14 In einem weiteren Aspekt ist Mittelneufnach bemerkenswert: Kapellen, Flurkreuze und Wallfahrtswege formen als Symbole der Volksfrömmigkeit und Religion die »sakrale Landschaft«. Diese Orte, die in der Vergangenheit mit Bedacht ausgesucht wurden oder an lokal bedeutende Ereignisse erinnern, haben noch heute ihren Stellenwert. Sie werden gerne aufgesucht und sind damit nicht nur kulturelles Erbe, sondern auch Orte, in denen sich die Heimatverbundenheit der Bevölkerung zeigt.
Landschaft hat nicht nur eine ökologische, sondern auch eine historische Dimension. In unserer heutigen Landschaft, die fast durchgängig eine vom Menschen geprägte <strong>Kulturlandschaft</strong> ist, lassen sich vielfältige historische Schichten freilegen. Derjenige, der das Buch dieser Landschaft zu lesen vermag, kann eine gedankliche Zeitreise antreten. Um aber dieses Buch und seine einzelnen Seiten auch den Bewohnern und Entscheidungsträgern dieser Landschaft zugänglich zu machen, ist eine Erfassung und Aufbereitung der kulturlandschaftlichen Elemente und Strukturen von großem Vorteil. Eine solche Untersuchung nennt man <strong>Kulturlandschaft</strong>sinventarisation. Bevor das planerische Arbeitsinstrument der <strong>Kulturlandschaft</strong>sinventarisation näher erläutert wird, soll zunächst einmal dargestellt werden, worin überhaupt der Wert der <strong>Kulturlandschaft</strong> besteht und welche Bestrebungen — auch planerischer und gesetzlicher Art — es zu ihrer Erhaltung gibt. Seit Menschen in Bayern siedelnd und landbewirtschaftend anzutreffen sind, also seit der mittleren Steinzeit, haben sie ihre Umwelt und damit die sie umgebende Naturlandschaft zu ihren Zwecken und Nutzen umgestaltet. Dieser in Mitteleuropa nun schon über Jahrtausende anhaltende Prozess der <strong>Kulturlandschaft</strong>sentwicklung verlief zuerst sehr langsam. Seit dem Mittelalter wurde die Umgestaltung der Landschaft durchgreifender und erstreckte sich auf alle Landesteile Bayerns einschließlich der Mittelgebirge, des Hochgebirges und zuletzt auch auf die schwer nutzbaren Flächen der Riede und Moose. Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts hatte sich in Bayern eine vielfältige, in groben Zügen die Ausstattung des Naturraums nachzeichnende differenzierte <strong>Kulturlandschaft</strong> herausgebildet, die sogar artenreicher und vielfältiger war, als sie es ohne Eingriff des Menschen gewesen wäre. In dieser <strong>Kulturlandschaft</strong> finden sich nun landschaftsprägende Spuren menschlicher Tätigkeiten aus allen Epochen der Geschichte, sei es aus den Bereichen des Wohnens, der Landwirtschaft, des Verkehrs, des Gewerbes, der Erholung, sowie landschaftliche Ausprägungen des Staatswesens und der Religionsausübung. Man kann »<strong>Kulturlandschaft</strong>« somit als das Ergebnis der Wechselwirkung zwischen der Naturausstattung einer Region und der menschlichen Einflussnahme im Verlauf der Geschichte definieren. Eine »historische <strong>Kulturlandschaft</strong>« wäre damit ein Ausschnitt aus der aktuellen <strong>Kulturlandschaft</strong>, der sehr stark durch historische Elemente und Strukturen geprägt ist. Die Erfassung der historischen <strong>Kulturlandschaft</strong> Thomas Gunzelmann Zu allen Zeiten wurden den bereits vorhandenen Schichten der Landschaft neue hinzugefügt, zumeist ohne die älteren Schichten vollständig zu überformen oder gar endgültig zu beseitigen. Seit der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich dieses Grundprinzip auch im ländlichen Raum allerdings erheblich geändert, denn die Entwicklung der <strong>Kulturlandschaft</strong> hat enorm an Dynamik gewonnen. Nun kann es der Mensch durch seine Ausstattung mit Maschinen und (scheinbar) unbegrenzten Energieressourcen auch leisten, ältere Spuren der Landschaftsgestaltung komplett auszulöschen. Die Flächeninspruchnahme durch Siedlungen, Gewerbe- und Verkehrsbauten in den letzten 50 Jahren ist größer als in allen Epochen der Menschheitsgeschichte zuvor zusammengenommen. Auch wenn diese Tatsache hier zunächst wertfrei betrachtet wird, so zeigt sie einfach, dass ein stabiles, vertrautes, vielleicht auch heimelig-romantisches Landschaftsbild sich dem Bewohner einer Region kaum mehr einprägen kann, da es allerorten einem unerhört dynamischen Landschaftswandel unterworfen ist. Dies verweist schon auf einen wesentlichen Wert der historischen <strong>Kulturlandschaft</strong> an sich: Mit den historisch wertvollen Bauten zusammen ist sie die materielle Manifestation von »Heimat«, oder, moderner und begrifflich weniger vorbelastet formuliert: Sie ist ein entscheidender Träger von regionaler Identität. Nun ist es keineswegs so, dass sich die aktuelle Dynamik des Landschaftswandels überall in identischer Weise auswirkt. Gerade im ländlichen Raum sind zwei gegenläufige Entwicklungstrends zu beobachten. Einerseits werden in agrarischen Gunsträumen immer stärker produktionsoptimierte Landschaften geschaffen, die an die modernen landwirtschaftlichen Maschinen angepasst sind. Sie haben damit das historische, an Mensch und Tier orientierte Maß der Erschließung und Parzellierung bereits seit einiger Zeit verloren. Im Gegensatz dazu zieht sich die landwirtschaftliche Nutzung immer stärker aus den wenig ertragreichen Räumen zurück. Bestenfalls übernehmen Was ist die »historische <strong>Kulturlandschaft</strong>«? 15