Stretching - SpringerLink
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Orthopäde<br />
1997 ´ 26:981±986 Springer-Verlag 1997 Zum Thema: <strong>Stretching</strong><br />
Zusammenfassung<br />
<strong>Stretching</strong> als statische Dehntechnik fand in<br />
den letzten 15 Jahren im Fitness- und Sportbereich<br />
eine weite Verbreitung. In der Krankengymnastik<br />
und manuellen Therapie hatte<br />
sich diese Dehntechnik bereits lange als<br />
wirksame therapeutische Maûnahme bewährt.<br />
Beim Vorliegen einer muskulären<br />
Dysbalance mit dadurch bedingten funktionellen<br />
Störungen am muskuloskelettalen<br />
System wurde das statische Dehnen zusammen<br />
mit Kräftigungsgymnastik zur Therapie<br />
der Wahl. Die Längentestung der Muskulatur<br />
ist dabei die klinische Untersuchung zur Erfassung<br />
von Muskelverkürzungen. Die<br />
Grundlagen dazu werden beschrieben. Die<br />
verschiedenen Formen der Muskeldehntechniken<br />
werden dargestellt: dynamisches<br />
Dehnen (Schwunggymnastik), statisches<br />
Dehnen (<strong>Stretching</strong>), unterteilt in passive<br />
statische Dehnübungen und die neuromuskulären<br />
Dehnübungen. Die neurophysiologischen<br />
Hintergründe werden diskutiert,<br />
ebenso der Stellenwert der einzelnen Methoden<br />
in der funktionellen Gymnastik.<br />
Praktische Beispiele für die wichtigsten Muskelgruppen<br />
sind dargestellt.<br />
Schlüsselwörter<br />
<strong>Stretching</strong> · Muskuläre Dysbalance · Längentestung<br />
der Muskulatur · Muskeldehntechniken<br />
H. Spring1 · W. Schneider2 · T. Tritschler3 · 1 Rheuma- und Rehabilitations-Klinik Leukerbad<br />
2 3 Thurgauer Klinik, St. Katharinental, Diessenhofen · Physiotherapieschule, Kantonsspital<br />
Schaffhausen<br />
<strong>Stretching</strong><br />
Zu Beginn der 80er Jahre erreichte<br />
eine ¹neueª Technik des Beweglichkeitstrainings<br />
± das <strong>Stretching</strong> ± eine<br />
weite Verbreitung in Sport und Fitness.<br />
Diese Art der Dehntechnik war in der<br />
Krankengymnastik und speziell in der<br />
manuellen Therapie längst als effiziente<br />
therapeutische Maûnahme bei muskuloskelettalen<br />
Erkrankungen etabliert.<br />
Es war aber bis dahin nicht auch die<br />
Gymnastik für Gesunde. Mit dem rasch<br />
hohen Bekanntheitsgrad des <strong>Stretching</strong>s<br />
war nun eine Gymnastikform<br />
allgemein akzeptiert, die sich sowohl<br />
für die Behandlung, das Training und<br />
die Prävention eignet [4, 6, 9, 20]. Der<br />
hohe Stellenwert des <strong>Stretching</strong>s ist<br />
heute unbestritten, obwohl selbstverständlich<br />
auch andere Dehntechniken<br />
in der Gymnastik eine Rolle spielen.<br />
Kontrovers diskutiert werden wissenschaftliche<br />
Erklärungsversuche, warum<br />
eine Dehntechnik der andern überlegen<br />
sein soll, wie sich die Muskulatur auf<br />
Dehnreize kurz- und langfristig verhält<br />
und welche neurophysiologischen Vorgänge<br />
relevant sind [5, 23].<br />
Obwohl wissenschaftlich sicher<br />
noch Fragen zum <strong>Stretching</strong> offen sind,<br />
ist ein ¹common sens approachª angebracht.<br />
So konzentriert sich dieser Artikel<br />
auf Erfahrungen, die sich im klinischen<br />
Alltag bewährt haben und sich in<br />
die Praxis umsetzen lassen.<br />
Muskuläre Dysbalance<br />
Einige Muskeln reagieren auf Fehl- oder<br />
Überlastung mit Verkürzung. Es handelt<br />
sich dabei um die Gruppe der tonischen<br />
Muskulatur. Andere Muskeln, die<br />
Gruppe der phasischen Muskulatur,<br />
reagieren mit Abschwächung (Tabelle<br />
1). Eine muskuläre Dysbalance<br />
liegt vor, wenn ein Ungleichgewicht<br />
zwischen tonischer und phasischer<br />
Muskulatur besteht. Dabei sind bei<br />
Fehlbelastung die tonischen Muskeln<br />
bei erhaltener Kraft verkürzt; die phasi-<br />
schen Antagonisten und Synergisten<br />
sind abgeschwächt [14, 17, 18].<br />
Verschiedene Ursachen können zu<br />
einer muskulären Dysbalance führen:<br />
· Fehl- und Überlastung des Bewegungsapparats,<br />
· Arthrosen,<br />
· vertebrale Syndrome,<br />
· spondylogene Syndrome,<br />
· radikuläre Syndrome,<br />
· Arthritiden und Spondylitiden,<br />
· Muskelverletzungen,<br />
· Tendopatien,<br />
· myofasziale Schmerzsyndrome,<br />
· Inaktivität und lange Ruhigstellung.<br />
Eine muskuläre Dysbalance vermindert<br />
die Belastbarkeit des Bewegungsapparats.<br />
Besonders die verkürzte tonische<br />
Muskulatur ist bei mechanischer Überlastung<br />
sowie Schutz- und Abwehrbewegungen<br />
anfällig für Muskelzerrungen<br />
oder Muskelrisse.<br />
Verkürzte Muskeln sind in der Entspannungsphase<br />
nicht genügend elastisch.<br />
Dies erhöht den Widerstand und<br />
ist häufig Ursache von schmerzhaften<br />
Überlastungen der entsprechenden<br />
Muskeln und Sehnen (z. B. Insertionstendinosen).<br />
Muskuläre Dysbalancen<br />
verhindern optimale Bewegungsabläufe<br />
im Gelenk oder Wirbelsäulensegment<br />
(gestörtes Rollgleiten), was eine erhöhte<br />
Belastung bedeutet und Reizzustände<br />
nach sich ziehen kann [22].<br />
Funktionsdiagnostik ±<br />
Längentestung der Muskulatur<br />
Die Muskellänge wird rein klinisch ohne<br />
Hilfsmittel bestimmt. Zum Ausschluû<br />
einer Gelenkpathologie müssen alle beteiligten<br />
Gelenke exakt mitbeurteilt<br />
werden. Bei unklarem Testergebnis<br />
Dr. H. Spring<br />
Rheuma- und Rehabilitations-Klinik,<br />
CH-2954 Leukerbad<br />
Der Orthopäde 11´97 981
Orthopäde<br />
1997 ´ 26:981±986 Springer-Verlag 1997<br />
H. Spring · W. Schneider · T. Tritschler<br />
<strong>Stretching</strong><br />
Summary<br />
Static stretching exercises have become very<br />
popular over the past fifteen years both in<br />
professional and amateur sports. In the fields<br />
of physical therapy and in manual therapy, in<br />
particular, static stretching has become part<br />
of a standard and successful treatment<br />
modality. Together with an appropriate<br />
strengthening program, static stretching<br />
techniques have become the therapy of<br />
choice for treatment of muscle imbalances<br />
associated with functional disturbances of<br />
the musculoskeletal system. Specific muscle<br />
length testing procedures have been developed<br />
to determine muscle shortening in<br />
clinical practice. In this article, the fundamental<br />
principles of the different types of<br />
muscle stretching techniques are described,<br />
including the dynamic stretching and static<br />
stretching techniques. The exercises are<br />
organized along the concepts of passive<br />
static or neuromuscular stretching principles.<br />
The pertaining neurophysiologic fundamentals<br />
are discussed, as are the benefits of the<br />
individual methods of a functional exercise<br />
program. Examples are provided for the most<br />
important muscle groups.<br />
Key words<br />
<strong>Stretching</strong> · Muscular imbalance · Muscle<br />
length testing · Muscle stretching techniques<br />
982 Der Orthopäde 11´97<br />
Zum Thema: <strong>Stretching</strong><br />
Tabelle 1<br />
Zuordnung der Muskulatur [3]<br />
Überwiegend tonische Muskeln Überwiegend phasische Muskeln<br />
Schultergürtel ± Arm<br />
M. pectoralis major Mm. rhomboidei<br />
M. levator scapulae M. trapezius (Pars ascendens)<br />
M. trapezius (Pars horizontalis)<br />
M. trapezius (Pars descendens)<br />
M. biceps brachii M. triceps brachii<br />
Mm. scaleni<br />
Rumpf<br />
M. errector spinae im Lumbalund<br />
Zervikalbereich<br />
M. quadratus lumborum M. abdominis<br />
muû man eine Probebehandlung im<br />
Sinne einer Muskeldehnung anschlieûen.<br />
Hat sie Erfolg, ist anzunehmen,<br />
daû die Muskulatur tatsächlich pathologisch<br />
verkürzt ist [3, 8, 14, 17].<br />
Prinzip der Längentestung<br />
· Beteiligte Gelenke exakt untersuchen.<br />
Eine eingeschränkte Gelenkbeweglichkeit<br />
erschwert die Untersuchung.<br />
· Es soll immer nur über ein Gelenk getestet<br />
werden; bei zweigelenkigen<br />
Muskeln muû ein Gelenk fixiert werden.<br />
· Die Ausgangsposition und die Bewegungsrichtung<br />
müssen exakt gewählt<br />
werden.<br />
· Der untersuchte Muskel darf vor und<br />
während des Tests nicht gereizt werden.<br />
Den Muskel daher möglichst flächig<br />
anfassen, damit er nicht zur Kontraktion<br />
angeregt wird.<br />
· Der Test erfolgt passiv; der Patient<br />
nimmt eine entspannte Haltung ein.<br />
M. ererctor spinae<br />
im mittleren Thorakalbereich<br />
Becken ± Oberschenkel<br />
M. biceps femoirs M. vastus medialis<br />
M. semitendinosus M. vastus lateralis<br />
M. semimembranosus<br />
M. glutaeus medius<br />
M. iliopsoas M. glutaeus maximums<br />
M. rectus femoris M. glutaeus minimus<br />
M. adductor longus<br />
M. adductor brevis<br />
M. adductor magnus<br />
M. gracilis<br />
M. piriformis<br />
M. tensor fasciate latae<br />
Unterschenkel ± Fuû<br />
M. gastrocnemius M. tibialis anterior<br />
M. soleus Mm. peronaei<br />
· Die Testbewegung erfolgt ohne<br />
wippen, gleichmäûig und langsam.<br />
· Ein verkürzter Muskel hat im Test einen<br />
weichen Stopp.<br />
In der Abb. 1 ist die Längentestung der<br />
folgenden Muskeln dargestellt: Ischiokrurale<br />
Muskulatur, M. psoas major,<br />
M. rectus femoris, M. triceps surae.<br />
Die Untersuchungstechnik weiterer relevanter<br />
Muskelgruppen wurde in der<br />
Literatur mehrfach beschrieben [3, 8,<br />
17].<br />
Muskeldehntechniken<br />
Man unterscheidet grundsätzlich zwei<br />
verschiedene Methoden der Dehngymnastik<br />
[1, 15, 18, 19] (Abb. 2):<br />
· Schwunggymnastik (dynamisches,<br />
ballistisches Dehnen)<br />
· <strong>Stretching</strong> (statisches Dehnen),<br />
± passive statische Dehnübungen<br />
± neuromuskuläre Dehnübungen
Ischiokrurale Muskulatur (M. biceps femoris, M. semimembranosus,<br />
M. semitendinosus)<br />
Ausführung<br />
Flexion im Hüftgelenk. Der Untersucher umgreift den Unterschenkel weich.<br />
Er kontrolliert damit die Rotation des Beines. Eine eventuelle Beckenbewegung<br />
durch die proximal ansetzende Hand palpieren (wichtig zur Beurteilung<br />
des Stopps).<br />
Interpretation<br />
Ein weicher Stopp der Hüftflexion vor 80 weist auf eine Verkürzung der ischiokruralen<br />
Muskulatur hin. Ein harter, reflektorischer Stopp deutet dagegen<br />
auf eine radikuläre Nervenkompression (Las›gue-Phänomen) hin. Ein<br />
harter Stopp infolge einer Hüftarthrose verändert sich bei gleichzeitiger<br />
Knieflexion nicht (im Gegensatz zum Las›gue-Phänomen).<br />
M. rectus femoris<br />
Ausführung<br />
Flexion im Kniegelenk. Gleichzeitig eventuelle Beckenbewegung palpieren.<br />
Interpretation<br />
Wird im Hüftgelenk eine Flexion ausgelöst, ehe im Kniegelenk die 120 -Flexion<br />
erreicht wurde, so deutet dies auf einen verkürzten M. rectus femoris<br />
hin.<br />
Ein harter reflektorischer Stopp weist auf eine radikuläre Kompression kranial<br />
der Nervenwurzel L4 hin (umgekehrtes Las›gue-Phänomen).<br />
Abb. 1 ~ Längentestung der Muskulatur. (Aus [17])<br />
Bei den verschiedenen Dehntechniken<br />
werden unterschiedliche neurophysiologische<br />
Vorgänge ausgenutzt [19,<br />
24]:<br />
Länge und Spannung der Muskulatur<br />
werden mit speziellen Rezeptoren<br />
in den Muskeln und den dazugehörigen<br />
Sehnen gemessen: In Muskeln mit den<br />
M. psoas major<br />
Ausführung<br />
Extension im Hüftgelenk. Becken gut fixieren. Die thorakolumbalen Übergangssegmente<br />
beobachten.<br />
Interpretation<br />
Eine zunehmende, nach kranial gerichtete Lordose der Lendenwirbelsäule<br />
und der unteren Brustwirbelsäule weist auf eine Verkürzung des M. psoas<br />
major hin.<br />
M. triceps surae<br />
Ausführung<br />
Dorsalflexion im oberen Sprunggelenk bei gestrecktem Kniegelenk. Die Fuûsohle<br />
soll nicht irritiert werden, deshalb den Griff am lateralen Fuûrand ansetzen.<br />
Interpretation<br />
Ein weicher Stopp vor 20 deutet auf eine Verkürzung des M. triceps surae<br />
hin.<br />
Muskelspindeln, in Sehnen mit den<br />
Golgi-Sehnenkörpern.<br />
Die Muskelspindeln liegen parallel<br />
zu den Muskelfasern und registrieren<br />
Längenänderungen. Diese Längenänderungen<br />
reizen über schnelleitende Nervenfasern<br />
die dazugehörigen a-Motoneurone<br />
im Vorderhorn des Rücken-<br />
marks. Die erregten a-Motoneurone lösen<br />
eine Kontraktion aus, wodurch die<br />
Dehnung und Reizung der Muskelspindel<br />
aufgehoben wird. Dieser Vorgang,<br />
der durch rasche Muskeldehnung ausgelöst<br />
wird, heiût Dehnungsreflex.<br />
Jede rasche Muskeldehnung führt<br />
so zu einer reflektorischen Kontraktion<br />
des gedehnten Muskels. Die reflektorische<br />
Muskelkontraktion läût eine optimale<br />
Muskeldehnung nicht zu. Beim<br />
Der Orthopäde 11´97 983
passiven statischen Dehnen ± dem<br />
<strong>Stretching</strong> im eigentlichen Sinne ± wird<br />
durch die gleichmäûige Steigerung der<br />
Muskeldehnung versucht, den Dehnungsreflex<br />
zu verhindern.<br />
Die Informationen der Muskelspindeln<br />
werden nicht nur an die a-Motoneurone<br />
des dazugehörigen Muskels<br />
weitergeleitet, sondern auch über dazwischengeschaltete<br />
Nervenzellen an<br />
die a-Motoneurone der Antagonisten,<br />
wo eine Hemmung stattfindet (reziproke<br />
Hemmung der Antagonisten).<br />
Dieser Mechanismus der Muskelentspannung<br />
wird beim aktiven statischen<br />
Dehnen ausgenutzt.<br />
Am Übergang zwischen Muskel<br />
und Sehne liegen die Golgi-Sehnenkörper.<br />
Sie werden erregt, wenn die Spannung<br />
in Muskel und Sehne einen bestimmten<br />
Schwellenwert überschreitet.<br />
Im Gegensatz zum Dehnungsreflex werden<br />
die Motoneurone der Agonisten gehemmt<br />
und es kommt zu einer Abschwächung<br />
der Kontraktion. Eine<br />
starke Muskelspannung führt so zum<br />
Nachlassen der Kontraktion und dadurch<br />
zu einer sinkenden Muskelspannung<br />
(Eigenhemmung). Mit Hilfe der<br />
Eigenhemmung und anderer neurophysiologischer<br />
Vorgänge erklärt man die<br />
postisometrische Hemmung, die die<br />
kurze Muskelentspannung nach einer<br />
isometrischen Muskelanspannung bezeichnet.<br />
Diese Entspannungsphase<br />
kann zur optimalen Dehnung des Muskels<br />
genutzt werden: Anspannungs-Ent-<br />
984 Der Orthopäde 11´97<br />
Zum Thema: <strong>Stretching</strong><br />
Abb. 2 3 Übersicht über die<br />
verschiedenen Dehntechniken<br />
spannungs-Dehnen(contract-relaxstretching). Dynamische Dehntechnik<br />
Das dynamische Dehnen wird in der<br />
Sportgymnastik häufig praktiziert.<br />
Man versucht, die entsprechenden Muskeln<br />
möglichst weit zu dehnen und einen<br />
groûen Bewegungsumfang zu erreichen.<br />
Dies geschieht durch Schwingen,<br />
Wippen und Federn. Diese Schwunggymnastik<br />
enthält zusätzlich Elemente<br />
der Gelenkmobilisation und wird vor allem<br />
bei kombinierten Übungen eingesetzt.<br />
Durch die oft dreidimensionalen<br />
(3D-)Bewegungsmuster werden auch<br />
die koordinativen Fähigkeiten gefördert.<br />
Beim Aufwärmen als Vorbereitung<br />
auf eine nachfolgende Belastung muû<br />
die Muskulatur in einen optimalen<br />
Spannungszustand gebracht werden.<br />
Mit Vorteil wird dabei die dynamische<br />
Dehntechnik eingesetzt.<br />
Statische Dehntechniken<br />
(<strong>Stretching</strong>)<br />
Diese Art des Dehnens kann rein passiv<br />
erfolgen. Zusätzlich können aber auch<br />
neuromuskuläre Vorgänge zum Entspannen<br />
eingesetzt werden.<br />
Passive statische Dehnübungen<br />
Beim passiven statischen Dehnen wird<br />
der Muskel nach Erreichen der Dehn-<br />
stellung nur noch durch kleine ¾nderungen<br />
der Position weiter gedehnt.<br />
Dies geschieht entweder durch die<br />
Schwerkraft, eigene Muskelkraft, einen<br />
Partner oder einen Therapeuten.<br />
Der Widerstand nimmt zu, je stärker<br />
man dehnt. Man dehnt so weit, wie<br />
es gerade noch angenehm ist. Ein leichtes<br />
Ziehen im Muskel ist erlaubt,<br />
Schmerzen dagegen wären ein Zeichen<br />
von zu hoher Intensität. Das richtige<br />
Spannungsgefühl kann nur mit einiger<br />
Erfahrung richtig eingeschätzt werden,<br />
deshalb muû Dehnen erlernt werden.<br />
Für das richtige Dehnen gibt es keine<br />
Normwerte; die Intensität muû individuell<br />
gewählt werden. <strong>Stretching</strong> ist<br />
keine Wettkampfdisziplin.<br />
Über die Dauer der Dehnphase gibt<br />
es unterschiedliche Angaben. Für eine<br />
wirksame Dehnung sind 10±20 s angemessen.<br />
Während des Dehnens wird der<br />
normale Atemrhythmus beibehalten,<br />
da die Dehnung nur dann optimal verläuft,<br />
wenn die allgemeine Entspannung<br />
ausreichend ist.<br />
Neuromuskuläre Dehnübungen<br />
Bei dieser Dehnmethode werden neurophysiologische<br />
Vorgänge gezielt zur<br />
Entspannung der Muskulatur eingesetzt.<br />
Damit findet die Dehnung unter<br />
optimalen Bedingungen statt, weil einerseits<br />
die postisometrische Hemmung<br />
und andererseits die reziproke<br />
Hemmung der Antagonisten ausgenützt<br />
wird [2, 8, 12, 19, 21].<br />
Anspannungs-Entspannungs-Dehnen<br />
In Dehnstellung wird der Muskel für<br />
3±7 s aktiv isometrisch angespannt. In<br />
der darauffolgenden Phase der Muskelentspannung<br />
(postisometrische Hemmung)<br />
wird wie beim passiven statischen<br />
Dehnen die Dehnung verstärkt<br />
und 10 s gehalten. Aus der erreichten<br />
Dehnstellung wird dieser Ablauf (isometrische<br />
Anspannung ± Entspannung<br />
± Dehnung) mehrmals wiederholt.<br />
Diese Form des Dehnens wird vor<br />
allem therapeutisch eingesetzt, um einen<br />
verkürzten Muskel wieder auf Normallänge<br />
zu dehnen. In der manuellen<br />
Therapie der Wirbelsäule wird das Anspannungs-Entspannungs-Dehnen<br />
zur<br />
gezielten Mobilisation eines Wirbelsäulenabschnitts<br />
eingesetzt (neuromusku-
Hintere Unterschenkelmuskulatur<br />
V<br />
V<br />
Ausführung<br />
Ferse auf den Boden drücken<br />
Körper gleichmäûig nach vorne neigen.<br />
Hinweis<br />
± durch Beugen des Kniegelenkes wird bei sonst gleicher<br />
Ausführung gezielt die tiefe Wadenmuskulatur (M. soleus)<br />
gedehnt.<br />
V<br />
V<br />
Vordere Hüftmuskulatur<br />
V<br />
V<br />
Ausführung<br />
Hüfte nach vorne schieben.<br />
Hinweis<br />
± Um eine gezielte Dehnung der Hüftbeuger zu erreichen,<br />
darf die Hüfte nicht nach auûen gedreht werden.<br />
Die Füûe bleiben nach vorne ausgerichtet.<br />
V<br />
Schulter-Nacken-Muskulatur<br />
V<br />
V<br />
V<br />
Ausführung<br />
± Kopf zur Gegenseite neigen und mit der Hand fixieren.<br />
± Andere Hand umfaût die Sitzfläche.<br />
Rumpf langsam zur Seite neigen und ausatmen.<br />
Hinweis<br />
± Die Dehnung erfolgt einzig durch die Seitneigung des<br />
Rumpfes, es darf nicht am Kopf gezogen werden.<br />
V<br />
V<br />
Abb. 3 ~ <strong>Stretching</strong>übungen. (Aus [17])<br />
Vordere Oberschenkelmuskulatur<br />
V<br />
V<br />
V<br />
V<br />
Ausführung<br />
Ferse in Richtung Gesäû ziehen.<br />
Knie langsam nach hinten bewegen.<br />
Hinweise<br />
± Der Kopf ist leicht nach vorne gebeugt.<br />
± Bei starker Verkürzung kann die Distanz zwischen Hand<br />
und Fuû mit einem Tuch überbrückt werden.<br />
Hintere Hüftmuskulatur<br />
V<br />
V<br />
Ausführung<br />
Rumpf<br />
neigen.<br />
Hinweis<br />
mit gestreckter Wirbelsäule nach vorne<br />
± Bei Gefühlsstörung im Bein Dehnung abbrechen.<br />
V<br />
Rückenmuskulatur<br />
V<br />
V<br />
V<br />
Ausführung<br />
Knie strecken.<br />
Rundrücken verstärken.<br />
Hinweis<br />
± Die Übung ist dann richtig ausgeführt, wenn das Dehngefühl<br />
vor allem in der Rückenmuskulatur im Lendenwirbelsäulenbereich<br />
verspürt wird. Es sollen vorwiegend<br />
die lumbalen Rückenstrecker gedehnt werden.<br />
Hintere Oberschenkelmuskulatur<br />
V<br />
V<br />
V<br />
V<br />
Ausführung<br />
Knie strecken.<br />
Oberkörper nach vorne neigen.<br />
Hinweise<br />
± Der Rücken wird möglichst gerade gehalten.<br />
± Spannungsunterschiede zwischen links und rechts sind<br />
als Hinweis zu werten, welche Seite intensiver gedehnt<br />
werden muû.<br />
V<br />
Innere Hüftmuskulatur<br />
V<br />
Ausführung<br />
Becken schräg nach unten schieben.<br />
Hinweis<br />
± Einfachere Ausführung: Das Gewicht des Oberkörpers<br />
wird mit den Händen auf dem gebeugten Knie oder<br />
der Unterlage abgestützt.<br />
V<br />
Seitliche Rumpfmuskulatur<br />
V<br />
V<br />
V<br />
Ausführung<br />
Hüfte seitwärts schieben.<br />
Rumpf zur Gegenseite bewegen und ziehen.<br />
Hinweise<br />
± Bei der Neigung nach links steht das linke Bein vorne<br />
und umgekehrt.<br />
± Die Bewegung soll in einer Ebene stattfinden.<br />
Der Orthopäde 11´97 985
läre Therapie NMT2) [4]. Für die tägliche<br />
Gymnastik des Gesunden genügt<br />
das passiv statische Dehnen, das die<br />
normale Muskellänge erhält [7, 10, 11,<br />
13, 16].<br />
Aktives statisches Dehnen<br />
Der Muskel wird durch Kontraktion seiner<br />
Antagonisten aktiv gedehnt. Diese<br />
Kontraktion löst eine reflektorische<br />
Hemmung aus (reziproke Hemmung).<br />
Dadurch kann der Muskel optimal gedehnt<br />
werden. Gedehnt wird 10±20 s.<br />
Das Prinzip des aktiven statischen Dehnens<br />
wird in der manuellen Therapie<br />
ebenfalls zur Mobilisation eingesetzt<br />
(neuromuskuläre Therapie NMT3) [4].<br />
Eine Auswahl für die tägliche Gymnastik<br />
wichtiger Dehnübungen ist in<br />
Abb. 3 dargestellt. Eine umfassende<br />
Übungsauswahl wurde vom gleichen<br />
Autorenkollektiv publiziert [17, 18].<br />
Fazit für die Praxis<br />
<strong>Stretching</strong> hat sich als effiziente Dehntechnik<br />
sowohl in der physiotherapeutischen Behandlung,<br />
dem Eigentraining der Patienten,<br />
wie auch in der alltäglichen Gymnastik des<br />
Fitness- und Leistungssportlers etabliert.<br />
<strong>Stretching</strong> ist somit ein wichtiger Bestandteil<br />
einer funktionellen Gymnastik, muû aber ergänzt<br />
werden durch dynamische Dehnmethoden,<br />
Mobilisationstechniken für die Gelenke<br />
und eine Kräftigungsgymnastik, die<br />
neben der Kraft und Kraftausdauer auch die<br />
koordinativen Fähigkeiten fördert.<br />
986 Der Orthopäde 11´97<br />
Zum Thema: <strong>Stretching</strong><br />
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16. Spring H (1985) Was bringt das <strong>Stretching</strong>?<br />
Schweiz Z Sportmed 33: 21±24<br />
17. Spring H, Dvorak J, Schneider W, Tritschler T, Villiger<br />
B (1997) Theorie und Praxis der Trainingstherapie.<br />
Thieme, Stuttgart New York<br />
18. Spring H, Illi U, Kunz R, Röthlin K, Schneider W,<br />
Tritschler T (1991) Dehn- und Kräftigungsgymnastik,<br />
4. Aufl. Thieme, Stuttgart New York<br />
19. Ullrich KA, Gollhofer (1994) Physiologische<br />
Aspekte und Effektivität unterschiedlicher<br />
Dehnmethoden. Dtsch Z Sportmed 45: 336<br />
20. Van Mechelen W, Hlobil H, Kemper HC, Voorn WJ,<br />
de Jongh HR (1993) Prevention of running injuries<br />
by warm-up, cool-down, and streching<br />
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21. Wallin D, Ekblom B, Grahn R, Nordenborg T (1985)<br />
Improvement of muscle flexibility, a comparison<br />
between two techniques. Am J Sports<br />
Med 13: 263±268<br />
22. Weber J, Berthold F, Brenke H, Dietrich L (1985)<br />
Die Bedeutung muskulärer Dysbalancen für<br />
die Störung der arthromuskulären Beziehungen.<br />
Med Sport 25: 149±151<br />
23. Wiemann K (1994) Beeinflussung muskulärer<br />
Parameter durch unterschiedliche Dehnverfahren.<br />
In: Hoster M, Nepper HU (Hrsg) Dehnen<br />
und Mobilisieren. Sport Consult, Waldenburg,<br />
S 40±71<br />
24. Wolff HD (1983) Neurophysiologische Aspekte<br />
der manuellen Medizin, 2. Aufl. Springer, Berlin<br />
Heidelberg New York