Timmo Scherenberg
Timmo Scherenberg
Timmo Scherenberg
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36 ........... Gegenwehr . Hessen<br />
<strong>Timmo</strong> <strong>Scherenberg</strong><br />
.<br />
(Als<br />
Mit Härte gegen Härtefälle<br />
Zur Einrichtung einer Härtefallkommission in Hessen<br />
dem Zuwanderungsgesetz im Frühjahr 2004 im Vermittlungsausschuss der<br />
letzte Rest gegeben wurde, bekamen diejenigen, die sich eine Flüchtlingspolitik<br />
unter liberaleren Vorzeichen wünschten, von Otto Schily und Günter Beckstein<br />
ein Bonbon geschenkt, damit sie nun endlich Ruhe gäben. Das<br />
Zuwanderungsbegrenzungsgesetz wurde in ganz großer Koalition verabschiedet<br />
und es zog in die deutsche Gesetzeslandschaft ein, was es hierzulande lange<br />
nicht mehr gegeben hatte: das Gnadenrecht. Oder besser die Möglichkeit dazu,<br />
stand es doch den Bundesländern frei, sich daran zu beteiligen oder auch nicht.<br />
Die Rede ist natürlich vom Paragrafen 23a des Aufenthaltsgesetzes, der<br />
Aufenthaltsgewährung in Härtefällen. Durch diesen Paragrafen werden die Länder<br />
vorerst fünf Jahre lang ermächtigt, sogenannte Härtefallkommissionen<br />
einzurichten und dadurch vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländern einen<br />
Aufenthaltstitel zu erteilen. Die Fußnote im Gesetz, die auf das Auslaufen zum<br />
31.12.2009 hinweist, deutet an, was sich die MacherInnen des Gesetzes dabei<br />
gedacht haben: In fünf Jahre wird sich das Problem schon erledigt haben, dann<br />
werden die 220.000 Geduldeten, die es zur Zeit in Deutschland gibt, größtenteils<br />
abgeschoben sein. Und ein paar wenige, die nun wirklich so schlimm vom Schicksal<br />
getroffen wurden, dass selbst ein harter Kerl wie ein Innenminister ganz gerührt<br />
ist, dürfen vielleicht bleiben. Dass das mit einer humanitären Lösung des Problems<br />
der Geduldeten wenig zu tun hat und darüber hinaus auch kaum realistisch<br />
erscheint, sei einmal dahingestellt.<br />
Willkommen bei der deutschen Härtefalllotterie!<br />
Und so gaben sich bisher vierzehn der sechzehn Bundesländer eine<br />
Härtefallkommission oder zumindest etwas, das diesen Namen trägt. Lediglich<br />
Bayern und Bremen sträuben sich bisher, was das Gesamtbild insofern schmälert,<br />
als dass dadurch noch einmal verdeutlicht wird, dass es sich für die Betroffenen<br />
um Glückssache handelt, in welches Bundesland sie vor Jahren einmal umverteilt<br />
wurden. Einige Länder nahmen es ernst mit der Härtefallkommission und setzten<br />
unabhängige Kommissionen ein, in denen Flüchtlingsorganisationen und NGOs,<br />
also diejenigen die tagtäglich mit Flüchtlingen zu tun haben, in der Mehrzahl<br />
sind. Andere scheuten sich, vermeintlich das Zepter so aus der Hand zu geben<br />
und nahmen lediglich einige VertreterInnen nichtstaatlicher Organisationen in<br />
die HFK auf. Vermeintlich deshalb, weil die Härtefallkommission immer bloß<br />
Empfehlungen an eine weitere Stelle gibt, die dann die Aufenthaltserlaubnis<br />
gewährt, meistens ist dies der Innenminister, in NRW sogar die Ausländerbehörde.<br />
Von daher hat der Staat dann doch das letzte Wort, in Berlin (NGO-Mehrheit in<br />
der HFK) z.B. wurden bisher nur in etwa 2/3 der positiven Empfehlungen der<br />
Härtefallkommission auch Aufenthaltserlaubnisse erteilt. Einige wenige Länder<br />
Mit Härte gegen Härtefälle .......... 37<br />
schließlich verzichteten gänzlich auf externen Sachverstand. Zu letzteren zählt<br />
auch Hessen. In Hessen kam die CDU auf die glorreiche Idee, den<br />
Petitionsausschuss (in dem sie wie auch im Landtag die absolute Mehrheit hat)<br />
auch gleich zur HFK zu machen. Etwas genauer formuliert heißt das, dass in<br />
Hessen eine Härtefallkommission als eigenständiges Gremium eingerichtet wurde,<br />
diese personell aber absolut identisch mit dem Petitionsausschuss ist. Als<br />
besonderes Schmankerl gab sich dann die HFK eine Geschäftsordnung, die<br />
vorsieht, dass eine Grundvoraussetzung für die Behandlung in der HFK ein<br />
abgeschlossenes Petitionsverfahren ist. Zeitgleich änderte das Hessische<br />
Innenministerium per Erlass das Verfahren bei gestellten Petitionen, so dass ab<br />
jetzt nur noch einmalig eine sechsmonatige Duldung aufgrund einer Petition<br />
ausgestellt wird. Während dieser sechs Monate müssen sowohl Petitionsverfahren<br />
als auch Härtefallverfahren abgeschlossen sein, ansonsten kann trotz laufenden<br />
Verfahrens abgeschoben werden. Die erfolgte Abschiebung ist dann<br />
konsequenterweise auch gleich in den Katalog der Ausschlussgründe der HFK<br />
aufgenommen worden.<br />
Humanität vom Fließband?<br />
War die gestellte Petition in dem einen oder anderen Fall bisher das Einzige, was<br />
noch vor der Abschiebung bewahrte und machen sich die Betroffenen jetzt durch<br />
die neuen gesetzlichen Möglichkeiten vielleicht sogar etwas mehr Hoffnung, zeigt<br />
ein Blick auf die Zahlen, wohin die Reise gehen wird: Im Moment schiebt der<br />
Petitionsausschuss einen Berg von allein etwa 1500 Petitionen mit<br />
Bleiberechtsbezug vor sich her, der sich in den letzten Jahren angesammelt hat.<br />
Da die Härtefallkommission nur in „Selbstbefassung” tätig werden kann, also nur<br />
Kommissionsmitglieder beantragen können, dass ein Fall in der HFK behandelt<br />
wird, hat man sich im Petitionsausschuss darauf geeinigt, dass ab jetzt jeder<br />
einzelne Fall mit Bleiberechtsbezug kurz vorgestellt wird.<br />
Wenn wir jetzt für jeden Fall lediglich 15 Minuten für Vorstellung im<br />
Petitionsausschuss und Beratung in der HFK zusammen annehmen, betrüge allein<br />
die Bearbeitungszeit für die Altfälle 375 Stunden, das entspricht zweieinhalb<br />
Monaten Vollzeitjob. Dazu kommen dann noch diejenigen, die erst jetzt eine<br />
Petition stellen, um möglicherweise von der neuen Regelung profitieren zu können.<br />
Nun ist die Arbeit im Petitionsausschuss aber kein Vollzeitjob, sondern nur eine<br />
Tätigkeit der Abgeordneten unter vielen. Und so ist jetzt schon absehbar, dass<br />
der Petitionsausschuss bzw. die HFK entweder nur einen kleinen Teil der Petitionen<br />
in der Sechs-Monats-Frist auch bearbeiten kann oder aber die durchschnittliche<br />
Befassungszeit bei ein paar Sekunden liegen wird. Ein paar Sekunden, in denen<br />
über das weitere Schicksal der Betroffenen entschieden wird –<br />
Härtefallentscheidungen als Fließbandarbeit.<br />
Der Numerus Clausus der Härtefälle<br />
Damit die Härtefallkommission nicht allzu überlastet werde und sich mit vielen<br />
Fällen gar nicht ernsthaft zu beschäftigen braucht, wurden hohe Hürden für die<br />
Zulassung zum Verfahren eingezogen. So sind in Hessen qua Verordnung u.a. alle<br />
diejenigen von vornherein von der Behandlung als Härtefall ausgeschlossen, die<br />
Sozialleistungen beziehen, ebenso wie diejenigen, die gegen Mitwirkungspflichten<br />
bei der Beendigung des eigenen Aufenthalts verstoßen haben, also z.B.<br />
angeblichüber ihre Identität getäuscht haben. Derartig rigide Ausschlussgründe<br />
finden sich in so gut wie keinem anderen Bundesland.
38 ........... Gegenwehr . Hessen<br />
Wie sieht er nun also aus, der ideale Härtefall in Hessen? Versuchen wir, es uns<br />
vorzustellen:<br />
Unsere imaginäre Kandidatin ist vor vielen Jahren vor dem Bürgerkrieg in ihrem<br />
Herkunftsland geflohen, ihr Asylverfahren ist endgültig abgelehnt. Sie lebt mit<br />
ihren drei Kindern in einer kleinen Stadt in Hessen, zwei der Kinder sind dort<br />
geboren und gehen zur Schule, der Mann ist inzwischen gestorben. Die Erlebnisse<br />
im Krieg, das Gerangel mit dem Bundesamt, den Gerichten und der<br />
Ausländerbehörde, der Tod des Mannes sowie die jahrelange Unsicherheit haben<br />
sie mürbe gemacht, so dass sie mittlerweile regelmäßig psychotherapeutische<br />
Behandlung in Anspruch nehmen muss. Ein klassischer humanitärer Härtefall,<br />
würde man meinen. Doch leider kann unsere Kandidatin aufgrund ihrer Erkrankung<br />
nicht genug arbeiten, um den Lebensunterhalt für sich und die Kinder zu<br />
bestreiten – leider scheidet die Kandidatin an dieser Stelle aus.<br />
Unsere nächste Kandidatin muss also Arbeit haben, was sich als gar nicht so<br />
einfach erweist, schließlich wurden vielen Geduldeten Anfang des Jahres die<br />
Arbeitserlaubnisse entzogen. Gehen wir also davon aus, dass sie einer der 1500<br />
Altfälle ist, denn bei gestellter Petition ist die Erwerbstätigkeit gestattet. Auf<br />
der Arbeit ist sie beliebt, und sie gilt in ihrem Ort als hervorragend integriert.<br />
Auch sie ist schon lange hier, da sie den Behörden in ihrem Herkunftsland nicht<br />
bekannt ist, weigerten diese sich bislang, sie aufzunehmen. Leider mag sie der<br />
Sachbearbeiter in der Ausländerbehörde nicht besonders und unterstellt ihr<br />
deshalb, dass sie eine falsche Identität angeben würde – und an diesem Punkt<br />
scheidet auch diese Kandidatin aus.<br />
Um es kurz zu machen: Die übergroße Mehrzahl derer, die wir uns als mögliche<br />
NutznießerInnen einer Härtefallkommission vorstellen können, scheitert von<br />
vornherein an den Ausschlussgründen. Die ideale KandidatIn muss immer brav<br />
an aufenthaltsbeendenden Maßnahmen mitgewirkt haben und trotzdem noch<br />
hier sein, muss arbeiten können und auch immer noch Arbeit haben, es muss<br />
trotz allem ein humanitärer Härtefall erkennbar sein, es muss ein Mitglied des<br />
Petitionsausschusses genau ihren Fall unter den vielen bedeutend finden und sie<br />
für die HFK vorschlagen, dort müssen dann noch 2/3 der Mitglieder dafür stimmen<br />
und das alles in sechs Monaten – klingt das so, als würde es viele solcher Fälle in<br />
Hessen geben können?<br />
Der Weg (außer Landes) ist das Ziel<br />
So wird also klar, wohin die Reise gehen soll: für die übergroße Mehrheit zurück<br />
ins Herkunftsland. Ein paar Wenige werden in den Genuss der Härtefallregelung<br />
kommen, das Innenministerium wird in einer bilanzierenden Presseerklärung Ende<br />
des Jahres den Erfolg der Kommission und die eigenen großen humanitären<br />
Leistungen würdigen, während gleichzeitig mit der Abschiebung derjenigen<br />
begonnen wird, deren sechs Monate abgelaufen sind. Diejenigen schließlich, die<br />
nicht abgeschoben werden können, bleiben weiter und auf ewig auf ihren<br />
Duldungen sitzen.<br />
Zusammenfassend können wir sagen, dass die Härtefallkommission in Hessen<br />
vor allem den Zweck hat, die Verfahren zu beschleunigen und den Leuten möglichst<br />
schnell auch noch die letzte Möglichkeit zu nehmen, sich hier legal aufzuhalten.<br />
Das Ganze wird notdürftig dadurch kaschiert, dass einige wenige Glückliche am<br />
Ende dann doch mit einer Aufenthaltserlaubnis da stehen werden und als Beleg<br />
für die große Humanität der deutschen Flüchtlingspolitik herhalten müssen. Und<br />
für das Problem der vielen langjährig Geduldeten bringt die HFK auch herzlich<br />
wenig. Denn hierfür gibt es nur eine Lösung: endlich eine Bleiberechtsregelung!<br />
HFK in Hessen –<br />
Kurzübersicht: Was steht wo?<br />
Rechtliche Grundlagen:<br />
• §23a AufenthG Aufenthaltsgewährung in Härtefällen, vom 30. Juli 2004<br />
• Verordnung zur Einrichtung einer Härtefallkommission nach §23a des<br />
Aufenthaltsgesetzes (VO), vom 22. Februar 2005<br />
• Geschäftsordnung der Härtefallkommission (GO), vom 21. April 2005<br />
• Erlass des HMdI Verfahren bei Ausländerpetitionen, vom 9. Mai 2005<br />
HFK in Hessen – Kurzübersicht: Was steht wo? .......... 39<br />
Zusammensetzung:<br />
• Mitglieder des Petitionsausschusses des Hessischen Landtags (nicht explizit,<br />
Wortlaut: „bis zu 19 Abgeordnete”, §1 Abs.2 VO)<br />
• Insgesamt 19 Mitglieder, zur Zeit 10 CDU, 6 SPD, 2 Grüne und 1 FDP, Vorsitz CDU<br />
• Jeweils persönliche StellvertreterInnen (§1 Abs.2 VO)<br />
• Geschäftsstelle der HFK ist die Geschäftsstelle des Petitionsausschusses (§11 GO)<br />
Beschlussfassung:<br />
• Beschlussfähig, wenn mindestens die Hälfte der Mitglieder anwesend ist (§7 GO)<br />
• Für positives Votum 2/3-Mehrehit der anwesenden Mitglieder nötig (§14 GO)<br />
• Bei positivem Votum der HFK Empfehlung an das HMdI, dieses gewährt dann die<br />
AE (oder auch nicht) (§5 VO)<br />
Öffentlichkeit<br />
• Mitglieder zu Verschwiegenheit verpflichtet (§1 Abs.3 VO, §6 Abs.3 GO)<br />
• Erklärungen dürfen nur durch die Vorsitzende abgegeben werden (§6 Abs.2 GO)<br />
Verfahren<br />
• Selbstbefassung, d.h. nur Mitglieder der HKF können Anträge stellen (§23a Abs.2<br />
AufenthG, §9 Abs.1 GO)<br />
• Kein Anspruch auf Befassung (§23a Abs.2 AufenthG)<br />
• Voraussetzung abgeschlossene Petition (§9 Abs.2 GO)<br />
• Nach abgeschlossener Petition Zuweisung an einen neuen Berichterstatter für das<br />
HFK-Verfahren (§10 Abs.2 GO)<br />
• Bei gestellter Petition binnen 2 Wochen Regelabfrage an die ABH (§2 Erlass HMdI)<br />
Ausschlussgründe<br />
• In den letzten 3 Jahren Freiheitsstrafe von mehr als 6 Monaten / 180 Tagessätze<br />
Geldstrafe (§4 Abs.1 VO)<br />
• Wiederholter oder gröblicher Verstoß gegen Mitwirkungspflichten, Vorsätzliches<br />
Behindern von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen, Täuschung der ABH (§4 Abs.2<br />
VO)<br />
• Sozialleistungsbezug, davon kann u.U. abgesehen werden, wenn sich die<br />
zuständigen Behörden oder Dritte zur Kostenübernahme bereit erklären (§ 6 VO,<br />
§68 AufenthG)<br />
• Keine abgeschlossene Petition (§9 Abs. 2 GO)<br />
• Keine Zuständigkeit einer hessischen ABH (§9 Abs. 3 GO)<br />
• Erfolgte Abschiebung (§9 Abs. 3 GO)<br />
Aufenthalt während des laufenden Verfahrens<br />
• Bei gestellter Petition Duldung nach §60a AufenthG, Dauer einmalig sechs Monate<br />
für Petition und HFK-Verfahren zusammen (§ 3 Abs.4 Erlass HMdI)<br />
• Alte Petitionsbescheinigungen gelten fort, neue gibt es nicht mehr, auch<br />
Verlängerung ist ausgeschlossen (§3 Abs. 5&6 Erlass HMdI)<br />
• Bei Altfällen Beginn der Sechs-Monatsfrist bei Auslaufen der<br />
Petitionsbescheinigung (§3 Abs.5 Erlass HMdI)<br />
• Sofern Arbeit vor der Petition gestattet war, ist diese auch während der sechs<br />
Monate gestattet (§3 Abs.7 Erlass HMdI)