Höffer Rostock Version 14.10.96 - BStU - Bund.de
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Im Bezirksamt selbst überlegte man fieberhaft, wie auf diese "Belagerung" zu reagieren sei.<br />
Verschie<strong>de</strong>ne "Aufrufe" an die versammelten Bürger wur<strong>de</strong>n konzipiert und wie<strong>de</strong>r verworfen.<br />
Die Bandbreite <strong>de</strong>r Reaktionen, die in Betracht gezogen wur<strong>de</strong>n, reichte von<br />
Gesprächsbereitschaft bis hin zur Gewaltanwendung zum "Schutz" <strong>de</strong>s Objektes. Schließlich<br />
entschied man sich für Gesprächsbereitschaft. Gegen 22.00 Uhr begannen Verhandlungen, an<br />
<strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Bezirksamtschef Mittag, Abgesandte <strong>de</strong>r Bürgerbewegung wie Dietlind Glüer und<br />
Axel Peters sowie Vertreter <strong>de</strong>r Bezirksstaatsanwaltschaft und <strong>de</strong>r Bezirksbehör<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />
Volkspolizei beteiligt waren. Die Skepsis gera<strong>de</strong> gegenüber Polizei und Staatsanwälten war<br />
groß, da ihre enge Zusammenarbeit mit <strong>de</strong>r Staatssicherheit noch in allzu unguter Erinnerung<br />
war. Doch die konkrete Situation schien für eine friedliche Lösung keinen an<strong>de</strong>ren Weg zuzulassen.<br />
Wenig später wur<strong>de</strong>n die Tore <strong>de</strong>s Bezirksamtes noch weiter geöffnet. Entschlossene<br />
Bürger inspizierten nun die Räume und versuchten, das Gebäu<strong>de</strong> unter Kontrolle zu nehmen.<br />
Parallel dazu wur<strong>de</strong> das Stasi-Objekt in Wal<strong>de</strong>ck bei <strong>Rostock</strong> besetzt. Dort fand man noch<br />
Spuren <strong>de</strong>r Aktenvernichtung. Aus Wal<strong>de</strong>ck zurückgekommen, for<strong>de</strong>rten die Bürgerrechtler,<br />
allen voran Axel Peters, vom Bezirksstaatsanwalt Müller die "Zuführung" <strong>de</strong>s BA-Chefs<br />
Mittag wegen Vernichtung von Beweismitteln. Müller kam dieser For<strong>de</strong>rung nur wi<strong>de</strong>rstrebend<br />
nach und entließ Mittag schon nach kurzer Befragung. Anschließend fuhren Mittag und<br />
Müller im Dienstwagen <strong>de</strong>s Generals gemeinsam nach Hause.<br />
Am frühen Morgen <strong>de</strong>s 5. Dezember war die Besetzung <strong>de</strong>s <strong>Rostock</strong>er Bezirksamtes im wesentlichen<br />
abgeschlossen. Bis auf zwei MfS-Offiziere in <strong>de</strong>r Nachrichtenzentrale hatten alle<br />
hauptamtlichen MfS-Mitarbeiter das Bezirksamt verlassen. Die Polizei hatte nunmehr die<br />
Sicherung übernommen.<br />
Auch in an<strong>de</strong>ren Städten hatte <strong>de</strong>r Druck auf die Kreisämter für Nationale Sicherheit enorm<br />
zugenommen, was schließlich auch dort zu Besetzungen durch Bürgerrechtler führte. 119<br />
Kurze Zeit später begannen fast überall Untersuchungsgremien, die sich zu einem be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>n<br />
Teil aus Bürgerrechtlern zusammensetzten, in <strong>de</strong>n Ämtern ihre Arbeit. Die Auflösung <strong>de</strong>r<br />
Bezirkszentrale in <strong>Rostock</strong> kontrollierte seit <strong>de</strong>m 5. Dezember <strong>de</strong>r "Unabhängige<br />
Untersuchungsausschuß". 120<br />
Die Unzufrie<strong>de</strong>nheit über die zu geringen Fortschritte bei <strong>de</strong>r gesellschaftlichen Verän<strong>de</strong>rung<br />
wur<strong>de</strong> seit <strong>de</strong>r zweiten Novemberhälfte immer stärker auf <strong>de</strong>n symbolträchtigsten Teil <strong>de</strong>s<br />
politischen Systems <strong>de</strong>r DDR, <strong>de</strong>n Staatssicherheitsdienst, übertragen. Dieser Konzentration<br />
<strong>de</strong>s Unmuts leistete das MfS bzw. AfNS selbst Vorschub, in<strong>de</strong>m es entgegen seinen<br />
Bekundungen versuchte, ohne wirklich be<strong>de</strong>utsame Verän<strong>de</strong>rungen fast wie bisher weiterzu-<br />
119 Vgl. AKG, Lageinformation zur staatlichen Sicherheit im Bezirk, 4.12.1989; <strong>BStU</strong>, ASt <strong>Rostock</strong>, UUA<br />
803; Ammer/Memmler: Staatssicherheit, S. 44.<br />
120 Vgl. UUA: Arbeitsberichte, S. 10–45; Ammer/Memmler: Staatssicherheit, S. 13–28.