Wegfinder - Handbuch für Umweltbildung in Süd- und Mittelhessen

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8 Bemerkungen zur Didaktik von Umweltprojekten Wolfgang Ellenberger Vielfältig sind die Aktivitäten im Bereich der Umweltbildung an den Schulen und Umweltbildungseinrichtungen. Doch bei aller Unterschiedlichkeit der Vorhaben und Projekte, bei aller Verschiedenheit der inhaltlichen Ausrichtung, des Alters der beteiligten SchülerInnen und der Schulform: Alle beschriebenen Projekte schaffen die Möglichkeit einige wichtige didaktische Prinzipien – Leitlinien der Umweltbildung – zu verwirklichen1): Didaktik ■ Vorhaben der Umweltbildung sind stets handlungsorientiert, d. h. im Vordergrund stehen die aktive Teilhabe und die Mitgestaltung der SchülerInnen. ■ Umweltprojekte sind auf konkrete Erfahrungssituationen bezogen, greifen sehr oft Probleme aus dem Lebensumfeld, der Umwelt auf (z. B. Fragen der Energieeinsparung in der Schule) und ermöglichen die Anwendung erworbenen Wissens. ■ Inhalte können in der Umweltbildung nicht wertfrei vermittelt werden; im Unterricht sollen Wertvorstellungen gefördert werden, bei denen (Lebens-) Rechte und Würde aller Lebewesen geachtet und das Zusammenleben von Menschen, Tieren und Pflanzen als partnerschaftliches Verhältnis, als Symbiose, betrachtet werden und Umwelt als Mitwelt gesehen wird. ■ Es gilt bei SchülerInnen die Fähigkeit zu einem behutsamen Umgang mit der Natur zu entwickeln, Empfindsamkeit, innere Betroffenheit und Engagement für Naturund Umweltschutz zu fördern. ■ Entscheidungen der Menschen sollten dem Prinzip der Nachhaltigkeit entsprechen, d. h. auf den Erhalt der Lebensgrundlagen gegenwärtig lebender wie zukünftiger Generationen aller Lebewesen ausgerichtet sein. Das beinhaltet, dass bei Entscheidungen immer ökologische, ökonomische und soziale Aspekte gegeneinander abgewogen werden müssen. ■ Komplexe Probleme, die sich in der Umweltbildung stellen, können nicht aus der Sicht eines Faches gelöst werden, sie erfordern zwingend mehrperspektivisches Denken, den Einsatz von Denkmethoden und Arbeitsweisen verschiedener Fächer / Disziplinen. ■ Die Überwindung der Eindimensionalität des Fachdenkens führt zwangsläufig dazu zu erkennen, dass in Fragen der Umweltbildung viele Aspekte miteinander verknüpft sind. Sie können nur mit einem Denken in Netzbeziehungen, systemischem Denken, angegangen werden. ■ Umweltbildung kann sich nicht ausschließlich in kognitiv bestimmten Lernprozessen vollziehen. Sie kann nur erreicht werden, wenn das Prinzip der Ganzheitlichkeit berücksichtigt wird, wenn der Lernende als ganzer Mensch, mit seinen Gefühlen und Bedürfnissen, seinen Wertvorstellungen und seinen Einstellungen, seiner Sensibilität und seiner Handlungsbereitschaft in die Bildungsprozesse einbezogen wird. 1) Leitlinien für die Arbeit im Zentrum für Umweltbildung und Solarenergie (ZUmbiS) der Jakob-Grimm-Schule Rotenburg. 2000. Umweltbildung ist also mehr als Spielen am Wassertisch, mehr als Unterricht über Teichökologie oder Information über Energie sparende Technik. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, „die SchülerInnen zu umweltgerechtem Handeln und zu einem behutsamen Umgang mit der Natur zu erziehen. Dies bedeutet, dass der Einzelne sein bis heriges Handeln überdenken und gegebenenfalls ver ändern muss. Die Selbst-überschätzung des Menschen, sich als Herrscher über die Natur zu verstehen, soll überwunden werden.“ 2) Diese allgemeine Zielsetzung einer sich ganzheitlich verstehenden Umweltbildung sollte für die einzelnen Altersgruppen mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung angestrebt werden. Altersgruppe 4 – 8 Jahre Kinder dieser Altersgruppe erobern sich spielend die Welt. Es gilt, ihre Aufmerksamkeit (weg von der künstlichen Welt des Fernsehens und der ‚vorgefertigten’ Spielwelten) auf das unmittelbare Erleben der Natur zu lenken. Die Kinder sollten selbst Erfahrungen machen, dabei lernen der Natur erlebnismäßig und sachlich zu begegnen, die Dinge zu erkennen und zu verstehen, dabei auch ihre Attraktivität zu spüren und ihre Schönheit zu empfinden. Umweltbildung sollte den Kindern einen Gegenentwurf zur technisch geprägten Konsumwelt und neue Er lebnismöglichkeiten anbieten. 2) Ellenberger (Hrsg.): Ganzheitlich-kritischer Biologieunterricht, S. 263. Berlin 1993 3) Ellenberger (Hrsg.) S. 275. Berlin 1993 Altersgruppe 8 – 12 Jahre Charakteristisch für diese Altersgruppe ist das Bedürfnis, Erfahrungen zu sammeln und sich die Welt zu erschließen. Das geschieht in ganzheitlicher Weise. Erleben, sachliche Analyse und ästhetisches Empfinden sind kaum voneinander zu trennen. Dennoch sollten den LehrerInnen verschiedene Kategorien bewusst sein, die es bei der Gestaltung von Vorhaben der Umweltbildung zu beachten gilt, wenn die Kinder Strukturen erfassen Ästhetik Natur kennen- (lernen) zwei zen trale Zielvorstellungen erreichen sollen: 1. sich als Teil der Natur / Umwelt begreifen 2. eine positive Einstellung zur Natur / Umwelt entwickeln und vertreten. Diesen beiden komplexen Zielen müssen in einzelne Aktivitäten / Operationen zugeordnet werden, die den Planungs- und Handlungsrahmen beschreiben, der zur Verwirklichung der komplexen Intentionen führen kann. 3) Wege und Ziele der Umwelterziehung (Jahrgangsstufe 5/6) Wechselbeziehungen zwischen Ökonomie und Ökologie erfassen beobachten / betrachten lernen Ziel: – sich als Teil der Natur/Umwelt begreifen – eine positive Einstellung zur Natur entwicklen und vertreten WEGfinder-Süd-PDF-2-S.indd 8-9 12.03.2006 16:38:50 Uhr gemeinsames Erleben Natur „besitzen” Umwelt / Natur nutzen Vorbild und Verhalten Natur / Umwelt erleben Natur gestalten mit Natur umgehen Natur / Umwelt pflegen in Natur spielen von Natur erschließen 9
10 Didaktik Für die konkrete Planung eines Projekts empfiehlt es sich, vorab zu überlegen, welche Handlungen / Aktivitäten geeignet erscheinen bzw. möglich sind, um die einzelnen Kategorien zu berücksichtigen, wie es ein Ausschnitt aus der Planung einer „Waldwoche“ für eine 6. Klasse zeigt: Kategorie Inhalt beobachten lernen Naturkennen (-lernen) Strukturen erfassen Wechselbeziehungen Ökonomie und Ökologie In der Natur spielen Ästhetik von Natur erschließen ■ Blätter, Borke betasten ■ Gegenstände auffinden, Suchspiel 4) ■ Blätter bestimmen, Umgang mit Bestimmungstabellen ... ■ Fraßspuren identifizieren ... ■ Räuber-Beute-Beziehung: Eichhörnchen ➛ Specht ➛ Zapfen ■ Waldboden – Blattzersetzungsreihe und Humusbildung ... ■ Wald als Wirtschaftsfaktor ■ Besuch des Försters ... ■ Eulen und Krähen 5) ■ Das große Suchen 6) ■ Blattbilder durchrubbeln (Frottagetechnik) ■ Bilder von Laub- und Nadelwald zeichnen Dieses Planungsschema, für die Altersgruppe der 8 – 12jährigen dargestellt, eignet sich mit Abwandlungen auch für die anderen, zumindest aber für die benachbarten Altersgruppen. 4) Cornell: Mit Kindern die Natur erleben, S. 78. Soyen 1979; 5) Cornell, S. 74; 6) Cornell, S. 78. Altersgruppe 12 – 15 Jahre SchülerInnen dieser Altersstufe befinden sich in der Hauptphase ihrer Pubertät. Orientierung und Selbstfindung, der Aufbau eines eigenen Wertesystems charakterisieren ihre Auseinandersetzung mit der Welt. Projekte der Umweltbildung sollten den Jugendlichen Gelegenheit verschaffen, Natur zu erleben, Erkenntnisse zu gewinnen und über beides – Erkennen und Erleben – in Fragen des Natur- und Umweltschutzes und auch des eigenen Verhaltens ein zudringen. Noch stärker als in den an deren Altersstufen wird hier das Vorbild der Erwachsenen darüber entscheiden, wie glaubwürdig die Jugendlichen Umweltbildung empfinden. Projekte sollten noch deutlicher den Akzent auf praktisches Arbeiten als auf theoretische Durchdringung legen, dabei bei Jugendlichen das Gefühl wecken, etwas Sinnvolles getan zu haben (z. B. Anlegen eines Teiches, Biotoppflege ...), und dabei einen Beitrag zum Aufbau ihres Selbstwertgefühls leisten. Altersgruppe über 15 Jahre Jugendliche dieser Altersstufe sind mehr und mehr in der Lage, die Welt aus der Perspektive eigener Wertvorstellungen zu betrachten, Verantwortung zu übernehmen und sich für Umwelt- und Naturschutz zu engagieren. Daher rücken Sachkenntnisse und komplexere Denkformen (z. B. Denken in Netzbeziehungen) stärker in den Mittelpunkt, die eine zielgerichtete und verantwortungsvolle Gestaltung von Projekten ermög lichen (z. B. Bau von Solaranlagen, Entwicklung und Durchführung von Konzepten der Energieeinsparung). Die praktische Erfahrung bei der Arbeit in Umweltbildungsprojekten zeigt, dass die genannten Leitlinien in allen Altersstufen verwirklicht werden können – aber eben der psychologischen Situation und den Denk- und Handlungsmöglichkeiten entsprechend. Die Entfaltung der Leitlinien entwickelt sich in Form einer Spirale: Immer wieder werden Erkenntnisse / Kategorien einer früheren Stufe aufgenommen und zu einer höheren und komplexeren Ausprägung fortentwickelt: Auch Kinder im Kindergartenalter können Zusammenhänge erkennen und Verantwortung übernehmen; beide Ziele werden sich aber für junge Erwachsene anders darstellen. 11 Unter „Verantwortung“ wäre dann – im Gegensatz zum Kindergartenalter, wo ein Kind z. B. die Verantwortung für die Pflege einer Pflanze übernehmen kann – eine Verantwortung auch für gesellschaftliche Probleme und Entscheidungen (z. B. für die Planung eines Energiesparkonzepts) zu verstehen. WEGfinder-Süd-PDF-2-S.indd 10-11 12.03.2006 16:38:51 Uhr
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