wohnsitz <strong>und</strong> Unternehmen ihre Produktionsstätten aus<br />

den Städten <strong>in</strong> das weniger dicht besiedelte Umland verlagern oder daß Neuansied-<br />

lungen nicht <strong>in</strong> den Kernstädten, sondern im Umland erfolgen. Die Suburbanisie-<br />

rung der Wohnbevölkerung, die <strong>in</strong> den USA schon <strong>in</strong> den 30er Jahren e<strong>in</strong>setzte,<br />

fand <strong>in</strong> Westdeutschland <strong>in</strong> den 60er <strong>und</strong> 70er Jahren statt <strong>und</strong> wurde mit e<strong>in</strong>set-<br />

zendem Bewohnerschw<strong>und</strong> als ,,Stadtflucht" problematisiertl. Der Trend zum Woh-<br />

nen <strong>in</strong> Grünen, dem <strong>in</strong>sbesondere jüngere <strong>und</strong> kaufkräftige Familien folgten, wurde<br />

durch zunehmende Umweltbelastungen <strong>und</strong> steigende Mieten aufgr<strong>und</strong> zunehmen-<br />

der Nachfrage nach Gewerberäumen <strong>in</strong> den Innenstädten verstärkt. Er führte dazu,<br />

daß die Innenstädte immer mehr zu re<strong>in</strong>en Geschäfts- <strong>und</strong> Dienstleistungszentren<br />

wurden, Die Abwanderung <strong>von</strong> Unternehmen des Produzierenden Gewerbes, die<br />

bei abnehmendem Gewerbeflächenangebot <strong>und</strong> steigenden Bodenpreisen <strong>in</strong> den<br />

Städten bessere S tandortbed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong> den Umlandgeme<strong>in</strong>den vorfanden, war<br />

z. T. raumordnungspolitisch gewollt, um die Agglomerationskerne zu entlaste$.<br />

Seit e<strong>in</strong>igen Jahren zeichnet sich <strong>in</strong> der Entwicklung der Städte e<strong>in</strong> Trend ab, den<br />

die Stadtplaner weltweit mit grof3er Sorge beobachten: die <strong>Suburbanisierung</strong> <strong>von</strong><br />

<strong>Handel</strong> <strong>und</strong> <strong>Dienstleistungen</strong>. Immer mehr traditionell als <strong>in</strong>ners tädtisch ange-<br />

'' Dieser Beitrag beruht auf den Ergebnissen e<strong>in</strong>es vom B<strong>und</strong>esm<strong>in</strong>isterium für Wirtschaft<br />

an das Institut für Wirtschaftsforschung Halle <strong>und</strong> das HWWA Institut für Wirtschaftsforschung<br />

vergebenen Gutachtens, dessen Endbericht publiziert wurde unter Peter Franz,<br />

U. a., <strong>Suburbanisierung</strong> <strong>von</strong> <strong>Handel</strong> <strong>und</strong> <strong>Dienstleistungen</strong>. Ostdeutsche Innenstädte zwischen<br />

erfolgreicher Revitalisierung <strong>und</strong> drohendem Verfall, Berl<strong>in</strong> 1996.<br />

1 Jürgen Friedrichs, Soziologische Analyse der Bevölkerungs-<strong>Suburbanisierung</strong>, <strong>in</strong>: Akademie<br />

für Raumforschung <strong>und</strong> Landesplanung (ARL) (Hrsg.), Beiträge zum Problem der<br />

<strong>Suburbanisierung</strong>, Hannover 1975, S. 49 ff.; Peter Franz, Zur Analyse der Beziehung <strong>von</strong><br />

sozialökologischen Prozessen <strong>und</strong> sozialen Problemen - konkretisiert am Beispiel der<br />

Kernstadt-Umland-Wanderung, <strong>in</strong>: Laszlo Vaskovics (Hrsg.), Raumbezogenheit sozialer<br />

Probleme, Opladen 1982, S. 103 ff.<br />

2<br />

Hans-Gottfried <strong>von</strong> Rohr, Der Prozei3 der Industriesuburbanisierung - Ausprägung, Ursachen<br />

<strong>und</strong> Wirkung auf die Entwicklung des suburbanen Raumes, <strong>in</strong>: Akademie für<br />

Raumforschung <strong>und</strong> Landesplanung (ARL) (Hrsg.), Beiträge zum Problem der <strong>Suburbanisierung</strong>,<br />

Hannover 1975, S. 98 ff.


AfK 1/97 <strong>Suburbanisierung</strong> <strong>von</strong> <strong>Handel</strong> <strong>und</strong> <strong>Dienstleistungen</strong> <strong>in</strong> Ostdeutschland 49<br />

sehene Funktionen werden statt <strong>in</strong> den Kernstädten an peripheren Standorten ange-<br />

siedelt. Es wird befürchtet, dafi den InnenStädten mit dem Verlust dieser Funktio-<br />

nen die Verödung droht.<br />

Besonders betroffen <strong>von</strong> der <strong>Suburbanisierung</strong> <strong>von</strong> <strong>Handel</strong> <strong>und</strong> <strong>Dienstleistungen</strong><br />

s<strong>in</strong>d die ostdeutschen Städte, deren Stadtkerne unter dem sozialistischen System <strong>in</strong><br />

der alten DDR meist vernachlässigt wurden <strong>und</strong> teilweise dem Verfall nahe waren.<br />

Die dynamische Entwicklung des Dienstleistungssektors nach der deutschen Ver-<br />

e<strong>in</strong>igung hat sich zu e<strong>in</strong>em großen Teil aui3erhalb der Städte abgespielt. Die E<strong>in</strong>-<br />

kaufsfunktion der Kernstädte, die <strong>in</strong> Westdeutschland durch e<strong>in</strong>e vergleichsweise<br />

grofie Angebotsvielfalt gekennzeichnet ist <strong>und</strong> e<strong>in</strong>en wesentlichen Bestandteil jener<br />

räumlichen Funktionskonzentration darstellt3, die geme<strong>in</strong>h<strong>in</strong> mit Urbanität gleich-<br />

gesetzt wird, ist <strong>in</strong> Ostdeutschland <strong>in</strong> starkem Mafie an die Peripherie der Städte<br />

ausgelagert worden.<br />

In den folgenden Ausführungen wird zunächst anhand regionalisierter Beschäfti-<br />

gungsdaten untersucht, wie weit der Prozefi der <strong>Suburbanisierung</strong> <strong>von</strong> <strong>Handel</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>Dienstleistungen</strong> <strong>in</strong> Westdeutschland (Abschnitt 11) <strong>und</strong> <strong>in</strong> Ostdeutschland<br />

(Abschnitt 111) fortgeschritten ist. Am Beispiel ausgewählter Stadtregionen (Halle,<br />

Leipzig, Rostock, Erfurt) werden der Stand <strong>und</strong> die Bestimmungsfaktoren der<br />

<strong>Suburbanisierung</strong> <strong>in</strong> Ostdeutschland - <strong>in</strong>sbesondere im <strong>Handel</strong> - näher untersucht<br />

(Abschnitt 1V). Dabei wird vornehmlich den Fragen nachgegangen,<br />

- welche Faktoren die Standortentscheidungen des <strong>Handel</strong>s bestimmt haben <strong>und</strong><br />

somit als ursächlich für die <strong>Suburbanisierung</strong> im <strong>Handel</strong>sbereich anzusehen<br />

s<strong>in</strong>d,<br />

- auf welchen Pfaden sich die Städte angesichts der derzeitigen Situation <strong>und</strong> der<br />

bisher durchgeführten Maf<strong>in</strong>ahmen zukünftig wahrsche<strong>in</strong>lich weiterentwickeln<br />

werden.<br />

Vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> des weith<strong>in</strong> als anzustrebendes Ziel angesehenen Referenz-<br />

Systems der belebten Innenstadt, das unter verschiedenen Aspekten kurz diskutiert<br />

wird (Abschnitt V), werden abschliei3end der Handlungsbedarf <strong>und</strong> die Magnah-<br />

men, die <strong>von</strong> den Geme<strong>in</strong>den zur Belebung der Innenstädte ergriffen werden kön-<br />

nen, diskutiert (Abschnitt VI).<br />

Die Suburbdnisierung <strong>von</strong> <strong>Handel</strong> <strong>und</strong> <strong>Dienstleistungen</strong> <strong>in</strong> Westdeutschland<br />

Die Veränderung der regionalen Wirtschaftsstruktur 1ä13t sich anhand der regionalen<br />

Verteilung der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten verfolgen. Verschiedene<br />

vorliegende Untersuchungen, die allerd<strong>in</strong>gs <strong>von</strong> z. T. unterschiedlichen regionalen<br />

Abgrenzungen ausgehen, zeigen, daß der <strong>Suburbanisierung</strong>sprozefi der Wirtschaft<br />

<strong>in</strong> Westdeutschland bereits seit Mitte der 70er Jahre festzustellen ist.<br />

Hans-jkrgen <strong>von</strong> der Heide, Die Revitalisierung der ostdeutschen Innenctädte, <strong>in</strong>: Zeit-<br />

schrift für angewandte Geographie, Jg. 19 (1995), H. 1, S. 13 ff.


50 Peter Franz/Raimar Richert/Manfred Weilepp AfK 1/97


AfK 1/97 <strong>Suburbanisierung</strong> <strong>von</strong> <strong>Handel</strong> <strong>und</strong> <strong>Dienstleistungen</strong> <strong>in</strong> Ostdeutschland<br />

läufig war <strong>und</strong> die ländlichen Kreise die höchsten Zuwachsraten verzeichnen konn-<br />

ten, stieg die Beschäftigung im Dienstleistungssektor <strong>in</strong> allen Raumtypen an. Aller-<br />

d<strong>in</strong>gs wiesen die Kernstädte die niedrigsten Zuwachsraten auf, während das hochver-<br />

dichtete Umland den höchsten Anstieg verzeichnen konnte. Im <strong>Handel</strong> ist die<br />

Beschäftigung <strong>in</strong> den Kernstädten sogar zurückgegangen.<br />

In e<strong>in</strong>er anderen Untersuchung wird die <strong>Suburbanisierung</strong> anhand e<strong>in</strong>es Koeffizien-<br />

ten gemessen, der den Anteil der Beschäftigten <strong>in</strong> der Kernstadt an der Gesamtbe-<br />

schäftigung <strong>in</strong> der Region, die sich aus Kernstadt <strong>und</strong> Umland zusammensetzt, an-<br />

gibt? Als Kernstädte werden die kreisfreien Städte <strong>in</strong> Westdeutschland, als Umland<br />

die unmittelbar an sie angrenzenden Landkreise angesehen. Auch bei dieser <strong>von</strong><br />

den bisher betrachteten Regionstypen abweichenden Abgrenzung zeigt sich für<br />

Westdeutschland zwischen 1980 <strong>und</strong> 1992 e<strong>in</strong>e Verlagerung der Beschäftigung <strong>von</strong><br />

den Kernen <strong>in</strong>s Umland. Der stärkste Rückgang des Beschäftigtenanteils <strong>in</strong> den<br />

Kernstädten fand im Sektor <strong>Handel</strong> <strong>und</strong> Verkehr <strong>von</strong> 68,9 v. H. 1980 auf 62,l v. H.<br />

im Jahre 1990 statt. Im Produzierenden Gewerbe g<strong>in</strong>g der Anteil <strong>von</strong> r<strong>und</strong> 52 v. H.<br />

auf r<strong>und</strong> 48 v. H. <strong>und</strong> bei den Sonstigen <strong>Dienstleistungen</strong> <strong>von</strong> 67,7 v. H. auf<br />

65,l v. H. zurück, Diese <strong>von</strong> Seitz bis 1992 konstatierte Entwicklung hat sich weiter<br />

fortgesetzt. 1995 betrugen die Anteilswerte der Kernstädte bei <strong>Handel</strong> <strong>und</strong> Verkehr<br />

nur noch 60,7 v. H., im Produzierenden Gewerbe 47 v. H. <strong>und</strong> bei den Sonstigen<br />

<strong>Dienstleistungen</strong> 63,5 v. H8.<br />

Trotz des Rückgangs der Anteile der Kernstädte an der Gesamtbeschäftigung der<br />

Stadtregionen war 1995 die Besatzziffer, def<strong>in</strong>iert als die Zahl der sozialversiche-<br />

rungspflichtig Beschäftigten je 1 000 E<strong>in</strong>wohner, <strong>in</strong> den westdeutschen Kernstädten<br />

<strong>in</strong> allen Wirtschaftsbereichen - mit Ausnahme der Land- <strong>und</strong> Forstwirtschaft -<br />

immer noch erheblich höher als <strong>in</strong> den angrenzenden Umlandkreisen <strong>und</strong> <strong>in</strong> den<br />

sonstigen Landkreisen (s. Tabelle 1). Während 1995 <strong>in</strong> den Stadtkreisen je 1000 E<strong>in</strong>-<br />

wohner 491 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte tätig waren, erreichten die<br />

Umlandkreise mit 275 nur 56 v. H. dieses Wertes, die sonstigen Landkreise, die<br />

nicht an Stadtkreise angrenzen, dagegen 62 v. H. (308). Der ger<strong>in</strong>gste Unterschied<br />

<strong>in</strong> der Beschäftigungsdichte zwischen Kernstädten <strong>und</strong> Umlandkreisen besteht im<br />

Produzierenden Gewerbe. In diesem Sektor erreichten die Umlandkreise 84 v. H.<br />

des Wertes der Stadtkreise, die sonstigen Landkreise sogar 94 v. H. Im <strong>Handel</strong><br />

beträgt die Bescliäftigungsdichte <strong>in</strong> den Umlandkreisen mit 40 Beschäftigten je<br />

1000 E<strong>in</strong>wohner allerd<strong>in</strong>gs nur noch 53 v. H. des Wertes der Stadtkreise, im Bereich<br />

Verkehr <strong>und</strong> Nachrichtenübermittlung 35 v. H., im Kredit- <strong>und</strong> Versicherungsge-<br />

werbe nur 24 v. H. <strong>und</strong> bei den anderweitig nicht genannten <strong>Dienstleistungen</strong><br />

42 v.H. Daran zeigt sich, daß die Städte <strong>in</strong> diesen Bereichen noch e<strong>in</strong>e wichtige<br />

Funktion für die Versorgung des Umlandes haben, auch wenn, wie die Entwicklung<br />

des <strong>Suburbanisierung</strong>skoeffizienten zeigt, der Prozeß der Beschäftigungsverlagerung<br />

<strong>in</strong> den letzten Jahren fortgeschritten ist.<br />

Vgl. Helmut Seitz, Die <strong>Suburbanisierung</strong> der Beschäftigung: E<strong>in</strong>e empirische Untersuchung<br />

für Westdeutschland, <strong>in</strong>: Jahrbücher für Nationalökonomie <strong>und</strong> Statistik, Bd.<br />

215 (1996), H. 1, S. 69-91.<br />

Eigene Berechnungen anhand neuerer Daten.<br />

51


52 Peter Franz/Raimar RichedManfred Weilepp AfK 1/97<br />

Tabelle 1: Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte je 1 000 E<strong>in</strong>wohner <strong>in</strong> West-<br />

deutschland nach Wirtschaftsbereichen (Stand: 30.6. 1995)''<br />

Land- U. Forstwirtschaft,<br />

Tierh. U. Fischerei<br />

Produzierendes Gewerbe<br />

<strong>Handel</strong><br />

GroiShandel<br />

<strong>Handel</strong>svermittlung<br />

Warenhäuser<br />

Lebensmittelsupermärkte<br />

Versandhandel<br />

Sonstiger E<strong>in</strong>zelhandel<br />

Verkehr,<br />

Nachrichtenübermittlung<br />

Kredit- <strong>und</strong><br />

Versicherungsgewerbe<br />

<strong>Dienstleistungen</strong>, soweit<br />

anderweitig nicht genannt<br />

Sonstige<br />

Wirtschaftsbereiche<br />

Insgesamt<br />

Alte Länder<br />

0. Berl<strong>in</strong>-W.<br />

333<br />

146,l<br />

50,2<br />

17,l<br />

432<br />

3,o<br />

3,5<br />

0,8<br />

21,7<br />

17,3<br />

14,9<br />

84,9<br />

30,8<br />

347,5<br />

Stadtkreise<br />

2,o<br />

159,O<br />

76,O<br />

27,l<br />

690<br />

538<br />

434<br />

199<br />

30,7<br />

32,3<br />

31,O<br />

138,4<br />

51,9<br />

490,6<br />

'kQuelle: B<strong>und</strong>esanstalt für Arbeit; eigene Berechnungen.<br />

I11<br />

<strong>Suburbanisierung</strong> <strong>in</strong> Ostdeutschland<br />

Umlandkreise<br />

398<br />

133,5<br />

40,O<br />

13,9<br />

399<br />

1,8<br />

3 3 1<br />

093<br />

17,3<br />

11,3<br />

734<br />

58,8<br />

20,2<br />

275,4<br />

Sonstige<br />

Landkreise<br />

3,9<br />

150,2<br />

37,9<br />

11,6<br />

296<br />

1,8<br />

3 50<br />

023<br />

18,6<br />

10,6<br />

9,o<br />

67,O<br />

24,O<br />

302,7<br />

Der umfassende Struktunvandel, der seit 1990 <strong>in</strong> der ostdeutschen Wirtschaft statt-<br />

f<strong>in</strong>det, weist auch e<strong>in</strong>e ausgeprägte regionale Dimension auf. Der Aufbau neuer<br />

Wirtschaftsstrukturen hat bislang schwerpunktmäßig im Umland <strong>von</strong> Städten <strong>und</strong><br />

ländlichen Regionen, nicht aber <strong>in</strong> den Kernstädten selbst stattgef<strong>und</strong>en.<br />

Die Inanspruchnahme <strong>von</strong> Fördermitteln im Rahmen der ERP-Existenzgründungs-<br />

förderung war <strong>von</strong> 1990 bis 1992 <strong>in</strong> den Regionen mit grof3en Verdichtungsräumen,<br />

<strong>in</strong> den hochverdichteten Kreisen im Umland der Kernstädte <strong>und</strong> <strong>in</strong> ländlich gepräg-<br />

ten Kreisen ungefähr doppelt so hoch wie <strong>in</strong> den Kernstädten. Auch <strong>in</strong> den Regio-<br />

nen mit Verdichtungsräumen war die Inanspruchnahme <strong>in</strong> den Kernstädten am<br />

ger<strong>in</strong>gsteng. Im E<strong>in</strong>zelhandel war die Gründungsaktivität <strong>in</strong> den Kernstädten der<br />

großen Verdichtungsräume 1992 mit 4,8 bewilligten Anträgen je 10 000 E<strong>in</strong>wohner10<br />

9 Michael Zarth, Drei Jahre Existenzgründungsförderung <strong>in</strong> den neuen Ländern - Regio-<br />

nale <strong>und</strong> sektorale Schwerpunkte privater Investitionen, <strong>in</strong>: Informationen zur Raument-<br />

Wicklung, 1994, H. 4, S. 229 ff.<br />

10 Im Alter zwischen zwanzig <strong>und</strong> fünfzig Jahren.<br />

I


AfK 1/97 Suburbanisierunn <strong>von</strong> <strong>Handel</strong> <strong>und</strong> DienstleistunRen <strong>in</strong> Ostdeutschland 53<br />

nicht e<strong>in</strong>mal halb so hoch wie im Durchschnitt aller Stadt- <strong>und</strong> Landkreise1'. Auch<br />

bei den durch Mittel der Geme<strong>in</strong>schaftsaufgabe ,,Verbesserung der regionalen Wirt-<br />

schaftsstruktur" geförderten gewerblichen Investitionen waren diese je E<strong>in</strong>wohner<br />

<strong>von</strong> 1990 bis 1994 <strong>in</strong> Regionen mit grofien Verdichtungsräumen am höchsten <strong>in</strong><br />

verdichteten Kreisen <strong>und</strong> ländlichen Kreisen, also aui3erhalb der Kernstädte, bei den<br />

anderen Regionstypen (Regionen mit Verdichtungsräumen <strong>und</strong> ländliche Regionen)<br />

<strong>in</strong> verdichteten Kreisenl2. Der Tendenz nach wurde also das Umland der Kernstädte<br />

<strong>von</strong> Investoren bevorzugt.<br />

Da die Entwicklung der sektoralen Struktur der Wirtschaft <strong>in</strong> den neuen B<strong>und</strong>eslän-<br />

dern durch Veränderungen zugunsten des Dienstleistungssektors gekennzeichnet ist<br />

<strong>und</strong> der Aufbau neuer Wirtschaftsstrukturen bislang schwerpunktmäfiig im Umland<br />

<strong>von</strong> Städten <strong>und</strong> <strong>in</strong> ländlichen Regionen, nicht aber <strong>in</strong> den Kernstädten selbst statt-<br />

gef<strong>und</strong>en hat, ist zu vermuten, daf3 <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> den Umlandkreisen <strong>und</strong> den<br />

ländlichen Regionen neue Dienstleistungsaktivitäten entstanden s<strong>in</strong>d, während die<br />

Kernstädte im Struktunvandel zurückblieben. Vergleicht man die Besatzziffern (so-<br />

zialversicherungspflichtig Beschäftigte je 1 000 E<strong>in</strong>wohner) der e<strong>in</strong>zelnen Wirt-<br />

schaftsbereiche <strong>in</strong> Stadtkreisen, den an die Stadtkreise angrenzenden Landkreisen<br />

(Umlandkreise) <strong>und</strong> den übrigen Landkreisen im Jahre 1995 mite<strong>in</strong>ander, so zeigt<br />

sich, daß im Produzierenden Gewerbe die Beschäftigungsdichte <strong>in</strong> den Umlandkrei-<br />

Sen gröf3er ist als <strong>in</strong> den Kernstädten (s. Tabelle 2). Im Dienstleistungsbereich~3<br />

kommt den Städten dagegen e<strong>in</strong>e weitaus gröf3ere Bedeutung zu. Dort waren <strong>in</strong> den<br />

ostdeutschen Stadtkreisen je 1 000 E<strong>in</strong>wohner mehr als doppelt soviel Beschäftigte<br />

tätig wie <strong>in</strong> den Umlandkreisen <strong>und</strong> <strong>in</strong> den übrigen Landkreisen. Die Besatzziffer<br />

der Umlandkreise erreichte nur 48 v. H. des Wertes der Stadtkreiseld. Auch im Sek-<br />

tor Verkehr <strong>und</strong> Nachrichtenübermittlung ist der Besatz <strong>in</strong> den Stadtkreisen wesent-<br />

lich höher als <strong>in</strong> den anderen Kreisen. Offensichtlich erfüllen die Städte <strong>in</strong> diesen<br />

Bereichen Versorgungsfunktionen für die Regionen des Umlandes <strong>und</strong> den länd-<br />

lichen Raum. Anders sieht es dagegen im <strong>Handel</strong> aus. Dort ist der Besatz <strong>in</strong> den<br />

Städten zwar auch noch gröi3er als <strong>in</strong> den anderen Kreisen, der Vorsprung ist aber<br />

wesentlich ger<strong>in</strong>ger als bei den <strong>Dienstleistungen</strong>. Die Umlandkreise erreichen hier<br />

76 V. H. des Wertes der Stadtkreise, Insbesondere beim Sonstigen E<strong>in</strong>zelhandel, zu<br />

dem der gröf3te Teil des mittelständischen E<strong>in</strong>zelhandels gehört, s<strong>in</strong>d die Unter-<br />

schiede sehr ger<strong>in</strong>g.<br />

l2<br />

l3<br />

l4<br />

Matthias Achen <strong>und</strong> Michael Zarth, Existenzgri<strong>in</strong>dungen im ostdeutschen E<strong>in</strong>zelhandel.<br />

Der ländliche Raum als Nische für den Mittelstand?, <strong>in</strong>: Raumforschung <strong>und</strong> Raumord-<br />

nung, 1994, H. 4/5, S. 327.<br />

vgl. Gerhard He<strong>in</strong>zpold, Förderung der gewerblichen Wirtschaft <strong>in</strong> den neuen B<strong>und</strong>eslän-<br />

dern durch die Geme<strong>in</strong>schaftsaufgabe ,,Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" -<br />

e<strong>in</strong>e Zwischenbilanz, <strong>in</strong>: Institut für Wirtschaftsforschung Halle (Hrsg.), Konjunkturbe-<br />

richt 1-2/1994, S. 20 ff.<br />

<strong>Dienstleistungen</strong> soweit anders nicht genannt.<br />

Bei e<strong>in</strong>er differenzierteren Betrachtung zeigt sich, dafl der Vorsprung der Städte <strong>in</strong>nerhalb<br />

des Dienstleistungssektors besonders <strong>in</strong> den Bereichen Kunst, Theater, Film, Radio <strong>und</strong><br />

Fernsehen, bei Rechts- <strong>und</strong> Wirtschaftsberatung, bei Architektur- <strong>und</strong> Ingenieursbüros<br />

<strong>und</strong> bei den Sonstigen <strong>Dienstleistungen</strong> grof3 ist. Peter Franz U. a., S. 25 f.


-<br />

54 Peter Franz/Raimar Richert/Manfed Weilepp AfK 1/97<br />

Tabelle 2: Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte je 1 000 E<strong>in</strong>wohner <strong>in</strong> Ost-<br />

deutschland nach Wirtschaftsbereichen (Stand: 30.6. 1995)'f<br />

Land- U. Forstwirtschaft,<br />

Tierh. U. Fischerei<br />

Produzierendes Gewerbe<br />

<strong>Handel</strong><br />

Grof3 handel<br />

<strong>Handel</strong>svermittlung<br />

Warenhäuser<br />

Lebensmittelsupermärkte<br />

Versandhandel<br />

Sonstiger E<strong>in</strong>zelhandel<br />

Verkehr,<br />

Nachrichtenübermittlung<br />

Kredit- <strong>und</strong><br />

Versichemngsgewerbe<br />

<strong>Dienstleistungen</strong>, soweit<br />

anderweitig nicht genannt<br />

Sonstige<br />

Wirtschaftsbereiche<br />

~~~~ __<br />

~~ ~<br />

Neue Länder<br />

0. Berl<strong>in</strong>-0.<br />

12,5<br />

132,3<br />

38,5<br />

9,5<br />

394<br />

12<br />

3 ,2<br />

03.2<br />

20,9<br />

24,O<br />

535<br />

86,6<br />

Stadtkreise<br />

333<br />

131,9<br />

47,7<br />

13,O<br />

533<br />

2,5<br />

431<br />

034<br />

22,4<br />

45,O<br />

8,9<br />

140,l<br />

Insgesamt I<br />

56,2<br />

356,5 I<br />

84,5<br />

461,3<br />

*Quelle: Bzlndesanstalt fEr Arbeit; eigene Berechnungen.<br />

Umlandkreise<br />

16,4<br />

135,2<br />

36,l<br />

897<br />

393<br />

O J 6<br />

330<br />

052<br />

20,2<br />

15,l<br />

3J9<br />

67,6<br />

43,O<br />

3 17,3<br />

Sonstige<br />

Landkreise<br />

318,8<br />

E<strong>in</strong> Vergleich zwischen West- <strong>und</strong> Ostdeutschland zeigt, daß die Verlagerung <strong>in</strong>s<br />

Umland bei <strong>Handel</strong> <strong>und</strong> <strong>Dienstleistungen</strong> <strong>in</strong> Ostdeutschland weiter fortgeschritten<br />

ist. Bei den <strong>Dienstleistungen</strong>, bei denen die Besatzziffer der Umlandkreise <strong>in</strong> Ost-<br />

deutschland 48 v.H., <strong>in</strong> Westdeutschland 42 v.H. des Wertes der Stadtkreise<br />

erreicht, ist der Unterschied jedoch wesentlich ger<strong>in</strong>ger als beim <strong>Handel</strong>. Dort<br />

betragen die entsprechenden Werte 76 v.H. <strong>in</strong> Ost- <strong>und</strong> nur 53 v.H. <strong>in</strong> West-<br />

deutschland. Im Bereich der zentralen <strong>Dienstleistungen</strong> nehmen die Städte <strong>in</strong> den<br />

neuen B<strong>und</strong>esländern also, genau wie <strong>in</strong> Westdeutschland, nach wie vor wichtige<br />

Funktionen für die übrigen Regionen wahr, wenngleich der Struktunvandel allem<br />

Ansche<strong>in</strong> nach stärker zu ihren Lasten verlaufen ist als <strong>in</strong> Westdeutschland. Im<br />

Bereich des <strong>Handel</strong>s sehen sich die ostdeutschen Städte aber mit e<strong>in</strong>em grögeren<br />

Problem konfrontiert: sie haben offenbar ihre Vorrangfunktion bei der Versorgung<br />

der Bevölkerung <strong>in</strong> den Stadtregionen weitgehend verloren.<br />

IV<br />

Die Entwicklung des <strong>Handel</strong>s <strong>in</strong> ausgewählten Stadtregionen Ostdeutschlands<br />

1. Untersuchungsziele<br />

Der <strong>in</strong>nerstädtische E<strong>in</strong>zelhandel konnte sich <strong>in</strong> Ostdeutschland offenbar nur<br />

schwach entwickeln, <strong>und</strong> es wird befürchtet, daß <strong>in</strong> den Innenstädten Versorgungs-


AfK 1/97 <strong>Suburbanisierung</strong> <strong>von</strong> <strong>Handel</strong> <strong>und</strong> <strong>Dienstleistungen</strong> <strong>in</strong> Ostdeutschland 55<br />

engpässe <strong>und</strong> Verödungstendenzen drohen, <strong>in</strong>sbesondere, dafl die dr<strong>in</strong>gend notwen-<br />

dige städtebauliche Weiterentwicklung durch die Ausweitung peripherer E<strong>in</strong>zelhan-<br />

delsstandorte existentiell gefährdet istls. Da zwischen der Ausschöpfung <strong>von</strong> Poten-<br />

tialen der Städte <strong>und</strong> den Spielräumen der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung <strong>in</strong><br />

Ostdeutschland vielfältige gegenseitige Abhängigkeiten bestehen16, stellt der Funk-<br />

tionsverlust der Innenstädte e<strong>in</strong>e nicht zu unterschätzende generelle S tandortschwä-<br />

che der neuen B<strong>und</strong>esländer dar. E<strong>in</strong>e weitere Erosion der Städte hat dann auch<br />

Konsequenzen für Arbeitsplätze, E<strong>in</strong>kommen <strong>und</strong> Steuere<strong>in</strong>nahmen. Die Abwande-<br />

rung des <strong>Handel</strong>s aus den städtischen Zentren stellt aus dieser Sicht e<strong>in</strong>e Beh<strong>in</strong>de-<br />

rung für den ökonomischen Aufholprozei3 <strong>in</strong> Ostdeutschland dar. Standortent-<br />

Scheidungen des <strong>Handel</strong>s zugunsten peripherer Standorte werden daher vielfach<br />

negativ beurteilt. Insbesondere aus raumordnungspolitischer Sicht werden sie nicht<br />

als effiziente Ergebnisse unternehmerischer Entscheidungsprozesse, sondern als<br />

Fehlentwicklung angesehen, <strong>und</strong> politisches Gegensteuern wird angemahnt17. Ange-<br />

sichts der komplexen Entscheidungssituation, der sich die Unternehmen bei<br />

Ansiedlungsentscheidungen gegenübersehen, ist zu vermuten, dai3 der Gegensatz<br />

,,Innenstadt versus Grüne Wiese" e<strong>in</strong>e zu starke Vere<strong>in</strong>fachung des Problems dar-<br />

stellt. Es spricht daher e<strong>in</strong>iges dafür, den Ursachen des konstatierten Funktionsver-<br />

lustes der Kernstädte tiefgreifender nachzugehen. Folgende Fragen stehen dabei im<br />

Mittelpunkt:<br />

- Wie hat sich der Funktionsverlust der Innenstädte im e<strong>in</strong>zelnen dargestellt, <strong>und</strong><br />

ist die Standortwahl <strong>von</strong> Unternehmen <strong>in</strong> verschiedenen Stadtregionen identi-<br />

schen oder unterschiedlichen Mustern gefolgt?<br />

- Welche bisher als ursächlich angesehenen Faktoren der Standortwahl s<strong>in</strong>d tat-<br />

sächlich <strong>von</strong> Bedeutung, <strong>und</strong> welche <strong>von</strong> ihnen s<strong>in</strong>d besonders hervorgetreten?<br />

- Welche Maflnahmen zur Steuerung der Standortwahl s<strong>in</strong>d bisher mit welchem<br />

Erfolg zum E<strong>in</strong>satz gekommen?<br />

2. Methodisches Vorgeben<br />

Die Daten zur Kennzeichnung der räumlichen Verteilung der neuen E<strong>in</strong>zelhandels-<br />

aktivitäten zeigen zwar die groben Standortmuster, die sich <strong>in</strong>zwischen entwickelt<br />

haben, sie reichen aber nicht aus, die oben aufgeworfenen Fragen zu beantworten.<br />

l5 Vgl. dazu die Beiträge zur Konferenz ,Wirtschaftsstandort Innenstadt <strong>und</strong> grüne Wiese",<br />

die das Deutsche Sem<strong>in</strong>ar für Städtebau <strong>und</strong> Wirtschaft (DSSW) vom 5.-7. 10. 1995 <strong>in</strong><br />

Berl<strong>in</strong> veranstaltete. DSS W (Hrsg.), Wirtschaftsstandort Innenstadt <strong>und</strong> ,,grüne Wiese" -<br />

deutsche <strong>und</strong> europäische Erfahrungen, Bonn 1996 (DSSW-Schriften, Nr. 16).<br />

l6 Ebzrhardt <strong>von</strong> E<strong>in</strong>em, Mart<strong>in</strong> Gornig <strong>und</strong> Christian Diller, Revitalisierung der Innen-<br />

Städte <strong>in</strong> Ostdeutschland. Untersuchung im Auftrag des Deutschen Sem<strong>in</strong>ars für Städtebau<br />

<strong>und</strong> Wirtschaft (DSSW), Bonn 1996, S. 5 (DSSW-Schriften, Nr. 19).<br />

l7<br />

Hannes Tank, Raumerschliefiung zur Ubenv<strong>in</strong>dung der Hemmnisse am Immobilienmarkt<br />

<strong>in</strong> den Städten der neuen Länder, <strong>in</strong>: Raumforschung <strong>und</strong> Raumordnung, 1994, H. 1,<br />

S. 47. Stefdn Holl, Wirtschaftsentwicklung Contra Innenstadtentwicklung, <strong>in</strong>: Informationen<br />

zur Raurnentwicklung, 1994, H. 3, S. 177. B<strong>und</strong>esm<strong>in</strong>isterium für Raumordnung, Bauwesen<br />

<strong>und</strong> Städtebau (BMBau), Grofiflächige E<strong>in</strong>zelhandelse<strong>in</strong>richtungen <strong>in</strong> den neuen<br />

Ländern, Strategiepapier, Bonn (Mai) 1995.


56 Peter Franz/Raimar Richert/Manfred Weilepp AfK 1/97<br />

Um zusätzliche orig<strong>in</strong>äre Informationen über die Ursachen <strong>von</strong> Standortentschei-<br />

dungen im E<strong>in</strong>zelhandel zu erhalten, war die Untersuchung konkreter Fallbeispiele<br />

erforderlich. Dazu dienten strukturierte Interviews mit jenen Akteuren, die Stand-<br />

ortentscheidungen treffen (Unternehmen) <strong>und</strong> sie bee<strong>in</strong>flussen (Kommunalvenval-<br />

tungen <strong>und</strong> für Raumordnung zuständige Behörden), wobei die Interviews des<br />

Unternehmenssektors speziell auf den E<strong>in</strong>zelhandel zugeschnitten warenI8.<br />

Mit den Stadtregionen Halle, Leipzig, Erfurt <strong>und</strong> Rostock wurden für die Fall-<br />

studien Agglomerationsräume ausgewählt, deren Kerne jeweils über mehr als<br />

200 000 E<strong>in</strong>wohner verfügen <strong>und</strong> an deren Peripherie groi3e E<strong>in</strong>kaufszentren ent-<br />

standen s<strong>in</strong>d. Problematisch war die Abgrenzung der Stadtregionen. Angemessen<br />

wäre e<strong>in</strong>e Grenzziehung nach dem K<strong>und</strong>enpotential, also nach E<strong>in</strong>zugsbereichen,<br />

die oft weit über die direkt an das Stadtgebiet angrenzenden Kreise h<strong>in</strong>ausreichen<br />

<strong>und</strong> sich im Falle Halle/Leipzig sogar überschneiden. Für Halle, Leipzig <strong>und</strong><br />

Rostock wurden aus pragmatischen Gründen die stadtumschliefienden Landkreise<br />

als Umland def<strong>in</strong>iertls. Erfurt stellt <strong>in</strong>sofern e<strong>in</strong>en Sonderfall dar, als der Landkreis<br />

Erfurt im Rahmen der Gebietsreform <strong>von</strong> 1994 teilweise der Stadt Erfurt zugeschla-<br />

gen wurde, so dafi Stadt-Umland-Vergleiche anhand statistischer Daten nicht mehr<br />

möglich s<strong>in</strong>d, Nach der E<strong>in</strong>geme<strong>in</strong>dung bleiben aber Fragen nach den Steuerungs-<br />

möglichkeiten des Ansiedlungsgeschehens zwischen Innenstadt <strong>und</strong> nicht <strong>in</strong>tegrier-<br />

ten Augenstandorten auf städtischem (Planungs-)Hoheitsgebiet. Nicht zuletzt des-<br />

wegen ist die E<strong>in</strong>beziehung Erfurts gerechtfertigt.<br />

3. Entwicklalztng des E<strong>in</strong>zelhandels <strong>in</strong> ausgewählten Stadtregionen<br />

Anhand der Besatzziffern zeichnet sich <strong>in</strong> den ausgewählten Stadtregionen im Sek-<br />

tor <strong>Handel</strong> e<strong>in</strong>e besonders starke Tendenz zur <strong>Suburbanisierung</strong> ab (vgl. Tabelle 3).<br />

Der Besatz an Beschäftigten im <strong>Handel</strong> ist <strong>in</strong> diesen Städten nicht nur niedriger als<br />

im Durchschnitt der ostdeutschen Stadtkreise, sie weisen auch niedrigere Werte als<br />

ihre Umlandkreise auf. Der Saalkreis, der den höchsten Wert <strong>in</strong> Ostdeutschland auf-<br />

weist, übertrifft die Stadt Halle sogar um zwei Drittel. Im Bereich der anderweitig<br />

nicht genannten <strong>Dienstleistungen</strong> liegen Rostock <strong>und</strong> Leipzig sowie ihre Umland-<br />

kreise über, Halle <strong>und</strong> der Saalkreis dagegen unter dem jeweiligen ostdeutschen<br />

Durchschnitt.<br />

In der ersten Phase nach der Vere<strong>in</strong>igung war die E<strong>in</strong>zelhandelsentwicklung <strong>in</strong> Leip-<br />

zig durch Geschäftsübernahmen <strong>und</strong> Neugründungsaktivitäten gekennzeichnet. In<br />

der City übernahmen Horten <strong>und</strong> Karstadt vormalige Zentrum- <strong>und</strong> Konsument-<br />

18 Insgesamt 26 Expertengespräche wurden mit Wirtschaftsförderern der Städte <strong>und</strong> Kreise,<br />

mit Stadt- <strong>und</strong> Regionalplanern, mit Vertretern <strong>von</strong> M<strong>in</strong>isterien, Landesverwaltungsärn-<br />

tern <strong>und</strong> Regionalpräsidien aus dem Zuständigkeitsbereich Raumordnungspolitik sowie<br />

mit Vertretern der IHKs <strong>und</strong> <strong>von</strong> E<strong>in</strong>zelhandelsverbänden bzw. Interessengeme<strong>in</strong>schaften<br />

geführt. In den vier Stadtregionen wurden des weiteren Interviews mit Firrnen<strong>in</strong>habern,<br />

Geschäftsfihrern <strong>und</strong> Filialleitern <strong>von</strong> E<strong>in</strong>zelhandelsbetrieben durchgeführt <strong>und</strong> zwar 22<br />

bei Betrieben <strong>in</strong> Innenstadtla e <strong>und</strong> 21 bei solchen <strong>in</strong> peripherer Lage.<br />

19 Für Halle/Lei zig s<strong>in</strong>d dies J e Landkreise Saalkreis <strong>und</strong> Leipziger Land, für Rostock der<br />

Kreis Bad-Do E eran.


AN 1/97 <strong>Suburbanisierung</strong> zion <strong>Handel</strong> <strong>und</strong> <strong>Dienstleistungen</strong> <strong>in</strong> Ostdeutschland 57<br />

Tabelle 3 : Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte je 1 000 E<strong>in</strong>wohner <strong>in</strong> den<br />

Stadtregionen Leipzig, Halle, Rostock <strong>und</strong> der Stadt Erfurt nach Wirt-<br />

schaftsbereichen (Stand: 30.6. 1995)'$<br />

Land- U. Forstwirtschaft,<br />

Tierh. U. Fischerei<br />

Produzierendes Gewerbe<br />

<strong>Handel</strong><br />

Groflhandel<br />

<strong>Handel</strong>sverrnittlung<br />

Warenhäuser<br />

Lebensmittelsupermärkte<br />

Versandhandel<br />

Sonstiger E<strong>in</strong>zelhandel<br />

Verkehr,<br />

Nachrich tenü bermi ttlung<br />

Kredit- <strong>und</strong><br />

Versicherungsgewerbe<br />

<strong>Dienstleistungen</strong>, soweit<br />

anderweitig nicht genannt<br />

Sonstige<br />

Wirtschaftsbereiche<br />

Insgesamt<br />

>eipzig<br />

432,3<br />

,eipziger<br />

Land<br />

9,4<br />

208,7<br />

52,2<br />

21,6<br />

199<br />

2,1<br />

433<br />

-<br />

22,3<br />

20,5<br />

67<br />

73,9<br />

37,8<br />

409,l<br />

Halle<br />

(Saale)<br />

1,5<br />

131,5<br />

39,l<br />

8,8<br />

572<br />

42<br />

451<br />

-<br />

16,5<br />

48,3<br />

79 9<br />

129,7<br />

89,6<br />

447,5<br />

"Quelle: B<strong>und</strong>esanstalt fiir Arbeit; eigene Berechnungen.<br />

Saal-<br />

kreis<br />

10,4<br />

144,l<br />

65,l<br />

33,5<br />

53<br />

033<br />

339<br />

-<br />

21,7<br />

24,6<br />

155<br />

45,6<br />

23,2<br />

3 14,5<br />

iostock<br />

356<br />

108,l<br />

45,2<br />

12,8<br />

434<br />

091<br />

2,o<br />

-<br />

25,9<br />

56,7<br />

9,4<br />

145,8<br />

58,6<br />

428,3<br />

Bad<br />

3oberan<br />

20,o<br />

115,3<br />

51,l<br />

15,3<br />

227<br />

157<br />

491<br />

-<br />

27,2<br />

12,5<br />

2,2<br />

78,2<br />

44,2<br />

323,6<br />

Erfurt<br />

831<br />

168,6<br />

55,6<br />

16,3<br />

44<br />

3 92<br />

231<br />

0,9<br />

28,5<br />

50,O<br />

17,4<br />

149,l<br />

96,8<br />

545,6<br />

Warenhäuser <strong>und</strong> bildeten damit das wichtigste Standbe<strong>in</strong> des <strong>in</strong>nerstädtischen E<strong>in</strong>-<br />

zelhandels. Ab 1991 gab es Versuche, die Standortwahl des E<strong>in</strong>zelhandels gemäfi<br />

dem im Flächennutzungsplan der Stadt festgelegten Stadtteilzentrenkonzept ZU len-<br />

ken20. Die <strong>Handel</strong>sentwicklung der Mehrzahl der sogenannten B-Zentren war <strong>in</strong> die-<br />

ser Periode problematisch. Die B-Zentren s<strong>in</strong>d bandartig entlang den Ausfallstrafien<br />

angeordnet <strong>und</strong> wurden daher <strong>in</strong> ihrer Standortqualität durch die zunehmende Ver-<br />

kehrsdichte besonders stark bee<strong>in</strong>trächtigt. Vorhandene Kaufhausstandorte wurden<br />

nach <strong>und</strong> nach aufgegeben. Positiv verlief dagegen die Entwicklung im Stadtteilzen-<br />

trum Grünau <strong>und</strong> seit 1994 im Praunsdorf-Center, das mit 104000 m2 die gesamte<br />

Verkaufsfläche der City (Mitte 1994: 66 000 m2) ÜbertraPl.<br />

In den Geme<strong>in</strong>den des Leipziger Umlands wurden die ersten Bauanträge für grofi-<br />

flächigen E<strong>in</strong>zelhandel (vgi. Tabelle 4, siehe S. 58) bereits im ersten Halbjahr 1990,<br />

2o Das Konzept unterscheidet zwischen A-Zentrum (City), sieben B-Zentren (Stadtteilzen-<br />

tren) <strong>und</strong> 31 C-Zentren (Versorgungse<strong>in</strong>richtungen im Nahbereich). Stadt Leipzig (Hrsg.),<br />

Flächennutzungsplan, Leipzig 1994, S. 37 f.<br />

21 vgl. Euro-<strong>Handel</strong>s<strong>in</strong>stitut Köln (Hrsg.), Shopp<strong>in</strong>g-Center-Report, Köln 1995.


58 Peter Franz/Raimar Richert/Manfred Weilepp AN 1/97<br />

Tabelle 4 : Großflächige E<strong>in</strong>zelhandelse<strong>in</strong>richtungen im Umland <strong>von</strong> Leipzig nach<br />

Verkaufsfläche, Kreiszugehörigkeit <strong>und</strong> Entfernung zum Stadtzentrum:k<br />

Bezeichnung<br />

1 Wiedemar (Porta,<br />

Teppich-Kibek etc.)<br />

2 Schkeuditz (Möbel-Erbe)<br />

3 Sachsenpark Seehausen<br />

4 Pösna-Park Grof3pösna<br />

5 Globus-Markt<br />

MarkkleebergiWachau<br />

6 Marktkauf Markkleeberg<br />

7 Saalepark Günthersdorf<br />

(<strong>in</strong>kl. IKEA)<br />

8 Löwencenter Bienitz<br />

Insgesamt<br />

~<br />

~~~<br />

Standort im<br />

Landkreis<br />

Delitzsch<br />

Leipziger Land<br />

Leipziger Land<br />

Leipziger Land<br />

Leipziger Land<br />

Leipziger Land<br />

Merseburg-<br />

Querfurt<br />

Leipziger Land<br />

Distanz<br />

zu Leipzig<br />

<strong>in</strong> km<br />

20<br />

15<br />

8<br />

13<br />

12<br />

12<br />

15<br />

12<br />

Verkaufsfläche<br />

<strong>in</strong> m2<br />

58 000<br />

22 000<br />

30 400<br />

51 800<br />

17 300<br />

12 700<br />

125 000<br />

41 700<br />

-<br />

Flächenanteil<br />

Möbel/<br />

E<strong>in</strong>richtung/<br />

Baumarkt<br />

I<br />

80 v. H.<br />

100 v. H.<br />

40 v. H.<br />

60 v. H.<br />

40 v. H.<br />

60 v. H.<br />

“Quellen: Eurohandels<strong>in</strong>stitut (Hrsg.), Shopp<strong>in</strong>g-Center-Report, Köln, 1995; eigene Erhe-<br />

bungen.<br />

noch vor dem Vere<strong>in</strong>igungsterm<strong>in</strong>, gestellt. Sie mußten aufgr<strong>und</strong> fehlender raum-<br />

ordnungsrechtlicher Gr<strong>und</strong>lagen fast durchgängig genehmigt werden. Bei der Dis-<br />

kussion um die E<strong>in</strong>richtung <strong>von</strong> E<strong>in</strong>kaufszentren im Umland <strong>von</strong> Leipzig ist zu<br />

beachten, dai3 sich die Entwicklung auf mehrere Kreise verteilt. Im Landkreis Leip-<br />

Ziger Land ist die Nettoverkaufsfläche <strong>von</strong> 37000 m2 im Jahre 1989 auf nunmehr<br />

200 000 m2 angewachsen22. Dieser Zuwachs hat sich ausschliei3lich <strong>in</strong> Ortsrandlagen<br />

vollzogen <strong>und</strong> ist <strong>in</strong> hohem Maße dem großflächigen E<strong>in</strong>zelhandel zuzurechnen.<br />

Die gröf3eren <strong>Handel</strong>se<strong>in</strong>richtungen im Kreis Leipziger Land belegen alle<strong>in</strong> 176 000<br />

m2 Verkaufsfläche.<br />

Die Stadt Halle verfügte 1989 über e<strong>in</strong>e Verkaufsfläche <strong>von</strong> Ca. 100 000 m2, die bis<br />

Ende 1995 auf ca. 230000 m2 anwuchs23. Da<strong>von</strong> entfallen auf die Altstadt<br />

65 000 m2, auf Halle-Neustadt 55 000 m2 <strong>und</strong> auf den Ortsteil Bruckdorf 40 000 m2<br />

(Hallescher E<strong>in</strong>kaufspark). Die Genehmigung des Halleschen E<strong>in</strong>kaufsparks <strong>in</strong><br />

Stadtrandlage ist als e<strong>in</strong>e typische Reaktion auf den Kaufkraftabflug <strong>in</strong> die E<strong>in</strong>kaufs-<br />

zentren des Umlandes zu verstehen. Die Genehmigung erfolgte trotz schlechter<br />

Anb<strong>in</strong>dung des Standortes an den öffentlichen Personennahverkehr <strong>und</strong> an das<br />

Straßennetz. Besondere Probleme bereitete die E<strong>in</strong>zelhandelsentwicklung <strong>in</strong> der<br />

22 Ergebnis der <strong>Handel</strong>s- <strong>und</strong> Gaststättenzählung vom 30.4. 1993.<br />

23 Bei diesen Zahlen handelt es sich um Schätzungen des Amtes fur Wirtschaftsförderung<br />

der Stadt Halle. Die <strong>Handel</strong>s- <strong>und</strong> Gaststättenzählung des Statistischen B<strong>und</strong>esamtes<br />

er ibt für den Stichtag des 30.4. 1993 e<strong>in</strong>e Fläche <strong>von</strong> 163 700 m2 (Mitteilung des Statisti-<br />

sc fl en Landesamtes Sachsen-Anhalt).


AfK 1/97 <strong>Suburbanisierung</strong> <strong>von</strong> <strong>Handel</strong> <strong>und</strong> <strong>Dienstleistungen</strong> <strong>in</strong> Ostdeutschland 59<br />

Innenstadt. E<strong>in</strong>er zügigen Ausweitung der Verkaufsflächen standen e<strong>in</strong>e Vielzahl<br />

<strong>von</strong> Restitutionsansprüchen <strong>und</strong> die Tatsache entgegen, daß die gesamte Altstadt<br />

praktisch als Flächendenkmal ausgewiesen wurde24. Die dadurch erzeugte Flächen-<br />

knappheit spiegelt sich <strong>in</strong> dem Preisniveau der Ladenmieten wider, das Anfang 1996<br />

<strong>in</strong> Spitzenlagen der Innenstadt bis zu 200,- DM/m2 erreichte.<br />

Im Saalkreis bef<strong>in</strong>det sich die stärkste Ballung <strong>von</strong> E<strong>in</strong>zelhandelsbetrieben, <strong>und</strong><br />

zwar <strong>in</strong> Peißen direkt an der Stadtgrenze zu Halle. Mit dem E<strong>in</strong>kaufszentrum<br />

,,Halle-Center" (53 500 m2), e<strong>in</strong>em Asko/Metro-Markt <strong>und</strong> mehreren Fachmärkten<br />

ist dort ,,vor der Haustür" der Stadt e<strong>in</strong>e Verkaufsflächenkonzentration <strong>von</strong> Ca.<br />

80 000 m2 entstanden, die große Teile des Kaufkraftabflusses aus Halle absorbiert.<br />

Aufgr<strong>und</strong> der räumlichen Nähe zu Leipzig nutzen die Bewohner <strong>von</strong> Halle <strong>und</strong> des<br />

Saalkreises auch die im Umland <strong>von</strong> Leipzig geschaffenen E<strong>in</strong>kaufsmöglichkeiten,<br />

wobei die Standorte an der Autobahn A9 (Wiedemar, Saalepark Günthersdorf) an<br />

vorderster Stelle stehen.<br />

Von der bis Anfang 1991 <strong>in</strong> der Stadt Rostock zusätzlich errichteten Verkaufsfläche<br />

<strong>von</strong> gut 16 000 m2 entfielen nur 3 500 m2 auf die eigentliche Innenstadt, da<strong>von</strong><br />

alle<strong>in</strong> 3 000 m2 auf die erste Ausbaustufe des Port-Centers. Das Port-Center ist e<strong>in</strong><br />

schwimmendes E<strong>in</strong>kaufszentrum, das im Hafen festgemacht wurde. Im endgültigen<br />

Ausbauzustand war e<strong>in</strong>e Verkaufsfläche <strong>von</strong> 14 500 m2 vorgesehen. Zwischen 1991<br />

<strong>und</strong> 1995 wurde dann im Rahmen <strong>von</strong> größeren Bauvorhaben <strong>in</strong> der Innenstadt<br />

zusätzlich 23 000 m2 Verkaufsfläche geschaffen.<br />

Im Umland Rostocks s<strong>in</strong>d nach der Wende neue Standorte des großflächigen E<strong>in</strong>-<br />

zelhandels unmittelbar westlich bzw. östlich der Stadtgrenze an den Ausfallstraßen<br />

entstanden, was dort zu e<strong>in</strong>er im Vergleich zur Innenstadt rasanten Ausweitung der<br />

Verkaufsfläche führte (vgl. Tabelle 5). Die neuen E<strong>in</strong>kaufszentren im Umland, die<br />

Tabelle 5: Neue großflächige E<strong>in</strong>zelhandelsprojekte im Rostocker Umland 1991-1995"<br />

Objekt<br />

Wohnwelt<br />

EKZ ,,Ostsee-Park"<br />

Picco-Möbel<br />

Elve GmbH<br />

E U „Komm"<br />

EKZ „Hanse<br />

Fachmarkt Zentrum"<br />

Standort<br />

Sievershagen<br />

Sievers hagen<br />

Elmenhorst<br />

Elmen h ors t<br />

Neuendorf<br />

Bentwisch<br />

~<br />

Jahr der<br />

Eröffnung<br />

199 1<br />

1994<br />

1992<br />

1993<br />

1994<br />

1995<br />

Verkaufsflächen<br />

m2<br />

5 000<br />

34 000<br />

5 000<br />

1200<br />

10 000<br />

42 000<br />

97 200<br />

Verkaufsflächen<br />

mit <strong>in</strong>nenstadt-<br />

relevantem<br />

Sortiment m2<br />

-<br />

23 000<br />

-<br />

1200<br />

10 000<br />

29 000<br />

63 200


60 Peter FrandRaimar RichedManfred Weilepp AfK 1/97<br />

e<strong>in</strong>e Komb<strong>in</strong>ation <strong>von</strong> k<strong>und</strong>enfrequenzschaffenden Fachmärkten <strong>und</strong> ,,Shopp<strong>in</strong>g-<br />

Malls" bieten, s<strong>in</strong>d konzeptionell <strong>von</strong> vornhere<strong>in</strong> auf e<strong>in</strong> cityrelevantes Angebot<br />

zugeschnitten. Auch die großflächigen Fachmärkte versuchen, ihre Umsätze durch<br />

die Here<strong>in</strong>nahme <strong>in</strong>nenstadtrelevanter Artikel (Geschenkartikel, Glas, Porzellan,<br />

Lampen) zu halten bzw. auszuweiten. Insoweit hat die Ausweitung der Verltaufsflä-<br />

chen im Umland die E<strong>in</strong>zelhandelsentwicklung <strong>in</strong> der Rostocker Innenstadt nicht<br />

unwesentlich bee<strong>in</strong>trächtigt.<br />

Nach der <strong>Handel</strong>s- <strong>und</strong> Gaststättenzählung stieg die Verkaufsfläche im E$irter<br />

E<strong>in</strong>zelhandel, die 1990 noch 63 000 m2 betragen hatte, bis zum 30.4. 1993 auf<br />

157000 m2 an. Die E<strong>in</strong>zelhandelsfläche <strong>in</strong> Erfurt war damit genauso groß wie <strong>in</strong><br />

dem um 40000 E<strong>in</strong>wohner größeren Rostock. Mitte November 1995 lag die Zahl<br />

der E<strong>in</strong>zelhandelse<strong>in</strong>richtungen bei 812 <strong>und</strong> die Verkaufsfläche bei r<strong>und</strong> 250 000 m2.<br />

Die Hälfte der städtischen Verkaufsfläche entfällt auf groflflächige E<strong>in</strong>zelhandelse<strong>in</strong>-<br />

richtungen mit Verkaufsflächen <strong>von</strong> 2000 m2 <strong>und</strong> mehr. In der Innenstadt liegen<br />

57 000 m2 oder 22,9 v. H. der E<strong>in</strong>zelhandelsverkaufsflächen. Die Entwicklung der<br />

Innenstadt <strong>von</strong> Erfurt vollzog sich ähnlich wie <strong>in</strong> den meisten Städten <strong>in</strong> Ost-<br />

deutschland. In den la-Lagen haben sich nach der Wende vornehmlich Banken,<br />

Filialen groi3er westdeutscher Ketten <strong>und</strong> Franchise-Unternehmen niedergelassen,<br />

die aufgr<strong>und</strong> ihrer Kapitalkraft <strong>in</strong> der Lage waren, die schnell steigenden Mieten<br />

bzw. Gr<strong>und</strong>stückspreise zu zahlen.<br />

Der größte Teil des Zuwachses an E<strong>in</strong>zelhandelsflächen <strong>in</strong> der Stadt Erfurt ist<br />

auflerhalb der Innenstadt erfolgt, <strong>und</strong> zwar <strong>in</strong> der Nähe großer Wohngebiete. Groi3-<br />

flächige E<strong>in</strong>zelhandelsprojekte liegen überwiegend <strong>in</strong> Gebieten, die nach Erfurt e<strong>in</strong>-<br />

geme<strong>in</strong>det wurden. Die Entwicklung des E<strong>in</strong>zelhandels <strong>in</strong> der Innenstadt <strong>und</strong> an<br />

Standorten auf der „Grünen Wiese" außerhalb der Stadtgrenze erreicht daher nicht<br />

die Größenordnung der anderen untersuchten Stadtregionen. Im unmittelbaren<br />

Umfeld der Stadt Erfurt gibt es lediglich zwei Möbelmärkte mit <strong>in</strong>nenstadtrelevan-<br />

ten Sortimenten.<br />

4. Gründe für das Zurückbleiben der Innenstädte<br />

Für die E<strong>in</strong>zelhandelsunternehmen gibt es e<strong>in</strong>e Anzahl <strong>von</strong> Standortalternativen,<br />

die Vorteile im H<strong>in</strong>blick auf das Unternehmensziel aufweisen, die also für e<strong>in</strong>e<br />

Ansiedlung attrahierend wirken (Pull-Faktoren), aber auch Nachteile, die e<strong>in</strong>er<br />

Ansiedlung eher im Wege stehen (Push-Faktoren). Den Befragten wurden verschiedene<br />

entscheidungsrelevant angesehene Faktoren vorgelegt, wobei darauf geachtet<br />

wurde, daß auch jene gebührende Berücksichtigung fanden, die die spezielle Situation<br />

<strong>in</strong> Ostdeutschland nach der Wende reflektierten. Dem liegt die Hypothese<br />

zugr<strong>und</strong>e, daß gerade e<strong>in</strong>igungsbed<strong>in</strong>gte Faktoren die Zahl der S tandortalternativen<br />

<strong>in</strong> den Stadtregionen entweder erweitern oder <strong>von</strong> vornhere<strong>in</strong> erheblich reduzieren<br />

könne+. Auch die Durchsetzung moderner Verkaufsltonzepte gehört zu jenen Fak-<br />

25 Nach der deutschen Vere<strong>in</strong>i un haben sich neue Handlungsspielräume besonders für<br />

kle<strong>in</strong>e Geme<strong>in</strong>den ergeben, J e ifr Flächenpotential im Ansiedlungswert nutzen konnten<br />

<strong>und</strong> so zu e<strong>in</strong>er Ausweitung der Ansiedlungmöglichkeiten grofiflächiger E<strong>in</strong>zelhandels-<br />

(Fortsetzung der Fußnote auf Seite 61)


AfK 1/97 <strong>Suburbanisierung</strong> <strong>von</strong> <strong>Handel</strong> <strong>und</strong> Dieastleistangen <strong>in</strong> Ostdeutschland 61<br />

toren, die Standortalternativen reduzieren: Verschiedene E<strong>in</strong>zelhandelssparten müs-<br />

sen e<strong>in</strong> breites Sortiment auf groi3en zusammenhängenden Flächen für vorwiegend<br />

mit dem Pkw anreisende K<strong>und</strong>en vorhalten26. Derartige Ansiedlungswünsche lassen<br />

sich wegen der Bodenpreise <strong>und</strong> Parkraumprobleme <strong>in</strong> den Zentren praktisch nur<br />

noch im Umland verwirklichen.<br />

Aus den Interviews mit E<strong>in</strong>zelhandelsunternehmen lassen sich folgende Aussagen<br />

über die Wichtigkeit e<strong>in</strong>zelner E<strong>in</strong>fluflfaktoren auf die Standortentscheidungen<br />

ableiten: Als wichtigste Pull-Faktoren werden <strong>von</strong> Unternehmen, die ihren Standort<br />

im Umland gewählt haben, die ,,gute Erreichbarkeit mit dem Pkw", das ,,Parkplatz-<br />

angebot für die K<strong>und</strong>en" sowie die ,,Nähe <strong>von</strong> K<strong>und</strong>enmagneten" genannt. Hohe<br />

Gewerbemieten <strong>und</strong> zu wenig Parkplätze s<strong>in</strong>d die wichtigsten Gründe dafür, daf3<br />

ke<strong>in</strong> Standort <strong>in</strong> der Innenstadt gewählt wurde (Push-Faktoren). Für die <strong>in</strong>nerstädti-<br />

schen Unternehmen s<strong>in</strong>d ,,hohe K<strong>und</strong>enfrequenz <strong>in</strong> der City" <strong>und</strong> das „positive<br />

Image der Innenstadt als E<strong>in</strong>kaufsort" entscheidend. Wie bei den Unternehmen im<br />

Umland, s<strong>in</strong>d auch aus der Sicht der Innenstadt zu hohe Gewerbemieten <strong>und</strong> Park-<br />

platzprobleme die wichtigsten Push-Faktoren27<br />

Die Ergebnisse der Befragung der Verwaltungsebenen decken sich im wesentlichen<br />

mit denen der Unternehmen. Als zusätzliche Push-Faktoren nennen die Verwal-<br />

tungsvertreter baurechtliche Hemmnisse sowie ungeklärte Eigentumsverhältnisse.<br />

Diese Nennungen s<strong>in</strong>d wahrsche<strong>in</strong>lich nicht zufällig, sondern durch die unter-<br />

schiedlichen Wahrnehmungsebenen der befragten Gruppen zu erklären. In Rostock<br />

gelten auch noch fehlende Gewerbeflächen, <strong>in</strong> Erfurt <strong>und</strong> Halle der Denkmalschutz<br />

als bedeutende Gründe für die momentan ger<strong>in</strong>ge Attraktivität der Innenstädte für<br />

standortsuchende E<strong>in</strong>zelhandelsunternehmen. Flächenhortung, Fehlnutzungen,<br />

Engpässe bei der Erstellung <strong>von</strong> Bebauungsplänen, die ungenügende Berücksichti-<br />

gung <strong>von</strong> Interessen des <strong>Handel</strong>s sowie die <strong>in</strong> den Städten höhere Gewerbesteuer<br />

stellen - den Antworten zur Folge - ke<strong>in</strong>e wesentlichen hemmenden Faktoren dar.<br />

Die Antworten zu den Positivfaktoren der peripheren Standorte lassen zwischen<br />

den Gruppen der Verwaltungen <strong>und</strong> der Unternehmen ke<strong>in</strong>e nennenswerten Unter-<br />

schiede erkennen.<br />

Insgesamt gesehen s<strong>in</strong>d die Unterschiede zwischen den Antworten der <strong>in</strong>nerstädti-<br />

sehen <strong>und</strong> der peripher gelegenen Unternehmen ger<strong>in</strong>ger als erwartet. Besonders<br />

(Fortsetzung der Fußnote <strong>von</strong> Seite 60)<br />

unternehmen im Umland beigetragen haben. Andererseits bedeutet die Geltendmachung<br />

<strong>von</strong> Eigentumsansprüchen an Immobilien <strong>in</strong> <strong>in</strong>nerstädtischen Bereichen e<strong>in</strong>e baurechtliche<br />

Blockierung <strong>von</strong> potentiellen <strong>Handel</strong>sstandorten. In die gleiche Richtung wirken<br />

raumordnungsrechtliche <strong>und</strong> Bestimmungen des Denkmalschutzes.<br />

26 Für den Möbelhandel vgl. Peter Holle, Der Kleiderschrank steht auf der „Grünen Wiese",<br />

<strong>in</strong>: Frankfurter R<strong>und</strong>schau vom 15. 8. 1995.<br />

27 Sowohl E<strong>in</strong>zelhändler <strong>in</strong> den Innenstädten als auch solche mit peripheren Standorten<br />

mafien den folgenden Faktoren als Gr<strong>und</strong> für die Ablehnung e<strong>in</strong>es Standortes <strong>in</strong> der<br />

Innenstadt e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>ge oder ke<strong>in</strong>e Bedeutung bei: der Höhe der Gewerbesteuer, der<br />

Eigentumsproblematik, dem Mangel an geei neten Flächen, Bau- <strong>und</strong> Gestaltungsaufla-<br />

gen sowie dem Denkmalschutz. In Erfurt un d - schwächer - <strong>in</strong> Halle werden abweichend<br />

da<strong>von</strong> auch Bauauflagen <strong>und</strong> dem Denkmalschutz starke ansiedlungshemmende Wirkun-<br />

gen zugeschrieben.


62 Peter Franz/Raimar Richert/Manfred Weilepp AfK 1/97<br />

auffällige Ubere<strong>in</strong>stimmungen <strong>in</strong> der E<strong>in</strong>schätzung der Bedeutung treten h<strong>in</strong>gegen<br />

bei der ,,KUndenfrequenz" <strong>und</strong> dem ,,positiven Image als E<strong>in</strong>kaufsort" (Innenstadt)<br />

sowie der ,,Nähe zu K<strong>und</strong>enmagneten'' (Umland) auf. Dies sche<strong>in</strong>t e<strong>in</strong> Indiz dafür<br />

ZU se<strong>in</strong>, dafi es den Unternehmen vor allem darum geht, e<strong>in</strong> gegebenes K<strong>und</strong>en-<br />

potential im E<strong>in</strong>zugsbereich möglichst gut auszuschöpfen. So zeigen die Interviews,<br />

daß es e<strong>in</strong>e erhebliche Zahl <strong>von</strong> Unternehmen gibt, die sowohl an Innenstadtstand-<br />

orten als auch mit e<strong>in</strong>er oder mehreren Filialen <strong>in</strong> den neuen E<strong>in</strong>kaufszentren an<br />

der Peripherie vertreten s<strong>in</strong>d. Dies gilt für überregional agierende Filialisten wie für<br />

expandierende mittelständische Unternehmen gleichermafien.<br />

Wie die Befragung zeigt, wurde das Problem der Steuerung der Ansiedlung <strong>von</strong><br />

groflflächigen E<strong>in</strong>zelhandelsunternehmen <strong>von</strong> den verantwortlichen Verwaltungen<br />

erkannt <strong>und</strong> frühzeitig thematisiert. Mit dem Vorliegen entsprechender Verordnun-<br />

gen <strong>und</strong> Landesgesetze wurden etwa ab Mitte 1992 zahlreichen Projekten die<br />

Genehmigung verweigert. Damit wurde aber ke<strong>in</strong>e vollständige Kontrolle der<br />

Expansion <strong>von</strong> großflächigen E<strong>in</strong>zelhandelse<strong>in</strong>richtungen erreicht, da bereits früher<br />

genehmigte Projekte fertiggestellt <strong>und</strong> bestehende Standorte erweitert wurden. Es<br />

wird aber auch der Druck sichtbar, dem die Städte zum e<strong>in</strong>en durch die Ansied-<br />

lungsdynamik im Umland im Zusammenhang mit den hierdurch drohenden Kauf-<br />

kraft- <strong>und</strong> Steuere<strong>in</strong>nahmeverlusten, zum anderen durch den Wunsch der Stadtbe-<br />

wohner nach attraktiven E<strong>in</strong>kaufsmöglichkeiten kurz nach der Vere<strong>in</strong>igung ausge-<br />

setzt waren. Damit ergab sich für westdeutsche Investoren die Gelegenheit, Projekte<br />

zu realisieren, die genau auf die Anforderungen überregional agierender <strong>Handel</strong>sket-<br />

ten zugeschnitten waren <strong>und</strong> deren besondere Kennzeichen die enormen Flächenan-<br />

Sprüche s<strong>in</strong>d. Angesichts der rapiden Motorisierung der ostdeutschen Haushalte<br />

konnten die E<strong>in</strong>kaufszentren vor den Städten schnell auf e<strong>in</strong>e hohe Akzeptanz <strong>in</strong><br />

der Bevölkerung verweisen.<br />

Dem Zurückbleiben der Innenstädte <strong>in</strong> Ostdeutschland liegt e<strong>in</strong>e Komb<strong>in</strong>ation ver-<br />

schiedener, sich zum Teil gegenseitig verstärkender S tandortvorteile im Umland<br />

<strong>und</strong> Standortnachteile <strong>in</strong> den Städten zugr<strong>und</strong>e. Das Tempo der Ausweitung <strong>von</strong><br />

Dienstleistungsstandorten im Umland trug zu e<strong>in</strong>er Verschärfung der Situation <strong>in</strong><br />

den Innenstädten bei. Trotz verbaler Bekenntnisse zum politischen Ziel der Innen-<br />

stadtrevitalisierung haben die politisch Verantwortlichen <strong>in</strong> allen vier untersuchten<br />

Städten E<strong>in</strong>kaufszentren auf städtischem Territorium <strong>in</strong> peripheren <strong>und</strong> nicht-<strong>in</strong>te-<br />

grierten Lagen genehmigt, deren Verkaufsfläche an die der Innenstadt heranreicht<br />

bzw. sie im Fall <strong>von</strong> Leipzig übertrifft. Der Gegensatz Innenstadt/Grüne Wiese ist<br />

zum<strong>in</strong>dest für die gewichtige <strong>und</strong> <strong>in</strong>teressante Gruppe überregional agierender<br />

Filialisten <strong>und</strong> expandierender mittelständischer E<strong>in</strong>zelhändler gar nicht relevant.<br />

Vielmehr zeigt sich das Bild e<strong>in</strong>er Art Arbeitsteilung zwischen Innenstadt <strong>und</strong><br />

Umland, wobei die Aufteilung der Aktivitäten zwischen Umland <strong>und</strong> Innenstadt<br />

auf mittlere Sicht <strong>und</strong> <strong>von</strong> Stadtregion zu Stadtregion durchaus für Veränderungen<br />

offen zu se<strong>in</strong> sche<strong>in</strong>t.<br />

5. Perspektiven der zukünBigen Entwicklung <strong>in</strong> den untersuchten Städten<br />

In Le$zig hat die sprunghafte Entwicklung <strong>von</strong> E<strong>in</strong>kaufszentren r<strong>und</strong> um die Stadt<br />

nicht zu e<strong>in</strong>er zunehmenden Verödung der City <strong>und</strong> zu e<strong>in</strong>em dauerhaften Verlust


AM 1/97 <strong>Suburbanisierung</strong> <strong>von</strong> <strong>Handel</strong> <strong>und</strong> <strong>Dienstleistungen</strong> <strong>in</strong> Ostdeutschland 63<br />

ihrer Attraktivität geführt. Selbst restitutionsbed<strong>in</strong>gte Planungs- <strong>und</strong> Baublockaden,<br />

langwierige Bauverfahren, fehlende Park- <strong>und</strong> Verkehrsleitkonzepte sowie die Kon-<br />

kurrenz e<strong>in</strong>es attraktiven E<strong>in</strong>kaufszentrums am Stadtrand haben dort bisher nur ZU<br />

e<strong>in</strong>er Verlangsamung des Verkaufsflächenzuwachses geführt. Die groflen Kaufhaus-<br />

filialen schätzen ihren Standort <strong>in</strong> der Innenstadt optimistisch e<strong>in</strong>. Mit der Ansied-<br />

lung weiterer Fachgeschäfte werden die Spezialisierungsvorteile der Leipziger City<br />

sichtbar. Der Strategie e<strong>in</strong>iger peripherer Zentren, sich durch zusätzliche Dienstlei-<br />

stungsunternehmen im Sport- <strong>und</strong> Freizeitbereich zu arrondieren <strong>und</strong> damit zusätz-<br />

liche Attraktivität gegenüber der Innenstadt zu gew<strong>in</strong>nen, wird gegenwärtig durch<br />

die Raumordnungsbehörden gegengesteuert. Negativ s<strong>in</strong>d die Aussichten der Han-<br />

delsstandorte <strong>in</strong> den Stadtteilzentren. Sie s<strong>in</strong>d <strong>von</strong> der Konkurrenz im Umland<br />

betroffen. Entwicklungshemmend wirkt sich gerade bei den achsenförmigen Zentren<br />

weiterh<strong>in</strong> die starke Verkehrszunahme aus.<br />

In der Stadtregion Rostock ist, wie aus Befragungsergebnissen <strong>von</strong> E<strong>in</strong>zelhandels-<br />

k<strong>und</strong>en ableitbar ist, die Innenstadt nach wie vor e<strong>in</strong> beliebter E<strong>in</strong>kaufsort. Mit der<br />

Verbesserung des städtischen Ersche<strong>in</strong>ungsbildes <strong>und</strong> der Beseitigung der noch<br />

bestehenden Hemmnisse wird die Attraktivität der Innenstadt Rostocks steigen. So<br />

wird die Sanierung der Altbausubstanz der historischen Altstadt vorangetrieben. In<br />

der Innenstadt haben attraktive Geschäftspassagen eröffnet, weitere bef<strong>in</strong>den sich<br />

im Bau. E<strong>in</strong> Generalverkehrsplan, der die Neuordnung des öffentlichen Personen-<br />

nahverkehrs vorsieht <strong>und</strong> bereits Anfang 1994 durch die Bürgerschaft der Stadt<br />

bestätigt wurde28, wird zu e<strong>in</strong>er Verbesserung der Verkehrsverhältnisse beitragen.<br />

Aui3erdem besteht die Absicht, e<strong>in</strong>e engere Verflechtung zwischen City <strong>und</strong> dem<br />

stadtseitigen Ufer der Warnow herzustellen. Die Verwirklichung dieser Pläne würde<br />

unter E<strong>in</strong>beziehung <strong>von</strong> identitätsstiftenden Hafenbauten e<strong>in</strong> Nebene<strong>in</strong>ander <strong>von</strong><br />

neuen attraktiven Flächen für Büronutzung, E<strong>in</strong>zelhandel <strong>und</strong> Wohnzwecke schaf-<br />

fen, das für die Besucher der Stadt zu e<strong>in</strong>em neuen unverwechselbaren Ambiente<br />

Rostocks beitragen könnte. Die Stadt Rostock hat demnach gute Voraussetzungen,<br />

für den <strong>Handel</strong> attraktiver zu werden, wenn sie bei der Verbesserung ihres gesamten<br />

Ersche<strong>in</strong>ungsbildes auf die Vorteile ihrer Lage am Wasser setzt <strong>und</strong> die beg<strong>in</strong>nende<br />

Aufwertung ihrer <strong>in</strong>nerstädtischen Quartiere durch e<strong>in</strong>e entsprechende Stadtent-<br />

wicklungspolitik abzusichern sucht.<br />

Verschiedene Faktoren sprechen dafür, daf3 <strong>in</strong> Egzrt gute Chancen bestehen, die<br />

Zentrumsfunktion der Innenstadt wieder zu stärken. So ist zu erwarten, dai3 <strong>in</strong><br />

Zukunft kaum noch groi3flächige E<strong>in</strong>zelhandelse<strong>in</strong>richtungen aufierhalb der Innen-<br />

stadt errichtet werden, da solche E<strong>in</strong>richtungen raumordnerisch nicht mehr befür-<br />

wortet werden. Auch im Stadtrandbereich werden gemäi3 e<strong>in</strong>em Stadtratsbeschlui3<br />

ke<strong>in</strong>e gröfieren <strong>Handel</strong>sflächen mehr genehmigt. Ausnahmen gibt es nur noch <strong>in</strong><br />

solchen Fällen, bei denen <strong>in</strong> den bis 1994 selbständigen Geme<strong>in</strong>den bereits Vorab-<br />

genehmigungen erteilt wurden. Nach Fertigstellung der noch im Bau bef<strong>in</strong>dlichen<br />

E<strong>in</strong>richtungen wird der Anteil der Innenstadt an den gesamten Verkaufsflächen<br />

zunächst e<strong>in</strong>mal leicht zurückgehen, E<strong>in</strong>e Realisierung auch nur e<strong>in</strong>es Teiles weite-<br />

28 vgl. Rostocker Stadtentwicklung im Spagat, <strong>in</strong>: Die Welt vom 8.3. 1994.


64 Peter Franz/Raimar Richert/Manfred Weilepp<br />

AK 1/97<br />

rer vorliegender Projektüberlegungen wird die Gewichte aber wieder zugunsten der<br />

Innenstadt verschieben, da zu erwarten ist, dai3 die <strong>in</strong> den Planungen vorgesehene<br />

Relation zwischen Innenstadt <strong>und</strong> Randstandorten e<strong>in</strong>gehalten wird. E<strong>in</strong> zusätz-<br />

licher positiver E<strong>in</strong>fluf;: auf die Entwicklung der Innenstadt könnte <strong>von</strong> der Attrakti-<br />

vität des mittelalterlichen AltStadtkerns für Touristen ausgehen. Die Erhöhung der<br />

Besucherzahlen der Stadt wird nicht nur die Zahl der K<strong>und</strong>en <strong>in</strong> der Innenstadt<br />

erhöhen, sondern auch die Ansiedlung <strong>von</strong> gastronomischen Betrieben begünstigen.<br />

Ebenso wird sich die Funktion Erfurts als Landeshauptstadt auf längere Sicht posi-<br />

tiv auswirken.<br />

Der Altstadtkern der Stadt Halle erfüllt <strong>von</strong> se<strong>in</strong>en architektonischen <strong>und</strong> soziokul-<br />

turellen Merkmalen her viele Voraussetzungen für e<strong>in</strong> pulsierendes Zentrum mit<br />

hoher urbaner Erlebnisqualität. Der kurz nach der Vere<strong>in</strong>igung stürmisch verlaufene<br />

Aufbau des privaten E<strong>in</strong>zelhandels ist <strong>in</strong> Halle <strong>von</strong> 1993 an e<strong>in</strong>er Stagnation gewi-<br />

chen, für die neben den allgeme<strong>in</strong>en Entwicklungshemmnissen weitere H<strong>in</strong>dernisse<br />

verantwortlich s<strong>in</strong>d, deren Beseitigung zum Teil aui3erhalb der Handlungsmöglich-<br />

keiten der Stadt liegt. An erster Stelle ist hier die Verkehrssituation zu nennen, die<br />

erst mit der geplanten Errichtung e<strong>in</strong>es entlastenden Autobahnr<strong>in</strong>gs nachhaltig ZU<br />

verbessern se<strong>in</strong> dürfte. Allerd<strong>in</strong>gs wird sich dessen bauliche Umsetzung bis <strong>in</strong> die<br />

Mitte des nächsten Jahrzehnts h<strong>in</strong>ziehen.<br />

Die <strong>in</strong>nerstädtische FIächenknappheit wird sich für den E<strong>in</strong>zelhandel frühestens<br />

dann entspannen, wenn zwei zentral gelegene Grogprojekte bezugsfertig werden,<br />

<strong>von</strong> denen man hofft, dai3 sie als neue Anziehungspunkte im Zentrum die kritische<br />

Schwelle zu überschreiten helfen, über welche die Innenstadtentwicklung bislang<br />

nicht h<strong>in</strong>ausgekommen ist. Solange diese Vorhaben nicht fertiggestellt s<strong>in</strong>d, können<br />

die E<strong>in</strong>kaufszentren im Umland Wettbewerbsvorteile ausspielen. Aufgr<strong>und</strong> der<br />

Nähe ZU den im Umland <strong>von</strong> Leipzig geschaffenen E<strong>in</strong>kaufsmöglichkeiten besteht<br />

für die Bevölkerung <strong>von</strong> Halle <strong>und</strong> Saalkreis aber auch danach e<strong>in</strong> starker Anreiz,<br />

diese E<strong>in</strong>richtungen zu nutzen.<br />

Betrachtet man die Entwicklung der untersuchten Städte <strong>in</strong>sgesamt, so liegt der<br />

Schlui3 nahe, dai3 die <strong>in</strong> den etablierten ökonomischen <strong>und</strong> sozialökologischen<br />

Theorien der S tadtentwicklung postulierte Entwicklungsdom<strong>in</strong>anz des Zentrums im<br />

Fall der ostdeutschen Städte aufgehoben sche<strong>in</strong>t. Verantwortlich hierfür s<strong>in</strong>d zum<br />

e<strong>in</strong>en die jahrzehntelange umfassende Fesselung marktwirtschaftlicher Mechanismen<br />

unter dem planwirtschaftlichen System, zum anderen die vere<strong>in</strong>igungsbed<strong>in</strong>gten<br />

Regularien der Rückübertragungsmöglichkeit früheren Immobilieneigentums, die<br />

praktisch e<strong>in</strong>er Bau- <strong>und</strong> Veränderungssperre für die zentralen (<strong>und</strong> begehrtesten)<br />

Lagen gleichkamen. Die Untersuchung macht aber auch deutlich, dai3 das Ausmag<br />

des Zentralitätsverlustes <strong>in</strong> den e<strong>in</strong>zelnen Stadtregionen ke<strong>in</strong>eswegs identisch ist<br />

<strong>und</strong> besonders die Entwicklungsperspektiven unter Status-quo-Bed<strong>in</strong>gungen durch-<br />

aus Unterschiede aufweisen.<br />

Nimmt man dies zum Ausgangspunkt, so s<strong>in</strong>d allgeme<strong>in</strong> drei Pfade zukünftiger<br />

Stadtentwicltlung <strong>in</strong> Ostdeutschland denkbar:<br />

- Pfad I: An anderen, weniger <strong>von</strong> Restriktionen bee<strong>in</strong>trächtigten Standorten im<br />

städtischen E<strong>in</strong>zugsbereich entstehen praktisch ,,Ersatz-Innenstädte", die zum<strong>in</strong>-<br />

dest annäherungsweise das bieten, was <strong>von</strong> e<strong>in</strong>er westdeutschen Innenstadt erwar-


AfK 1/97 <strong>Suburbanisierung</strong> <strong>von</strong> <strong>Handel</strong> <strong>und</strong> <strong>Dienstleistungen</strong> <strong>in</strong> Ostdeutschland 65<br />

tet wird. Die vielen E<strong>in</strong>kaufszentren <strong>und</strong> die Tendenz, diese durch kultur- <strong>und</strong><br />

freizeitorientierte <strong>Dienstleistungen</strong> zu ergänzen, sche<strong>in</strong>en diese These ZU stützen.<br />

Wach e<strong>in</strong>er Aufhebung der <strong>in</strong>nerstädtischen Veränderungssperren wäre aber ZU<br />

erwarten, daß die nach wie vor zentrumsorientierten Konsumentenpräferenzen<br />

das Pendel wieder zugunsten der Innenstadt ausschlagen ließen.<br />

- Pfad 2: Das Stadtzentrum verliert se<strong>in</strong>e dom<strong>in</strong>ante Stellung als Ausgangsort der<br />

Stadtentwicklung auf Dauer, <strong>und</strong> die Entwicklungsdynamik verteilt sich auf die<br />

neu entstehenden kle<strong>in</strong>eren Zentren im Umland. Diese Tendenz wird unterstützt<br />

durch den Drang kle<strong>in</strong>erer Geme<strong>in</strong>den nach mehr Autonomie, welche ihnen<br />

über Jahrzehnte vorenthalten worden war29. Das Ergebnis dieses Entwicklungs-<br />

pfads wäre im Endeffekt e<strong>in</strong>e polyzentrische Entwicklung, bei der die Innenstadt<br />

zu e<strong>in</strong>em Entwicklungskern unter mehreren herabgestuft wäre. Hier ist zum<br />

e<strong>in</strong>en denkbar, dai3 das Stadtzentrum se<strong>in</strong>e unangefochtene Rolle als alle<strong>in</strong>iger<br />

Mittelpunkt e<strong>in</strong>er Region verliert, aber dennoch als Innenstadt mit e<strong>in</strong>em spe-<br />

ziellen Angebot oder besonderen Funktionen weiter attraktiv bleibt (Pfad 2 a).<br />

Denkbar ist jedoch auch, daß sie große Kaufhäuser, Angebotsvielfalt <strong>und</strong> geho-<br />

bene tertiäre Funktionen an andere Subzentren verliert <strong>und</strong> lediglich als Schatten<br />

e<strong>in</strong>er ehemals lebendigen Innenstadt existiert (Pfad 2 b).<br />

- Pfad 3: Das Stadtzentrum <strong>und</strong> <strong>in</strong> der Folge da<strong>von</strong> die Stadt verlieren ihre Zen-<br />

trumsfunktion <strong>und</strong> ihre Rolle als Wachstumspol völlig. Neben den größeren<br />

Unternehmen würden auch die Bewohner mit mittleren <strong>und</strong> höheren E<strong>in</strong>kom-<br />

men <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>ere prosperierende Geme<strong>in</strong>den abwandern <strong>und</strong> der Stadt als Steuer-<br />

zahler verlorengehen30. Tendenzen zur Verslumung <strong>und</strong> zum Verfall der öffent-<br />

lichen Infrastruktur würden e<strong>in</strong>setzen <strong>und</strong> die Gr<strong>und</strong>lage für e<strong>in</strong>en sich selbst<br />

verstärkenden Prozeß der Abwärtsentwicklung bilden.<br />

Im H<strong>in</strong>blick auf die vier untersuchten Stadtregionen stellt sich die Frage, ob es<br />

Anhaltspunkte dafür gibt, welche der drei Varianten sich zukünftig durchsetzen<br />

wird. Unter Berücksichtigung der bisherigen Diskussion ist zu erwarten, daß sich<br />

die Stadtregionen Halle <strong>und</strong> Leipzig <strong>in</strong> Richtung auf Pfad 2, die Stadtregionen<br />

Rostock <strong>und</strong> Erfurt dagegen stärker <strong>in</strong> Richtung auf Pfad 1 zubewegen. Die Zuord-<br />

nung <strong>von</strong> Halle <strong>und</strong> Leipzig zu Pfad 2 bedeutet allerd<strong>in</strong>gs nicht, dai;: die Situation<br />

der beiden Innenstädte als identisch anzusehen ist. Zwar ist die Leipziger City nicht<br />

mehr alle<strong>in</strong>iger Entwicklungsschwerpunkt der Region. Sie gew<strong>in</strong>nt jedoch an Attrak-<br />

tivität zurück, spezialisiert sich auf gehobene tertiäre Funktionen <strong>und</strong> dürfte mittel-<br />

fristig lebendiges Zentrum e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>nerhalb Ostdeutschlands vergleichsweise prospe-<br />

rierenden Region se<strong>in</strong> (Pfad 2 a). Im Falle Halles besteht dagegen die Gefahr, daß<br />

e<strong>in</strong>e Revitalisierung der Innenstadt vorerst nicht mehr gel<strong>in</strong>gt, weil das Umland <strong>und</strong><br />

die Anziehungskraft Leipzigs bereits zu stark s<strong>in</strong>d (Pfad 2 b). Der Entwicklungs-<br />

Pfad 3 kann zwar für die untersuchten Städte ausgeschlossen werden, was aber nicht<br />

heifit, daß er für die ostdeutschen Städte <strong>in</strong>sgesamt unzutreffend wäre. Die Entwick-<br />

29 Ebenfalls <strong>in</strong> diese Richtung wirken Versuche, Innenstädte mit historischer Bausubstanz zu<br />

musealisieren.<br />

30 Rene L. Frey, Okonomie der städtischen Mobilität. Durch Kostenwahrheit zur nachhalti-<br />

gen Entwicklung des Agglomerationsverkehrs, Zürich 1994, S. 20.


66 Peter FrandRaimar RichedManfred Weilepp AfK 1/97<br />

lungsprobleme e<strong>in</strong>iger kle<strong>in</strong>erer Städte im sächsischen <strong>und</strong> im brandenburgisch-vor-<br />

pommerschen Raum sche<strong>in</strong>en durchaus <strong>in</strong> Richtung dieses „worst case"-Pfades zu<br />

weisen.<br />

Die Beurteilung der möglichen Entwicklungspfade <strong>und</strong> die E<strong>in</strong>stufung des Pfades 3<br />

als ,,worst casecc implizieren für die Stadtentwicklung e<strong>in</strong> Leitbild, das dem der<br />

belebten Innenstadt entspricht.<br />

V<br />

Kann am Leitbild der belebten Innenstadt festgehalten werden ?<br />

In der öffentlichen <strong>und</strong> politischen Diskussion wird die lebendige Innenstadt als<br />

zentraler Ort für e<strong>in</strong>e Vielzahl <strong>von</strong> Funktionen wie <strong>Handel</strong>, Kultur, Freizeit, Dienst-<br />

leistungen, Arbeiten <strong>und</strong> Wohnen als das anzustrebende Leitbild angesehen. Ange-<br />

sichts der oben prognostizierten Entwicklungspfade 2 <strong>und</strong> 3 ist die Frage zu stellen,<br />

<strong>in</strong>wieweit dieses nach wie vor stark vertretene Leitbild noch als realistisches politi-<br />

sches Ziel anzusehen ist. Für zahlreiche ostdeutsche Stadtregionen ist nicht zu ver-<br />

kennen, daß die tatsächliche Entwicklung <strong>in</strong> Diskrepanz zu diesem Leitbild der<br />

lebendigen Innenstadt verläuft <strong>und</strong> durch politische Maßnahmen immer schwieri-<br />

ger <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Richtung umlenkbar ersche<strong>in</strong>t. Im Pr<strong>in</strong>zip können aus verschiedenen<br />

Perspektiven heraus normative Maßstäbe für die Bewertung <strong>und</strong> Zielf<strong>in</strong>dung <strong>von</strong><br />

Stadtentwicklungsprozessen begründet werden. E<strong>in</strong>ige dieser Perspektiven werden<br />

im folgenden etwas genauer daraufh<strong>in</strong> überprüft.<br />

Aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive ist diejenige Verteilung der wirtschaftlichen<br />

Aktivitäten im Raum anzustreben, die e<strong>in</strong>en maximalen Wohlstand für den Gesamt-<br />

raum ermöglicht. Gr<strong>und</strong>sätzlich sollte die räumliche Allokation über Marktprozesse<br />

gesteuert werden. Dies setzt allerd<strong>in</strong>gs voraus, daß der Staat die Rahmenbed<strong>in</strong>gun-<br />

gen so gestaltet, dai3 die Entscheidungen der privaten Wirtschaftssubjekte zu<br />

gesamtwirtschaftlich optimalen Lösungen führen. In der Realität ist dies oft nicht<br />

gegeben, wie z. B. beim Vorliegen externer Effekte, was staatliches E<strong>in</strong>greifen<br />

begründen kann, Allerd<strong>in</strong>gs ist es <strong>in</strong> der Praxis oft schwierig, durch staatliche Inter-<br />

ventionen zu gesamtwirtschaftlich besseren räumlichen Ailokationsergebnissen zu<br />

gelangen. Auch im Falle Ostdeutschlands ist ke<strong>in</strong>esfalls sichergestellt, dai3 e<strong>in</strong>e kon-<br />

sequente Internalisierung externer Effekte dem Leitbild der belebten Innenstadt för-<br />

derlich wäre.<br />

Aus regionalpolitischer Perspektive läßt sich die belebte Innenstadt als ,,weicher cc<br />

Standortfaktor <strong>in</strong>terpretieren, dessen Entwicklung für die Attraktivität Ostdeutsch-<br />

lands als Wirtschaftsstandort förderlich ist. Es ist allerd<strong>in</strong>gs kaum nachzuweisen,<br />

daß der derzeitige Zustand der Städte e<strong>in</strong>en Engpaßfaktor im ökonomischen Ent-<br />

wicklungsprozeß Ostdeutschlands darstellt.<br />

Aus stadtökonomischer Perspektive ist <strong>in</strong> Stadtregionen die räumliche Struktur anzu-<br />

streben, bei der der knappe Faktor Boden effizient genutzt wird. Typischenveise sie-<br />

deln sich im Zentrum diejenigen Aktivitäten an, die je Flächene<strong>in</strong>heit die höchste<br />

Wertschöpfung erzielen. E<strong>in</strong>zelhändler, deren standortbezogene Grenzerträge nicht<br />

mehr die Grenzkosten decken, werden verdrängt. Die Abwanderung ist z. T. auch


AfK 1/97 <strong>Suburbanisierung</strong> <strong>von</strong> <strong>Handel</strong> <strong>und</strong> <strong>Dienstleistungen</strong> <strong>in</strong> Ostdeutschland 67<br />

durch neue <strong>Handel</strong>sformen bed<strong>in</strong>gt, die aufgr<strong>und</strong> ihres hohen Flächenbedarfs an<br />

Standorten mit niedrigeren Bodenpreisen wirtschaftlicher betrieben werden können.<br />

Anstelle der nicht mehr wettbewerbsfahigen Teile des E<strong>in</strong>zelhandels treten <strong>in</strong> den<br />

Innenstädten dann andere Funktionen. Die Abwanderung <strong>von</strong> Teilen des E<strong>in</strong>zel-<br />

handels ist nicht mit Verödung gleichzusetzen <strong>und</strong> kann im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er wirtschaft-<br />

lich effizienten Arbeitsteilung <strong>in</strong> Stadtregionen se<strong>in</strong>.<br />

Aus raumordnungspolitischer Perspektive ist das Leitbild der belebten Innenstadt mit<br />

dem <strong>in</strong> den Raumordnungsplänen propagierten Zentrale-Orte-Konzept <strong>und</strong> dem<br />

Leitbild der dezentralen Konzentration kompatibel. Nach beiden Konzepten soll<br />

die Versorgungsstruktur auf zentrale Orte ausgerichtet werden.<br />

Das Leitbild der belebten Innenstadt ersche<strong>in</strong>t zwar mit raumordnungspolitischen<br />

Vorgaben kompatibel, aber weder aus gesamtwirtschaftlicher noch aus regionalpoli-<br />

tischer oder stadtökonomischer Perspektive ist ableitbar, da13 die ostdeutschen<br />

Innenstädte zw<strong>in</strong>gend jene Funktion wahrnehmen <strong>und</strong> Strukturen aufweisen müi3-<br />

ten, die diesem Leitbild entsprechen. Insbesondere aus gesamtwirtschaftlicher, aber<br />

auch aus stadtökonomischer Sicht s<strong>in</strong>d Stadtstrukturen denkbar, die nicht mit ihm<br />

im E<strong>in</strong>klang stehen. Daf3 die <strong>in</strong> Abschnitt V vorgestellten politischen Magnahmen<br />

letztlich doch e<strong>in</strong>e (wieder-)belebte Innenstadt zum Ziel haben, liegt daran, daß bis-<br />

her ke<strong>in</strong>e überzeugenden alternativen Leitbilder existieren, an die konkrete Mag-<br />

nahmeempfehlungen zu knüpfen wären. In dieser H<strong>in</strong>sicht gilt es, künftig gröi3ere<br />

wissenschaftliche <strong>und</strong> politisch-konzeptionelle Anstrengungen zu <strong>in</strong>vestieren.<br />

VI<br />

Pro blemadäqu a te politische Maßnahmen<br />

Die Steigerung der Attraktivität der Innenstädte ist e<strong>in</strong>e Aufgabe, für die primär die<br />

kommunale Ebene, also die Städte selbst, verantwortlich s<strong>in</strong>d. Nach dem Subsidia-<br />

ritätspr<strong>in</strong>zip sollten die lokalen Akteure über die konkrete Auswahl der Instrumente<br />

<strong>und</strong> die Dosierung der Magnahmen mit Blick auf die stadtspezifischen Besonder-<br />

heiten entscheiden. Aufgr<strong>und</strong> ihrer Ortskenntnisse ist zu vermuten, daf3 sie e<strong>in</strong> aus-<br />

geprägtes Problembewußtse<strong>in</strong> für konfliktträchtige Entwicklungen haben <strong>und</strong> auch<br />

über Informationsvorsprünge h<strong>in</strong>sichtlich e<strong>in</strong>zusetzender Maflnahmen verfügen.<br />

Den Städten stehen <strong>in</strong>sbesondere folgende Magnahmen zur Verfügung, die zur<br />

Attraktivitätssteigerung der Innenstädte e<strong>in</strong>gesetzt werden können:<br />

- Verbesserung der Erreichbarkeit: Die Städte haben sich bisher darauf verlassen,<br />

daf3 ihre Zentren mit dem öffentlichen Personennahverkehr sehr gut erreichbar<br />

s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> dai3 dessen Transportkapazität auch ausreichend genutzt wird. Nach-<br />

dem es bisher aber nicht gelungen ist, nennenswerte Anteile Pkw-benutzender<br />

Innenstadtbesucher zum Umstieg auf den OPNV zu veranlassen, sollten die<br />

Städte vermehrt Parkmöglichkeiten am Innenstadtrand erschliegen.<br />

- BereitsteZZmg <strong>von</strong> FZächen: Die Städte sollten <strong>in</strong>tensiver als bisher unzureichend<br />

genutzte <strong>in</strong>nerstädtische Flächen durch Vorhaben- <strong>und</strong> Erschließungspläne<br />

gemäi3 5 7 Baugesetzbuch <strong>in</strong> Komb<strong>in</strong>ation mit dem Investitionsvorranggesetz für<br />

Bauvorhaben verfügbar machen.


68 Peter Franz/Raimar Richert/Manfred Weilepp AM 1/97<br />

- E<strong>in</strong>führung <strong>von</strong> City-Market<strong>in</strong>g <strong>und</strong> City-Management: Der <strong>in</strong>nerstädtische E<strong>in</strong>-<br />

zelhandel ist bisher nur <strong>in</strong> E<strong>in</strong>zelfällen dazu übergegangen, sich durch Zusam-<br />

menschluli zu Interessen- oder Aktionsgeme<strong>in</strong>schaften zu organisieren. Dement-<br />

sprechend mangelt es an Koord<strong>in</strong>ation bei den Ladenöffnungszeiten <strong>und</strong> an<br />

geme<strong>in</strong>samen Werbe- <strong>und</strong> Veranstaltungsaktionen. Dieser mangelnden Organisa-<br />

tionsbereitschaft kann mit der Initiierung <strong>und</strong> der begleitenden Unterstützung<br />

<strong>von</strong> City-Market<strong>in</strong>g-Prozessen begegnet werden.<br />

- Verbesserzkng des <strong>in</strong>nerstädtischen Ersche<strong>in</strong>ungsbilds: Die mangelnde Attraktivität<br />

der Innenstadt als E<strong>in</strong>kaufsort ist nicht alle<strong>in</strong> Folge des unzureichenden E<strong>in</strong>zel-<br />

handelsbesatzes, sondern wird auch mitbestimmt durch das Ersche<strong>in</strong>ungsbild der<br />

E<strong>in</strong>kaufszonen. Die Gestaltung dieses Ersche<strong>in</strong>ungsbildes liegt zu weiten Teilen<br />

<strong>in</strong> der Hand der Städte wie z. B. h<strong>in</strong>sichtlich Beleuchtung, Begrünung, Möblie-<br />

rung <strong>und</strong> Sauberkeit.<br />

- Sicherzkng des kulturellen Angebots: E<strong>in</strong>e hohe Aufenthaltsqualität <strong>in</strong> der Innen-<br />

stadt ist durch dichten E<strong>in</strong>zelhandelsbesatz alle<strong>in</strong> nicht gewährleistet, sondern<br />

wird erst durch e<strong>in</strong>en Mix mit zusätzlichen kulturellen <strong>und</strong> gastronomischen<br />

Nutzungen erreicht. H<strong>in</strong>sichtlich des kulturellen Angebots besitzen kommunale<br />

Verwaltungen e<strong>in</strong>e Fülle <strong>von</strong> Gestaltungs- <strong>und</strong> Fördermöglichkeiten.<br />

Die vorstehend benannten Mal<strong>in</strong>ahmen zur Innenstadt-Revitalisierung lassen außer<br />

Betracht, daß die Innenstädte der Konkurrenz der im Umland <strong>und</strong> <strong>in</strong>zwischen auch<br />

an den Stadträndern entstandenen <strong>Handel</strong>sstandorte ausgesetzt s<strong>in</strong>d, welche selbst<br />

permanent versuchen, ihre Wettbewerbssituation zu verbessern. Zur Bee<strong>in</strong>flussung<br />

dieser Konstellationen stehen den Städten im Pr<strong>in</strong>zip nur zwei Kanäle der E<strong>in</strong>flug-<br />

nahme zur Verfügung, <strong>von</strong> denen der e<strong>in</strong>e über den Modus des Konflikts, der andere<br />

über den konsensorientierten Modus der Kooperation <strong>und</strong> Koord<strong>in</strong>ation verläuft.<br />

Konfliktorientierte Strategien kommen <strong>in</strong> jenen Fällen zur Anwendung, <strong>in</strong> denen<br />

die Städte durch E<strong>in</strong>spruch oder ablehnende Stellungnahme die Bau-, Ansiedlungs-<br />

<strong>und</strong> Erweiterungspläne <strong>in</strong> benachbarten Kommunen unter dem H<strong>in</strong>weis darauf zu<br />

bee<strong>in</strong>flussen versuchen, daf;: hierdurch ihre Raumordnungsfunktion als Oberzen-<br />

trum bee<strong>in</strong>trächtigt wäre oder andere Belange der Regionalplanung (z. B. ökologi-<br />

sche) nicht genügend berücksichtigt würden. Die Anwendung dieser Strategie bedarf<br />

rechtlicher Gr<strong>und</strong>lagen, wie sie z. B. im Baugesetzbuch (5 2 Abs. 2) enthalten s<strong>in</strong>d.<br />

Durch die Verabschiedung <strong>von</strong> Raumordnungsgesetzen, Landesentwicklungspro-<br />

grammen <strong>und</strong> Flächennutzungsplänen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>sgesamt die rechtlichen E<strong>in</strong>spruchs-<br />

möglichkeiten für die Orte mit höherer Zentralität verbessert worden31. Die bisheri-<br />

gen Erfahrungen mit dieser Strategie zeigen jedoch auch, daß Umlandkommunen<br />

<strong>und</strong> Investoren <strong>in</strong> gerichtlichen Ause<strong>in</strong>andersetzungen relativ erfolgreich waren<br />

bzw. Wege fanden, die bestehenden Bestimmungen zu umgehen32.<br />

31 Zu den Etappen der E<strong>in</strong>führung entsprechender Gesetze <strong>in</strong> Sachsen Rita Sparschuh, Sachsen:<br />

<strong>Handel</strong> im Wandel, <strong>in</strong>: Leipziger Wirtschaft, 1995, Nr. 9, S. 51 (Zeitschrift der IHK).<br />

32 E<strong>in</strong> Beispiel hierfür ist die räumliche Konzentration mehrerer nicht grogflächiger E<strong>in</strong>zelhan-<br />

delsbetriebe, die für sich genommen nicht den Bestimmungen des fj 11 Abs. 3 der BauNVO<br />

unterliegen. Dazu Arrn<strong>in</strong> Busacker, Sonderproblem: Agglomeration <strong>von</strong> nicht großflächigen<br />

E<strong>in</strong>zelhandelsbetrieben, <strong>in</strong>: B<strong>und</strong>esarbeitsgeme<strong>in</strong>schaft der Mittel- <strong>und</strong> Grollbetriebe des E<strong>in</strong>-<br />

zelhandels e. V. (Hrsg.), Standortfragen des <strong>Handel</strong>s, 5. Aufl. Köln 1995, s. 71 f. i<br />

8<br />

i


I<br />

AfK 1/97 <strong>Suburbanisierung</strong> <strong>von</strong> <strong>Handel</strong> <strong>und</strong> <strong>Dienstleistungen</strong> <strong>in</strong> Ostdeutschland 69<br />

E<strong>in</strong>e andere konfliktorientierte Strategie wird <strong>von</strong> den Städten mit der Praxis ver-<br />

folgt, selbst Flächen für E<strong>in</strong>kaufszentren am Stadtrand auszuweisen <strong>und</strong> Baugeneh-<br />

migungen zu erteilen. Hiermit wird zwar die Lage der Innenstadt nicht verbessert,<br />

jedoch gew<strong>in</strong>nt die Stadt <strong>in</strong>nerhalb ihres Territoriums konkurrenzfähige Standorte,<br />

die ans Umland verlorene Kaufkraft <strong>und</strong> drohende Verluste an Gewerbesteuern wie-<br />

der rückb<strong>in</strong>det <strong>und</strong> die Expansion <strong>und</strong> Neuentstehung <strong>von</strong> <strong>Handel</strong>sstandorten im<br />

Umland riskanter werden 1äf3t. Diese Strategie ist mit dem Ziel der Innenstadt-Revi-<br />

talisierung nicht kompatibel.<br />

Konsensorientierte Strategien tauchen <strong>in</strong> den politischen Empfehlungen zur Revita-<br />

lisierung der Innenstädte durchgängig auf. Allerd<strong>in</strong>gs wird meist nicht erläutert, wie<br />

solche <strong>in</strong>terkommunalen Kooperationen <strong>und</strong> Absprachen zustande kommen sollen.<br />

Zu er<strong>in</strong>nern ist <strong>in</strong> diesem Kontext an den seit dem Frühjahr 1990 geltenden recht-<br />

lichen Rahmen kommunaler Autonomie, der gerade für die zur DDR-Zeit jeder<br />

Selbstgestaltungskompetenz beraubten kle<strong>in</strong>eren Kommunen als Signal wirkte, die<br />

sich bietenden Entwicklungschancen zu ergreifen <strong>und</strong> jahrzehntelange Stagnation<br />

zu überw<strong>in</strong>den. Mit dieser kommunalen Autonomie <strong>und</strong> der Niederlassungsfreiheit<br />

für die ökonomischen Akteure waren erst e<strong>in</strong>mal die Voraussetzungen für e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>ter-<br />

kommunale Standortkonkurrenz hergestellt. Lagegunst zu Hauptverkehrsachsen, Flä-<br />

chenverfügbarkeit <strong>und</strong> schnelle Planumsetzbarkeit wurden zunächst zu standortbe-<br />

stimmenden EntscheidungsgröGen. Diesbezüglich sei die These aufgestellt, dai3 es<br />

selbst bei nahtlos e<strong>in</strong>setzendem Raumordnungsrecht zu Standortentscheidungen<br />

gekommen wäre, die den dar<strong>in</strong> enthaltenen Ordnungsvorstellungen - wenngleich<br />

nicht so <strong>in</strong>tensiv - zuwidergelaufen wären, da der <strong>von</strong> den Konsumbedürfnissen der<br />

Bewohner <strong>und</strong> <strong>von</strong> der zusammenbrechenden Industrie ausgehende Handlungs-<br />

druck auf die Kommunalpolitiker sehr grof3 war33. Auch die nachträglich e<strong>in</strong>geführ-<br />

ten Raumordnungsstrukturen mit ihrer Festlegung zentraler Orte wirken im Pr<strong>in</strong>zip<br />

nicht konsens-, sondern konfliktfördernd, da sie bereits e<strong>in</strong>getretene Entwicklungen<br />

als problematisch erkennen lassen <strong>und</strong> sich gegenüber neuen räumlichen Entwick-<br />

lungstendenzen als zu unflexibel erweisen können34. Trotz dieser ungünstigen Vor-<br />

aussetzungen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> den ostdeutschen Ländern neue Formen <strong>in</strong>terkommunaler<br />

Kooperation <strong>in</strong> Form <strong>von</strong> Venvaltungsgeme<strong>in</strong>schaften, Zweckverbänden, Planungs-<br />

geme<strong>in</strong>schaften <strong>und</strong> überörtlichen Trägergesellschaften entstanden. Solche Koopera-<br />

tionsformen s<strong>in</strong>d zum gröi3eren Teil durch rechtliche Notwendigkeit <strong>und</strong> Druck der<br />

Landesregierungen, zum kle<strong>in</strong>eren Teil durch freiwillige Vere<strong>in</strong>barungen zustande<br />

33 Bernd Lofler, Auswirkungen der städtebaulichen Entwicklung auf den B<strong>in</strong>nenhandel <strong>in</strong><br />

den neuen B<strong>und</strong>esländern. Ergebnisbericht zum Forschungsvorhaben Nr. 63/91 des<br />

BMWi, Freiburg/Br. 1992, S. 114, 202 f.<br />

34 „Die Festlegung zentraler Orte <strong>und</strong> die Ausweisung <strong>von</strong> Vorrang- <strong>und</strong> Vorbehaltsgebieten<br />

wirken selektiv <strong>und</strong> s<strong>in</strong>d für die Kommunen mit Vorteilen oder Nachteilen für ihre jeweilige<br />

Entwicklung verb<strong>und</strong>en. Zudem ist zu beachten, daf3 Entwicklung auch immer Veränderung<br />

bedeutet <strong>und</strong> daf3 Veränderungen mit Konflikten verb<strong>und</strong>en s<strong>in</strong>d, da auch hierbei<br />

meist Gew<strong>in</strong>ner <strong>und</strong> Verlierer def<strong>in</strong>iert werden." Bernhard Müller, Strate ien räumlicher<br />

Ordnung <strong>in</strong> den ostdeutschen Ländern: H<strong>in</strong>dernis oder Unterstützung f. ur die kommunale<br />

Entwicklung?, <strong>in</strong>: Karl-Dieter Keim (Hrsg.), Aufbruch der Städte, Berl<strong>in</strong> 1995,<br />

s. 74.


L<br />

70 Peter Franz/Raimar Richert/Manfred Weilepp AfK 1/97<br />

gekommen. Daneben f<strong>in</strong>den sich noch vere<strong>in</strong>zelt Kooperationen <strong>in</strong> bezug auf<br />

Gewerbegebiete, die sich über das Areal zweier Geme<strong>in</strong>den erstrecken <strong>und</strong> <strong>von</strong> die-<br />

sen geme<strong>in</strong>sam bewirtschaftet werden.<br />

Damit die Forderung nach <strong>in</strong>terkommunaler Kooperation nicht zur Leerformel ver-<br />

kommt, miif3ten demnach die Bed<strong>in</strong>gungen konkretisiert werden, unter denen<br />

diese Handlungsform - als unter den gegebenen Verhältnissen unwahrsche<strong>in</strong>licher<br />

Fall35 - wahrsche<strong>in</strong>licher wird. Folgende Faktoren könnten dazu beitragen:<br />

- Belohnung fiir Kooperation: Von b<strong>und</strong>es- oder landespolitischer Ebene aus kön-<br />

nen Kommunen zu kooperativem <strong>Handel</strong>n angeregt werden, <strong>in</strong>dem hierfür mate-<br />

rielle Vorteile <strong>in</strong> Aussicht gestellt werden. Positive Anreize für kooperatives Han-<br />

deln setzen z. B. erhöhte Fördersätze oder -Prioritäten sowie beschleunigte<br />

Genehmigungsverfahren.<br />

- Regionsbezogenes, arbeitsteiliges Denken: Die beteiligten kommunalpolitischen<br />

Akteure bef<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Situation ,,Kooperation unter gleichzeitiger Kon-<br />

kurrenz", d. h., die Alternative konfliktorientierten <strong>Handel</strong>ns steht jederzeit<br />

offen. Dies bedeutet, daf3 die zum Zweck der Kooperation verhandelnden Part-<br />

ner die vorgef<strong>und</strong>ene Verteilung der E<strong>in</strong>zelhandelsstandorte <strong>in</strong> der Stadtregion<br />

als Faktum <strong>und</strong> als Ausgangspunkt akzeptieren müssen. Dies bereitet vor allem<br />

solange Schwierigkeiten, als die Vertreter der Städte noch e<strong>in</strong>em ,,Entweder-<br />

Oder cc -Denken verhaftet s<strong>in</strong>d, wie es <strong>in</strong> der Zuspitzung der Standortdiskussion<br />

auf den Gegensatz Innenstadt versus ,,Grüne Wiese" zum Ausdruck kommt. Nur<br />

bei Übere<strong>in</strong>stimmung darüber, daf3 Kernstadt <strong>und</strong> Umland komplementäre Ver-<br />

sorgungsaufgdben für die gesamte Stadtregion erfüllen <strong>und</strong> demzufolge bei der<br />

E<strong>in</strong>zelhandelsansiedlung e<strong>in</strong>e Strategie der Arbeitsteilung erforderlich ist, werden<br />

Konsensentscheidungen möglich. Diese können sich z. B. auf die Gröi3e <strong>und</strong><br />

Lage <strong>von</strong> Standorten, auf den Verzicht der Entwicklung bestimmter Standorte<br />

oder auf die selektive Zulassung bestimmter Branchen beziehen.<br />

VII<br />

Fazit<br />

Der Charakter des <strong>Suburbanisierung</strong>sprozesses <strong>von</strong> <strong>Handel</strong> <strong>und</strong> <strong>Dienstleistungen</strong> <strong>in</strong><br />

den ostdeutschen Stadtregionen ist nur angemessen zu verstehen, wenn man die<br />

besonderen vere<strong>in</strong>igungsbed<strong>in</strong>gten Umstände mit berücksichtigt. Ob die Innen-<br />

städte zukünftig wieder jene Dom<strong>in</strong>anz gegenüber den peripheren Standorten<br />

35 Die ger<strong>in</strong>ge Erfolgswahrsche<strong>in</strong>lichkeit beruht mit darauf, dai3 erfolgreiche Kooperation<br />

Kollektivgutcharakter besitzt. „Der Ertrag <strong>von</strong> Kooperationsprojekten . . . ist kollektiv,<br />

während die Beteiligung <strong>in</strong>dividuellen Aufwand verursacht. Der Ertrag ist ferner langfri-<br />

stig, <strong>in</strong>direkt <strong>und</strong> damit auch unsicher, während die <strong>in</strong>dividuellen Kosten kurzfristig,<br />

direkt <strong>und</strong> sicher s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> aui3erdem die Kooperation selber nicht unerhebliche Trans-<br />

aktionskosten verursacht". Volker Eichener, Das ,,Management" <strong>von</strong> Figurationen im<br />

Bereich regionaler Technologie- <strong>und</strong> Wirtschaftsförderung, <strong>in</strong>: Elmar Lange (Hrsg.), Der<br />

Wandel der Wirtschaft. Soziologische Perspektiven, Berl<strong>in</strong> 1994, S. 361.


AfK 1/97 <strong>Suburbanisierung</strong> <strong>von</strong> <strong>Handel</strong> <strong>und</strong> <strong>Dienstleistungen</strong> <strong>in</strong> Ostdeutschland 71<br />

zurückgew<strong>in</strong>nen werden, die auch <strong>in</strong> immer mehr westdeutschen Städten mehr als<br />

Wunschbild denn als Realität existiert, bleibt derzeit unklar. Die Kommunalpoliti-<br />

ker <strong>und</strong> Stadtplaner sollten die Tendenz h<strong>in</strong> zu e<strong>in</strong>er mehr polyzentrischen Ent-<br />

wicklung jedoch nicht als unabänderliches Schicksal begreifen, sondern aus den<br />

zahlreichen verfügbaren politischen Instrumenten sich jene Komb<strong>in</strong>ation zurecht-<br />

schneiden, die für ihre lokalspezifische Situation am besten geeignet ersche<strong>in</strong>t, die<br />

Innenstadt zu revitalisieren. So könnte, selbst wenn sich auf Dauer e<strong>in</strong>e polyzentri-<br />

sche Entwicklung durchsetzt, dafür Sorge getragen werden, dai;: die Innenstädte <strong>in</strong><br />

diesem Zentrensystem weiterh<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e hervorgehobene Rolle spielen. Dabei auf ent-<br />

scheidende Hilfe <strong>von</strong> B<strong>und</strong>es- oder Landesebene zu hoffen, wäre illusionär.<br />

Zusammenfassung<br />

<strong>Suburbanisierung</strong> <strong>von</strong> <strong>Handel</strong> <strong>und</strong> <strong>Dienstleistungen</strong> <strong>in</strong> Ostdeutschland<br />

Seit e<strong>in</strong>igen Jahren zeichnet sich mit der zunehmenden <strong>Suburbanisierung</strong> <strong>von</strong> Han-<br />

del <strong>und</strong> <strong>Dienstleistungen</strong> <strong>in</strong> der Entwicklung der Städte e<strong>in</strong> Trend ab, den Stadt-<br />

<strong>und</strong> Raumplaner weltweit mit grof3er Sorge beobachten. In Westdeutschland ist die-<br />

ser Prozei;: seit Beg<strong>in</strong>n der 80er Jahre fortgeschritten, die Städte haben jedoch noch<br />

e<strong>in</strong>e wichtige Funktion für die Versorgung des Umlandes. In Ostdeutschland weist<br />

der umfassende wirtschaftliche Struktunvandel, der nach 1990 stattgef<strong>und</strong>en hat,<br />

ebenfalls e<strong>in</strong>e ausgeprägte regionale Dimension auf: <strong>in</strong>sbesondere der <strong>Handel</strong>, aber<br />

auch andere <strong>Dienstleistungen</strong> haben sich verstärkt auf der ,,Grünen Wiese" angesie-<br />

delt, was zu e<strong>in</strong>em zentralörtlichen Funktionsverlust der Innenstädte geführt hat.<br />

Sie haben - trotz ihrer teilweise attraktiven historischen Bausubstanz - oft nicht<br />

den gewünschten lebendigen Charakter <strong>und</strong> als städtischer Lebensmittelpunkt an<br />

Bedeutung verloren. Am Beispiel der Städte Leipzig, Halle, Rostock <strong>und</strong> Erfurt wird<br />

gezeigt, daf3 nicht pauschalierend <strong>von</strong> e<strong>in</strong>er Fehlentwicklung gleicher Intensität<br />

gesprochen werden kann, da sowohl die Situation als auch die absehbaren Entwick-<br />

lungstrends <strong>in</strong> den verschiedenen Stadtregionen unterschiedlich s<strong>in</strong>d. Auch wird<br />

der Gegensatz zwischen Standorten <strong>in</strong> der Innenstadt <strong>und</strong> auf der ,,Grünen Wiese"<br />

überzeichnet, weil wegen des <strong>in</strong>nerstädtischen Flächenmangels häufig nur e<strong>in</strong>e<br />

Arbeitsteilung zwischen Innenstadt <strong>und</strong> Randlagen angemessen ersche<strong>in</strong>t. Sollen die<br />

Innenstädte aufgr<strong>und</strong> e<strong>in</strong>es gewünschten Leitbildes der ,,lebendigen Innenstadt" für<br />

den E<strong>in</strong>zelhandel <strong>und</strong> andere Dienstleistungsaktivitäten attraktiv gemacht werden,<br />

ist aufgr<strong>und</strong> der stadtspezifischen Besonderheiten primär kommunales <strong>Handel</strong>n<br />

erforderlich.<br />

Summary<br />

Suburbanization of Shopp<strong>in</strong>g and Services <strong>in</strong> eastern Germany<br />

Grow<strong>in</strong>g suburbanization of retail trade and Services over the recent years has<br />

become a cause for grave concern among urban and regional planners worldwide. In


72 Peter Franz/Raimar RichedManfred Weilepp AfK 1/97<br />

Western Germany, this process has ga<strong>in</strong>ed momentum s<strong>in</strong>ce the early eighties, yet<br />

towns and cities have reta<strong>in</strong>ed a major role <strong>in</strong> serv<strong>in</strong>g the surro<strong>und</strong><strong>in</strong>g area. The<br />

structural changes which have occurred throughout the east German economy s<strong>in</strong>ce<br />

1990 have likewise followed dist<strong>in</strong>ctly regional Patterns. Retailers <strong>in</strong> particular, but<br />

also other Service facilities, have moved <strong>in</strong>creas<strong>in</strong>gly out of town, so that <strong>in</strong>ner<br />

cities no longer serve many of the functions traditionally associated with urban cen-<br />

tres. Despite their often impressive historical fabric, they frequently lack vitality,<br />

and their significance as a focus of urban activity has decl<strong>in</strong>ed. Tak<strong>in</strong>g the cities of<br />

Leipzig, Halle, Rostock and Erfurt as examples, the authors show that it would be<br />

erroneous to speak of misguided development across the board, s<strong>in</strong>ce the present<br />

Situation and foreseeable development trends differ from one urban region to<br />

another. Besides, the choice between <strong>in</strong>ner-City and out-of-town sites tends to be<br />

overstated, s<strong>in</strong>ce the shortage of development land <strong>in</strong> urban centres often leaves the<br />

division of functions between <strong>in</strong>ner cities and the urban fr<strong>in</strong>ge as the only viable<br />

alternative. If <strong>in</strong>ner cities are to attract retailers and other Service activities and<br />

become lively centres, the specific features of urban organisms call for action pri-<br />

marily on the Part of local government.

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