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kunst im kollektiv les femmes savantes

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<strong>kunst</strong> <strong>im</strong> <strong>kollektiv</strong> <strong>les</strong> <strong>femmes</strong> <strong>savantes</strong><br />

PORTRAIT HANNA HARTMAN<br />

von Martina Seeber<br />

Was ihre Herdplatte mit der biedermeierlichen Trias<br />

von Kindern, Küche und Kirche zu tun haben soll,<br />

gibt Hanna Hartman Rätsel auf. Wenn in breakfast<br />

with trumpet die Platten glühen und der Haferbrei<br />

singt, geht es nicht um die Inszenierung der Frau am<br />

Herd. Im Kochen sieht die schwedische Klangkünst-<br />

lerin keinen „weiblichen Zugang zum Material“. Selbst<br />

wenn das Publikum eine Prise Ironie heraus sieht<br />

oder hört – die Intention der Künstlerin war eine<br />

andere. Hanna Hartmans Arbeit ist nicht feministisch<br />

motiviert, ja sie glaubt nicht einmal, „dass Breikochen<br />

etwas Weibliches ist“. Allein auf die Frage reagiert sie<br />

irritiert. Vielleicht sei sie durch ihre Herkunft anders<br />

sozialisiert? Grundsätzlich spielen bei der Wahl ihrer<br />

Klangquellen weder gesellschaftliche noch historische<br />

Zuschreibungen eine Rolle. In diesem Fall sind es<br />

Herdplatten und Kochtöpfe, ein anderes Mal kommt<br />

das Material aus Fabriken. Was zählt, ist die akusti-<br />

sche Qualität. Es geht um Klang. Mit dieser schlichten<br />

Aussage quittiert Hanna Hartman so gut wie alle<br />

Fragen nach ihrer Arbeit.<br />

Ob es für sie eine Bedeutung habe, dass <strong>les</strong> <strong>femmes</strong><br />

<strong>savantes</strong> ein reines Frauen<strong>kollektiv</strong> ist? Ob fünf<br />

Frauen anders zusammenarbeiten als fünf Männer<br />

oder eine gemischte Gruppe? Wird sie als Frau in der<br />

Musikszene anders wahrgenommen als ein Mann?<br />

Spielen in ihrer Musik best<strong>im</strong>mte Themen eine Rol-<br />

le, die mit dem Verhältnis der Geschlechter oder mit<br />

Rollenzuweisungen zu tun haben? Die in Uppsala ge-<br />

borene Schwedin verneint alle diese Fragen kurz und<br />

bündig. Es geht schließlich um den Klang, einzig und<br />

allein um den Klang.<br />

Wenn in breakfast with trumpet der Haferbrei kocht<br />

und Sabine Ercklentz dazu Trompete spielt, verfolgt<br />

die Performance eine rein akustische Mission. Die<br />

dem Anschein nach spontane Fluxus-Aktion gehorcht<br />

einer perfekt vorbereiteten Klangdramaturgie. Das<br />

nicht nur in diesem Fall min<strong>im</strong>ale Instrumentarium<br />

ist in langen Exper<strong>im</strong>entierphasen analysiert, erprobt<br />

und perfektioniert. Nicht jede Herdplatte knackst<br />

und knistert wie diese, nicht jeder Temperaturregler<br />

bringt den Brei so zum Singen, nicht jedes Mikro-<br />

fon überträgt ihn so, wie es Frühstück mit Trom-<br />

pete verlangt. Als elektronische Hilfsmittel dienen<br />

zwei Mischpulte, um die Klänge zu verstärken oder<br />

für Momente der Stille zu sorgen. Auch den Verlauf<br />

kennzeichnet nichts Barockes, gar Überflüssiges. Das<br />

Frühstück kennt keine Umwege, es ist zu Ende, wenn<br />

der Brei gar ist.<br />

Hanna Hartman ist dem Berliner Frauen<strong>kollektiv</strong><br />

weder aus feministisch emanzipatorischen Grün-<br />

den beigetreten, noch hat die Arbeit mit <strong>les</strong> <strong>femmes</strong><br />

<strong>savantes</strong> Themen ins Spiel gebracht, die das Ge-<br />

schlechterverhältnis reflektieren. Dennoch hat sich<br />

ihre Kunst seit dem Eintritt ins temporär arbeitende<br />

Kollektiv verändert. Bevor sie <strong>les</strong> <strong>femmes</strong> <strong>savantes</strong><br />

mitgründete, war sie eine Einzelgängerin, wie es in<br />

der musique concrète üblich ist, seit es He<strong>im</strong>computer<br />

gibt und öffentliche Studios an Bedeutung verlieren.<br />

Sie trägt ihr Aufnahmegerät allein auf den Ätna, sie<br />

breakfast with trumpet


<strong>kunst</strong> <strong>im</strong> <strong>kollektiv</strong> <strong>les</strong> <strong>femmes</strong> <strong>savantes</strong><br />

PORTRAIT HANNA HARTMAN 2/3<br />

untersucht die Akustik eines Segelschiffs oder horcht<br />

Bäume ab. Nur wenn sie traditionelle Musikinstru-<br />

mente benötigt, kommen gelegentlich Instrumentalis-<br />

ten ins Studio. Ihre Klanginstallationen wie Can Man,<br />

der Dosenmann (2005), oder Black Boxes (2003) sind<br />

ebenfalls Einzelarbeiten. Und allein ist sie auch, als sie<br />

2004 zum ersten Mal als Live-Performerin die Bühne<br />

betritt. In auf‘s glatteis führt sie vor Ohren, wie Eis<br />

schmilzt. Auch hier sind die eingesetzten Kochplatten<br />

und Metallgabeln in erster Linie geschichtslose, ge-<br />

schlechtsneutrale Mittel zur Klangproduktion.<br />

Der künstlerische Alleingang endet mit den<br />

<strong>femmes</strong> <strong>savantes</strong>. 2006 ist sie in 4 Akteure zum<br />

ersten Mal als Performerin in ein fremdes Konzept<br />

eingebunden. Idee und Konzept stammen von Andrea<br />

Neumann. Die alltäglichen Gesten, die Hanna Hart-<br />

man darin stumm ausführt, sind eine Zitatcollage<br />

ihrer individuellen Körpersprache, der zugespielte,<br />

vorproduzierte Soundtrack setzt sich aus ihrem per-<br />

sönlichen, akustischen Vokabular zusammen.<br />

In Andrea Neumanns LFS5 spielt sie auf einem<br />

Kugellager, in small words von Ute Wassermann ist<br />

es Hundespielzeug. Auch die unscheinbaren Medien<br />

behaupten eine überraschende Präsenz <strong>im</strong> Gesamt-<br />

klang. Das Instrumentarium für ihr eigenes Stück<br />

borderlines besteht aus amplifizierten Alltagsgegen-<br />

ständen wie Blumentöpfen und Gewindestangen aus<br />

dem Baumarkt. Es sind die Mittel einer musica pove-<br />

ra. Sie verraten Hanna Hartmans Erfahrung bei der<br />

Suche nach Klangmaterial für ihre elektroakustischen<br />

Studioarbeiten.<br />

Nach den Erfahrungen mit <strong>les</strong> <strong>femmes</strong> <strong>savantes</strong><br />

komponiert sie 2007 zum ersten Mal für traditionel-<br />

le Instrumente. In Horizontal Cracking in Concrete<br />

Pavements spielen zwei Saxophonisten, in Messages<br />

from the Lighthouse ein Schlagzeuger, jeweils in Ver-<br />

bindung mit elektronischen Zuspielen. Vorauszusehen<br />

war diese Entwicklung nicht. Hanna Hartman hat<br />

kein Musikstudium absolviert. Sie besuchte das Dra-<br />

matiska Institutet in Stockholm, eine Hochschule für<br />

Film, Theater und Radio, wo sie sich für Features und<br />

Hörspiele ausbildete. Ihre Anfänge liegen be<strong>im</strong> Radio.<br />

Nach Kursen am Stockholmer Elektronmusikstudion<br />

(EMS) arbeitet sie seit 1990 als freie Klangkünstlerin<br />

und produziert elektroakustische Musik. Lange hat<br />

sie sie ihre Arbeit als Klang<strong>kunst</strong> definiert, sich selbst<br />

allenfalls als „Composer Performerin“ verstanden und<br />

den traditionellen Begriff der Komposition gemieden,<br />

zu dem auch das Schreiben von Partituren für fremde<br />

Interpreten gehört.<br />

Insofern sind ihre langsame Öffnung zur Gruppen-<br />

arbeit, zur Interpretation und Mitgestaltung von Wer-<br />

ken der Kolleginnen, zur Konzeption eigener Projekte<br />

für <strong>les</strong> <strong>femmes</strong> <strong>savantes</strong> und der späte Einstieg in<br />

das klassische Komponistenhandwerk nicht erstaun-<br />

lich. Der Schwerpunkt von Hanna Hartmans Musik<br />

liegt auf der Radioarbeit, <strong>im</strong> Aufnehmen, Schneiden,<br />

Transformieren und Mischen. Für eines ihrer ersten<br />

Stücke besuchte sie die letzte Schraubenfabrik in<br />

Schweden. Viel später, erst 2001, entstand aus dem<br />

Material die Komposition Schrauben, die die Welt<br />

zusammenhalten.<br />

In ihren Werken herrscht eine geradezu alpine<br />

Weitsicht. Fernes und Kleines rückt in greifbare Nähe.<br />

Das ohne Verstärkung kaum hörbare Ächzen tief in<br />

den Fasern eines fallenden Baumes verarbeitet sie in<br />

Att fälla grova träd är förknippat med risker (Das<br />

Fällen hoher Bäume ist mit Risiken verbunden). 2005<br />

wird sie dafür mit dem Karl-Sczuka-Preis ausgezeich-<br />

net. Allerdings ist ihre Klang<strong>kunst</strong>, anders als es die<br />

Titel vermuten lassen, weder narrativ noch dokumen-<br />

tarisch. Eigentlich führen die suggestiven Überschrif-<br />

ten in die Irre, räumt Hanna Hartman ein. Sie brin-<br />

gen sie in Erklärungsnot. Zu oft muss sie klarstellen,<br />

dass das Fällen hoher Bäume keine Geschichte vom<br />

Baumfällen erzählt. Auch Ferrysongs (2002) erinnert<br />

nur zeitweise an den halligen Innenraum einer Fäh-<br />

re, an das jaulende Knirschen der Bugklappe, an den<br />

Gesang von Stahlseilen und die fast gespenstische<br />

Ruhe während der Fahrt. Ebenso wichtig ist, dass der<br />

Schiffsbauch mit dem Innenraum eines Klaviers akus-<br />

tisch fusioniert. Der perforierte Klang geriebener Kla-


<strong>kunst</strong> <strong>im</strong> <strong>kollektiv</strong> <strong>les</strong> <strong>femmes</strong> <strong>savantes</strong><br />

PORTRAIT HANNA HARTMAN 3/3<br />

viersaiten mischt sich unter glucksendes Wasser. Ein<br />

Glas wird gestrichen, ein Klettverschluss aufgezogen,<br />

die Borsten eines Besens streichen über den Boden.<br />

Mit unerbittlicher Tiefenschärfe führt die Schwedin<br />

den Klang ihrer Objekte glasklar vor Ohren. Entschei-<br />

dend sind die Reinheit und Perfektion der Aufnahmen.<br />

Elektronisch verfremdet wird das Material eher selten.<br />

Hanna Hartman komponiert, indem sie zusammen-<br />

setzt, indem sie sparsam, fast asketisch kombiniert,<br />

nach Verwandtschaften und Übergängen sucht. Ihre<br />

Stücke feiern nicht nur den Klang, sie gehorchen auch<br />

rein musikalischen Gesetzen. Die narrative Kraft, die<br />

sich vor allem durch die suggestive Bildhaftigkeit der<br />

Aufnahmen <strong>im</strong>mer wieder auszubreiten versucht, wird<br />

nicht unbedingt geleugnet. Die Erzählung wird ledig-<br />

lich unterbunden, das Material abstrahiert und dienst-<br />

bar gemacht: als Klang.<br />

Quelle: http://mugi.hfmt-hamburg.de/<strong>savantes</strong>/index.html

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