Besondere Möglichkeiten von Musik im ... - Audiva

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01.03.2013 Aufrufe

Genannt werden vor allem unnatürliche Geräusche unserer zivilisierten und technisierten Gesellschaft wie z.B. Maschinen- und Motorengeräusche, Ver- kehrslärm, Dauerberieselung mit Musik überall, extrem laute Musik in Dis- kos. Problematisch sind nicht allein die hohen Lautstärken der Geräuschquellen, sondern erschwerend kommt hinzu, daß es kaum noch Pausen gibt. Spreng weist darauf hin, daß das Gehör Erholungszeiten braucht, die genauso lange dauern sollten wie die Belastungszeiten (vgl. Spreng 1997, S. 658). „Viele Ohren bekommen außer im Schlaf (manche auch dann nicht) keine ruhigen, stillen oder leeren Zeiten mehr. Da sie sich nicht verschließen kön- nen, müssen sie verdrängen, sich daran gewöhnen und werden unempfindlich, ja unempfänglich für die wichtigen, vielleicht lebenswichtigen Rhythmen, Klänge, Melodien, die über das Ohr täglich auf uns treffen“ (Hegi 1990, S. 40). Die Bemerkungen über diese Abstumpfung der Hörfähigkeit sind meistens sehr allgemein gehalten, und nur wenige Autoren nennen Zahlen. Berendt weist darauf hin, daß „bereits 1976 (...) ein Drittel aller Berufskrankheiten durch Lärm verursacht (wurde)“ (Berendt 1998, S. 146). In einem anderen Zusammenhang schreibt er: „Junge Menschen der westlichen Welt heute zwischen 20 und 25 Jahren haben das durchschnittliche Hörvermögen 70jähriger Afrikaner“ (Berendt 1993, S. 28). In einem Informationsheft der AOK (Stand Februar 1998, S. 20) kann man nachlesen, daß Schwerhörigkeit an der Spitze aller Berufskrankheiten steht. Sie wird häufig nicht erkannt, denn sie verläuft schleichend. Daß durch Lärm Gehörschäden entstehen können, ist eine bewiesene Tatsa- che. Interessant ist, daß es subjektiv so unterschiedlich ist, was als störend empfunden wird und was nicht. Es ist doch erstaunlich, daß sich so wenige Menschen über Baulärm oder „Laubsauger“ etc. aufzuregen scheinen, daß sich aber eine Musikgruppe so schnell Beschwerden einhandeln kann, wenn sie im Freien spielt. - Oder sollte es nur daran liegen, daß man die Musik- gruppe besser vertreiben kann als Bauarbeiter? 6

Nach Spreng sind Schalleinwirkungen dann belästigend, „sobald Intensität, Dynamik, Frequenzzusammensetzung und Einwirkdauer der Schalle die Fähigkeit oder die Bereitschaft einer Person, diesen zu verarbeiten, überfordern“ (Spreng 1997, S. 655). Lärm verursacht nicht nur körperliche sondern auch psychische Veränderun- gen. Pontvik drückt es z.B. folgendermaßen aus: „Mit der Degeneration des Gehörorgans für die Feinheiten und eigentlichen Höraufgaben erfolgt (...) unweigerlich eine Abstumpfung psychischer Sensibilitätsgrade. Der Mensch wird ‘seelentaub’ für die subtilen Dinge, die ihm am Wege erscheinen (...)“ (Pontvik, zitiert in Pahlen 1973, S.14). 2 Gehörschäden haben immer auch Auswirkungen auf das soziale Leben, es entstehen Kommunikationsstörungen, und die Orientierung in der Umwelt wird schwieriger. Einige Autoren weisen in diesem Zusammenhang auch auf die Entfremdung und Flucht vor der Umwelt durch Walkman-Hören hin (vgl. van Deest 1997, S. 163). Viele Menschen haben das bewußte Hören abgeschaltet - zahlreiche davon vermutlich sogar schon im Kindesalter. Es läßt sich nun (provokativ) fragen, weshalb dies denn eigentlich so schlimm ist. - Die Welt ist so voller Lärm - ist es da nicht sogar besser, abzuschalten? Ist es nicht ein sinnvoller Schutz, nicht mehr hinzuhören? Ist es nicht viel zu anstrengend, die Flut von Geräuschen bewußt wahrzunehmen? Diese Fragen sind ein wenig übertrieben, denn auch jemand, der bewußt hö- rend durchs Leben geht, hört nicht alles. Es ist eine Fähigkeit des Ohres 3 , auszuwählen, was es hört (siehe Abschnitt 1.6). 2 Auch wenn hier vermutlich nicht der medizinische Hintergrund gemeint ist, erscheint es mir interessant, daß der Begriff „Seelentaubheit“ auch zur Bezeichnung von Verletzungen bestimmter Areale im Gehirn verwendet wird. Sie führen dazu, daß Betroffenen der Bedeutungswert des Gehörten fehlt (vgl. Breitenbach 1995, S. 10). 3 Selbstverständlich hat nicht das Ohr allein die Fähigkeit sondern der Mensch. Aus Gründen der Formulierungstechnik habe ich mich dafür entschieden, trotzdem „das Auge sieht“ und „das Ohr hört“ zu schreiben. Daß immer der ganze Mensch beteiligt ist, darf jedoch nicht außer acht gelassen werden. 7

Nach Spreng sind Schalleinwirkungen dann belästigend, „sobald Intensität,<br />

Dynamik, Frequenzzusammensetzung und Einwirkdauer der Schalle die<br />

Fähigkeit oder die Bereitschaft einer Person, diesen zu verarbeiten,<br />

überfordern“ (Spreng 1997, S. 655).<br />

Lärm verursacht nicht nur körperliche sondern auch psychische Veränderun-<br />

gen. Pontvik drückt es z.B. folgendermaßen aus: „Mit der Degeneration des<br />

Gehörorgans für die Feinheiten und eigentlichen Höraufgaben erfolgt (...)<br />

unweigerlich eine Abstumpfung psychischer Sensibilitätsgrade. Der Mensch<br />

wird ‘seelentaub’ für die subtilen Dinge, die ihm am Wege erscheinen (...)“<br />

(Pontvik, zitiert in Pahlen 1973, S.14). 2<br />

Gehörschäden haben <strong>im</strong>mer auch Auswirkungen auf das soziale Leben, es<br />

entstehen Kommunikationsstörungen, und die Orientierung in der Umwelt<br />

wird schwieriger.<br />

Einige Autoren weisen in diesem Zusammenhang auch auf die Entfremdung<br />

und Flucht vor der Umwelt durch Walkman-Hören hin (vgl. van Deest 1997,<br />

S. 163).<br />

Viele Menschen haben das bewußte Hören abgeschaltet - zahlreiche da<strong>von</strong><br />

vermutlich sogar schon <strong>im</strong> Kindesalter.<br />

Es läßt sich nun (provokativ) fragen, weshalb dies denn eigentlich so<br />

schl<strong>im</strong>m ist. - Die Welt ist so voller Lärm - ist es da nicht sogar besser,<br />

abzuschalten? Ist es nicht ein sinnvoller Schutz, nicht mehr hinzuhören? Ist<br />

es nicht viel zu anstrengend, die Flut <strong>von</strong> Geräuschen bewußt<br />

wahrzunehmen?<br />

Diese Fragen sind ein wenig übertrieben, denn auch jemand, der bewußt hö-<br />

rend durchs Leben geht, hört nicht alles. Es ist eine Fähigkeit des Ohres 3 ,<br />

auszuwählen, was es hört (siehe Abschnitt 1.6).<br />

2 Auch wenn hier vermutlich nicht der medizinische Hintergrund gemeint ist, erscheint es<br />

mir interessant, daß der Begriff „Seelentaubheit“ auch zur Bezeichnung <strong>von</strong> Verletzungen<br />

best<strong>im</strong>mter Areale <strong>im</strong> Gehirn verwendet wird. Sie führen dazu, daß Betroffenen der<br />

Bedeutungswert des Gehörten fehlt (vgl. Breitenbach 1995, S. 10).<br />

3 Selbstverständlich hat nicht das Ohr allein die Fähigkeit sondern der Mensch. Aus<br />

Gründen der Formulierungstechnik habe ich mich dafür entschieden, trotzdem „das Auge<br />

sieht“ und „das Ohr hört“ zu schreiben. Daß <strong>im</strong>mer der ganze Mensch beteiligt ist, darf<br />

jedoch nicht außer acht gelassen werden.<br />

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