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22 Von Max Becker Die Energieknappheit wird gemeinhin als Treiberin aller Bemühungen zum Energiesparen gesehen. Das dritte Kolloquium des Aktionsfeldes Wirtschaft & Industrie im Jahreszyklus zur Energiewende inspirierte zum Hinterfragen dieser These. Fazit: Es steht zwar genügend Energie zur Verfügung, doch muss sie intelligent genutzt werden. Dr. Jürgen Baumann, Leiter Business Development Energieeffizienz von Siemens Schweiz AG, führte das Kolloquium mit der Bemerkung ein, dass sich der jährliche Weltenergiebedarf auf 16 Terawatt-Jahre beläuft, die fossilen Reserven (Kohle, Uran, Erdöl, Erdgas) betragen zirka 1500 Terawatt-Jahre. Daneben beträgt die weltweite solare Einstrahlung rund 23 000 Terawatt-Jahre. Er stellte vor diesem Hintergrund die provokative Frage, ob es – angesichts des Energieflusses der Sonne und der Energievorräte in der Erde – überhaupt ein Energieproblem gebe. Die Krux ist natürlich, dass wir schlecht vorbereitet sind: zu wenig geeignete «Erntemaschinen» für erneuerbare Energien, zu wenig Möglichkeiten der «Aufbewahrung» und wenig passende Netzstrukturen. GESPrÄCH Die Energievorräte schonend und intelligent nutzen Die Gebäudeautomation könne einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der Situation leisten. «Die Zukunft liegt bei anwesenheits- und bedarfsgerechten Regelungen (kein Betrieb ohne Nutzen). Neben den Wohngebäuden bieten insbesondere Büros, Schulen, Spitäler, Hotels/Restaurants, Warenhäuser und Einkaufszentren sehr grosse Einsparpotenziale.» Voraussetzung sei, dass die Interaktion mit den Nutzern gewährleistet ist, wofür die neuen Mittel der Kommunikation die Grundlage bieten. Ausserdem zeige die Erfahrung, dass transparente Verbrauchsanzeigen in Gebäuden mithelfen, die Energiebilanzen zu verbessern. Die Zukunft liege bei «Smart Buildings» – und auch bei der Elektromobilität, die (zumindest im Bereich Individualverkehr) ja noch in den Kinderschuhen stecke. Emissionsfreie Produktion keine Utopie Thomas Wiederkehr, Geschäftsführer der auf die Erstellung von Industriebauten spezialisierten IE Graphic Engineering, ging der Frage nach, welches die grössten Hebel sind: Während beim «Wohnen» die Gebäude im Vordergrund stehen, sind es in der Industrie die Produktionsprozesse (die Gebäude spielen hier eher eine Ne- benrolle). Eine CO2-neutrale, emissionsfreie Produktionsstätte dürfe nicht eine Utopie bleiben, betonte Thomas Wiederkehr. Dabei sei es wichtig, Vorgaben nicht nur für einzelne Gebäude, sondern für gesamte Areale zu setzen und Energie- Austausch-Modelle zu fördern. Als Beispiel nannte Wiederkehr zunächst einen Energieverbund zwischen einer Druckerei und einer Sportanlage in Dielsdorf, wo die in der Druckerei produzierte Prozesswärme bei der Sportanlage (Schwimmbad, Eisbahn) verwendet werden kann. Dann nannte er auch die Firma Heizplan AG (Gams), die in ihrer Produktionsstätte mehr als vier Mal so viel Energie erzeugt, wie das Gebäude selbst verbraucht. In der öffentlichen Wahrnehmung bereits gut eingeführt sind verschiedene Energie-Labels (zum Beispiel Minergie, LEED). Sie sind vor allem Standards für den Energieverbrauch von Liegenschaften, berücksichtigen aber die Produktionsprozesse noch wenig. Energieeffizienz bei Investitionen Aus der Sicht der KMUs legte Florian Nussbaum, Inhaber Nussbaum AG in Matzingen/TG, dar, dass aktives, ganzheitliches Energiemanagement es ermög-
Referenten und Moderatoren, von links: Anton Bucher, Florian Nussbaum, Thomas Wiederkehr, Dr. Jürgen Baumann und Dr. Max Becker. licht, erhebliche Kosteneinsparungen zu realisieren: Nussbaum AG ist führend in der Herstellung hochwertiger Dosen und Tuben aus Aluminium mit Fertigungsstandorten in der Schweiz und in Deutschland (400 Mitarbeitende, Umsatz zirka 85 Millionen Euro) und Anwendungen im Nahrungsmittelbereich sowie im Kosmetik-/Pflegesektor. Jährlich werden rund 435 Millionen Produktionseinheiten hergestellt. Wiederverwertetes Aluminium benötigt nur noch 5 Prozent des ursprünglichen Energieaufwands und 75 Prozent des seit Beginn hergestellten Aluminiums sind noch im Markt. Aluminium steht damit schlechthin für optimal rezykliertes Material. Nussbaum AG wurde mit kreativen Innovationen verschiedentlich mit dem «Can of the year»-World-Award ausgezeichnet. Bei der «intelligenten Produktion» spielt die Wärmerückgewinnung eine zentrale Rolle, zum Beispiel bei der Dosenwaschanlage. Nussbaum legt grossen Wert auf den Einbezug des Faktors Energieeffizienz bei Neu- und Ersatzinvestitionen. Es braucht einen «Turnaround» im Alltag Die rege Diskussion im Anschluss an die Referate zeigte, dass wir bezüglich Energieeffizienz wohl erst am Anfang stehen: Es steht genügend Energie zur Verfügung, aber intelligente Nutzung und optimale Allokation der Ressourcen sind notwendig, um die Vorräte schonend zu nutzen. Die Wende wird nur zum Erfolg, wenn sie durch die richtigen Anreize untermauert werden kann: Zuckerbrot und Peitsche sind wohl auch hier notwendig. Hitzige Diskussionen auf politischer, medialer und gesellschaftlicher Ebene mögen unterstützend und begleitend wirken, aber der wirkliche «Turnaround» wird ganz konkret im Alltag und in unseren Köpfen stattfinden müssen. Zyklus «Energiewende: wünschbar? Machbar? Bezahlbar?»; <strong>Lilienberg</strong> Kolloquium vom 25. Juni 2012, «Energiekonzepte: Intelligenz und Effizienz als Lösungsweg?», mit Florian Nussbaum, Vizepräsident und Inhaber Nussbaum AG, Matzingen, Dr. Jürgen Baumann, Experte für energetische Modernisierung und Energiedienstleistungen, Siemens Schweiz AG, Steinhausen, und Thomas Wiederkehr, Geschäftsführer IE Graphic Engineering Zürich AG, Zürich; Moderation: Dr. Max Becker und Anton Bucher (Aktionsfeld Wirtschaft & Industrie). Weitere Anlässe im Rahmen des Zyklus 2012 Dienstag, 30. Oktober 2012, 9.30 bis 16.15 Uhr: Tagung in Zusammenarbeit mit Avenir Suisse. Anschliessend von 17 bis 19 h: Ausserordentliches Gespräch. Podiumsteilnehmer: Nationalrat Martin Bäumle, Nick Beglinger (Präsident swisscleantech), Jürg Brand (Verwaltungsratspräsident Roll infratec AG), Ständerat Roland Eberle (Mercanda Consulting) Dr. Martin P. Everts (Leiter Unternehmensentwicklung Axpo AG) und Dr. Urs Meister (Kadermitglied Avenir Suisse). – Moderation: Davide Scruzzi, Inlandredaktor NZZ.
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