BUNDESABGABENORDNUNG
BUNDESABGABENORDNUNG
BUNDESABGABENORDNUNG
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
<strong>BUNDESABGABENORDNUNG</strong><br />
Bundesgesetz vom 28. Juni 1961, betreffend allgemeine Bestimmungen und das<br />
Verfahren für die von den Abgabenbehörden des Bundes verwalteten Abgaben<br />
(Bundesabgabenordnung – BAO)<br />
Aufbau der BAO:<br />
Anwendungsbereich des Gesetzes (§§ 1-3 BAO)<br />
1. Abschnitt: Allgemeine Bestimmungen (§§ 4-48b BAO)<br />
2. Abschnitt: Abgabenbehörden und Parteien (§§ 49-84 BAO)<br />
3. Abschnitt: Verkehr zwischen Abgabenbehörden, Parteien und sonstigen Personen<br />
(§§ 85-113 BAO)<br />
4. Abschnitt: Allgemeine Bestimmungen über die Erhebung der Abgaben<br />
(§§ 114-160 BAO)<br />
5. Abschnitt: Ermittlung der Grundlagen für die Abgabenerhebung und Festsetzung<br />
der Abgaben (§§ 161-209a BAO)<br />
6. Abschnitt: Einhebung der Abgaben (§§ 210-242 BAO)<br />
7. Abschnitt: Rechtsschutz (§§ 243-311 BAO)<br />
8. Abschnitt: Kosten (§§ 312-315 BAO)<br />
9. Abschnitt: Übergangs- und Schlussbestimmungen (§§ 317-324 BAO)<br />
1. Geltungsbereich<br />
Die BAO gilt insbesondere für bundesrechtlich geregelte öffentliche Abgaben,<br />
soweit sie von Abgabenbehörden des Bundes zu erheben sind.<br />
Die BAO gilt (derzeit) nicht für Landes- und Gemeindeabgaben<br />
(zB Vergnügungssteuern, Gebrauchsabgaben, Hundesteuern,<br />
Fremdenverkehrsabgaben, Jagdabgaben).<br />
2. Zuständigkeit und Organisation der Abgabenbehörden<br />
2.1 Sachliche Zuständigkeit<br />
Abgabenbehörden des Bundes sind vor allem:<br />
• Bundesministerium für Finanzen (BMF),<br />
• unabhängiger Finanzsenat (UFS),<br />
• Finanzämter, Zollämter.<br />
1
Die sachliche Zuständigkeit dieser Abgabenbehörden ist insbesondere geregelt<br />
• im Abgabenverwaltungsorganisationsgesetz (AVOG),<br />
• in der Bundesabgabenordnung (BAO),<br />
• im BG über den unabhängigen Finanzsenat (UFSG).<br />
Der unabhängige Finanzsenat ist vor allem zuständig für<br />
• Berufungen gegen Bescheide der Finanzämter,<br />
• Rechtsmittel im Finanzstrafverfahren.<br />
2.2 Örtliche Zuständigkeit der Finanzämter<br />
Die örtliche Zuständigkeit ist insbesondere in den §§ 53 bis 73 BAO geregelt.<br />
Grundsätzlich sind beispielsweise zuständig:<br />
- Für die Einkommensteuer unbeschränkt Steuerpflichtiger (nach § 55 BAO) das<br />
Wohnsitzfinanzamt (= jenes Finanzamt, in dessen Bereich der Abgabepflichtige<br />
einen Wohnsitz oder in Ermangelung eines Wohnsitzes seinen gewöhnlichen<br />
Aufenthalt hat; bei mehrfachem Wohnsitz im Bereich mehrerer Finanzämter jenes<br />
Finanzamt, in dessen Bereich sich der Abgabepflichtige vorwiegend aufhält).<br />
Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung innehat unter Umständen, die darauf<br />
schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird (§ 26 Abs 1 BAO).<br />
Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen<br />
lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Land nicht nur vorübergehend verweilt (§ 26 Abs 2<br />
erster Satz BAO).<br />
Unterhält der Abgabepflichtige lediglich im Bereich eines Finanzamtes einen oder<br />
mehrere Betriebe (insbesondere Gewerbebetriebe), so ist dieses Finanzamt für die<br />
Erhebung der Einkommensteuer zuständig.<br />
Beispiele:<br />
1. Ein Abgabepflichtiger hat zwei Wohnsitze (in Innsbruck und in Linz). Seine Familie<br />
wohnt in Innsbruck; dort hält er sich nur zum Wochenende auf. Er arbeitet als<br />
Arbeitnehmer in Linz und hält sich dort fünf Tage pro Woche auf.<br />
Die Erhebung der Einkommensteuer obliegt dem Finanzamt Linz (als Folge<br />
des vorwiegenden Aufenthaltes).<br />
2. Eine Abgabepflichtige hat ihren Wohnsitz in Kufstein.<br />
Sie unterhält ihren (einzigen) Gewerbebetrieb in Innsbruck.<br />
2
Die Erhebung der Einkommensteuer obliegt dem Finanzamt Innsbruck<br />
(als Folge der dortigen Geschäftsleitung ihres Gewerbebetriebes).<br />
3. Ein Abgabepflichtiger hat seinen Wohnsitz in Linz. Er unterhält Gewerbebetriebe<br />
in Villach, Eisenstadt und Linz.<br />
Die Erhebung der Einkommensteuer obliegt dem Finanzamt Linz (die Betriebe liegen<br />
in den Amtsbereichen mehrerer Finanzämter).<br />
- Für die Körperschaftsteuer unbeschränkt Steuerpflichtiger (nach § 58 BAO) das<br />
Finanzamt, in dessen Bereich sich der Ort der Geschäftsleitung (bzw des Sitzes)<br />
befindet.<br />
Als Ort der Geschäftsleitung ist der Ort anzunehmen, an dem sich der Mittelpunkt der geschäftlichen<br />
Oberleitung befindet (§ 27 Abs 2 BAO).<br />
- Für die Umsatzsteuer (nach § 61 BAO) das Finanzamt, das für die Einkommensteuer,<br />
Körperschaftsteuer oder für die einheitliche und gesonderte Feststellung<br />
der Einkünfte (§ 188 BAO) zuständig ist.<br />
- Für die Angelegenheiten des Steuerabzuges vom Arbeitslohn (Lohnsteuer) und<br />
die Erhebung des Dienstgeberbeitrages (nach § 57 BAO) das Finanzamt, das für<br />
die Einkommensteuer, Körperschaftsteuer oder für die einheitliche und gesonderte<br />
Feststellung der Einkünfte des Arbeitgebers zuständig ist.<br />
- Für die Grunderwerbsteuer (nach § 64 BAO) das für Gebühren und Verkehrsteuern<br />
sachlich zuständige Finanzamt, in dessen Bereich das Grundstück bzw<br />
sein wertvollster Teil gelegen ist (zB Finanzamt für Gebühren und Verkehrsteuern<br />
in Wien für ein in Eisenstadt gelegenes Grundstück, Finanzamt Innsbruck für in<br />
Tirol gelegenes Grundstück, Finanzamt Klagenfurt für ein in Villach gelegenes<br />
Grundstück).<br />
3. Abgabenanspruch, Haftung<br />
3.1 Abgabenanspruch (§§ 4 und 6 BAO)<br />
Der Abgabenanspruch (die Abgabenschuld) entsteht grundsätzlich unabhängig<br />
von einer behördlichen Maßnahme; Abgabenbescheide sind daher hinsichtlich<br />
der Abgabenhöhe deklarativ.<br />
3
Bei Einkommen(Körperschaft)steuer-Vorauszahlungen setzt die Entstehung des<br />
Abgabenanspruches die Erlassung eines Vorauszahlungsbescheides voraus.<br />
Vorrang haben die in einzelnen Abgabengesetzen enthaltenen Regelungen<br />
(zB § 19 UStG 1994, § 8 GrEStG 1987).<br />
Die BAO regelt ua für die Einkommensteuer und für die Körperschaftsteuer<br />
den Zeitpunkt der Entstehung des Abgabenanspruchs<br />
• für die Vorauszahlungen mit Beginn des Kalendervierteljahres (für das die<br />
Vorauszahlungen zu entrichten sind),<br />
• für die zu veranlagende Einkommen- und Körperschaftsteuer (soweit der<br />
Anspruch nicht bereits für die Vorauszahlungen entstanden ist) mit Ablauf des<br />
Kalenderjahres, für das die Veranlagung vorgenommen wird, bzw mit Erlöschen<br />
der Abgabepflicht (während des Kalenderjahres),<br />
• für Steuerabzugsbeträge (zB Lohnsteuer, Kapitalertragsteuer) im Zeitpunkt<br />
des Zufließens der steuerabzugspflichtigen Einkünfte.<br />
Subsidiär gilt die Generalklausel des § 4 Abs 1 BAO. Danach entsteht der<br />
Abgabenanspruch, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz<br />
die Abgabepflicht knüpft.<br />
Dies gilt zB für Anspruchszinsen (§ 205 BAO), Stundungszinsen (§ 212 Abs 2 BAO),<br />
Aussetzungszinsen (§ 212a Abs 9 BAO), Säumniszuschläge (§ 217 BAO).<br />
Der Zeitpunkt der Entstehung des Abgabenanspruches ist bedeutsam etwa für<br />
• Beginn der Bemessungsverjährung (§ 208 Abs 1 lit a BAO),<br />
• Sicherstellungsauftrag (§ 232 BAO),<br />
• keine Veranlagung vor Entstehen des Abgabenanspruches,<br />
• keine Fälligkeit vor Entstehen des Abgabenanspruches,<br />
• keine Haftungsinanspruchnahme vor Entstehen des Abgabenanspruches.<br />
Bei einer Gesamtschuld (§ 891 ABGB) kann jeder von mehreren Mitschuldnern<br />
für die ganze Abgabenschuld herangezogen werden. Es liegt im Ermessen,<br />
von welchem Mitschuldner die Abgabenbehörde wieviel verlangt.<br />
Soweit die Abgabenbehörde durch die Leistung eines Mitschuldners befriedigt wird,<br />
werden auch alle anderen Mitschuldner von ihrer Abgabenschuld befreit.<br />
4
Gesamtschuldner sind<br />
• Personen, die nach Abgabenvorschriften dieselbe abgabenrechtliche Leistung<br />
schulden (zB Erwerber und Veräußerer für die Grunderwerbsteuer nach<br />
§ 9 Z 4 GrEStG 1987, Mieter und Vermieter für die Bestandvertragsgebühr<br />
des § 33 TP 5 GebG),<br />
• Personen, die gemeinsam zu einer Abgabe heranzuziehen sind<br />
(zB die Mitglieder einer GesBR oder die Miteigentümer einer Hausgemeinschaft<br />
für die Umsatzsteuer),<br />
• Personen, die nach Abgabenvorschriften für eine Abgabe haften,<br />
durch Geltendmachung der Haftung mit Haftungsbescheid.<br />
Bei der Ermessensübung sind Vereinbarungen darüber, wer im Innenverhältnis<br />
die Abgabe zu tragen hat, bedeutsam (insbesondere für die Grunderwerbsteuer<br />
und für die Rechtsgeschäftsgebühren).<br />
Die Ermessensübung ist im Bescheid zu begründen (§ 93 Abs 3 lit a BAO).<br />
3.2 Haftung (§§ 7, 9, 11, 12 und 14 BAO)<br />
3.2.1 Allgemeines<br />
Abgabenrechtliche Haftung bedeutet das Einstehenmüssen für eine fremde<br />
Abgabenschuld. Die Haftung kann eine persönliche oder sachliche sein.<br />
Bei einer persönlichen Haftung kann die Abgabenbehörde für eine nicht entrichtete<br />
Abgabenschuld mit Haftungsbescheid (§ 224 BAO) auf das Vermögen des<br />
Haftenden greifen.<br />
Die Erlassung von Haftungsbescheiden ist nur innerhalb der Einhebungsverjährung<br />
(§ 238 BAO) zulässig.<br />
Die Haftungsinanspruchnahme liegt im Ermessen. Bei der Ermessensübung<br />
ist vor allem das Kriterium der Subsidiarität (Nachrangigkeit) der Haftung<br />
entscheidungsrelevant.<br />
Daher ist der Haftungspflichtige idR nur in Anspruch zu nehmen,<br />
• wenn die Einbringlichkeit beim Primärschuldner gefährdet<br />
oder wesentlich erschwert ist,<br />
• wenn (bzw soweit) der Eigenschuldner nicht in Anspruch genommen werden darf<br />
(zB bei Lohnsteuer nur nach § 83 Abs 2 EStG 1988).<br />
5
Persönliche Haftungen gibt es (neben der BAO) auch in anderen Abgabenvorschriften.<br />
Persönliche Haftungen bestehen zB nach § 82 EStG 1988 für<br />
Lohnsteuer und nach § 95 EStG 1988 für Kapitalertragsteuer.<br />
3.2.2 Haftung des Vertreters (§ 9 BAO)<br />
Die Haftung der Vertreter (iSd §§ 80 bis 83 BAO, zB Geschäftsführer einer GmbH,<br />
Vorstandsmitglied einer AG, Masseverwalter) für Abgaben des Vertretenen setzt<br />
voraus:<br />
• Uneinbringlichkeit der Abgabenschuldigkeit beim Vertretenen (Ausfallshaftung),<br />
• schuldhafte Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten (zB Entrichtung<br />
von Abgaben, Führung von Aufzeichnungen, zeitgerechte Einreichung<br />
von Abgabenerklärungen) durch den Vertreter (leichte Fahrlässigkeit reicht,<br />
"Beweislast" des Vertreters für mangelndes Verschulden),<br />
• Kausalität zwischen schuldhafter Pflichtverletzung und Uneinbringlichkeit.<br />
Reichen die finanziellen Mittel nicht zur Begleichung aller Schulden, so darf<br />
der Vertreter bei der Entrichtung Abgabenschulden nicht schlechter behandeln<br />
als die übrigen Schulden (Gleichbehandlungsgrundsatz). Dieser Grundsatz<br />
gilt auch für die Umsatzsteuer. Hingegen ist bei der Lohnsteuer der Lohn anteilig<br />
zu kürzen (vgl § 78 Abs 3 EStG 1988).<br />
Die Haftung trifft Wirtschaftstreuhänder, Rechtsanwälte und Notare für ihre Beratungstätigkeit nur,<br />
wenn sie hiebei ihre Berufspflichten verletzt haben (§ 9 Abs 2 BAO). Hierüber ist auf Anzeige der<br />
Abgabenbehörde im Disziplinarverfahren zu entscheiden. Außerhalb dieser Tätigkeit haften diese<br />
Vertreter unabhängig von der berufsrechtlichen Beurteilung; dies betrifft zB Masseverwalter.<br />
3.2.3 Haftung nach § 11 BAO<br />
Bei vorsätzlichen Finanzvergehen (zB Hinterziehung gemäß § 33 FinStrG) haften<br />
rechtskräftig verurteilte Täter für den Verkürzungsbetrag. Die rechtskräftige<br />
Verurteilung ist Tatbestandsmerkmal.<br />
3.2.4 Haftung der Gesellschafter (§ 12 BAO)<br />
Gesellschafter einer OG und KG haften für die Abgabenschulden der Gesellschaft.<br />
Der Umfang der Haftung richtet sich nach dem bürgerlichen Recht (zB nach<br />
§ 128 UGB für Gesellschafter der OG).<br />
6
3.2.5 Haftung des Erwerbers (§ 14 BAO)<br />
Erwerber eines Unternehmens oder eines im Rahmen eines Unternehmens<br />
gesondert geführten Betriebes haften<br />
• für Abgaben, bei denen die Abgabepflicht sich auf den Betrieb des Unternehmens<br />
gründet (zB Umsatzsteuer), soweit die Abgaben auf die Zeit seit dem Beginn des<br />
letzten, vor der Übereignung liegenden Kalenderjahres entfallen,<br />
• für Steuerabzugsbeträge (zB Lohnsteuer, Kapitalertragsteuer), die seit dem<br />
Beginn des letzten, vor der Übereignung liegenden Kalenderjahres abzuführen<br />
waren.<br />
Beispiel:<br />
Bei Übereignung im Oktober 2008 besteht die Haftung für Umsatzsteuerbeträge,<br />
deren Abgabenansprüche ab 1.1.2007 entstanden sind, sowie für Lohnsteuerbeträge,<br />
die ab 1.1.2007 fällig waren.<br />
Es reicht, wenn die Übereignung (zB auf Grund eines Kaufes, einer Schenkung)<br />
die für den Betrieb wesentlichen Grundlagen umfasst.<br />
Die Haftung besteht nur insoweit,<br />
• als der Erwerber im Zeitpunkt der Übereignung die Abgabenschulden kannte<br />
oder kennen musste,<br />
• als er an solchen Schuldigkeiten nicht schon so viel entrichtet hat, wie der Wert<br />
der übertragenen Gegenstände und Rechte (Besitzposten) ohne Abzug<br />
übernommener Schulden beträgt.<br />
Keine Haftung besteht bei einem Erwerb<br />
• im Zuge eines Vollstreckungsverfahrens,<br />
• aus einer Konkursmasse,<br />
• im Weg des Ausgleichsverfahrens (auch des fortgesetzten Verfahrens)<br />
oder der Überwachung des Schuldners durch Sachwalter der Gläubiger.<br />
4. Ermessen (§ 20 BAO)<br />
Man unterscheidet drei Phasen eines Vollzugsaktes:<br />
1. Ermittlung des Sachverhaltes (freie Beweiswürdigung, § 167 BAO),<br />
2. Subsumtion des Sachverhaltes unter einen Tatbestand<br />
(unter Berücksichtigung der Auslegungsgrundsätze),<br />
3. Verwirklichung der gesetzlich vorgesehenen Rechtsfolge<br />
(gebundene Entscheidung oder Ermessensentscheidung).<br />
7
Bei einer Ermessensentscheidung wird der Behörde ein Entscheidungsspielraum<br />
zwischen mehreren Möglichkeiten eingeräumt. Ermessensentscheidungen dürfen nur<br />
innerhalb der Ermessensgrenzen erfolgen (zB maximal 10 % Verspätungszuschlag).<br />
Primär sind die Ermessenskriterien aus dem Zweck der betreffenden<br />
Ermessensnorm abzuleiten.<br />
Daher wird eine amtswegige Wiederaufnahme (§ 303 Abs 4 BAO) eines Abgabenverfahrens - als<br />
Folge des Vorranges des Prinzips der Rechtsrichtigkeit (Gleichmäßigkeit der Besteuerung) vor dem<br />
der Rechtsbeständigkeit - idR zu verfügen sein (unabhängig davon, ob sie sich zu Gunsten<br />
oder Ungunsten der Partei auswirkt).<br />
Nach § 20 BAO sind Ermessensentscheidungen nach Billigkeit (berechtigte<br />
Interessen der Partei) und Zweckmäßigkeit (öffentliches Anliegen, insbesondere<br />
an der Einbringung der Abgaben) zu treffen; hiebei sind alle in Betracht kommenden<br />
Umstände, die eine sachgerechte Ermessensentscheidung beeinflussen könnten,<br />
zu berücksichtigen.<br />
Die "Billigkeit" gebietet zB die Berücksichtigung von Treu und Glauben sowie<br />
des steuerlichen Verhaltens und der wirtschaftlichen Verhältnisse der Partei.<br />
Zur "Zweckmäßigkeit" gehört auch die Berücksichtigung der Verwaltungsökonomie<br />
(daher zB keine Haftungsbescheide bei Uneinbringlichkeit beim Haftungspflichtigen,<br />
keine amtswegige Wiederaufnahme bei Geringfügigkeit der abgabenrechtlichen<br />
Auswirkungen).<br />
Amtswegige oder von einem Parteienanbringen abweichende Ermessensentscheidungen<br />
sind jedenfalls insbesondere insoweit zu begründen, als dies<br />
für die Nachprüfbarkeit des Ermessensaktes (durch die Berufungsbehörde,<br />
durch den VwGH bzw VfGH) in Richtung auf seine Übereinstimmung mit dem Ziel<br />
des Gesetzes erforderlich ist.<br />
Ob eine gesetzliche Vorschrift der Behörde Ermessen einräumt, ist aus dem Wortlaut<br />
sowie dem Sinn der Norm ersichtlich (zB die Textierung "kann", "darf", "ist zulässig"<br />
weist idR auf Ermessen hin).<br />
Beispiele für Ermessensentscheidungen:<br />
§ 110 BAO (Verlängerbarkeit behördlicher Fristen),<br />
§ 111BAO (Zwangsstrafe),<br />
8
§ 112 BAO (Ordnungsstrafe),<br />
§ 112a BAO (Mutwillensstrafe),<br />
§ 135 BAO (Verspätungszuschlag),<br />
§ 212 BAO (Zahlungserleichterungen),<br />
§ 224 BAO (Erlassung von Haftungsbescheiden),<br />
§ 235 BAO (Löschung),<br />
§ 236 BAO (Nachsicht),<br />
§§ 293 und 293b BAO (Berichtigung),<br />
§ 299 Abs 1 BAO (Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit des Bescheidinhaltes),<br />
§ 303 Abs 4 BAO (amtswegige Wiederaufnahme).<br />
Im Berufungsverfahren wird auch die richtige Ermessensübung geprüft und neuerlich Ermessen<br />
geübt. Hingegen prüft der VwGH nur, ob der Behörde eine Ermessensüberschreitung oder ein<br />
Ermessensmissbrauch anzulasten ist.<br />
5. Auslegung von Abgabenvorschriften (§ 3 Abs 5 BAO, §§ 21 bis 23 BAO)<br />
5.1 Allgemeines<br />
Die Auslegungsgrundsätze der §§ 6 und 7 ABGB gelten auch im Abgabenrecht.<br />
Es bestehen keine Sondermethoden.<br />
Auslegungsmethoden:<br />
• Grammatikalische Interpretation (eigentümliche Bedeutung der Worte).<br />
• Logische (sinngemäße) Interpretation (Bezugnahme auf den Zusammenhang<br />
der Worte, Bedachtnahme auf die gesamte gesetzliche Bestimmung,<br />
Umkehrschlüsse, Größenschlüsse oder Schlüsse aus dem Fehlen<br />
ausdrücklicher Bestimmungen).<br />
• Teleologische Interpretation (Bedachtnahme auf die Absicht des Gesetzgebers;<br />
hiezu gehört die "wirtschaftliche Betrachtungsweise").<br />
• Historische Interpretation.<br />
(Einfache) Gesetze sind möglichst verfassungskonform,<br />
Verordnungen sind möglichst gesetzeskonform auszulegen.<br />
Im Abgabenrecht besteht kein Analogieverbot. Analogie setzt eine Gesetzeslücke<br />
(= eine planwidrige Unvollständigkeit innerhalb des positiven Rechts, gemessen<br />
am Maßstab der gesamten Rechtsordnung) voraus.<br />
9
Drei Anknüpfungsmethoden:<br />
1. Methode der direkten wirtschaftlichen Anknüpfung (eigenständige<br />
steuerliche Begriffe wie zB "Lieferung" und "Entgelt" bei Umsatzsteuer,<br />
Gewerbebetrieb iSd § 23 EStG 1988);<br />
2. Methode der indirekten wirtschaftlichen Anknüpfung (Begriffe aus anderen<br />
Rechtsgebieten, aber wirtschaftlicher Bedeutungsinhalt; zB Vermietung und<br />
Verpachtung bei § 28 EStG 1988);<br />
3. Methode der rechtlichen (formalen) Anknüpfung (Begriffe aus anderen<br />
Rechtsgebieten mit dem dortigen Begriffsinhalt; zB Bestandvertrag für<br />
Rechtsgeschäftsgebühr nach § 33 TP 5 GebG, Wohnungseigentum im<br />
§ 188 Abs 4 BAO, österreichische Staatsbürger im § 26 Abs 3 BAO).<br />
Bei wirtschaftlicher Anknüpfung (zB Lieferung im umsatzsteuerlichen Sinn) kommt<br />
es nicht darauf an, ob das zugrunde liegende Rechtsgeschäft (zB Kaufvertrag)<br />
• gültig (oder etwa ein Scheingeschäft iSd § 916 ABGB),<br />
• anfechtbar (zB wegen Irrtums, List oder Drohung) oder<br />
• nichtig (zB wegen Formmangels, wegen mangelnder Rechts- oder<br />
Handlungsfähigkeit)<br />
ist.<br />
Ebenso ist bedeutungslos, ob das Verhalten (zB Rechtsgeschäft, Lieferung)<br />
verstößt gegen ein<br />
• gesetzliches Gebot (zB bei amtlichen Preisen),<br />
• gesetzliches Verbot (zB Verkauf von Diebsgut) oder<br />
• gegen die guten Sitten (zB Arbeitsvertrag zur Durchführung<br />
strafrechtswidriger Tätigkeiten).<br />
Im Bereich rechtlicher Anknüpfung (zB für die Rechtsgeschäftsgebühren des<br />
§ 33 GebG) ist hingegen maßgebend, ob das betroffene Tatbestandselement<br />
(zB gültiger Vertrag) gegeben ist. Dort ist daher die Nichtigkeit (zB als Folge<br />
des § 879 ABGB bei verbotenen oder gegen die guten Sitten verstoßenden<br />
Verträgen) eines Rechtsgeschäfts ebenso bedeutsam wie die Frage, ob ein<br />
Scheingeschäft (§ 916 ABGB) vorliegt.<br />
5.2 Wirtschaftliche Betrachtungsweise (§ 21 BAO)<br />
Für die Beurteilung abgabenrechtlicher Fragen ist der wahre wirtschaftliche Gehalt<br />
(und nicht die äußere Erscheinungsform) des Sachverhaltes maßgebend (§ 21<br />
Abs 1 BAO).<br />
10
Dieser Grundsatz dient nach der überwiegenden Judikatur des VwGH der Lösung<br />
von Tatfragen (der Würdigung des erforschten Sachverhaltes) und nicht der Klärung<br />
von Rechtsfragen.<br />
Nach der in der Literatur herrschenden Ansicht ist die wirtschaftliche<br />
Betrachtungsweise hingegen eine Auslegungsregel für abgabenrechtliche<br />
Bestimmungen, die den Methoden der wirtschaftlichen Anknüpfung folgen.<br />
Beispiele:<br />
1. Schriftlicher Dienstvertrag zwischen Unternehmer und seinem Sohn, zwei Stunden<br />
tägliche Arbeitszeit, aber 7.000 Euro monatlicher Lohn; diese Ausgaben sind (nur)<br />
teilweise Lohnaufwand, teilweise jedoch nicht abzugsfähig.<br />
2. Es ist nicht zulässig, das Entgelt für ein Getränk in einen Preis für das Getränk selbst<br />
(ohne Berücksichtigung der sonstigen Umstände bei der Abgabe des Getränkes) und<br />
in einen weiteren Preis zur Abdeckung der mit der Abgabe des Getränkes verbundenen<br />
"Gedeckkosten" aufzuteilen.<br />
Das Gegenstück zur wirtschaftlichen Betrachtungsweise ist die formalrechtliche<br />
Betrachtungsweise. Letztere ist maßgebend, wenn die betreffende Abgabenbestimmung<br />
zB an die zivilrechtliche Gestaltung eines Rechtsverhältnisses anknüpft.<br />
Ist aus dem Tatbestand nicht eindeutig erkennbar, ob eine rechtliche oder<br />
wirtschaftliche Anknüpfung vorliegt, so ist die wirtschaftliche Betrachtungsweise<br />
anzuwenden.<br />
Die wirtschaftliche Betrachtungsweise überwiegt im Einkommensteuerrecht,<br />
die rechtliche Anknüpfung überwiegt bei den Tatbeständen des Gebühren- und<br />
Verkehrsteuerrechtes.<br />
Die wirtschaftliche Betrachtungsweise dient der Gleichmäßigkeit der Besteuerung;<br />
sie ist auch zu Gunsten des Abgabepflichtigen zu beachten.<br />
Ausfluss wirtschaftlicher Betrachtungsweise sind ua:<br />
• Wirtschaftliches Eigentum (§ 24 BAO),<br />
• Gleichbehandlung erlaubter und verbotener (sittenwidriger) Geschäfte<br />
(§ 23 Abs 2 BAO),<br />
• Grundsatz der Einheitlichkeit der Leistung (insbesondere für Umsatzsteuer).<br />
11
5.3 Missbrauch (§ 22 BAO)<br />
Durch Missbrauch von Formen und Gestaltungsmöglichkeiten des bürgerlichen<br />
Rechtes kann die Abgabepflicht nicht umgangen oder gemindert werden. Liegt<br />
ein Missbrauch vor, so sind die Abgaben so zu erheben, wie sie bei einer den<br />
wirtschaftlichen Vorgängen, Tatsachen und Verhältnissen angemessenen rechtlichen<br />
Gestaltung zu erheben wären (§ 22 BAO).<br />
Umgehung bedeutet Vermeidung oder Hinausschieben der Abgabepflicht.<br />
Missbrauch liegt nach Ansicht des VwGH vor, wenn<br />
1. für die zivilrechtliche Gestaltung keine wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen<br />
außersteuerlichen Gründe vorliegen (die Gestaltung muss für das Ziel, das mit ihr<br />
erreicht werden soll, derart ungewöhnlich sein, dass sie nur unter dem<br />
Gesichtspunkt der beabsichtigten Abgabenersparnis verständlich wird) und<br />
2. die ungewöhnliche Gestaltung in der Absicht geschieht, die Abgabepflicht<br />
zu umgehen oder zu mindern (subjektives Element).<br />
Beispiel:<br />
Unternehmer verkauft betrieblich genutztes Grundstück seiner vermögenslosen Gattin; das<br />
Geld für den Kauf wird teilweise geschenkt, teilweise liegt ein unverzinsliches Darlehen vor;<br />
er mietet es sodann (für betriebliche Zwecke). Die Mietzinsen sind nicht als Betriebsausgabe<br />
anzuerkennen.<br />
Im Unterschied zu § 23 Abs 1 BAO (Scheingeschäft) ist die gemäß § 22 BAO abgabenrechtlich<br />
unbeachtliche Gestaltung zivilrechtlich gültig.<br />
Den Missbrauch hat zwar die Abgabenbehörde nachzuweisen, doch hat der<br />
Abgabepflichtige den Sinn von offenkundig unerklärlichen Handlungen darzutun.<br />
Strittig ist, ob § 22 BAO lediglich ein Sonderfall der wirtschaftlichen Betrachtungsweise<br />
ist (so VfGH und BMF) oder ob § 22 BAO auch in Bereichen formalrechtlicher<br />
Anknüpfung Anwendung findet (so gelegentlich der VwGH).<br />
Innentheorie: das Umgehungsproblem ist ein allgemeines Rechtsproblem. Gesetzesumgehung<br />
ist ein Problem des Wirkungsbereiches des Gesetzes. Ob der Umgehungsversuch gelingt, hängt<br />
somit davon ab, ob die Gesetzesbestimmung auf den Umgehungsversuch anwendbar ist.<br />
Dies ist ein Interpretationsproblem bzw eines der Analogie.<br />
Außentheorie: § 22 BAO als Abgabentatbestand, der die Abgabepflicht über die einzelnen<br />
Tatbestände ausdehnt und die Besteuerung eines fiktiven Sachverhalts ermöglicht.<br />
12
5.4 Scheingeschäfte (§ 23 Abs 1 BAO)<br />
Scheingeschäfte und andere Scheinhandlungen sind für die Erhebung der Abgaben<br />
ohne Bedeutung. Wird durch ein Scheingeschäft ein anderes Rechtsgeschäft<br />
verdeckt, so ist das verdeckte Rechtsgeschäft für die Abgabenerhebung maßgebend<br />
(§ 23 Abs 1 BAO).<br />
Ein Scheingeschäft ist gemäß § 916 ABGB eine Willenserklärung, die einem<br />
anderen gegenüber mit dessen Einverständnis zum Schein abgegeben wird.<br />
Scheingeschäfte setzen das Einverständnis der Partner im Zeitpunkt<br />
des Abschlusses des Scheingeschäftes voraus.<br />
Scheingeschäfte bezwecken idR die Täuschung (Schädigung) Dritter.<br />
Das Motiv kann abgabenrechtlich oder etwa auch zivilrechtlich (zB Umgehung<br />
des Mieterschutzes) sein.<br />
Die Beweislast für die Annahme eines Scheingeschäftes trifft denjenigen<br />
(zB die Abgabenbehörde), der sich auf den Scheincharakter beruft.<br />
Man unterscheidet absolute und relative Scheingeschäfte:<br />
1. Absolutes Scheingeschäft: Vortäuschung eines Rechtsgeschäftes,<br />
obwohl die Parteien überhaupt kein Rechtsgeschäft abschließen wollen.<br />
Beispiel:<br />
Unternehmer schließt Dienstvertrag mit nicht im Betrieb arbeitender Gattin,<br />
ua um "Lohn" als Betriebsausgabe abziehen zu können.<br />
2. Relatives Scheingeschäft:<br />
a. Scheingeschäft und verdecktes Rechtsgeschäft sind ihrer Art nach verschieden.<br />
Beispiel:<br />
Vortäuschung eines Kaufes statt einer Schenkung, wenn der Unternehmer seinem<br />
mittellosen Sohn den Betrieb unentgeltlich übertragen will, er aber einen Kaufvertrag<br />
vortäuscht, um dem Sohn die Aufwertung des Betriebsvermögens und damit höhere AfA-<br />
Beträge zu ermöglichen, der Kaufpreis jedoch gestundet und später nachgelassen wird.<br />
13
. Scheingeschäft und verdecktes Geschäft sind zwar derselben Art,<br />
jedoch werden teilweise unrichtige Vertragsbedingungen vorgetäuscht<br />
(zB unrichtige Kaufpreisangabe, um Grunderwerbsteuer zu "sparen").<br />
c. Scheingeschäft soll Rechtsgeschäft mit dritter Person verdecken<br />
(zB Gefälligkeitsfaktura durch A, obwohl Lieferung durch B erfolgt).<br />
Scheingeschäfte sind zivilrechtlich nichtig. Sie sind abgabenrechtlich sowohl im<br />
Bereich wirtschaftlicher als auch im Bereich formalrechtlicher Betrachtungsweise<br />
(zB bei Rechtsgeschäftsgebühren) unbeachtlich.<br />
Abgabenrechtlich ist das verdeckte Rechtsgeschäft bzw (im Fall 2 b.) das<br />
Rechtsgeschäft zu den tatsächlich gewollten Bedingungen maßgebend.<br />
Allerdings wäre zB für die Rechtsgeschäftsgebühr wegen des Urkundenprinzips<br />
auch das verdeckte Rechtsgeschäft gebührenrechtlich unbeachtlich.<br />
5.5 Verbotene und sittenwidrige Handlungen (§ 23 Abs 2 BAO)<br />
Verstößt ein Verhalten (Handeln oder Unterlassen), das den abgabepflichtigen<br />
Tatbestand erfüllt, gegen ein<br />
• gesetzliches Gebot (zB bei amtlichen Preisen),<br />
• gesetzliches Verbot (zB Rauschgifthandel, nach § 27 MietrechtsG<br />
verbotene Ablösen) oder<br />
• gegen die guten Sitten (zB Auftrag zur Vermittlung von Kunden für<br />
Wuchergeschäfte, Vereinbarung einer übermäßigen existenzgefährdenden<br />
Konventionalstrafe),<br />
so hindert dies nicht die Erhebung von Abgaben.<br />
§ 23 Abs 2 BAO dient der Gleichmäßigkeit der Besteuerung.<br />
§ 23 Abs 2 BAO gilt auch zu Gunsten des Abgabepflichtigen (zB für sittenwidrige<br />
Provisionen, für Schmiergelder); § 20 Abs 1 Z 5 EStG 1988 normiert jedoch die<br />
Nichtabzugsfähigkeit von Geld- und Sachzuwendungen, deren Gewährung oder<br />
Annahme mit gerichtlicher Strafe bedroht ist.<br />
5.6 Nichtige Rechtsgeschäfte (§ 23 Abs 3 BAO)<br />
Die BAO behandelt im § 23 Abs 3 BAO von den Nichtigkeitsgründen nur<br />
• den Formmangel (zB fehlender Notariatsakt für Kauf, Tausch und<br />
Darlehensverträge zwischen Ehegatten),<br />
14
• die mangelnde Rechtsfähigkeit (zB eine GmbH ist im Firmenbuch<br />
nicht eingetragen),<br />
• die mangelnde Handlungsfähigkeit (zB Kinder).<br />
Ist ein Rechtsgeschäft aus einem dieser Gründe nichtig, so wirkt sich dies insoweit<br />
und so lange auf die Abgabenerhebung nicht aus, als die am Rechtsgeschäft<br />
beteiligten Personen das wirtschaftliche Ergebnis des nichtigen Rechtsgeschäfts<br />
eintreten und bestehen lassen (§ 23 Abs 3 BAO).<br />
§ 23 Abs 3 BAO gilt nicht bei zivilrechtlicher Anknüpfung<br />
(daher keine Gebührenpflicht eines nichtigen Bestandvertrages).<br />
Im § 23 Abs 3 BAO nicht erwähnte Nichtigkeitsgründe ergeben sich zB aus<br />
§ 879 ABGB, wonach verbotene oder gegen die guten Sitten verstoßende Verträge<br />
nichtig sind. Die Nichterwähnung ändert nichts daran, dass auch solche Nichtigkeitsgründe<br />
bei zivilrechtlicher Anknüpfung bedeutsam bzw bei wirtschaftlicher<br />
Anknüpfung bedeutungslos sind.<br />
5.7 Anfechtbare Rechtsgeschäfte (§ 23 Abs 4 BAO)<br />
Die Anfechtbarkeit eines Rechtsgeschäftes ist für die Abgabenerhebung insoweit<br />
und so lange ohne Bedeutung, als die Anfechtung nicht mit Erfolg durchgeführt ist<br />
(§ 23 Abs 4 BAO).<br />
Anfechtungsgründe sind beispielsweise<br />
- List oder Drohung (§ 870 ABGB),<br />
- Irrtum (§ 871 ABGB).<br />
Bei wirtschaftlicher Anknüpfung in Abgabentatbeständen ist die Anfechtbarkeit<br />
(ebenso wie die erfolgreiche Anfechtung) abgabenrechtlich bedeutungslos.<br />
6. Angehörige (§ 25 BAO)<br />
Angehörige sind:<br />
- der Ehegatte (auch nach Auflösung der Ehe);<br />
- die Verwandten in gerader Linie unbegrenzt (zB Großeltern - Enkelkinder),<br />
in der Seitenlinie bis zum vierten Grad (zweiter Grad zB Geschwister, dritter<br />
Grad zB Onkel/Tante - Neffe/Nichte; vierter Grad zB Cousin/Cousine), auch wenn<br />
unehelich geboren;<br />
15
- die Verschwägerten in gerader Linie unbegrenzt (zB Schwiegereltern -<br />
Schwiegersohn/Schwiegertochter), in der Seitenlinie bis zum zweiten Grad<br />
(zB Schwager/Schwägerin), auch wenn unehelich geboren, auch nach<br />
Auflösung der Ehe;<br />
- die Wahl(Pflege)eltern und die Wahl(Pflege)kinder;<br />
- Personen, die miteinander in (auch gleichgeschlechtlicher) Lebensgemeinschaft<br />
leben, sowie Kinder und Enkel einer dieser Personen im Verhältnis zur anderen<br />
Person.<br />
Dieser Angehörigenbegriff ist maßgebend etwa für die<br />
- Befangenheit (§ 76 BAO, § 72 Abs 1 lit a FinStrG),<br />
- Verweigerung der Auskunft (§ 143 BAO),<br />
- Verweigerung der Zeugenaussage (§ 171 BAO, § 104 Abs 1 lit a FinStrG).<br />
7. Vertreter (§§ 80 bis 84 BAO)<br />
7.1 Gesetzliche Vertreter natürlicher Personen (§ 80 Abs 1 BAO)<br />
Die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen haben alle abgabenrechtlichen<br />
Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen. Sie sind befugt,<br />
deren abgabenrechtliche Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür<br />
zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.<br />
Solche Vertreter sind zB: Eltern, Mutter des minderjährigen unehelichen Kindes,<br />
Sachwalter, Kollisionskurator, Abwesenheitskurator.<br />
7.2 Vertreter juristischer Personen (§ 80 Abs 1 und 3 BAO)<br />
Die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen haben alle<br />
abgabenrechtlichen Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen.<br />
Sie sind befugt, deren abgabenrechtliche Rechte wahrzunehmen.<br />
Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln,<br />
die sie verwalten, entrichtet werden.<br />
Solche Vertreter sind beispielsweise:<br />
- bei einer GmbH die Geschäftsführer, bei Auflösung die Liquidatoren,<br />
- bei einer AG der Vorstand, bei Auflösung die Abwickler,<br />
- bei einer Genossenschaft der Vorstand,<br />
- bei einem Verein das Leitungsorgan,<br />
- bei einer Privatstiftung der Stiftungsvorstand.<br />
16
Vertreter einer aufgelösten GmbH nach Beendigung der Liquidation ist, wer nach<br />
§ 93 Abs 4 GmbHG zur Aufbewahrung der Bücher und Schriften der aufgelösten<br />
Gesellschaft verpflichtet ist oder zuletzt verpflichtet war (§ 80 Abs 3 BAO).<br />
7.3 Vermögensverwalter (§ 80 Abs 2 BAO)<br />
Steht die Vermögensverwaltung anderen Personen als den Eigentümern<br />
des Vermögens oder deren gesetzlichen Vertretern zu, so haben die<br />
Vermögensverwalter, soweit ihre Verwaltung reicht, die abgabenrechtlichen<br />
Pflichten und Befugnisse der Eigentümer.<br />
Solche Vermögensverwalter sind zB die Verwalter einer Miteigentumsgemeinschaft<br />
(§ 837 ABGB). Ihre Vertretungsbefugnis umfasst zB das Verfahren zur einheitlichen<br />
und gesonderten Feststellung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung<br />
unbeweglichen Vermögens (§ 188 Abs 1 lit d BAO) sowie das Umsatzsteuer-<br />
Verfahren der Gemeinschaft (nicht zB das Einkommensteuer-Verfahren eines<br />
Miteigentümers).<br />
7.4 Vertretung von Personenvereinigungen (-gemeinschaften) (§ 81 BAO)<br />
Solche Gebilde sind zB OG, KG, GesBR, Miteigentumsgemeinschaft,<br />
unechte (atypische) stille Gesellschaft.<br />
Wer vertraglich bzw subsidiär nach ABGB oder UGB zur Geschäftsführung des<br />
Gebildes befugt ist, hat auch die das Gebilde treffenden abgabenrechtlichen<br />
Pflichten zu erfüllen; er ist abgabenrechtlich vertretungsbefugt.<br />
Bei der GesBR sind mangels abweichender vertraglicher Regelung alle Mitglieder<br />
zusammen vertretungsbefugt (Mehrstimmigkeitsprinzip nach Kapitalanteilen);<br />
ebenso bei Miteigentum.<br />
Bei der OG ist mangels abweichender vertraglicher Regelung jeder Gesellschafter<br />
einzelvertretungsbefugt.<br />
Bei einer KG ist mangels abweichender vertraglicher Regelung jeder Komplementär<br />
einzelvertretungsbefugt.<br />
Wären danach mehrere Personen (zB mehrere Geschäftsführer, Gesellschafter)<br />
abgabenrechtlich vertretungsbefugt, so hat das Gebilde eine dieser Personen<br />
oder einen Dritten (zB Arbeitnehmer der Gesellschaft, Wirtschaftstreuhänder)<br />
als gemeinsamen Bevollmächtigten namhaft zu machen (§ 81 Abs 2 BAO).<br />
17
Diese Person ist auch Zustellungsbevollmächtigter, es sei denn, eine andere<br />
Person erhält die Zustellungsbevollmächtigung.<br />
Wird die Pflicht zur Namhaftmachung verletzt, so kann die Abgabenbehörde eine<br />
der abgabenrechtlich vertretungsbefugten Personen mit Bescheid als gemeinsamen<br />
Bevollmächtigten bestellen; es ist jene Person zu bestellen, die der<br />
Abgabenbehörde hiefür am geeignetsten erscheint.<br />
Dieser Bescheid ergeht an die bestellte Person; nur sie ist rechtsmittelbefugt.<br />
Die übrigen Personen sind formlos von der amtswegigen Vertreterbestellung<br />
zu verständigen, wenn sie Wohnsitz, Sitz oder Geschäftsleitung im Inland haben;<br />
diese Verständigung ist kein Bescheid.<br />
Die amtswegige Bestellung ist bescheidmäßig ganz oder teilweise<br />
(zB nur betreffend Zustellung) zu widerrufen,<br />
- sobald das Gebilde einen gemeinsamen Bevollmächtigten namhaft macht,<br />
- weiters wenn die bestellte Person aus dem Gebilde austritt oder<br />
zivilrechtlich handlungsunfähig wird,<br />
- wenn die Abgabenbehörde eine andere Person als gemeinsamen Vertreter<br />
bestellen will (zB weil sich die zunächst bestellte Person als ungeeignet<br />
erweist).<br />
Ein derartiger Widerrufsbescheid ist an die Person zu richten, deren<br />
Vertretungsbefugnis widerrufen wird; eine Verständigung der übrigen Personen<br />
ist gesetzlich nicht vorgesehen.<br />
Die bisher behandelten Regelungen des § 81 BAO gelten gemäß dessen Abs 9 sinngemäß auch für<br />
Vermögensmassen, die als solche der Besteuerung unterliegen, das sind insbesondere die im § 1<br />
Abs 2 Z 3 KStG 1988 angeführten (nach bürgerlichem Recht nicht rechtsfähigen) Anstalten, Stiftungen<br />
und andere Zweckvermögen.<br />
Durch den Eintritt eines neuen Gesellschafters (Mitglieds) in die Vereinigung<br />
(Gemeinschaft) wird die gemeinsame Vertretungsbefugnis nicht berührt<br />
(§ 81 Abs 5 BAO).<br />
Bei Beendigung der Vereinigung (Gemeinschaft) gehen ihre Rechte und Pflichten<br />
auf die zuletzt Beteiligten über (§ 19 Abs 2 BAO); die gemeinsame Vertretungsbefugnis<br />
der namhaft gemachten bzw der amtswegig bestellten Person bleibt<br />
unberührt, es sei denn, einer der zuletzt beteiligt Gewesenen (Gesellschafter,<br />
Mitglieder) oder die vertretungsbefugte Person erhebt Widerspruch (§ 81<br />
18
Abs 6 BAO). Machen danach die Gesellschafter (Mitglieder) keine andere Person<br />
als vertretungsbefugt namhaft, so kann die Abgabenbehörde von Amts wegen eine<br />
vertretungsbefugte Person bescheidmäßig bestellen.<br />
Die gemeinsame Zustellungsbevollmächtigung der vertretungsbefugten Person<br />
erstreckt sich auf alle an die Vereinigung (Gemeinschaft) zu richtenden<br />
Erledigungen.<br />
Nach § 81 Abs 7 BAO gilt diese Zustellungsbevollmächtigung auch für an alle<br />
Gesellschafter (Mitglieder) in dieser ihrer Eigenschaft gerichtete Erledigungen<br />
(zB Umsatzsteuer bei GesBR). Dies gilt auch nach Beendigung des Gebildes<br />
für solche an die ehemaligen Gesellschafter (Mitglieder) gerichtete Erledigungen,<br />
sofern ein anderer Zustellungsbevollmächtigter nicht eigens namhaft gemacht wird.<br />
Diese Weitergeltung besteht dann nicht, wenn einer der (ehemaligen) Gesellschafter<br />
(Mitglieder) oder die vertretungsbefugte Person dagegen Widerspruch erhoben hat.<br />
Die gemeinsame Vertretungsbefugnis besteht auch (für Zeiträume vor ihrem<br />
Ausscheiden) hinsichtlich ausgeschiedener Gesellschafter (Mitglieder), es sei denn,<br />
der Ausgeschiedene oder die vertretungsbefugte Person erhebt dagegen<br />
Widerspruch (§ 81 Abs 8 BAO).<br />
Vertreter iSd § 81 BAO haben alle abgabenrechtlichen Pflichten (zB Führung von<br />
Aufzeichnungen, Einreichung von Abgabenerklärungen, Entrichtung der Abgaben)<br />
des Vertretenen zu erfüllen; sie haften gegebenenfalls nach § 9 BAO.<br />
Unberührt davon bleibt die Parteistellung jedes Gesellschafters (Mitgliedes)<br />
etwa gemäß § 78 Abs 3 BAO hinsichtlich Feststellungsbescheiden gemäß § 188 BAO.<br />
Jeder von ihnen hat daher gegebenenfalls zB das Recht auf Akteneinsicht (§ 90 BAO)<br />
in die Akten des Feststellungsverfahrens und das Recht auf Teilnahme an der Schlussbesprechung<br />
(§ 149 BAO).<br />
7.5 Kuratorbestellung (§ 82 BAO)<br />
Erfordert es die Wichtigkeit der Sache, so kann von der Abgabenbehörde<br />
die Bestellung eines Kurators beantragt werden. Dies betrifft:<br />
- eine Person unbekannten Aufenthaltes,<br />
- eine nicht voll handlungsfähige Person, die keinen gesetzlichen Vertreter hat,<br />
- eine weggefallene juristische Person oder ein weggefallenes ähnliches<br />
Gebilde, wenn ihre (seine) Vertretung zweifelhaft ist,<br />
- ein sonst verbleibendes Vermögen, dessen Vertretung zweifelhaft ist.<br />
19
Die Bestellung eines Kurators ist beim zuständigen Bezirksgericht<br />
(Pflegschaftsgericht) zu beantragen. Sie erfolgt auf Kosten des Vertretenen.<br />
Eine solche Kuratorbestellung kommt nicht in Betracht, wenn bereits aus<br />
anderen Gründen eine Kuratorbestellung zu erfolgen hat (zB Kollisionskurator,<br />
Verlassenschaftskurator, Absonderungskurator).<br />
Ein Kollisionskurator ist nötig für Geschäfte, bei denen der gesetzliche Vertreter (zB Elternteil)<br />
wegen einer Interessenskollision an der Ausübung seines Amtes verhindert ist (zB für Rechtsgeschäfte<br />
zwischen Vertreter und Vertretenem; für die einheitliche und gesonderte Feststellung<br />
gemäß § 188 BAO, wenn beide an den Einkünften beteiligt sind).<br />
Der Verlassenschaftskurator vertritt die Verlassenschaft, etwa wenn die Erben unbekannt sind.<br />
Absonderung der Verlassenschaft, wenn zB ein Erbschaftsgläubiger befürchtet, dass durch<br />
Vermengung der Verlassenschaft mit dem Vermögen des Erben seine Forderung gefährdet wird;<br />
gegebenenfalls wird ein Absonderungskurator für die Vermögensverwaltung bestellt.<br />
7.6 Bevollmächtigung (§ 83 BAO)<br />
Durch Bevollmächtigte können sich vertreten lassen:<br />
- Parteien und ihre gesetzlichen Vertreter (zB Eltern, Sachwalter, Kollisionskurator),<br />
- Organe juristischer Personen (zB Vorstand einer AG, Geschäftsführer<br />
einer GmbH),<br />
- Geschäftsführer eingetragener Personengesellschaften (OG, KG).<br />
Eigenberechtigte natürliche Personen und dazu berechtigte Institutionen<br />
(zB Wirtschaftstreuhandgesellschaften gemäß § 66 WTBG) kommen als<br />
Bevollmächtigte im Abgabenverfahren in Betracht.<br />
Grundsätzlich besteht im Abgabenverfahren keine Pflicht einer handlungsfähigen Person,<br />
sich vertreten zu lassen. Solche Pflichten sehen § 112 Abs 2 BAO, § 27 Abs 7 UStG 1994<br />
(Fiskalvertreter) und § 10 ZustG vor.<br />
Inhalt und Umfang der Vertretungsbefugnis des Bevollmächtigten richten sich<br />
nach der Vollmacht. Hierüber sowie über den Bestand der Vertretungsbefugnis<br />
auftauchende Zweifel sind nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts<br />
(zB nach § 1008 ABGB) zu beurteilen (§ 83 Abs 2 BAO).<br />
Eine Zustellungsvollmacht setzt (gemäß § 9 Abs 1 ZustG) die Bevollmächtigung<br />
zur Empfangnahme von Dokumenten (Schriftstücken) voraus.<br />
20
Eine Geldvollmacht ist nötig für Anträge auf Rückzahlung eines Guthabens<br />
an den Bevollmächtigten sowie auf Umbuchung oder Überrechnung auf ein<br />
nicht dem Abgabepflichtigen zuzurechnendes Abgabenkonto.<br />
Eine Vollmacht ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung des<br />
Machtgebers (Unterschrift des Bevollmächtigten auf der Vollmachtsurkunde<br />
daher nicht nötig).<br />
Grundsätzlich hat sich der Bevollmächtigte durch eine schriftliche Vollmacht<br />
auszuweisen. Dies kann durch Überreichung einer Vollmachtsurkunde (zum Verbleib<br />
im Akt oder mit dem Ersuchen um Rücksendung), durch Vorweisung einer solchen<br />
Urkunde oder durch Hinweis auf eine bei einer anderen Stelle der Abgabenbehörde<br />
aufliegende Urkunde erfolgen. Vor Rücksendung der Urkunde ist ihr Inhalt<br />
festzuhalten (Aktenvermerk, Ablichtung der Urkunde).<br />
Der Vollmachtgeber kann vor der Abgabenbehörde die Vollmacht auch mündlich<br />
erteilen, worüber eine Niederschrift aufzunehmen ist (§ 83 Abs 3 BAO).<br />
Die Abgabenbehörde kann von einer ausdrücklichen Vollmacht absehen,<br />
wenn amtsbekannte Familienmitglieder, Haushaltsangehörige oder Angestellte<br />
als bevollmächtigte Vertreter auftreten; allerdings dürfen keine Zweifel über das<br />
Bestehen und den Umfang der Vertretungsbefugnis bestehen (§ 83 Abs 4 BAO).<br />
Solche Zweifel bestehen etwa, wenn Ehegatten in Scheidung leben<br />
oder einem Angestellten gekündigt wurde.<br />
Bei Wirtschaftstreuhändern, Bilanzbuchhaltern, Rechtsanwälten und Notaren<br />
ersetzt die Berufung auf die Bevollmächtigung deren urkundlichen Nachweis<br />
(§ 88 Abs 9 WTBG, § 73 Abs 5 BibuG, § 8 Abs 1 RAO, § 5 Abs 4a NotO).<br />
Dies kann insbesondere schriftlich oder mündlich erfolgen. Ausreichend ist auf einer<br />
Eingabe zB der Vermerk "Vollmacht ausgewiesen". Der Hinweis "vertreten durch"<br />
reicht nicht.<br />
Maßgebend ist, welchen Umfang der Bevollmächtigung der Parteienvertreter<br />
behauptet. Eine Geldvollmacht muss ausdrücklich behauptet werden.<br />
Erscheint die (behauptete) Bevollmächtigung bzw ihr Umfang zweifelhaft,<br />
so sind entsprechende Ermittlungen (zB Einvernahme des Vertretenen)<br />
vorzunehmen. Als Beweis darf nicht eine Vollmachtsurkunde verlangt werden.<br />
21
Vollmachten enden vor allem durch:<br />
- Widerruf durch den Machtgeber (§ 1020 ABGB),<br />
- Aufkündung durch den Bevollmächtigten (§ 1021 ABGB),<br />
- einvernehmliche Beendigung durch Aufhebungsvertrag,<br />
- (idR) Tod des Machtgebers bzw des Bevollmächtigten (§ 1023 ABGB),<br />
- Konkurseröffnung bezüglich Machtgeber bzw Machthaber (§ 1024 ABGB).<br />
Die Abgabenbehörde hat die Vollmacht bei Widerruf, Aufkündung<br />
oder einvernehmlicher Beendigung bis zum Zeitpunkt des Einlangens<br />
der Verständigung über diese Endigungsgründe zu beachten.<br />
Eine Bevollmächtigung schließt (nach § 83 Abs 5 BAO) nicht aus,<br />
- dass sich die Abgabenbehörde unmittelbar an den Vollmachtgeber wendet,<br />
- dass der Vollmachtgeber gegenüber der Abgabenbehörde Erklärungen abgibt.<br />
Bei widersprüchlichen Wissenserklärungen gilt die freie Beweiswürdigung<br />
(§ 167 BAO). Bei Willenserklärungen gilt die zeitlich frühere.<br />
7.7 Ablehnung von Bevollmächtigten (§ 84 BAO)<br />
Wer die Vertretung anderer geschäftsmäßig, wenn auch unentgeltlich, betreibt,<br />
ohne hiezu befugt zu sein, ist bescheidmäßig abzulehnen. Nur der Abgelehnte<br />
ist dagegen rechtsmittelbefugt. Der Vollmachtgeber ist von der Ablehnung<br />
in Kenntnis zu setzen.<br />
Nach Ablehnung durch den Bevollmächtigten schriftlich oder mündlich Vorgebrachtes<br />
ist abgabenrechtlich wirkungslos (§ 84 Abs 2 BAO).<br />
Geschäftsmäßig bedeutet, dass die Tätigkeit nicht nur ausnahmsweise,<br />
sondern mit einer gewissen Häufigkeit erfolgt (oder voraussichtlich erfolgen wird).<br />
Berufsrechtlich befugt zur Vertretung sind vor allem:<br />
- Wirtschaftstreuhänder,<br />
- Rechtsanwälte,<br />
- Notare.<br />
Befugt sind weiters (in Teilbereichen) etwa:<br />
- Bilanzbuchhalter (§ 2 BibuG),<br />
- Buchhalter (§ 3 BibuG),<br />
22
- Personalverrechner (§ 4 BibuG),<br />
- Vermögensverwalter (§ 80 Abs 2 BAO),<br />
- Arbeitnehmer (in Steuersachen ihres Arbeitgebers).<br />
Nicht zur geschäftsmäßigen Vertretung im Abgabenverfahren befugt<br />
sind beispielsweise:<br />
• Betriebsberater,<br />
• Versicherungsvertreter,<br />
• Patentanwälte,<br />
• Arbeiterkammer,<br />
• Gewerkschaft.<br />
Winkelschreiberei ist strafbar (vgl § 57 RAO, § 116 WTBG, Art IX Abs 1 Z 1 EGVG);<br />
eine Anzeige des Winkelschreibers durch die Abgabenbehörde ist nach § 48b<br />
Abs 2 BAO zulässig.<br />
8. Anbringen (§§ 85 bis 86a BAO)<br />
8.1 Form der Einbringung<br />
Anbringen zur<br />
- Geltendmachung von Rechten (zB Anträge, Rechtsmittel),<br />
- Erfüllung von Verpflichtungen (zB Abgabenerklärungen, Beantwortung<br />
von Bedenkenvorhalten und Auskunftsverlangen)<br />
sind grundsätzlich schriftlich einzureichen.<br />
Anbringen, für die Abgabenvorschriften Schriftlichkeit vorsehen oder gestatten,<br />
können auch telegraphisch oder fernschriftlich eingereicht werden. Die Einreichung<br />
von Anbringen im Wege automationsunterstützter Datenübertragung oder in jeder<br />
anderen technisch möglichen Weise ist nur dann und insoweit zulässig, als dies<br />
durch Verordnung des BMF vorgesehen ist.<br />
Nach der Verordnung BGBl 1991/494 ist für Anbringen im obigen Sinn, die in<br />
Abgaben-, Monopol- oder Finanzstrafangelegenheiten an das Bundesministerium für<br />
Finanzen an den unabhängigen Finanzsenat, an ein Finanzamt oder an ein Zollamt<br />
gerichtet werden, die Einreichung unter Verwendung eines Telekopierers<br />
(Telefaxgerätes) zugelassen.<br />
23
Diese Verordnung gilt ua nicht für Abgabenerklärungen, Anzeigen gemäß § 31 GebG<br />
und Anträge auf Rückzahlung, Umbuchung oder Überrechnung.<br />
Mündliche Anbringen zur Geltendmachung von Rechten oder zur Erfüllung<br />
von Verpflichtungen sind von der Abgabenbehörde entgegenzunehmen,<br />
- wenn dies in Abgabenvorschriften vorgesehen ist (zB im § 176 BAO für die<br />
Geltendmachung von Zeugengebühren),<br />
- wenn dies für die Abwicklung des Abgabenverfahrens zweckmäßig ist<br />
(zB Antrag auf Akteneinsicht),<br />
- wenn die Schriftform dem Einschreiter nach seinen persönlichen Verhältnissen<br />
nicht zugemutet werden kann (zB körperliche Gebrechen, des Schreibens<br />
unkundig, keine ausreichenden Kenntnisse der für den Einschreiter zugelassenen<br />
Amtssprache).<br />
Anbringen, die nicht der Geltendmachung von Rechten oder der Erfüllung von<br />
Verpflichtungen dienen (zB bloße Mitteilungen), können mündlich vorgebracht<br />
werden, soweit nicht die Wichtigkeit des Anbringens oder sein Umfang Schriftlichkeit<br />
erfordert und dies dem Einschreiter nach seinen persönlichen Verhältnissen<br />
zumutbar ist (§ 86 BAO).<br />
Zulässige mündliche Anbringen müssen während der für den Parteienverkehr<br />
bestimmten Amtsstunden, die bei der Abgabenbehörde durch Anschlag<br />
kundzumachen sind, entgegengenommen werden (§ 85 Abs 3 BAO). Sie dürfen<br />
auch außerhalb der Parteienverkehrszeiten entgegengenommen werden.<br />
Ihr Inhalt ist idR in einer Niederschrift festzuhalten (§ 87 Abs 1 BAO).<br />
8.2 Mängelbehebungsverfahren<br />
Ist eine Eingabe zulässig und rechtzeitig, so ist zu prüfen, ob sie mit<br />
Formgebrechen behaftet ist oder die Unterschrift fehlt (sofern die Eingabe<br />
nicht telegraphisch oder fernschriftlich oder - soweit durch Verordnung zugelassen -<br />
im Wege automationsunterstützter Datenübertragung oder auf andere technisch<br />
mögliche Weise eingereicht wurde).<br />
Ist die Eingabe (als unzulässig oder verspätet) zurückzuweisen,<br />
so ist kein Mängelbehebungsauftrag zu erlassen.<br />
Formgebrechen sind zB die Nichtverwendung<br />
- eines amtlichen Vordruckes,<br />
- der für den Einschreiter zugelassenen Amtssprache (deutsch,<br />
allenfalls slowenisch, kroatisch oder ungarisch).<br />
24
Liegt ein Formgebrechen vor, fehlt die Unterschrift oder die Vollmacht,<br />
so ist ein Mängelbehebungsauftrag mit angemessener Fristsetzung zu erlassen.<br />
Er hat den Hinweis (außer bei Pflichteingaben) zu enthalten, dass die Eingabe<br />
nach fruchtlosem Ablauf der Frist als zurückgenommen gilt (§ 85 Abs 2 BAO).<br />
Diese (behördliche) Frist ist verlängerbar.<br />
Der Mängelbehebungsauftrag ist eine verfahrensleitende Verfügung.<br />
Er ist somit nicht abgesondert anfechtbar (§ 244 BAO).<br />
Werden die Mängel rechtzeitig behoben, so gilt die Eingabe als ursprünglich richtig<br />
eingebracht. Werden die Mängel nicht rechtzeitig behoben, so ist ein (abgesondert<br />
anfechtbarer) Zurücknahmebescheid zu erlassen.<br />
Das Fehlen einer Unterschrift stellt keinen Mangel bei Anbringen dar,<br />
die zulässigerweise<br />
- telegraphisch,<br />
- fernschriftlich oder<br />
- im Wege automationsunterstützter Datenübertragung bzw<br />
- in einer anderen technisch möglichen Weise<br />
eingereicht werden.<br />
Die Abgabenbehörde kann jedoch, wenn es die Wichtigkeit des Anbringens<br />
zweckmäßig erscheinen lässt, dem Einschreiter die unterschriebene Bestätigung<br />
des Anbringens mit dem Hinweis auftragen, dass dieses nach fruchtlosem Ablauf<br />
einer gleichzeitig zu bestimmenden angemessenen Frist als zurückgenommen gilt<br />
(§ 86a Abs 1 letzter Satz BAO; gilt nicht bei Pflichteingaben).<br />
9. Erledigungen der Abgabenbehörden<br />
9.1 Bescheide<br />
9.1.1 Bescheidgestaltung<br />
Bescheide haben (nach den §§ 93 und 96 BAO) zu enthalten:<br />
• Bezeichnung der Behörde,<br />
• Bezeichnung als Bescheid,<br />
• Spruch (mit Nennung des Bescheidadressaten),<br />
• Begründung (wenn dem ihm zugrunde gelegten Anbringen nicht vollinhaltlich<br />
Rechnung getragen wird oder wenn der Bescheid von Amts wegen ergeht),<br />
25
• Rechtsmittelbelehrung (ob Rechtsmittel zulässig ist, Rechtsmittelfrist,<br />
wo Rechtsmittel einzubringen ist, dass Rechtsmittel zu begründen ist<br />
und dass es keine aufschiebende Wirkung hat),<br />
• Datum,<br />
• Unterschrift oder Beglaubigung (nicht erforderlich bei mittels automationsunterstützter<br />
Datenverarbeitung erstellten Ausfertigungen).<br />
Bescheide sind grundsätzlich schriftlich zu erlassen.<br />
Verfahrensleitende Verfügungen (zB Verweigerung der Akteneinsicht während<br />
eines Abgabenverfahrens gegenüber der Partei) dürfen auch mündlich ergehen<br />
(§ 94 BAO).<br />
9.1.2 Bescheidarten<br />
Abgabenbescheide setzen Abgaben (zB Einkommensteuer) fest.<br />
Siehe hiezu Abschnitt 15.1.<br />
Feststellungsbescheide sind Bescheide über Abgabenbemessungsgrundlagen,<br />
zB über die einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften (§ 188 BAO;<br />
bei Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb, selbständiger Arbeit<br />
sowie aus Vermietung und Verpachtung unbeweglichen Vermögens, wenn an den<br />
Einkünften mehrere Personen beteiligt sind).<br />
Einheitliche Feststellungen setzen voraus, dass die Beteiligten dieselbe Einkunftsart<br />
erzielen. Befinden sich die Anteile an einer Hausgemeinschaft teils im Privatvermögen,<br />
teils im Betriebsvermögen der Miteigentümer, so hat die Feststellung<br />
der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung daher nur die Anteile jener zu<br />
umfassen, bei denen sie sich im Privatvermögen befinden.<br />
Im Spruch des Feststellungsbescheides ist stets abzusprechen<br />
- über den Feststellungszeitraum,<br />
- über die Art der Einkünfte,<br />
- über die Höhe des Gewinnes (Verlustes) bzw des Überschusses<br />
der Einnahmen über die Werbungskosten,<br />
- über die Zurechnung.<br />
Gegebenenfalls ist im Spruch des Feststellungsbescheides weiters etwa<br />
darüber abzusprechen,<br />
- ob und welcher betragsmäßig bestimmte Teil der festgestellten Einkünfte<br />
26
für eine Tarifermäßigung (zB § 37 EStG 1988) in Betracht kommt,<br />
- ob ein Verlust vortragsfähig (iSd § 18 Abs 6 und 7 EStG 1988) ist,<br />
- ob Verluste nicht ausgleichsfähig sind (vgl zB § 2 Abs 2a EStG 1988),<br />
- ob solche zunächst nicht ausgleichsfähige Verluste spätere Gewinnanteile<br />
mindern.<br />
Solche Feststellungsbescheide sind Grundlagenbescheide. Sie werden den<br />
abgeleiteten Bescheiden (zB Einkommensteuerbescheid eines an den Einkünften<br />
der Gesellschaft Beteiligten) zugrunde gelegt. Zur Folgeänderung siehe § 295 BAO.<br />
Örtlich zuständig ist (nach § 54 BAO) für die einheitliche und gesonderte Feststellung<br />
von Einkünften aus selbständiger Arbeit jenes Finanzamt, von dessen Bereich aus<br />
die Berufstätigkeit vorwiegend ausgeübt wird (zB Ort der Kanzlei einer Rechtsanwaltspartnerschaft).<br />
Die Feststellung der Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft sowie<br />
solcher aus Vermietung und Verpachtung obliegt dem Lagefinanzamt.<br />
Bei Einkünften aus Gewerbebetrieb richtet sich die Zuständigkeit<br />
nach dem Ort der Geschäftsleitung.<br />
Darüber hinaus hat (nach der Rechtsprechung) ein Feststellungsbescheid über<br />
Rechte und Rechtsverhältnisse zu ergehen, wenn dies von einer Partei beantragt<br />
wird, diese ein rechtliches Interesse an der Feststellung hat, es sich um ein<br />
notwendiges Mittel zweckentsprechender Rechtsverteidigung handelt oder<br />
wenn die Feststellung im öffentlichen Interesse liegt.<br />
Beispiel:<br />
Bescheid über die Höhe der (in zutreffender Höhe) selbst berechneten Abgabe (um die<br />
betreffende Abgabenbestimmung beim VfGH als verfassungswidrig bekämpfen zu können).<br />
Haftungsbescheide (§ 224 BAO) machen persönliche Haftungen geltend.<br />
Eine solche Haftung besteht etwa nach § 9 BAO (Vertreterhaftung) oder<br />
nach § 82 EStG 1988 (Haftung des Arbeitgebers für die Einbehaltung und Abfuhr<br />
der Lohnsteuer).<br />
Die Erlassung von Haftungsbescheiden liegt im Ermessen der Abgabenbehörde.<br />
Sie ist eine Einhebungsmaßnahme und somit nur innerhalb der Einhebungsverjährungsfrist<br />
(§ 238 BAO) zulässig.<br />
27
Beschlagnahmebescheide (§ 225 BAO) machen die sachliche Haftung an beweglichen<br />
Sachen geltend. Auch diese Einhebungsmaßnahme liegt im Ermessen und ist<br />
nur innerhalb der Einhebungsverjährungsfrist zulässig.<br />
Eine Sachhaftung ist zB im § 17 BAO (für Gegenstände, die einer Verbrauchsteuer<br />
unterliegen) vorgesehen.<br />
Verfahrensleitende Verfügungen sind Bescheide, denen noch eine abschließende<br />
(verfahrensbeendende oder über die Angelegenheit des Verfahrens in der Sache<br />
absprechende) bescheidmäßige Erledigung nachfolgt. Sie sind nicht abgesondert<br />
anfechtbar (§ 244 BAO).<br />
Beispiele:<br />
• Abweisung eines Fristverlängerungsantrages (§ 110 BAO),<br />
• Aufforderung zur Einreichung einer Abgabenerklärung (§ 133 Abs 1 BAO),<br />
• Prüfungsauftrag (§ 148 BAO),<br />
• Ergänzungsauftrag, Bedenkenvorhalt (§ 161 BAO),<br />
• Ablehnung von Beweisanträgen (§ 183 BAO),<br />
• Auftrag zur Mängelbehebung (zB gemäß § 85 Abs 2 BAO oder § 275 BAO).<br />
Eine Verfahrensangelegenheit abschließende verfahrensrechtliche Bescheide<br />
(zB Zurückweisung einer Berufung wegen Unzulässigkeit oder Verspätung,<br />
Abweisung eines Wiedereinsetzungsantrages) sind abgesondert anfechtbar.<br />
Weitere rechtsgestaltende Bescheide sind beispielsweise solche über Zahlungserleichterungen<br />
(§ 212 BAO), Aussetzungen der Einhebung (§ 212a BAO), Löschungen (§ 235 BAO) und Nachsichten<br />
(§ 236 BAO).<br />
9.2 Erledigungen ohne Bescheidcharakter<br />
Keine Bescheide sind beispielsweise:<br />
• Auskünfte (zB nach dem Auskunftspflichtgesetz),<br />
• Betriebsprüfungsberichte (§ 150 BAO),<br />
• Buchungsmitteilungen (Lastschriftanzeigen),<br />
• Mahnungen (§ 227 BAO),<br />
• Rückstandsausweise (§ 229 BAO).<br />
28
10. Akteneinsicht (§ 90 BAO)<br />
10.1 Akten<br />
Akten sind alle Schriftstücke (zB Steuerakten, Arbeitsbögen der Betriebsprüfer),<br />
zeichnerischen Darstellungen, Pläne, Fotographien, Filme, auf Datenträgern<br />
gespeicherte Daten und sonstige Gegenstände, die von der Abgabenbehörde im<br />
Interesse der Abgabenerhebung (zB zur Beweissicherung) aufbewahrt werden.<br />
Das Recht auf Akteneinsicht steht nur der Partei (§ 78 BAO, § 276 Abs 7 BAO) zu.<br />
Die Akteneinsicht liegt nicht im Ermessen der Abgabenbehörde.<br />
10.2 Umfang der Akteneinsicht<br />
Das Recht auf Akteneinsicht steht nur insoweit zu, als die Kenntnis<br />
der Akten oder Aktenteile für die Partei erforderlich ist<br />
- zur Geltendmachung oder Verteidigung ihrer abgabenrechtlichen Interessen<br />
oder<br />
- zur Erfüllung abgabenrechtlicher Pflichten.<br />
Solche Interessen können etwa daran bestehen, den Wortlaut einer Niederschrift<br />
über die Einvernahme eines Zeugen zu sehen (um zB die Beweiswürdigung in einer<br />
Berufung zu bekämpfen) oder um festzustellen, ob die Einhebungsverjährungsfrist<br />
unterbrechende Amtshandlungen (iSd § 238 Abs 2 BAO) aktenkundig sind.<br />
Ein abgabenrechtliches Interesse an der Akteneinsicht kann eine Partei auch<br />
nach Abschluss eines Abgabenverfahrens haben, zB zwecks<br />
• Stellung eines Wiederaufnahmsantrages (§ 303 Abs 1 BAO),<br />
• Stellung eines Antrages auf Aufhebung (§ 299 Abs 1 BAO),<br />
• Erhebung einer Beschwerde an den VfGH oder VwGH,<br />
• Geltendmachung amtshaftungsrechtlicher Ansprüche.<br />
Die Akteneinsicht ist der Partei (mangels abgabenrechtlicher Interessen) beispielsweise nicht zu<br />
gestatten, wenn sie den Namen der Person erfahren will, die sie wegen eines Finanzvergehens<br />
angezeigt hat, um gegen diese Person gerichtlich vorgehen zu können.<br />
Amtliche Schriftstücke (zB Erledigungsentwürfe) sind von der Akteneinsicht ausgeschlossen,<br />
soweit deren Einsichtnahme eine Schädigung berechtigter Interessen<br />
dritter Personen (zB Gefährdung von Betriebsgeheimnissen) herbeiführen würde.<br />
29
10.3 Art der Akteneinsicht<br />
Die Partei darf in die für die Akteneinsicht in Betracht kommenden Akten oder<br />
Aktenteile direkt Einsicht nehmen und sich davon Abschriften anfertigen.<br />
Sind Aktenteile auf maschinell verarbeitbaren Datenträgern gespeichert, so wird die<br />
Behörde zwecks Einsichtnahme entsprechende Ausdrucke anzufertigen und (idR)<br />
der Partei auszufolgen haben (allenfalls Akteneinsicht auf Bildschirm).<br />
Die Abgabenbehörde kann Ablichtungen von Aktenteilen herstellen und<br />
der Partei übergeben. Die Partei hat hierauf keinen Rechtsanspruch.<br />
Für eine Überwälzung der Kosten für die Anfertigung von Ausdrucken bzw von Ablichtungen<br />
auf die Partei fehlt jede Rechtsgrundlage.<br />
Akten oder Aktenteile können auch zum Zwecke der leichteren Einsichtnahme an<br />
eine andere Abgabenbehörde übersendet werden. Die Partei hat hierauf keinen<br />
Rechtsanspruch.<br />
10.4 Verweigerung der Akteneinsicht<br />
Wird dem Antrag auf Akteneinsicht ganz oder teilweise nicht entsprochen,<br />
so hat die Verweigerung mit Bescheid zu erfolgen.<br />
Erfolgt dies der Partei gegenüber während eines laufenden Verfahrens, so liegt<br />
eine verfahrensleitende Verfügung iSd §§ 94 und 244 BAO vor (schriftlicher oder<br />
mündlicher Bescheid, nicht abgesondert anfechtbar). Ansonsten (zB bei Antrag einer<br />
Nichtpartei) ist ein schriftlicher Bescheid zu erlassen, der abgesondert anfechtbar ist.<br />
11. Zwangs-, Ordnungs- und Mutwillensstrafen (§§ 111 bis 112a BAO<br />
11.1 Zwangsstrafe (§ 111 BAO)<br />
Die Befolgung auf Grund gesetzlicher Befugnisse getroffener Anordnungen nicht<br />
vertretbarer Leistungen kann durch Verhängung einer Zwangsstrafe erzwungen<br />
werden.<br />
Eine nicht vertretbare Leistung liegt vor, wenn sie sich wegen ihrer besonderen<br />
Beschaffenheit nur durch die betreffende Person selbst bewerkstelligen lässt.<br />
30
Erzwingbar sind etwa:<br />
- Einreichung von Abgabenerklärungen,<br />
- Vorlage von Beweismitteln (zB Belegen),<br />
- Duldung einer Außenprüfung,<br />
- Beantwortung von Auskunftsersuchen.<br />
Zu solchen Leistungen gehört auch die elektronische Übermittlung von Anbringen<br />
und Unterlagen, wenn eine diesbezügliche Verpflichtung besteht (§ 111 Abs 1 letzter<br />
Satz BAO).<br />
Keine Zwangsstrafe darf gegen den Abgabenschuldner zur Erzwingung der<br />
Abgabenentrichtung verhängt werden (weil die Abgabenentrichtung eine vertretbare<br />
Leistung ist).<br />
Die Befolgung von Aufforderungen gemäß § 162 BAO und von Mängelbehebungsaufträgen<br />
(§§ 85 Abs 2, 275, 303a, 309a und 311a BAO) ist nicht mit Zwangsstrafe<br />
erzwingbar, weil speziellere Sanktionen (Nichtanerkennung der Beträge bzw<br />
Zurücknahmefiktion) bestehen.<br />
Vor der Festsetzung muss die Zwangsstrafe unter Aufforderung zur Erbringung<br />
der verlangten Leistung innerhalb einer zu bestimmenden, angemessenen Frist<br />
angedroht werden. Die Aufforderung und die Androhung müssen, außer wenn<br />
Gefahr im Verzug ist, schriftlich erfolgen (Zustellung mit Rückschein zweckmäßig).<br />
Die Festsetzung von Zwangsstrafen liegt im Ermessen<br />
(dem Grunde und der Höhe nach).<br />
Die Zwangsstrafe darf (je zu erzwingender Leistung, insgesamt) 5.000 Euro<br />
nicht übersteigen. Es darf höchstens der angedrohte Betrag festgesetzt werden.<br />
Die Festsetzung der Zwangsstrafe hat mit Bescheid zu erfolgen. Der Bescheid<br />
ist mit Berufung bzw mit Beschwerde beim VwGH oder VfGH anfechtbar.<br />
Die Festsetzung der Zwangsstrafe ist unzulässig, wenn die Leistung unmöglich oder<br />
unzumutbar ist, oder wenn sie im Zeitpunkt der erstinstanzlichen Festsetzung bereits<br />
erbracht ist.<br />
31
11.2 Ordnungsstrafe (§ 112 BAO)<br />
Der Leiter einer Amtshandlung hat für die Aufrechterhaltung der Ordnung<br />
und die Wahrung des Anstandes zu sorgen.<br />
Eine Ordnungsstrafe kann (Ermessen) verhängt werden<br />
- bei Störung einer Amtshandlung oder Verletzung des Anstandes,<br />
- bei beleidigender Schreibweise in einer Eingabe.<br />
Personen, die eine Amtshandlung stören oder durch ungeziemendes Benehmen<br />
den Anstand verletzen, sind zu ermahnen.<br />
Bleibt die Ermahnung erfolglos, so kann nach vorausgegangener Androhung<br />
- der Person das Wort entzogen werden,<br />
- ihre Entfernung verfügt und ihnen die Bestellung eines Bevollmächtigten<br />
aufgetragen werden oder<br />
- gegen sie eine Ordnungsstrafe bis 700 Euro verhängt werden.<br />
Bei beleidigender Schreibweise in einer Eingabe kann ebenfalls eine<br />
Ordnungsstrafe bis 700 Euro verhängt werden; dies setzt keine vorherige<br />
Ermahnung und Androhung voraus.<br />
Gegen öffentliche Organe, die in Ausübung ihres Amtes als Vertreter einschreiten,<br />
und gegen Bevollmächtigte, die zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugt sind,<br />
darf keine Ordnungsstrafe verhängt werden, wenn sie einem Disziplinarrecht<br />
unterstehen; statt dessen ist eine Anzeige an die Disziplinarbehörde zu erstatten.<br />
11.3 Mutwillensstrafe (§ 112a BAO)<br />
Eine Mutwillensstrafe bis 700 Euro kann gegen Personen verhängt werden,<br />
die offenbar mutwillig die Tätigkeit der Abgabenbehörde in Anspruch nehmen oder<br />
in der Absicht der Verschleppung der Angelegenheit unrichtige Angaben machen<br />
(§ 112a BAO).<br />
Mutwillig nimmt die Behörde in Anspruch, wer sich im Bewusstsein der Grund- und<br />
Aussichtslosigkeit, der Nutz- und Zwecklosigkeit seines Anbringens an die Behörde<br />
wendet, sowie wer aus Freude an der Behelligung der Behörde handelt.<br />
32
Offenbar ist die Mutwilligkeit dann, wenn die wider besseres Wissen erfolgte<br />
Inanspruchnahme unter solchen Umständen geschieht, dass jedermann die<br />
Aussichtslosigkeit, den angestrebten Erfolg zu erreichen, hätte erkennen müssen.<br />
12. Grundsätze des Abgabenverfahrens<br />
12.1 Allgemeines<br />
Das Abgabenverfahren ist insbesondere von folgenden Grundsätzen beherrscht:<br />
• Legalitätsprinzip (Grundsatz der Gesetzmäßigkeit),<br />
• Gleichmäßigkeit der Besteuerung,<br />
• Amtswegigkeit des Verfahrens,<br />
• Mitwirkungspflicht der Partei,<br />
• Grundsatz des Parteiengehörs (§ 115 Abs 2 BAO),<br />
• kein Neuerungsverbot (§§ 115 Abs 4 und 280 BAO),<br />
• Grundsatz der Vorfragenbeurteilung (§ 116 BAO),<br />
• Grundsatz von Treu und Glauben,<br />
• Grundsatz der Schriftlichkeit (§§ 85 Abs 1 und 92 Abs 2 BAO),<br />
• Unbeschränktheit der Beweismittel (§ 166 BAO),<br />
• freie Beweiswürdigung (§ 167 BAO),<br />
• keine Teilrechtskraft (§ 251 BAO),<br />
• amtswegige Zuständigkeitswahrung (§ 50 BAO),<br />
• beiderseitige Kostentragung (§§ 312 und 313 BAO).<br />
12.2 Legalitätsprinzip, Gleichmäßigkeit der Besteuerung (§ 114 BAO)<br />
Die Abgabenbehörden haben darauf zu achten, dass alle Abgabepflichtigen<br />
nach den Abgabenvorschriften erfasst und Abgabeneinnahmen nicht zu Unrecht<br />
verkürzt werden.<br />
Zu diesem Zweck haben die Abgabenbehörden alles, was für die Erhebung der<br />
Abgaben wichtig ist, sorgfältig zu erheben und die Nachrichten darüber zu sammeln<br />
(zB Kaufpreissammlungen), fortlaufend zu ergänzen und auszutauschen (zB durch<br />
Kontrollmitteilungen). Die Anfertigung von Kontrollmitteilungen darf etwa im Rahmen<br />
einer Außenprüfung (§ 147 BAO) erfolgen.<br />
Die Abgabenbehörden haben darauf zu achten, dass alle Abgabepflichtigen<br />
gleichmäßig behandelt, insbesondere gleichmäßig besteuert werden.<br />
33
Diese Grundsätze wenden sich an die Abgabenbehörden. Ein Abgabepflichtiger kann daher nicht die<br />
Gleichbehandlung mit anderen (zu Unrecht "günstiger" behandelten) Abgabepflichtigen verlangen.<br />
12.3 Amtswegigkeit des Verfahrens (§ 115 BAO)<br />
Abgabenverfahren sind, sofern ihre Einleitung nicht von einem Antrag<br />
(zB auf Nachsicht gemäß § 236 BAO) abhängt, von Amts wegen einzuleiten,<br />
abzuwickeln und zu beenden.<br />
Die Abgabenbehörden haben von Amts wegen die tatsächlichen und rechtlichen<br />
Verhältnisse zu ermitteln, die für die Abgabepflicht und die Erhebung der Abgaben<br />
wesentlich sind (§ 115 Abs 1 BAO).<br />
Die Abgabenbehörden haben in jeder Lage des Verfahrens (zB auch im Rechtsmittelverfahren)<br />
die abgabepflichtigen Fälle zu erforschen und Angaben der<br />
Abgabepflichtigen und amtsbekannte Umstände auch zu Gunsten der Abgabepflichtigen<br />
zu prüfen und zu würdigen.<br />
Die Pflicht zur amtswegigen Sachverhaltsermittlung (§ 115 Abs 1 BAO) geht<br />
nur soweit, als es nötig und der Abgabenbehörde möglich und zumutbar ist.<br />
Je geringer die Ermittlungsmöglichkeiten der Abgabenbehörde sind, desto größer<br />
ist die Mitwirkungspflicht der Partei (zB bei Auslandsbeziehungen; nach Ansicht<br />
des VwGH weiters bei Verschwiegenheitspflichten wie zB beim Bankgeheimnis).<br />
Eine erhöhte Mitwirkungspflicht besteht nach der Judikatur auch für denjenigen,<br />
der ungewöhnliche Verhältnisse behauptet oder der Begünstigungen geltend macht.<br />
12.4 Parteiengehör (§§ 115 Abs 2 und 183 Abs 4 BAO)<br />
Den Parteien ist Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und<br />
rechtlichen Interessen zu geben (§ 115 Abs 2 BAO).<br />
Eine von der Abgabenbehörde beabsichtigte wesentliche Abweichung von<br />
der Abgabenerklärung zu Ungunsten des Abgabepflichtigen ist diesem zur<br />
vorherigen Äußerung mitzuteilen (§ 161 Abs 3 BAO).<br />
Den Parteien ist vor Erlassung des abschließenden Sachbescheides Gelegenheit<br />
zu geben, von den durchgeführten Beweisen und vom Ergebnis der Beweisaufnahme<br />
Kenntnis zu nehmen und sich dazu zu äußern (§ 183 Abs 4 BAO).<br />
34
Das Parteiengehör bezieht sich nach der Rechtsprechung des VwGH nicht<br />
auf die (beabsichtigte) rechtliche Würdigung (somit nicht auf Rechtsfragen,<br />
nur auf sachverhaltsbezogene Umstände).<br />
Das Parteiengehör ist ua zu beachten<br />
• vor Schätzungen (§ 184 BAO),<br />
• bei Außenprüfungen,<br />
• im Berufungsverfahren.<br />
Eine Verletzung des Parteiengehörs stellt einen Verfahrensmangel dar.<br />
Verletzt die Abgabenbehörde erster Instanz diesen Grundsatz, so ist der<br />
Verfahrensmangel im Berufungsverfahren sanierbar.<br />
12.5 Kein Neuerungsverbot (§§ 115 Abs 4 und 280 BAO)<br />
Solange noch nicht entschieden wurde, sind auch die nach Ablauf einer Frist<br />
(zB beim Ergänzungsauftrag oder Bedenkenvorhalt) vorgebrachten Angaben<br />
zu prüfen und zu würdigen (§ 115 Abs 4 BAO).<br />
Auf neue Tatsachen, Beweise und Anträge, die der Abgabenbehörde zweiter Instanz<br />
im Laufe des Berufungsverfahrens zur Kenntnis gelangen, ist Bedacht zu nehmen,<br />
auch wenn dadurch das Berufungsbegehren geändert oder ergänzt wird<br />
(§ 280 BAO). Solche Neuerungen können bis zur Zustellung (bzw Verkündung)<br />
der Berufungsentscheidung geltend gemacht werden.<br />
Der Abgabepflichtige kann daher beispielsweise in der Berufung gegen den Einkommensteuerbescheid<br />
erstmals Sonderausgaben geltend machen oder die Einvernahme eines<br />
Zeugen beantragen.<br />
12.6 Vorfragen (§ 116 BAO)<br />
Unter einer Vorfrage ist ein vorweg zu klärendes rechtliches Element des<br />
Sachverhaltes zu verstehen, wenn für die Entscheidung dieser Rechtsfrage<br />
als Hauptfrage ein Gericht oder eine andere Verwaltungsbehörde oder zwar<br />
dieselbe Verwaltungsbehörde aber in einem anderen Verfahren zuständig ist.<br />
Derartige Rechtsfragen darf die Abgabenbehörde selbst beurteilen und<br />
diese Beurteilung ihrem Bescheid zugrunde legen. Die Beurteilung ist kein<br />
Spruchbestandteil; sie ist vielmehr in die Begründung aufzunehmen.<br />
Soweit die Beurteilung in den Spruch hineinwirkt, ist sie anfechtbar.<br />
35
Die eigenständige Beurteilung einer Vorfrage durch die Abgabenbehörde ist<br />
jedenfalls solange zulässig, als nicht von der hiefür zuständigen Behörde über<br />
die Rechtsfrage als Hauptfrage entschieden wurde.<br />
Liegt eine diesbezügliche Entscheidung über die Vorfrage vor, so ist die<br />
Abgabenbehörde nur bei Vorliegen folgender Voraussetzungen daran gebunden:<br />
• Übereinstimmung der abgabenrechtlichen mit der abgabenrechtsfremden<br />
Vorschrift (Tatbestandsidentität); dies wird idR bei abgabenrechtlichen<br />
Tatbeständen, die der Methode der wirtschaftlichen Anknüpfung folgen,<br />
nicht der Fall sein.<br />
• Bei der Entscheidung über die Hauptfrage war das Gericht (bzw die<br />
Verwaltungsbehörde) zur amtswegigen Sachverhaltsermittlung verpflichtet;<br />
daher kann etwa eine Bindung an strafgerichtliche Entscheidungen, an<br />
Entscheidungen im Außerstreitverfahren und an verwaltungsbehördliche<br />
Entscheidungen, nicht jedoch an Entscheidungen in Zivilprozessen bestehen.<br />
Hat die Abgabenbehörde eine Vorfrage eigenständig beurteilt und hat später<br />
die zuständige Behörde abweichend entschieden, so liegt ein Wiederaufnahmsgrund<br />
vor (nur in "Bindungsfällen").<br />
Beispiele:<br />
• Die Frage, ob Abgaben hinterzogen sind, ist Vorfrage für die siebenjährige<br />
Bemessungsverjährungsfrist (§ 207 Abs 2 BAO).<br />
• Die Frage, ob jemand Mitglied bei einer Wirtschaftskammer ist, ist Vorfrage für<br />
die Erhebung bestimmter Kammerumlagen (zB Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag<br />
nach § 122 Abs 7 WKG).<br />
• Person des Erben (Bindung an Einantwortungsurkunde); keine Bindung besteht<br />
für den Umfang der Verlassenschaft.<br />
12.7 Treu und Glauben<br />
Treu und Glauben bedeutet, dass jeder am Rechtsleben Teilnehmende zu seinem<br />
Wort und zu seinem Verhalten zu stehen hat und sich zu dem, was er früher<br />
vertreten hat und worauf andere vertraut haben, nicht ohne triftigen Grund in<br />
Widerspruch setzen darf.<br />
Dieser Grundsatz ist ein allgemeines Rechtsprinzip, das nicht ausdrücklich<br />
gesetzlich geregelt ist.<br />
36
Er ist zu beachten<br />
• bei Ermessensentscheidungen (zB bei Aufhebungen gemäß § 299 Abs 1 BAO,<br />
bei Geltendmachung abgabenrechtlicher Haftungen) und<br />
• bei der Auslegung unbestimmter Gesetzesbegriffe (zB Ordnungsmäßigkeit<br />
der Bücher iSd § 163 BAO, Unbilligkeit der Einhebung iSd § 236 BAO).<br />
Der Grundsatz von Treu und Glauben spielt insbesondere bei (unrichtigen)<br />
Rechtsauskünften des zuständigen Finanzamtes eine Rolle.<br />
Dieser Grundsatz soll vor Vertrauensschaden schützen (kein Schutz des Erfüllungsinteresses).<br />
Vertrauensschaden ist die Differenz zwischen gesetzmäßiger Abgabenschuld und derjenigen<br />
Abgabenbelastung, die aus dem abgabenrechtlichen Verhalten resultiert wäre, das der Abgabepflichtige<br />
gesetzt hätte, wäre ihm keine unrichtige Auskunft erteilt worden.<br />
12.8 Grundsatz der Schriftlichkeit<br />
Anbringen zur Geltendmachung von Rechten oder zur Erfüllung von Verpflichtungen<br />
(§ 85 Abs 1 BAO) und Erledigungen mit Bescheidcharakter (§ 92 BAO) haben<br />
schriftlich zu erfolgen, sofern die Abgabenvorschriften nicht anderes vorsehen.<br />
12.9 Offenlegungs- und Wahrheitspflicht (§ 119 BAO)<br />
Offenzulegen sind vom Abgabepflichtigen nach Maßgabe der Abgabenvorschriften<br />
jene Umstände, die<br />
• für den Bestand und Umfang einer Abgabepflicht oder<br />
• für die Erlangung abgabenrechtlicher Begünstigungen<br />
(zB Nachsicht, Zahlungserleichterungen)<br />
bedeutsam sind.<br />
Die Offenlegung hat wahrheitsgemäß und so vollständig zu erfolgen,<br />
dass sich die Abgabenbehörde ein richtiges, vollständiges und klares Bild<br />
von den für die Abgabenerhebung maßgeblichen Umständen machen kann.<br />
Der Offenlegung dienen beispielsweise:<br />
• Abgabenerklärungen (zB Einkommensteuererklärungen,<br />
Umsatzsteuervoranmeldungen),<br />
• Anzeigen (zB § 120 BAO, § 139 BAO, § 31 GebG),<br />
• sonstige Anbringen (zB Vorhaltsbeantwortung).<br />
Offenzulegen sind abgabenrechtlich bedeutsame Umstände; dies sind die<br />
maßgebenden Sachverhalte (nicht jedoch die zutreffende rechtliche Beurteilung).<br />
37
13. Abgabenerklärungen, Verspätungszuschlag (§§ 133 bis 135 BAO)<br />
13.1 Abgabenerklärungspflicht (§§ 133 und 134 BAO)<br />
Abgabenerklärungen sind beispielsweise:<br />
- Einkommensteuererklärung (§ 42 EStG 1988),<br />
- Feststellungserklärung (§ 43 EStG 1988),<br />
- Umsatzsteuervoranmeldung (§ 21 Abs 1 UStG 1994),<br />
- Umsatzsteuerjahreserklärung (§ 21 Abs 4 UStG 1994),<br />
- Grunderwerbsteuererklärung (§ 10 GrEStG 1987).<br />
Keine Abgabenerklärungen sind zB die Anzeigen gemäß § 31 GebG, gemäß § 15 BAO<br />
und gemäß § 139 BAO.<br />
Ob eine Abgabenerklärung vorliegt, hat ua Bedeutung für den Verspätungszuschlag<br />
(§ 135 BAO) und für die Berichtigung gemäß § 293b BAO.<br />
Eine Abgabenerklärung hat einzureichen, wer nach den Abgabenvorschriften<br />
dazu verpflichtet ist (§ 133 Abs 1 BAO).<br />
Solche Vorschriften sind zB §§ 42 und 43 EStG 1988, § 21 Abs 1 und 4 UStG 1994,<br />
§ 10 GrEStG 1987.<br />
Eine Abgabenerklärung hat weiters einzureichen, wer dazu von der Abgabenbehörde<br />
aufgefordert wird. Die Aufforderung kann auch durch Zusendung eines Abgabenerklärungsvordrucks<br />
erfolgen (§ 133 Abs 1 BAO). Die Aufforderung ist ein Bescheid<br />
(eine verfahrensleitende Verfügung iSd §§ 94 und 244 BAO).<br />
Sind amtliche Vordrucke für Abgabenerklärungen aufgelegt, so sind diese<br />
zu verwenden (§ 133 Abs 2 BAO). Ablichtungen hievon werden in der<br />
Verwaltungspraxis (idR) toleriert.<br />
Die Verpflichtung zur Verwendung amtlicher Vordrucke entfällt, soweit Abgabenerklärungen,<br />
für die die Einreichung im Wege automationsunterstützter Datenübertragung<br />
oder in jeder anderen technisch möglichen Weise zugelassen ist,<br />
in einer solchen Weise eingereicht werden (§ 133 Abs 2 BAO).<br />
In Abgabenerklärungen sind, wenn dies im Vordruck vorgesehen ist, die Versicherungsnummer<br />
(§ 31 Abs 4 Z 1 ASVG), die Firmenbuchnummer (§ 30 FirmenbuchG) und die Melderegisterzahl<br />
(§ 16 MeldeG 1991) anzugeben (§ 133 Abs 2 BAO).<br />
38
Die Einkommen-, Körperschaft- und Umsatzsteuererklärungen sowie die Erklärungen<br />
zur einheitlichen und gesonderten Feststellung der Einkünfte (§ 188 BAO) sind<br />
jeweils bis Ende April des Folgejahres einzureichen. Solche Erklärungen sind bis<br />
Ende Juni einzureichen, wenn die Übermittlung elektronisch erfolgt.<br />
Diese Fristen können vom Bundesminister für Finanzen allgemein erstreckt werden.<br />
Fristen zur Einreichung von Abgabenerklärungen sind beispielsweise geregelt in:<br />
- § 21 Abs 1 UStG 1994 für Umsatzsteuervoranmeldungen,<br />
- § 10 GrEStG 1987 (15. Tag des zweitfolgenden Monats).<br />
Im Einzelfall kann die Abgabenbehörde auf begründeten Antrag die in Abgabenvorschriften<br />
bestimmte Frist zur Einreichung einer Abgabenerklärung verlängern<br />
(§ 134 Abs 2 BAO).<br />
Wird ein Fristverlängerungsantrag abgewiesen, so ist eine Nachfrist von<br />
mindestens einer Woche zu setzen. Die Abweisung bzw Zurückweisung eines<br />
solchen Antrages ist eine verfahrensleitende Verfügung (iSd §§ 94 und 244 BAO).<br />
Die Einreichung einer Abgabenerklärung kann mit Zwangsstrafe (§ 111 BAO) erzwungen werden.<br />
Die (rechtswidrige) Nichteinreichung ist ein Schätzungsgrund (§ 184 BAO).<br />
13.2 Verspätungszuschlag (§ 135 BAO)<br />
Wird eine Abgabenerklärung unentschuldbar nicht oder verspätet eingereicht,<br />
so kann die Abgabenbehörde einen Verspätungszuschlag bis zu 10% der<br />
festgesetzten bzw im Fall der Selbstberechnung der selbstberechneten Abgabe<br />
(zB vorangemeldete Umsatzsteuer-Vorauszahlungen) verhängen.<br />
Die Festsetzung von Verspätungszuschlägen liegt im Ermessen<br />
(dem Grunde und der Höhe nach).<br />
Bei der Ermessensübung sind ua zu berücksichtigen:<br />
- das Ausmaß der Fristüberschreitung,<br />
- der Grad des Verschuldens des Abgabepflichtigen (bzw seines Vertreters),<br />
- die Höhe des erreichten finanziellen Vorteiles,<br />
- das Ausmaß, in dem ein finanzieller Vorteil durch die Festsetzung<br />
von Anspruchszinsen (§ 205 BAO) "abgeschöpft" wurde,<br />
- die Neigung zur Missachtung abgabenrechtlicher Pflichten,<br />
- der Umstand, ob nur ausnahmsweise oder bereits wiederholte Säumnis vorliegt.<br />
39
Verspätungszuschläge, die den Betrag von 50 Euro nicht erreichen,<br />
sind nicht festzusetzen (§ 135 letzter Satz BAO).<br />
Bei einer Abänderung (Aufhebung) der zugrunde liegenden Abgabenfestsetzung<br />
ist der Verspätungszuschlagsbescheid (gemäß § 295 Abs 3 BAO) von Amts wegen<br />
zu ändern bzw aufzuheben.<br />
14. Ermittlungsverfahren<br />
14.1 Auskunftsperson (§ 143 BAO)<br />
Jede Person hat auf Verlangen der Abgabenbehörde Auskunft über alle für<br />
die Abgabenerhebung maßgebenden Tatsachen zu geben sowie Urkunden<br />
und andere schriftliche Unterlagen zur Einsichtnahme vorzulegen (die Aufgabe<br />
der Gewahrsame darf nicht verlangt werden).<br />
Die Einvernahme von Auskunftspersonen kann nicht nur in Abgabenverfahren gegen<br />
bestimmte Abgabepflichtige, sondern auch im "Vorfeld" solcher Verfahren erfolgen.<br />
Die Auskunftspflicht besteht unabhängig davon, ob die Umstände für die von der<br />
Auskunftsperson geschuldeten Abgaben oder für Abgaben Dritter bedeutsam sind.<br />
Für Auskunftspersonen gelten auch die für Zeugen geltenden<br />
- Vernehmungsverbote (§ 170 BAO),<br />
- Aussageverweigerungsrechte (§ 171 BAO),<br />
- Bestimmungen über Zeugengebühren (§ 176 BAO),<br />
- Bestimmungen über Zeugenbelehrung (§ 174 BAO).<br />
Bei Auskunftserteilung in eigener Sache gelten die Aussageverweigerungsrechte<br />
sowie die Bestimmungen über Zeugengebühren jedoch nicht. Dennoch können<br />
berufsrechtliche Verschwiegenheitspflichten (zB § 91 WTBG, § 76 BibuG, § 9 RAO,<br />
§ 27 NotO, § 54 ÄrzteG 1998, § 15 PsychotherapieG) der Aussage entgegenstehen.<br />
Auskunftsverlangen sind verfahrensleitende Verfügungen iSd §§ 94 und 244 BAO.<br />
Die Auskunftserteilung kann durch Zwangsstrafe (§ 111 BAO) erzwungen werden.<br />
Die Auskunft kann schriftlich oder mündlich erfolgen. Über die mündliche<br />
Einvernahme der Auskunftsperson ist eine Niederschrift aufzunehmen (§ 87<br />
Abs 2 BAO).<br />
Die Auskunft ist wahrheitsgemäß nach bestem Wissen und Gewissen zu erteilen.<br />
40
Die Aussage von Auskunftspersonen ist ein Beweismittel, dem allerdings im<br />
Verhältnis zur Aussage des Zeugen (§ 169 BAO) geringere Beweiskraft zukommt.<br />
Bei voraussehbaren oder bestehenden gegensätzlichen Auffassungen sind<br />
die Personen daher als Zeugen einzuvernehmen.<br />
14.2 Außenprüfung (§§ 147 bis 150 BAO)<br />
Bei jedem, der zur Führung von Büchern oder von Aufzeichnungen verpflichtet ist,<br />
kann die Abgabenbehörde jederzeit alle für die Erhebung der Abgaben bedeutsamen<br />
tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse prüfen (§ 147 Abs 1 BAO).<br />
Eine Außenprüfung ist dem Abgabepflichtigen oder seinem Bevollmächtigten<br />
tunlichst 1 Woche vorher anzukündigen, sofern der Prüfungszweck dadurch<br />
nicht vereitelt wird (§ 148 Abs 5 BAO). Dies gilt nicht für Prüfungen nach § 99<br />
Abs 2 FinStrG.<br />
Die Prüfungsorgane haben sich zu Beginn der Amtshandlung unaufgefordert über<br />
ihre Person auszuweisen und den Prüfungsauftrag vorzuweisen (§ 148 Abs 1 BAO).<br />
Der Prüfungsauftrag hat den Gegenstand der Prüfung sowie die zu prüfenden<br />
Abgabenarten und Zeiträume zu enthalten.<br />
Gegen den Prüfungsauftrag ist ein abgesondertes Rechtsmittel nicht zulässig<br />
(§ 148 Abs 4 BAO).<br />
Die Durchsetzung der Duldungs- und sonstigen Pflichten ist mit Zwangsstrafe<br />
(§ 111 BAO) erzwingbar; dies gilt nicht, soweit eine Prüfung nach § 99 Abs 2 FinStrG<br />
erfolgt.<br />
Hält ein Abgabepflichtiger den Prüfungsauftrag für rechtswidrig, so ist die Verweigerung<br />
der Mitwirkung, somit die "Provozierung" einer Zwangsstrafe ein geeigneter Weg, die Frage<br />
der Rechtmäßigkeit des Prüfungsauftrages im Rechtsmittelverfahren zu klären.<br />
Prüfungsort ist grundsätzlich der Betrieb des Abgabepflichtigen. Die Prüfung darf<br />
auch in Räumen des steuerlichen Vertreters oder der Abgabenbehörde erfolgen.<br />
41
Ohne Zustimmung des Abgabepflichtigen darf nach Beendigung einer Außenprüfung<br />
ein neuerlicher Prüfungsauftrag für denselben Prüfungszeitraum nur erteilt werden<br />
• zur Prüfung anderer Abgabenarten,<br />
• zur Prüfung der Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens,<br />
• im Rechtsmittelverfahren im Auftrag (§ 279 Abs 2 BAO) der Abgabenbehörde<br />
zweiter Instanz, jedoch nur zur Prüfung der Begründung des Rechtsmittels<br />
(§ 250 Abs 1 lit d BAO) oder neuer Tatsachen und Beweise (§ 280 BAO),<br />
• für Prüfungen nach § 99 Abs 2 FinStrG.<br />
Eine Schlussbesprechung ist nach Beendigung der Außenprüfung über deren<br />
Ergebnis abzuhalten. Zu dieser sind der Abgabepflichtige und sein Bevollmächtigter<br />
unter Setzung einer angemessenen Frist vorzuladen. Über die Schlussbesprechung<br />
ist eine Niederschrift aufzunehmen (§ 149 Abs 1 BAO).<br />
Die Schlussbesprechung kann (nach § 149 Abs 2 BAO) entfallen, wenn<br />
• die ergangenen Bescheide sich nicht ändern,<br />
• sich keine Abweichung gegenüber den eingereichten Erklärungen ergibt,<br />
• der Abgabepflichtige oder sein Vertreter in einer eigenhändig unterfertigten<br />
Erklärung darauf verzichtet oder<br />
• trotz Vorladung keiner von beiden erscheint.<br />
Die Schlussbesprechung dient insbesondere dem Grundsatz des Parteiengehörs,<br />
doch sind dort nicht nur Sachverhaltsfragen, sondern auch die rechtliche Beurteilung<br />
von Sachverhalten zu erörtern.<br />
Ein schriftlicher Prüfungsbericht ist unabhängig davon, ob eine Schlussbesprechung<br />
stattgefunden hat, stets zu erstellen. Dem Abgabepflichtigen ist eine<br />
Abschrift davon zu übermitteln (§ 150 BAO). Der Prüfungsbericht ist kein Bescheid.<br />
Er dient idR als Begründung von das Prüfungsergebnis auswertenden Bescheiden.<br />
14.3 Aufforderung zur Empfänger- bzw Gläubigerbenennung (§ 162 BAO)<br />
Macht ein Abgabepflichtiger Aufwendungen (zB Betriebsausgaben, Werbungskosten,<br />
Sonderausgaben) oder Schulden geltend, so kann (Ermessen) die Abgabenbehörde<br />
verlangen, die Empfänger bzw die Gläubiger der abgesetzten Beträge genau zu<br />
bezeichnen.<br />
Primärer Zweck des § 162 BAO ist die steuerliche Erfassung der Beträge<br />
beim Empfänger (Gläubiger).<br />
42
Die Aufforderung zur genauen Bezeichnung der Empfänger bzw Gläubiger ist eine<br />
verfahrensleitende Verfügung, somit ein nicht abgesondert anfechtbarer Bescheid.<br />
Die Androhung bzw Festsetzung von Zwangsstrafen (§ 111 BAO) ist unzulässig<br />
(als Folge der spezielleren Sanktion bei Verweigerung der Bezeichnung).<br />
Kommt der Abgabepflichtige der Aufforderung durch Nennung der richtigen Namen<br />
nach, so ist in freier Beweiswürdigung (§ 167 BAO) über die Absetzung der<br />
betreffenden Beträge zu entscheiden.<br />
Verweigert der Abgabepflichtige die Bezeichnung der Empfänger bzw der Gläubiger,<br />
so hat (zwingend) die Abgabenbehörde die betreffenden Aufwendungen oder<br />
Schulden zur Gänze nicht anzuerkennen; dies auch dann, wenn der Abgabepflichtige<br />
seine Weigerung zB mit geschäftlichen oder familiären Rücksichten begründet. Eine<br />
diesbezügliche Schätzung ist unzulässig.<br />
Wäre die Aufforderung sachlich nicht gerechtfertigt (Ermessensfehler) oder wäre<br />
die Nennung dem Abgabepflichtigen ohne sein Verschulden tatsächlich unmöglich<br />
(zB wenn seine Buchhaltung und die Belege verbrannt sind), so wäre der Aufforderungsbescheid<br />
rechtswidrig. Die Rechtswidrigkeit des Aufforderungsbescheides kann<br />
erst mit Berufung gegen den betreffenden Sachbescheid geltend gemacht werden.<br />
15. Festsetzung der Abgaben<br />
15.1 Abgabenbescheid (§ 198 BAO)<br />
Abgaben sind durch Abgabenbescheid festzusetzen, soweit in Abgabenvorschriften<br />
(zB für Selbstbemessungsabgaben) nicht anderes vorgeschrieben ist.<br />
Jeder Abgabenbescheid hat im Spruch den Bescheidadressaten (§ 93 Abs 2 BAO)<br />
zu nennen und abzusprechen über<br />
- die Art und Höhe der Abgabe,<br />
- den Zeitpunkt ihrer Fälligkeit und<br />
- die Bemessungsgrundlagen.<br />
Wird bezüglich des Fälligkeitszeitpunktes auf eine Lastschriftanzeige<br />
(Buchungsmitteilung) verwiesen, so gilt die dort angegebene Fälligkeit<br />
als Teil des Spruches.<br />
43
Führen Abgabenbescheide zu keiner Nachforderung (sondern zB zu einer<br />
Gutschrift), so ist eine Angabe über den Fälligkeitszeitpunkt der festgesetzten<br />
Abgabenschuldigkeit entbehrlich.<br />
Daher muss ein zu einer Gutschrift führender, einen Einkommensteuerbescheid<br />
gemäß § 295 BAO ändernder Bescheid nicht nochmals den Zeitpunkt der Fälligkeit<br />
des im geänderten Bescheid enthaltenen Abgabenbetrages enthalten.<br />
Ist die Fälligkeit bereits vor der Erlassung des Abgabenbescheids eingetreten<br />
(zB bei der Festsetzung von Umsatzsteuervorauszahlungen), so erübrigt sich,<br />
wenn auf diesen Umstand hingewiesen wird, eine nähere Angabe über den<br />
Fälligkeitspunkt. Eine solche nähere Angabe hat jedoch zu erfolgen, wenn solche<br />
Zeitpunkte strittig und für abgeleitete Abgaben (insbesondere für Säumniszuschläge)<br />
bedeutsam sind.<br />
Wurden mehrere Abgaben in einem Sammelbescheid (kombinierten Bescheid)<br />
festgesetzt, so ist jede Festsetzung selbständig anfechtbar.<br />
Ein Abgabenbescheid ist auch (zB hinsichtlich der Höhe des vortragsfähigen<br />
Verlustes) anfechtbar, wenn die Abgabe mit Null festgesetzt wurde.<br />
Spruchbestandteil ist weiters die Höhe einer Gutschrift und<br />
das Ende einer Nachfrist (zB gemäß § 210 Abs 4 BAO).<br />
Kein Spruchbestandteil des Einkommensteuerbescheides ist<br />
- die Einkunftsart,<br />
- die Vortragsfähigkeit eines Verlustes.<br />
15.2 Schätzung ( 184 BAO)<br />
Kann die Abgabenbehörde die Grundlagen für die Abgabenerhebung nicht ermitteln<br />
oder berechnen, so hat sie diese zu schätzen (Grundsatz der Subsidiarität der<br />
Schätzung). Dies gilt etwa für Größen, die idR nur schätzbar sind (zB Teilwert,<br />
betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer).<br />
Als Schätzungsgründe kommen insbesondere in Betracht,<br />
dass der Abgabepflichtige<br />
- keine ausreichenden Aufklärungen über seine Angaben geben kann,<br />
- weitere Auskünfte über für die Grundlagenermittlung<br />
wesentliche Umstände verweigert,<br />
44
- zu führende Bücher oder Aufzeichnungen nicht vorlegt,<br />
- sachlich unrichtige Bücher oder Aufzeichnungen vorlegt,<br />
- formell so mangelhafte Bücher oder Aufzeichnungen vorlegt,<br />
dass sie an der sachlichen Richtigkeit zweifeln lassen.<br />
Weiters ist zB zu schätzen, wenn rechtswidrigerweise keine Abgabenerklärung<br />
eingereicht wird, oder bei ungeklärtem Vermögenszuwachs.<br />
Nicht die Abgabe, sondern deren Bemessungsgrundlagen sind zu schätzen.<br />
Unterschieden wird eine Globalschätzung und eine Teilschätzung (zB bestimmte<br />
Betriebsausgaben, Einnahmen aus Vermittlungen).<br />
Bei der Schätzung sind alle Umstände zu berücksichtigen, die hiefür von Bedeutung<br />
sind. Es soll die Besteuerungsgrundlage geschätzt werden, die die größte Wahrscheinlichkeit<br />
der Richtigkeit für sich hat. Die Schätzung darf keine Strafsteuer<br />
bedeuten.<br />
Der Grundsatz des Parteiengehörs (§ 115 Abs 2 BAO) ist auch<br />
im Schätzungsverfahren zu beachten.<br />
Das Schätzungsergebnis ist schlüssig zu begründen<br />
(Darstellung der Schätzungsmethode und -vorgangsweise).<br />
Die anzuwendende Schätzungsmethode liegt im Ermessen der Behörde.<br />
Es ist jene Methode zu wählen, die im jeweiligen Einzelfall dem Ziel der Schätzung<br />
(größte Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit des Ergebnisses) am besten dient.<br />
Schätzungsmethoden sind vor allem:<br />
- äußerer Betriebsvergleich (Vergleich mit den Ergebnissen gleichartiger<br />
Betriebe; wegen der abgabenrechtlichen Geheimhaltungspflicht des § 48a BAO<br />
und des Verbotes "geheimer" Beweismittel selten möglich),<br />
- innerer Betriebsvergleich (Vergleich der Ergebnisse des<br />
nämlichen Betriebes durch mehrere Jahre hindurch),<br />
- Schätzung nach dem Lebensaufwand,<br />
- Schätzung nach dem Vermögenszuwachs,<br />
- Schätzung nach Erfahrungssätzen,<br />
- kalkulatorische Schätzung,<br />
- Sicherheitszuschlag.<br />
45
15.3 Vorläufige Bescheide (§ 200 BAO)<br />
Eine Abgabe kann (Ermessen) vorläufig festgesetzt werden,<br />
wenn nach den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens<br />
- die Abgabepflicht zwar noch (zeitlich) ungewiss, aber wahrscheinlich oder<br />
- der Umfang der Abgabepflicht noch ungewiss ist.<br />
Eine vorläufige Bescheiderteilung darf nicht erfolgen wegen einer Ungewissheit,<br />
die im Zuge eines Ermittlungsverfahrens (zB einer geplanten Außenprüfung) beseitigt<br />
werden könnte.<br />
Bei der Ermessensübung ist zu berücksichtigen, dass Ungewissheiten über den<br />
Eintritt rückwirkender Ereignisse iSd § 295a BAO die Vorläufigkeit von Bescheiden<br />
idR entbehrlich machen.<br />
Die Vorläufigkeit ist ein mit Berufung anfechtbarer Spruchbestandteil.<br />
Der Grund für die Vorläufigkeit ist in der Begründung (§ 93 Abs 3 lit a BAO)<br />
anzugeben.<br />
Nach Beseitigung der Ungewissheit ist der vorläufige durch einen endgültigen<br />
Bescheid zu ersetzen, der in jeder Richtung vom vorläufigen Bescheid abweichen<br />
kann (keine Teilrechtskraft) oder, wenn es zu keiner Änderung des vorläufigen<br />
Bescheides kommt, mit Bescheid für endgültig zu erklären (§ 200 Abs 2 BAO).<br />
Nach § 208 Abs 1 lit d BAO beginnt in den Fällen des § 200 BAO die Verjährung<br />
mit Ablauf des Jahres, in dem die Ungewissheit beseitigt wurde. Nach Eintritt der<br />
absoluten Verjährung (§ 209 Abs 3 BAO) ist die Erlassung eines endgültigen (bzw<br />
endgültigerklärenden) Bescheides grundsätzlich unzulässig.<br />
Die Regelungen über vorläufige Abgabenbescheide gelten sinngemäß<br />
insbesondere für<br />
- Feststellungsbescheide gemäß § 188 BAO (§ 190 Abs 1 erster Satz BAO),<br />
- Bescheide, mit denen ausgesprochen wird, dass Feststellungen gemäß § 188 BAO<br />
zu unterbleiben haben (§ 190 Abs 1 zweiter Satz BAO),<br />
- Bescheide, mit denen ausgesprochen wird, dass eine Veranlagung unterbleibt,<br />
oder die aussprechen, dass eine Abgabe nicht festgesetzt wird (§ 200 Abs 4 BAO).<br />
Nicht vorläufig ergehen dürfen zB Haftungsbescheide (§ 224 BAO),<br />
Sicherstellungsaufträge (§ 232 BAO), Nachsichtsbescheide (§ 236 BAO),<br />
Zurückweisungen einer Berufung (§ 273 BAO).<br />
46
15.4 Selbstbemessungsabgaben (§§ 201 und 202 BAO)<br />
Selbstbemessungsabgaben sind Abgaben, bei denen der Abgabenschuldner<br />
(Eigenschuldner) oder der Abfuhrpflichtige (Haftungspflichtige) die Abgaben<br />
selbst zu berechnen und zu entrichten hat, ohne vorherige bescheidmäßige<br />
Festsetzungen abwarten zu dürfen.<br />
Solche Abgaben sind Selbstberechnungsabgaben (iSd § 201 BAO) oder<br />
Abfuhrabgaben (iSd § 202 BAO).<br />
Beispiele für Selbstberechnungsabgaben:<br />
Umsatzsteuervorauszahlungen (§ 21 Abs 1 UStG 1994), Dienstgeberbeitrag (§ 41 FLAG),<br />
Gebühren für Bestandverträge (§ 33 TP 5 Abs 5 GebG).<br />
Beispiele für Abfuhrabgaben:<br />
Lohnsteuer, Kapitalertragsteuer.<br />
Die erstmalige Festsetzung von Selbstberechnungsabgaben liegt im Allgemeinen<br />
im Ermessen. Dies gilt sowohl für Festsetzungen auf Antrag des Abgabepflichtigen<br />
als auch für amtswegige Festsetzungen.<br />
Die Festsetzung setzt stets voraus,<br />
• dass der Abgabepflichtige, obwohl er dazu verpflichtet ist, keinen selbst<br />
berechneten Betrag der Abgabenbehörde bekannt gibt oder<br />
• dass sich die bekannt gegebene Selbstberechnung als nicht richtig erweist.<br />
Die Festsetzung kann (Ermessen) erfolgen,<br />
• von Amts wegen innerhalb eines Jahres ab Bekanntgabe des selbst berechneten<br />
Betrages,<br />
• wenn der Antrag auf Festsetzung spätestens ein Jahr ab Bekanntgabe<br />
des selbst berechneten Betrages eingebracht ist,<br />
• wenn kein selbst berechneter Betrag bekannt gegeben wird,<br />
• wenn bei sinngemäßer Anwendung des § 303 Abs 4 BAO die Voraussetzungen<br />
für eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen vorliegen würden,<br />
• wenn sich die Selbstberechnung wegen Widerspruches mit zwischenstaatlichen<br />
abgabenrechtlichen Vereinbarungen (insbesondere Doppelbesteuerungsabkommen)<br />
oder mit Gemeinschaftsrecht der Europäischen Union als nicht richtig<br />
erweist,<br />
• wenn bei sinngemäßer Anwendung des § 293b BAO oder des § 295a BAO<br />
die Voraussetzungen für eine Abänderung vorliegen würden.<br />
47
Die Festsetzung hat (zwingend) zu erfolgen,<br />
• wenn der Antrag auf Festsetzung binnen einer Frist von einem Monat<br />
ab Bekanntgabe des selbst berechneten Betrages eingebracht ist, oder<br />
• wenn bei sinngemäßer Anwendung der §§ 303, 303a und 304 BAO die<br />
Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme auf Antrag der Partei vorliegen<br />
würden.<br />
Innerhalb derselben Abgabenart können mehrere Abgaben desselben Jahres<br />
(zB Dienstgeberbeiträge für August - Dezember) in einem Bescheid zusammen<br />
festgesetzt werden (§ 201 Abs 4 BAO). Eine solche Zusammenfassung darf nur<br />
Zeiträume umfassen, für die die Voraussetzungen für die Festsetzung gegeben sind.<br />
Beispiel:<br />
Die Selbstberechnung von Dienstgeberbeiträgen erweist sich für Februar, März, April und<br />
Juni als unrichtig. Eine zusammengefasste Festsetzung darf nur für die Monate Februar bis<br />
April erfolgen.<br />
§ 201 BAO ist sinngemäß für Abfuhrabgaben anzuwenden. Nachforderungen sind<br />
mit Haftungsbescheid (§ 224 BAO) geltend zu machen (§ 202 Abs 1 BAO).<br />
Auch Haftungsbescheide dürfen mehrere Abgaben derselben Abgabenart<br />
(zB Lohnsteuer für Juni bis September) umfassen, sofern für jede Abgabe (somit bei<br />
der Lohnsteuer je Monat) die Voraussetzungen für die Haftungsinanspruchnahme<br />
gegeben sind.<br />
Vor allem wegen § 1358 ABGB (Legalzession) und wegen des Beitrittsrechts (§ 257 BAO) des<br />
Arbeitnehmers zur Berufung des Arbeitgebers sind allerdings die Lohnsteuerbeträge grundsätzlich<br />
je betroffenem Arbeitnehmer aufzugliedern.<br />
Hat der Abfuhrpflichtige zuviel einbehalten und abgeführt, so ist ein an ihn gerichteter<br />
"Gutschriftsbescheid" zu erlassen. Ein solcher Bescheid hat nicht zu ergehen, wenn<br />
ein zu Unrecht einbehaltener Betrag gemäß § 240 Abs 3 BAO zurückgezahlt wurde<br />
oder im Fall einer Antragstellung zurückzuzahlen wäre.<br />
Beispiel:<br />
Der Arbeitgeber hat zuviel Lohnsteuer einbehalten und auch abgeführt; daher ist<br />
der Arbeitnehmer gemäß § 240 Abs 3 BAO antragsberechtigt (siehe Abschnitt 24.2).<br />
Hat der Arbeitgeber richtig einbehalten, aber zuviel abgeführt, so ist ein an den Arbeitgeber<br />
gerichteter Gutschriftsbescheid gemäß § 202 BAO zu erlassen.<br />
48
16. Anspruchszinsen (§ 205 BAO)<br />
Anspruchszinsen (= Nachforderungszinsen und Gutschriftszinsen) sind für<br />
Nachforderungen bzw Gutschriften an Einkommensteuer und an Körperschaftsteuer<br />
festzusetzen (erstmals für Steuern für 2000).<br />
Solche Nachforderungen bzw Gutschriften können sich vor allem ergeben<br />
- aus Veranlagungsbescheiden (zB Einkommensteuernachforderung, wenn die<br />
Einkommensteuerschuld laut Veranlagung die festgesetzten Vorauszahlungen<br />
übersteigt),<br />
- aus Berichtigungen (zB gemäß § 293 BAO) und Änderungen (zB Berufungsvorentscheidung<br />
gemäß § 276 Abs 1 BAO und Änderung gemäß § 295 Abs 1 BAO)<br />
von Einkommensteuerbescheide oder Körperschaftsteuerbescheiden,<br />
- aus neuen Sachbescheiden bei Wiederaufnahme des Einkommensteuerverfahrens<br />
oder des Körperschaftsteuerverfahrens,<br />
- aus Nichtveranlagungsbescheiden,<br />
- aus Rückzahlungsbescheiden gemäß § 240 Abs 3 BAO,<br />
- aus auf Grund völkerrechtlicher Verträge (insbesondere<br />
Doppelbesteuerungsabkommen) erlassenen Rückzahlungsbescheiden.<br />
Bemessungsgrundlage der Anspruchszinsen ist die Höhe der Nachforderung<br />
bzw der Gutschrift. Verzinst wird der Zeitraum ab 1. Oktober des Folgejahres<br />
(zB 1. Oktober 2008 für Einkommensteuer 2007) bis jeweils dem Tag der<br />
Bekanntgabe (idR Zustellung) des zur Nachforderung bzw Gutschrift führenden<br />
Bescheides.<br />
Die Anspruchszinsen betragen pro Jahr 2% über dem Basiszinssatz.<br />
Zinsen, die den Betrag von 50 Euro nicht erreichen, sind nicht festzusetzen.<br />
Zinsen sind für höchstens 48 Monate festzusetzen.<br />
Nachforderungszinsen sind insoweit nicht festzusetzen, als Anzahlungen<br />
(auf Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer) entrichtet sind.<br />
Solche Anzahlungen können (auch wiederholt) dem Finanzamt bekannt gegeben<br />
werden. Sie gelten für Verrechnungszwecke (§ 214 BAO) in der bekannt gegebenen<br />
Höhe am Tag der jeweiligen Bekanntgabe als fällig.<br />
49
Für Anzahlungen sieht § 214 Abs 4 lit e BAO ein Verrechnungsweisungsrecht vor<br />
(Beispiel für Verrechnungsweisung: "E 01-12/2007").<br />
Entrichtete Anzahlungen sind (höchstens im Ausmaß der Nachforderung)<br />
auf die Einkommensteuerschuld (Körperschaftsteuerschuld) zu verrechnen.<br />
Restliche Anzahlungen sind anlässlich der Erlassung von Einkommensteuer<br />
bzw Körperschaftsteuer betreffenden Bescheiden gutzuschreiben. Diese Gutschrift<br />
wird nicht verzinst.<br />
Mit Ablauf der 48-Monate-Frist sind allenfalls noch verbleibende (weder verrechnete<br />
noch gutgeschriebene) Anzahlungen von Amts wegen gutzuschreiben.<br />
Gutschriftszinsen sind nur insoweit festzusetzen, als die gegenüberzustellenden<br />
Beträge ("Vorsoll"-Beträge) entrichtet sind.<br />
Für die Entrichtung von Einkommensteuer und Körperschaftsteuer<br />
(einschließlich Vorauszahlungen) besteht ein Verrechnungsweisungsrecht<br />
(im § 214 Abs 4 lit e BAO).<br />
Anspruchszinsen sind Nebenansprüche (iSd § 3 Abs 2 BAO).<br />
Ihre Bemessungsverjährung richtet sich nach der für die Einkommensteuer<br />
bzw Körperschaftsteuer maßgeblichen Verjährung (§ 207 Abs 2 BAO).<br />
Anspruchszinsen sind mit Abgabenbescheid (iSd § 198 BAO) festzusetzen.<br />
Auf Antrag des Abgabepflichtigen sind Anspruchszinsen insoweit herabzusetzen<br />
oder nicht festzusetzen, als die Nachforderung (oder Gutschrift) Folge eines<br />
rückwirkenden Ereignisses (§ 295a BAO; siehe Abschnitt 31) ist und die Zinsen die<br />
Zeit vor Eintritt des Ereignisses betreffen (§ 205 Abs 6 BAO). Dies gilt unabhängig<br />
davon, mit welchem Verfahrenstitel das rückwirkende Ereignis berücksichtigt wurde.<br />
50
17. Bemessungsverjährung<br />
17.1 Allgemeines<br />
Die Bemessungsverjährung (Festsetzungsverjährung) befristet das Recht<br />
(bzw die Pflicht) der Abgabenbehörde, eine Abgabe festzusetzen.<br />
Zweck der Verjährung ist<br />
• der Eintritt des Rechtsfriedens infolge Zeitablaufes,<br />
• die Vermeidung von Beweisschwierigkeiten und von Fehlern<br />
in der Sachverhaltsermittlung.<br />
Die Verjährung ist von Amts wegen wahrzunehmen. Sie gilt nicht nur für erstmalige<br />
Abgabenfestsetzungen, sondern auch für Abänderungen und Aufhebungen solcher<br />
Festsetzungen. Sie gilt auch für Selbstbemessungsabgaben.<br />
Die Verjährung befristet nicht das Recht, Feststellungsbescheide über die<br />
einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften zu erlassen, abzuändern<br />
oder aufzuheben.<br />
Erfolgt eine Abgabenfestsetzung (zu Unrecht) trotz eingetretener Verjährung,<br />
so kann dies mit Berufung geltend gemacht werden.<br />
17.2 Verjährungsfristen (§ 207 BAO)<br />
Die Verjährungsfrist beträgt im Allgemeinen 5 Jahre.<br />
Hievon abweichend betragen die Verjährungsfristen<br />
• bei den festen Stempelgebühren nach dem II. Abschn des GebG, den Gebühren<br />
nach § 17a VfGG und § 24 VwGG sowie bei den Verbrauchsteuern 3 Jahre,<br />
• soweit eine Abgabe hinterzogen ist, 7 Jahre,<br />
• bei Zwangs-, Ordnungs- und Mutwillensstrafen sowie bei Kostenersätzen 1 Jahr.<br />
Das Recht, einen Verspätungszuschlag (§ 135 BAO), Anspruchszinsen (§ 205 BAO)<br />
oder eine Abgabenerhöhung anzufordern, verjährt gleichzeitig mit dem Recht zur<br />
Festsetzung der Stammabgabe (§ 207 Abs 2 letzter Satz BAO).<br />
51
17.3 Beginn der Verjährung (§ 208 BAO)<br />
Grundsätzlich mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem<br />
der Abgabenanspruch entstanden ist;<br />
bei Zwangsstrafen, Ordnungsstrafen, mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem<br />
Mutwillensstrafen und Kostenersätzen die Voraussetzungen für die Verhängung<br />
oder Anforderung entstanden sind;<br />
bei Ersatz oder Rückzahlung von Beihil- mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem<br />
fen sowie Rückzahlung von Erstattungen,<br />
Vergütungen und Abgeltungen<br />
diese Abgaben geleistet wurden;<br />
bei vorläufigen Bescheiden<br />
(§ 200 Abs 1 BAO)<br />
bei Eintritt eines rückwirkenden<br />
Ereignisses (iSd § 295a BAO)<br />
bei der Erbschafts- und<br />
Schenkungssteuer unterliegenden<br />
Erwerben von Todes wegen und bei<br />
Zweckzuwendungen von Todes wegen<br />
mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem<br />
(objektiv) die Ungewissheit beseitigt<br />
wurde;<br />
mit Ablauf des Jahres, in dem das<br />
Ereignis eingetreten ist;<br />
mit Ablauf des Jahres, in dem die<br />
Abgabenbehörde von dem Erwerb oder<br />
der Zweckzuwendung Kenntnis erlangt.<br />
17.4 Verlängerung der Verjährungsfrist (§ 209 Abs 1 BAO)<br />
Die Verjährungsfrist wird durch zur Geltendmachung des Abgabenanspruches<br />
oder zur Feststellung des Abgabepflichtigen von der Abgabenbehörde innerhalb<br />
der Verjährungsfrist unternommene, nach außen erkennbare Amtshandlungen<br />
um ein Jahr verlängert. Wird eine solche Amtshandlung in einem "Verlängerungsjahr"<br />
unternommen, so endet die Verjährungsfrist erst mit Ablauf des folgenden Jahres.<br />
Beispiele für solche Amtshandlungen:<br />
Zusendung einer Abgabenerklärung, Ergänzungsauftrag, Bedenkenvorhalt, Abgabenbescheide<br />
(erstinstanzlich, Berufungsvorentscheidung, vorläufiger Bescheid; auch später<br />
zB gemäß § 299 Abs 1 BAO aufgehobener Bescheid), Nichtveranlagungsbescheide,<br />
Feststellungsbescheide (§ 188 BAO), Außenprüfung, Amtshilfeersuchen, Einvernahme<br />
von Zeugen und Auskunftspersonen.<br />
Die einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften (§ 188 BAO) betreffende<br />
Amtshandlungen (zB Erlassung von Feststellungsbescheiden, Außenprüfungen)<br />
verlängern die Verjährungsfrist für die hievon abgeleitete Einkommensteuer (bzw<br />
Körperschaftsteuer) der Beteiligten.<br />
52
Die Amtshandlung muss nicht gegen den Abgabepflichtigen gerichtet sein und ihm<br />
bekannt werden (zB Zeugeneinvernahme). Sie muss weder unbedingt erforderlich<br />
noch rechtmäßig sein.<br />
Beispiele (zur fünfjährigen Verjährungsfrist):<br />
1. Einkommensteuer 2006: Zustellung des Abgabenbescheides im Jahr 2008;<br />
Änderung des Abgabenbescheides im Jahr 2009.<br />
Die Verjährungsfrist endet mit Ablauf des Jahres 2012.<br />
2. Einkommensteuer 2006; Zustellung des Abgabenbescheides im Jahr 2008;<br />
Außenprüfung beginnt im November 2012 und endet im März 2013.<br />
Die Verjährungsfrist endet mit Ablauf des Jahres 2014.<br />
3. Einkommensteuer 2006; Einkommensteuerbescheide (Erstbescheid,<br />
Änderungsbescheide) ergehen in den Jahren 2008, 2010 und 2011; im Jahr 2013 ergeht<br />
ein Feststellungsbescheid (§ 188 BAO), der einen höheren Gewinnanteil ausweist.<br />
Die Verjährungsfrist endet mit Ablauf des Jahres 2012. Die Amtshandlung<br />
des Jahres 2013 erfolgte bereits nach Verjährungseintritt.<br />
Bei Gesamtschuldverhältnissen wirken Unterbrechungshandlungen gegen<br />
alle Gesamtschuldner verjährungsfristverlängernd.<br />
17.5 Hemmung der Verjährung (§ 209 Abs 2 BAO)<br />
Die Verjährung ist gehemmt, solange die Geltendmachung des Abgabenanspruches<br />
innerhalb der letzten 6 Monate der Verjährungsfrist wegen höherer Gewalt nicht<br />
möglich ist. Mit Wegfall der Hemmung läuft der noch unverbrauchte Teil der Frist<br />
weiter.<br />
17.6 Absolute Verjährung (§ 209 Abs 3 BAO)<br />
Das Recht auf Festsetzung einer Abgabe verjährt spätestens 10 Jahre<br />
nach der Entstehung des Abgabenanspruches (§ 4 BAO).<br />
Diese (absolute) Verjährungsfrist ist weder hemmbar noch verlängerbar.<br />
53
Beispiel:<br />
Zur Gänze hinterzogene Einkommensteuer 2006; Abgabenbescheide ergehen in den Jahren<br />
2013 und 2014; im Jahr 2015 beginnt ein umfangreiches Ermittlungsverfahren, es endet erst<br />
im März 2017.<br />
Die Verjährung (des Rechts, den Einkommensteuerbescheid neuerlich abzuändern) ist<br />
mit Ablauf des Jahres 2016 eingetreten.<br />
Für Erwerbe von Todes wegen und für Zweckzuwendungen von Todes wegen verjährt das Recht<br />
auf Festsetzung der Erbschaftssteuer spätestens 10 Jahre ab Anzeige des Vorganges (bedeutsam<br />
insbesondere für später auftauchende Testamente).<br />
17.7 Abgabenfestsetzung nach Ablauf der Verjährungsfrist (§ 209a BAO)<br />
Der Eintritt der Verjährung steht einer Abgabenfestsetzung, die in einer<br />
Berufungsentscheidung (oder Berufungsvorentscheidung) zu erfolgen hat,<br />
nicht entgegen (§ 209a Abs 1 BAO). Dies gilt auch für die absolute Verjährung<br />
(§ 209 Abs 3 BAO).<br />
Hängt eine Abgabenfestsetzung unmittelbar oder mittelbar von der Erledigung einer<br />
Berufung oder eines in Abgabenvorschriften vorgesehenen Antrages ab, so steht der<br />
Abgabenfestsetzung der Eintritt der Verjährung nicht entgegen, wenn<br />
• die Berufung oder der Antrag vor Eintritt der Verjährung,<br />
• der Antrag auf Aufhebung gemäß § 299 Abs 1 BAO vor Ablauf der Jahresfrist<br />
(§ 302 Abs 1 BAO),<br />
• der Wiederaufnahmsantrag vor Ablauf der Frist des § 304 BAO<br />
eingebracht wurde (§ 209a Abs 2 BAO).<br />
Beispiele:<br />
1. Die vor Eintritt der Verjährung der Einkommensteuer eingebrachte Berufung gegen<br />
den Feststellungsbescheid (§ 188 BAO) wird erst nach Verjährungseintritt mit<br />
stattgebender Berufungsvorentscheidung erledigt. Die Änderung (§ 295 Abs 1 BAO) des<br />
abgeleiteten Einkommensteuerbescheides hat trotz Eintritts der Verjährung zu erfolgen.<br />
2. Der Antrag auf Berichtigung gemäß § 293b BAO wird vor Verjährung der Abgabe<br />
eingebracht. Die Berichtigung darf auch nach Eintritt der Verjährung erfolgen.<br />
Weiters ergibt sich die Zulässigkeit, Abgabenfestsetzungen trotz Eintritts der Verjährung abzuändern,<br />
etwa aus § 302 Abs 2 lit a BAO (Berichtigungen gemäß § 293 BAO sind jedenfalls innerhalb eines<br />
Jahres ab Rechtskraft des zu berichtigenden Bescheides zulässig).<br />
54
18. Zahlungserleichterungen (§ 212 BAO)<br />
Zahlungserleichterungen (= Stundungen und Ratenbewilligungen) dürfen nur<br />
bewilligt werden<br />
• auf Ansuchen des Abgabepflichtigen,<br />
• wenn die sofortige oder die sofortige volle Entrichtung der Abgaben<br />
für den Abgabepflichtigen mit erheblichen Härten verbunden wäre,<br />
• wenn die Einbringlichkeit der Abgaben durch den Zahlungsaufschub<br />
nicht gefährdet wird,<br />
• für Abgaben, hinsichtlich derer auf Grund eines Rückstandsausweises<br />
(§ 229 BAO) Einbringungsmaßnahmen für den Fall des bereits erfolgten<br />
oder späteren Eintrittes aller Voraussetzungen hiezu in Betracht kommen,<br />
• für Abgabenschuldigkeiten, die noch nicht entrichtet sind und deren Einhebung<br />
nicht gemäß § 212a BAO ausgesetzt ist.<br />
Eine erhebliche Härte ist eine wirtschaftliche Notlage oder eine finanzielle<br />
Bedrängnis.<br />
Zahlungserleichterungen dürfen nur soweit und solange bewilligt werden, als es<br />
im Ansuchen beantragt ist. Allerdings darf sich die Bewilligung auch auf Abgaben<br />
(zB Einkommensteuervorauszahlungen) erstrecken, deren Gebarung mit jener der<br />
den Gegenstand des Ansuchens bildenden Abgaben zusammengefasst (§ 213 BAO)<br />
verbucht wird (§ 212 Abs 1 BAO).<br />
Zeitgerechte (= vor Ablauf der Zahlungsfrist eingebrachte) Zahlungserleichterungsansuchen<br />
haben einbringungshemmende Wirkung (§ 230 Abs 3 BAO). Später eingebrachten Ansuchen<br />
kann die Abgabenbehörde diese Wirkung zuerkennen (§ 230 Abs 4 BAO).<br />
Die Bewilligung von Zahlungserleichterungen liegt im Ermessen.<br />
Durch Bewilligung der Zahlungserleichterung tritt ein Zahlungsaufschub ein.<br />
In der Praxis erfolgt die Bewilligung unter (auflösenden) Bedingungen<br />
(zB zeitgerechte und vollständige Entrichtung von Selbstbemessungsabgaben).<br />
Zahlungserleichterungen erlöschen durch Terminverlust (bei Nichteinhaltung<br />
eines Ratentermines oder bei Nichterfüllung einer der im Spruch der Bewilligung<br />
festgesetzten Bedingungen). Der Terminverlust wird durch Ausstellung eines<br />
Rückstandsausweises wahrgenommen; erst hiedurch endet der Zahlungsaufschub.<br />
55
Zahlungserleichterungsbewilligungen treten durch Zustellung eines Vollstreckungsbescheides<br />
(§ 230 Abs 7 BAO) außer Kraft. Sie können gemäß § 294 BAO<br />
widerrufen werden (Nachfrist von 1 Monat gemäß § 212 Abs 3 BAO).<br />
Stundungszinsen sind für die Zeit ab rechtzeitiger Einbringung eines Ansuchens<br />
um Zahlungserleichterungen (frühestens ab dem Tag, der dem Zahlungstermin folgt)<br />
bis zum Ende des Zahlungsaufschubes zu entrichten. Sie betragen 4,5 % über dem<br />
Basiszinssatz.<br />
Für Abgabenschuldigkeiten, die den Betrag von insgesamt 750 Euro nicht übersteigen,<br />
besteht keine Stundungszinsenpflicht. Erreichen die Stundungszinsen<br />
im Einzelfall nicht den Betrag von 50 Euro, so sind sie nicht festzusetzen (§ 212<br />
Abs 2 BAO).<br />
Im Fall der nachträglichen Herabsetzung einer Abgabenschuld (zB durch<br />
Berufungsvorentscheidung) hat auf Antrag des Abgabepflichtigen die Berechnung<br />
der Stundungszinsen unter rückwirkender Berücksichtigung des Herabsetzungsbetrages<br />
zu erfolgen.<br />
Die für Zahlungserleichterungen geltenden Vorschriften gelten sinngemäß für<br />
Berufungen gegen die Abweisung von Zahlungserleichterungsansuchen und<br />
für diesbezügliche Vorlageanträge (§ 212 Abs 4 BAO). Solchen Berufungen<br />
(Vorlageanträgen) kommt somit säumniszuschlagsvermeidende und einbringungshemmende<br />
Wirkung zu, wenn sie innerhalb der Nachfrist des § 212 Abs 3 BAO<br />
(1 Monat) eingebracht werden.<br />
19. Aussetzung der Einhebung (§ 212a BAO)<br />
Berufungen haben keine aufschiebende Wirkung (§ 254 BAO).<br />
Eine Aussetzung der Einhebung hat auf Antrag zu erfolgen,<br />
• soweit die Höhe einer einzuhebenden Abgabe unmittelbar oder mittelbar<br />
von der Erledigung einer Berufung abhängt,<br />
• soweit eine Nachforderung unmittelbar oder mittelbar auf einen Bescheid,<br />
° der von einem Anbringen abweicht oder<br />
° dem kein Anbringen zugrunde liegt,<br />
zurückzuführen ist,<br />
56
• höchstens im Ausmaß der sich bei einer dem Begehren des Abgabepflichtigen<br />
Rechnung tragenden Berufungserledigung ergebenden Herabsetzung der<br />
Abgabenschuld.<br />
Beispiele (Einkommensteuer):<br />
1. Vorauszahlungen…………………………............... 12.000,--<br />
Abgabe auf Grund der Abgabenerklärung………... 8.000,--<br />
Abgabe auf Grund des Bescheides……………….. 10.000,--<br />
Eine Aussetzung der Einhebung ist unzulässig, weil der Bescheid – obwohl er<br />
von einem Anbringen abweicht – gegenüber den Vorauszahlungen zu keiner<br />
Nachforderung führt.<br />
2. Vorauszahlungen…………………………............... 12.000,--<br />
Abgabe auf Grund der Abgabenerklärung………... 8.000,--<br />
Abgabe auf Grund des Bescheides……………….. 14.000,--<br />
Eine Aussetzung der Einhebung kommt im Umfang von 2.000,-- in Betracht; der<br />
Bescheid weicht gegenüber der Erklärung zwar um 6.000,-- ab, die Nachforderung<br />
gegenüber den Vorauszahlungen beträgt aber lediglich 2.000,--.<br />
3. Vorauszahlungen…………………………............... 12.000,--<br />
Abgabe auf Grund der Abgabenerklärung………... 15.000,--<br />
Abgabe auf Grund des Bescheides……………….. 20.000,--<br />
Eine Aussetzung der Einhebung kommt trotz einer Nachforderung von 8.000,-lediglich<br />
für 5.000,-- in Betracht, weil der Bescheid nur in diesem Umfang von der<br />
Erklärung abweicht.<br />
4. Vorauszahlungen…………………………............... 12.000,--<br />
Abgabe auf Grund der Abgabenerklärung………... 8.000,--<br />
Abgabe auf Grund des Veranlagungsbescheides.. 8.000,--<br />
Abgabe auf Grund eines ändernden Bescheides... 21.000,--<br />
Eine Aussetzung der Einhebung kommt für einen Betrag von 13.000,-- in Betracht,<br />
weil der neue Bescheid in diesem Umfang zu einer Nachforderung führt.<br />
Die Aussetzung der Einhebung ist nicht zu bewilligen,<br />
• soweit die Berufung nach Lage des Falles wenig erfolgversprechend erscheint,<br />
• soweit mit der Berufung ein Bescheid in Punkten angefochten wird, in denen er<br />
nicht von einem Anbringen des Abgabepflichtigen abweicht, oder<br />
• wenn das Verhalten des Abgabepflichtigen auf eine Gefährdung der<br />
Einbringlichkeit der Abgabe gerichtet ist (§ 212a Abs 2 BAO).<br />
57
Eine Aussetzung der Einhebung kommt auch in Betracht, wenn mit einer Berufung<br />
die Inanspruchnahme für eine Abgabe an sich angefochten ist (zB Berufung des<br />
Haftungspflichtigen gegen den Haftungsbescheid).<br />
Anträge auf Aussetzung der Einhebung können bis zur Entscheidung über<br />
die Berufung gestellt werden. Sie sind zB zurückzuweisen, wenn sie nicht<br />
die Darstellung der Ermittlung des für die Aussetzung in Betracht kommenden<br />
Abgabenbetrages enthalten (§ 212a Abs 3 BAO).<br />
Die für die Aussetzung geltenden Vorschriften (zB Hemmung der Einbringung nach<br />
§ 230 Abs 6 BAO) sind auf Berufungen gegen die Abweisung derartiger Anträge und<br />
auf diesbezügliche Vorlageanträge sinngemäß anzuwenden (§ 212a Abs 4 BAO).<br />
Auf Antrag sind durch Verwendung eines Guthabens oder sonstiger Gutschriften<br />
getilgte Beträge in die Aussetzung einzubeziehen, wenn die Tilgung erfolgte<br />
• vor Fälligkeit der Abgabenschuldigkeit,<br />
• vor Ablauf der Nachfrist des § 210 Abs 2 BAO (1 Monat ab Zustellung des<br />
Bescheides, mit dem ein Bescheid, der eine Gutschrift zur Folge hatte,<br />
aufgehoben wird),<br />
• bei später als einen Monat vor ihrer Fälligkeit festgesetzten Abgaben vor Ablauf<br />
eines Monats ab Bekanntgabe des maßgeblichen Bescheides,<br />
• nach Einbringen des Aussetzungsantrages oder<br />
• innerhalb einer Nachfrist des § 212a Abs 7 BAO (1 Monat ab Ablauf<br />
oder Widerruf der Aussetzung der Einhebung).<br />
Der auf Grund der Aussetzung bestehende Zahlungsaufschub endet<br />
• mit Ablauf der Aussetzung (zu verfügen anlässlich jeder das Berufungsverfahren<br />
abschließenden Erledigung wie zB einer Berufungsvorentscheidung),<br />
• mit Widerruf (§ 294 BAO) der Aussetzung,<br />
• mit Entrichtung der ausgesetzten Beträge (wobei Zahlungen, sonstige<br />
Gutschriften sowie Guthaben nur auf Verlangen des Abgabepflichtigen<br />
zur Entrichtung ausgesetzter Beträge verwendet werden dürfen).<br />
Der Ablauf anlässlich der Berufungsvorentscheidung schließt eine neuerliche<br />
Aussetzung nach Stellung des Vorlageantrages nicht aus (§ 212a Abs 5 BAO).<br />
Während der Aussetzung der Einhebung ist die Einhebungsverjährung<br />
gehemmt (§ 238 Abs 3 lit b BAO).<br />
58
Dem Abgabepflichtigen steht für die Entrichtung der ausgesetzt gewesenen Abgabe eine<br />
Nachfrist von einem Monat ab Bekanntgabe des Ablaufbescheides (§ 212a Abs 5 BAO)<br />
oder des Widerrufsbescheides (§ 294 BAO) zu (§ 212a Abs 7 erster Satz BAO).<br />
Aussetzungszinsen (2 % über dem Basiszinssatz) sind für die Zeit, in der auf<br />
Grund des Aussetzungsantrages Einbringungsmaßnahmen weder eingeleitet noch<br />
fortgesetzt werden dürfen (§ 230 Abs 6 BAO), sowie für die Zeit des Zahlungsaufschubes<br />
auf Grund der Bewilligung der Aussetzung zu entrichten.<br />
Aussetzungszinsen dürfen erst festgesetzt werden<br />
• bei Nichtstattgabe des Aussetzungsantrages ab Erlassung dieses Bescheides,<br />
• ab Ablauf (§ 212a Abs 5 BAO) bzw Widerruf (§ 294 BAO) der Aussetzung.<br />
Fällig sind Aussetzungszinsen 1 Monat nach Zustellung des Zinsenbescheides<br />
(nach § 210 Abs 1 BAO).<br />
Im Fall der nachträglichen Herabsetzung der Abgabenschuld hat die Berechnung<br />
der Aussetzungszinsen unter rückwirkender Berücksichtigung des Herabsetzungsbetrages<br />
zu erfolgen (§ 212a Abs 9 BAO). Dies hat von Amts wegen zu geschehen.<br />
20. Säumniszuschläge (§ 217 BAO)<br />
20.1 Allgemeines<br />
Werden Abgaben (ausgenommen Nebengebühren iSd § 3 Abs 2 lit d BAO, somit<br />
zB Säumniszuschläge, Stundungszinsen) nicht rechtzeitig (insbesondere nicht<br />
spätestens am Fälligkeitstag) entrichtet, so sind (bis zu drei) Säumniszuschläge<br />
festzusetzen.<br />
Ein erster Säumniszuschlag ist bei Nichtentrichtung spätestens am Fälligkeitstag<br />
in Höhe von 2% des nicht zeitgerecht entrichteten Abgabenbetrages festzusetzen.<br />
Ein zweiter Säumniszuschlag (in Höhe von 1%) ist festzusetzen, soweit die Abgabe<br />
nicht spätestens 3 Monate nach dem Eintritt ihrer Vollstreckbarkeit (§ 226 BAO)<br />
entrichtet ist.<br />
Ein dritter Säumniszuschlag ist für eine Abgabe festzusetzen, soweit sie nicht<br />
spätestens 3 Monate nach dem Eintritt der Verpflichtung zur Entrichtung des zweiten<br />
Säumniszuschlages entrichtet ist. Auch dieser Säumniszuschlag beträgt 1% des<br />
59
nicht entrichteten Abgabenbetrages.Die Säumniszuschläge werden einen Monat ab<br />
Zustellung des sie festsetzenden Bescheides fällig (§ 210 Abs 1 BAO).<br />
Ein erster Säumniszuschlag ist nicht verwirkt bei "ausnahmsweiser Säumnis"<br />
(§ 217 Abs 5 BAO); das ist eine Säumnis von nicht mehr als 5 Tagen (ohne<br />
Einrechnung von Samstagen, Sonntagen, gesetzlichen Feiertagen, Karfreitag<br />
und 24. Dezember) zuzüglich der dreitägigen Respirofrist (des § 211 Abs 2<br />
und 3 BAO; 3 Tage bei Überweisungen), wenn innerhalb der letzten 6 Monate<br />
vor der Säumnis alle übrigen mit der "säumigen" Abgabe zusammengefasst zu<br />
verbuchenden Abgaben zeitgerecht entrichtet wurden.<br />
Säumniszuschläge sind (nach § 217 Abs 4 BAO) für Abgabenschuldigkeiten<br />
beispielsweise insoweit nicht zu entrichten, als<br />
• einem zeitgerecht eingebrachten Ansuchen um Zahlungserleichterungen<br />
(§ 212 BAO) nach § 230 Abs 3 BAO einbringungshemmende Wirkung zukommt<br />
(somit ab Einbringung bis zur Erledigung des Ansuchens),<br />
• die Nachfrist des § 212 Abs 3 zweiter Satz BAO (1 Monat ab Nichtstattgabe eines<br />
zeitgerecht eingereichten Ansuchens um Zahlungserleichterungen) zusteht,<br />
• ein Zahlungsaufschub auf Grund der Bewilligung von Zahlungserleichterungen<br />
(§ 212 BAO) zusteht,<br />
• einem Antrag auf Aussetzung der Einhebung (§ 212a BAO) nach § 230<br />
Abs 6 BAO einbringungshemmende Wirkung zukommt (somit ab Einbringung<br />
des Antrages bis zu seiner bescheidmäßigen Erledigung),<br />
• ein Zahlungsaufschub auf Grund einer Aussetzung der Einhebung bewilligt ist.<br />
20.2 Abänderung (Aufhebung) von Säumniszuschlagsbescheiden<br />
Auf Antrag des Abgabepflichtigen sind Säumniszuschläge (nach § 217 Abs 7<br />
und 8 BAO) insoweit herabzusetzen bzw nicht festzusetzen, als<br />
• den Abgabepflichtigen an der Säumnis kein grobes Verschulden trifft,<br />
insbesondere soweit bei Selbstbemessungsabgaben (zB Umsatzsteuer-<br />
Vorauszahlungen, Lohnsteuer, Dienstgeberbeitrag) kein grobes Verschulden<br />
an der Unrichtigkeit der Selbstberechnung vorliegt;<br />
• nachträglich die Abgabenschuld herabgesetzt wird (zB in einer Berufungsvorentscheidung<br />
oder bei Änderung nach § 295 BAO); dies gilt sinngemäß,<br />
soweit sich eine Gutschrift aus einer Veranlagung ergibt (bei die festgesetzten<br />
Vorauszahlungen betreffenden Säumniszuschlägen) sowie für Nachforderungszinsen<br />
(§ 205 BAO), soweit nachträglich dieselbe Abgabe (Einkommen- bzw<br />
Körperschaftsteuer) betreffende Gutschriftszinsen festgesetzt werden.<br />
60
21. Sicherstellungsauftrag (§ 232 BAO)<br />
Für das Sicherungsverfahren kann (Ermessen) von der Abgabenbehörde<br />
ein Sicherstellungsauftrag erlassen werden.<br />
Ein solcher Bescheid ist ab dem Zeitpunkt des Entstehens des<br />
Abgabenanspruches bis zum Zeitpunkt der Vollstreckbarkeit zulässig,<br />
wenn die Einbringung der Abgabe gefährdet oder wesentlich erschwert ist.<br />
Der Sicherstellungsauftrag hat (abgesehen von sich aus den §§ 93 und 96 BAO<br />
ergebenden Merkmalen, wie zB die Bezeichnung als Bescheid) zu enthalten<br />
- die voraussichtliche Höhe der Abgabenschuld;<br />
- die Gründe, aus denen sich die Gefährdung oder Erschwerung der Einbringung<br />
der Abgabe ergibt (zB drohendes Konkurs- oder Ausgleichsverfahren,<br />
Exekutionsführung von dritter Seite, Vermögensverlagerungen ins Ausland<br />
oder an Angehörige);<br />
- den Vermerk, dass die Anordnung der Sicherstellung sofort in Vollzug<br />
gesetzt werden kann;<br />
- die Bestimmung des Betrages, durch dessen Hinterlegung der Abgabepflichtige<br />
erwirken kann, dass Maßnahmen zur Vollziehung des Sicherstellungsauftrages<br />
unterbleiben oder bereits vollzogene Maßnahmen aufgehoben werden.<br />
Die Begründung (§ 93 Abs 3 lit a BAO) des Sicherstellungsauftrages hat<br />
insbesondere darzulegen<br />
- die Umstände, die für die Gefährdung oder Erschwerung sprechen,<br />
- die für die Höhe der Abgaben maßgeblichen Umstände.<br />
Die Zustellung des Sicherstellungsauftrages kann trotz Zustellungsbevollmächtigung<br />
unmittelbar an den Abgabepflichtigen erfolgen (§ 103 Abs 1 BAO).<br />
Seine Zustellung kann auch zusammen mit der Verständigung von der gerichtlichen<br />
Exekutionsbewilligung durch Organe des Gerichtes erfolgen (§ 233 Abs 2 BAO).<br />
Der Sicherstellungsauftrag ist Exekutionstitel für das finanzbehördliche<br />
und für das gerichtliche Sicherungsverfahren.<br />
Anträge der Abgabenbehörde auf Vormerkung von Pfandrechten (§ 38 lit c GrundbuchsG 1955)<br />
für Abgabenforderungen kommen (zwecks Sicherung des Pfandranges) in Betracht.<br />
61
22. Löschung und Nachsicht (§§ 235 und 236 BAO)<br />
22.1 Löschung (§ 235 BAO)<br />
Fällige Abgabenschuldigkeiten können durch Abschreibung gelöscht werden,<br />
• wenn alle Möglichkeiten der Einbringung erfolglos versucht worden sind oder<br />
• wenn Einbringungsmaßnahmen offenkundig aussichtslos sind und<br />
• wenn auf Grund der Sachlage nicht angenommen werden kann, dass<br />
Einbringungsmaßnahmen zu einem späteren Zeitpunkt zu einem Erfolg<br />
führen werden.<br />
Die Löschung liegt im Ermessen der Abgabenbehörde. Sie hat durch<br />
Bescheid zu erfolgen. Durch die Löschung erlischt der Abgabenanspruch.<br />
Wird die Löschung nach § 294 BAO widerrufen, so lebt der Abgabenanspruch<br />
wieder auf (Nachfrist von 1 Monat).<br />
22.2 Nachsicht (§ 236 BAO)<br />
Eine Nachsicht setzt voraus:<br />
• Antrag des Abgabepflichtigen,<br />
• Unbilligkeit der Einhebung der Abgabe nach Lage des Falles und<br />
• Fälligkeit bzw bereits erfolgte Entrichtung der Abgabe.<br />
Die Unbilligkeit der Einhebung kann persönlich oder sachlich bedingt sein.<br />
Eine persönliche Unbilligkeit (wirtschaftliches Missverhältnis der Auswirkungen<br />
der Abgabeneinhebung zu den im Bereich des Abgabepflichtigen entstehenden<br />
Nachteilen) liegt etwa vor, wenn die Einhebung zur Existenzgefährdung des<br />
Abgabepflichtigen oder zur Verschleuderung von Vermögenswerten führen würde.<br />
Eine sachliche Unbilligkeit der Abgabeneinhebung liegt vor, wenn im Einzelfall<br />
bei Anwendung des Gesetzes ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes<br />
Ergebnis eintritt.<br />
Beispiele (für sachliche Unbilligkeiten):<br />
Vom Gesetzgeber offenbar nicht gewollte Doppelbesteuerungen oder die Beseitigung<br />
eines Vertrauensschadens (als Folge des Grundsatzes von Treu und Glauben).<br />
62
Die Nachsicht liegt im Ermessen. Zu den ermessensrelevanten Umständen gehört<br />
zB das bisherige abgabenrechtliche Verhalten des Abgabepflichtigen (daher idR<br />
keine Nachsicht für hinterzogene Abgaben).<br />
Die Nachsicht hat durch Bescheid zu erfolgen.<br />
Durch die Nachsicht erlischt der Abgabenanspruch.<br />
Der Abgabenanspruch lebt bei Widerruf (§ 294 BAO) der Nachsicht wieder auf.<br />
Bei Widerruf ist eine Nachfrist von 1 Monat zu setzen.<br />
23. Einhebungsverjährung (§ 238 BAO)<br />
Die Einhebungsverjährung befristet das Recht, eine fällige Abgabe einzuheben<br />
(zB diesbezügliche Verrechnung von Zahlungen, Haftungsinanspruchnahmen)<br />
und zwangsweise einzubringen.<br />
Die Verjährungsfrist beträgt 5 Jahre. Sie beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres,<br />
in welchem die Abgabe fällig geworden ist. Sie endet keinesfalls früher als das Recht<br />
zur Festsetzung der Abgabe.<br />
Die Einhebungsverjährungsfrist wird durch jede zur Durchsetzung des Anspruches<br />
unternommene, nach außen erkennbare Amtshandlung unterbrochen.<br />
Die Verjährungsfrist beginnt mit Ablauf des Jahres, in dem die Unterbrechung<br />
eingetreten ist, neu zu laufen.<br />
Solche Unterbrechungshandlungen sind beispielsweise:<br />
• Mahnungen (§ 227 BAO, auch freiwillige Mahnungen),<br />
• Vollstreckungsmaßnahmen (zB Pfändungen),<br />
• Zahlungserleichterungen (§ 212 BAO),<br />
• Haftungsbescheide (§ 224 BAO),<br />
• Ermittlungshandlungen im Einhebungs- und Vollstreckungsverfahren<br />
(zB Amtshilfeersuchen, Auskunftsverlangen).<br />
63
Beispiel:<br />
Eine Abgabe ist am 20. Dezember 2007 fällig. Das Finanzamt bewilligt Stundungen<br />
(Zahlungserleichterungen iSd § 212 BAO) bis Ende Juni 2008 sowie nochmals bis Ende<br />
Mai 2009. Im Jahr 2009, 2011 und 2013 erfolgen (ergebnislose) Vollstreckungsversuche.<br />
Die Einhebungsverjährung tritt mit Ablauf des Jahres 2018 ein.<br />
Gegen einen Gesamtschuldner gerichtete Unterbrechungshandlungen wirken<br />
auch gegen die übrigen Gesamtschuldner.<br />
Die Einhebungsverjährung ist gehemmt, solange<br />
• innerhalb der letzten 6 Monate der Verjährungsfrist wegen höherer Gewalt<br />
die Einhebung oder zwangsweise Einbringung der Abgabe nicht möglich ist,<br />
• die Einhebung der Abgabe ausgesetzt (§ 212a BAO) ist,<br />
• einer Beschwerde beim VwGH oder VfGH aufschiebende Wirkung zuerkannt ist.<br />
24. Rückzahlung (§§ 239 bis 241 BAO)<br />
24.1 Rückzahlung von Guthaben (§ 239 BAO)<br />
Ein Guthaben entsteht, wenn auf einem Abgabenkonto die Summe<br />
der Gutschriften die Summe der Lastschriften übersteigt.<br />
Erst nach allfälliger Verwendung gemäß § 215 Abs 1 bis 3 BAO (zB für fällige<br />
Abgabenschulden des Abgabepflichtigen bei einem anderen Finanzamt)<br />
verbleibende Guthaben sind nach § 239 BAO rückzahlbar.<br />
Die Rückzahlung hat auf Antrag des Abgabepflichtigen zu erfolgen;<br />
sie kann auch von Amts wegen erfolgen.<br />
Wird dem Rückzahlungsantrag nicht zur Gänze entsprochen, so hat die Abweisung<br />
(bzw Zurückweisung) des Antrages mit Bescheid zu erfolgen.<br />
Ist der Abgabepflichtige nach bürgerlichem Recht nicht rechtsfähig (zB GesBR),<br />
so dürfen Rückzahlungen (außer an den Vermögensverwalter iSd § 80 Abs 2 BAO)<br />
nur an die nach bürgerlichem Recht über das Guthaben Verfügungsberechtigten<br />
erfolgen.<br />
64
Bei Gesamtschuldverhältnissen (§ 6 BAO) hat den Rückzahlungsanspruch<br />
jener Mitschuldner, der die (für das Guthaben maßgeblichen) Abgaben tatsächlich<br />
entrichtet hat.<br />
Der Anspruch auf Rückzahlung erlischt nach 30 Jahren (§ 1478 ABGB).<br />
Die Abgabenbehörde kann (Ermessen) solche Rückzahlungen, Umbuchungen<br />
und Überrechnungen auf jenen Teil des Guthabens beschränken, der die der Höhe<br />
nach festgesetzten Abgabenschuldigkeiten übersteigt, die der Abgabepflichtige<br />
nicht später als 3 Monate nach der Stellung des Antrages (auf Rückzahlung,<br />
Umbuchung oder Überrechnung) zu entrichten haben wird.<br />
24.2 Rückzahlung zu Unrecht einbehaltener Beträge (§ 240 BAO)<br />
Bei Abfuhrabgaben (zB Lohnsteuer, Kapitalertragsteuer) darf der Abfuhrpflichtige<br />
zu Unrecht einbehaltene Beträge während eines Kalenderjahres ausgleichen oder<br />
auf Verlangen des Abgabenschuldners zurückzahlen (§ 240 Abs 1 BAO).<br />
Der Abgabenschuldner kann bei dem für die Erhebung der Einkommensteuer<br />
(Körperschaftsteuer) zuständigen Finanzamt die Rückzahlung vom Abfuhrpflichtigen<br />
zu Unrecht einbehaltener Beträge beantragen, soweit nicht die Rückzahlung im<br />
Wege einer Veranlagung zu erfolgen hat, im Fall eines Antrages auf Veranlagung<br />
zu erfolgen hätte oder bereits erfolgt ist.<br />
Beispiel:<br />
Der Arbeitnehmer kann bei seinem Wohnsitzfinanzamt die Rückzahlung von<br />
Lohnsteuerbeträgen, die der Arbeitgeber zu Unrecht einbehalten hat, beantragen.<br />
Dies betrifft zB für sonstige (nicht bei der Veranlagung einzubeziehende) Bezüge<br />
(§ 67 EStG 1988) überhöht einbehaltene Lohnsteuerbeträge oder Lohnsteuer, die<br />
einbehalten wurde, obwohl kein Dienstverhältnis iSd § 47 EStG 1988 vorliegt.<br />
Das Antragsrecht ist befristet (5 Jahre nach Ablauf des Jahres der Einbehaltung).<br />
Diese Frist ist eine nicht verlängerbare Fallfrist.<br />
Über den Antrag ist stets, auch wenn ihm vollinhaltlich entsprochen wird,<br />
mit Bescheid abzusprechen.<br />
Soweit ein zu Unrecht einbehaltener Betrag gemäß § 240 Abs 3 BAO zurückgezahlt<br />
wurde oder im Fall einer Antragstellung zurückzuzahlen wäre, sind keine (an den<br />
Abfuhrpflichtigen gerichtete) "Gutschriftsbescheide" zu erlassen (§ 202 Abs 2 BAO).<br />
65
Die stattgebende Erledigung eines Rückzahlungsantrages führt zu keinem Guthaben<br />
iSd § 215 BAO, sondern zur Rückzahlung des Betrages (auch dann, wenn der<br />
Abgabepflichtige fällige Abgabenrückstände hat).<br />
24.3 Weitere Rückzahlungstatbestände (§ 241 BAO)<br />
Soweit eine Abgabe zu Unrecht zwangsweise eingebracht wurde,<br />
ist sie auf Antrag zurückzuzahlen (§ 241 Abs 1 BAO).<br />
Zu Unrecht eingebracht ist eine Abgabe etwa, die zwangsweise eingebracht wurde<br />
• trotz Eintritts der Einhebungsverjährung (§ 238 BAO),<br />
• trotz Hemmung der Einbringung (§ 230 BAO, zB durch Antrag auf Aussetzung<br />
der Einhebung) oder,<br />
• obwohl das Leistungsgebot (zB Abgabenbescheid) nicht zugestellt wurde.<br />
Anträge auf Rückzahlung gemäß § 241 BAO können bis zum Ablauf des dritten<br />
Kalenderjahres gestellt werden, das auf das Jahr folgt, in dem der Betrag zu Unrecht<br />
entrichtet wurde (§ 241 Abs 3 BAO). Diese Frist ist eine nicht verlängerbare Fallfrist.<br />
Rückzahlungen nach § 241 BAO führen zu keinem Guthaben iSd § 215 BAO;<br />
sie haben daher auch dann zu erfolgen, wenn auf dem Abgabenkonto ein fälliger<br />
Rückstand besteht.<br />
25. Berufungsverfahren<br />
25.1 Berufung (§§ 243 und 244 BAO)<br />
Gegen Bescheide, die Abgabenbehörden in erster Instanz erlassen, sind Berufungen<br />
zulässig, soweit in Abgabenvorschriften nicht anderes bestimmt ist (§ 243 BAO).<br />
Das Berufungsrecht besteht auch gegen Bescheide, die einem Anbringen der Partei<br />
vollinhaltlich Rechnung tragen. Im Berufungsverfahren besteht kein Neuerungsverbot<br />
(§ 280 BAO).<br />
Gegen sog faktische Amtshandlungen (= Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls-<br />
und Zwangsgewalt, zB Beschlagnahme von Unterlagen, Festnahmen) in Abgabenverfahren besteht<br />
die Möglichkeit der Beschwerde an die unabhängigen Verwaltungssenate (Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG;<br />
bzw in Finanzstrafsachen an den Vorsitzenden des Berufungssenates, § 62 Abs 4 FinStrG).<br />
66
Gegen verfahrensleitende Verfügungen (§ 94 BAO) ist kein abgesondertes<br />
Rechtsmittel zulässig. Solche Bescheide können erst in der Berufung gegen<br />
den die Angelegenheit abschließenden Bescheid angefochten werden.<br />
Beispiele:<br />
• Verweigerung der Akteneinsicht (§ 90 BAO) gegenüber der Partei<br />
während eines laufenden Verfahrens,<br />
• Ablehnung eines Fristerstreckungsantrages (§ 110 BAO),<br />
• Prüfungsauftrag (§ 148 BAO),<br />
• Ablehnung von Beweisanträgen (§ 183 BAO),<br />
• Auftrag zur Mängelbehebung (zB § 85 Abs 2 BAO, § 275 BAO).<br />
Gegen sonstige verfahrensrechtliche Bescheide ist ein abgesondertes Rechtsmittel<br />
zulässig.<br />
Beispiele:<br />
• Zurückweisung oder Abweisung eines Wiederaufnahmsantrages,<br />
• Verweigerung der Akteneinsicht (§ 90 BAO) gegenüber Dritten,<br />
• Abweisung oder Zurückweisung eines Antrages auf Nachsicht (§ 236 BAO),<br />
• Zurückweisung einer Berufung (§ 273 BAO).<br />
25.2 Berufungsfrist (§ 245 BAO)<br />
Die Berufungsfrist beträgt 1 Monat ab Bekanntgabe des Bescheides<br />
(§ 245 Abs 1 BAO).<br />
Nach Wochen, Monaten oder Jahren bestimmte Fristen enden mit Ablauf<br />
des Tages der letzten Woche oder des letzten Monats, der durch seine Benennung<br />
oder Zahl dem für den Fristbeginn maßgebenden Tag entspricht. Fehlt dieser Tag<br />
im letzten Monat, so endet die Frist mit dem letzten Tag dieses Monats (§ 108<br />
Abs 2 BAO).<br />
Beispiele (Monatsfrist):<br />
Fristbeginn Fristende<br />
10. Jänner 10. Februar<br />
31. März 30. April<br />
30. April 30. Mai<br />
67
Fällt das Ende der Frist auf einen Samstag, Sonntag, gesetzlichen Feiertag,<br />
Karfreitag oder 24. Dezember, so gilt der nächste Tag, wenn er nicht einer<br />
der vorgenannten Tage ist, als letzter Tag der Frist (§ 108 Abs 3 BAO).<br />
Beispiel:<br />
Bescheidzustellung am 21. Februar 2008; die Berufungsfrist endet am Dienstag,<br />
den 25. März 2008 (21. März 2008 ist Karfreitag).<br />
Tage des Postlaufes werden nach § 108 Abs 4 BAO in die Frist nicht eingerechnet,<br />
sofern das Schriftstück innerhalb der Frist der Post übergeben und auf dem<br />
Briefumschlag an die zuständige Behörde mit richtiger Anschrift gerichtet ist.<br />
Enthält ein Bescheid die Ankündigung, es werde noch eine Begründung zum Bescheid separat<br />
ergehen, so wird die Berufungsfrist nicht vor Bekanntgabe der fehlenden Begründung oder der<br />
Mitteilung, dass die Ankündigung als gegenstandslos zu betrachten ist, in Lauf gesetzt (§ 245<br />
Abs 1 BAO).<br />
Die Verlängerung der Berufungsfrist ist aus berücksichtigungswürdigen Gründen,<br />
auch wiederholt, zulässig (§ 245 Abs 3 BAO). Sie liegt im Ermessen und hat mit<br />
Bescheid zu erfolgen.<br />
Die Verlängerung setzt einen vor Fristablauf gestellten Antrag voraus.<br />
Die Hemmung der Berufungsfrist tritt ein (§ 245 Abs 2 und 3 BAO)<br />
• durch einen Antrag auf Mitteilung der einem Bescheid ganz oder teilweise<br />
fehlenden Begründung,<br />
• durch einen Antrag auf Verlängerung der Berufungsfrist.<br />
Die Hemmung der Frist beginnt mit dem Tag der Einbringung des Antrages<br />
(zB Postaufgabe, Überreichung), wenn die Einbringung innerhalb der Berufungsfrist<br />
erfolgt.<br />
Die Hemmung endet mit dem Tag der Zustellung der Mitteilung der fehlenden<br />
Begründung bzw der Entscheidung über den Fristverlängerungsantrag.<br />
Die Hemmung als Folge des Fristverlängerungsantrages kann jedoch nicht dazu<br />
führen, dass die Berufungsfrist erst nach dem Zeitpunkt, bis zu dem letztmals ihre<br />
Verlängerung beantragt wurde, abläuft (§ 245 Abs 4 letzter Satz BAO).<br />
68
Beispiele:<br />
1. Bescheidzustellung 4. Mai; Einbringung des Fristverlängerungsantrages<br />
14. Mai; beantragte Frist 30. Juni; Zustellung der Abweisung des Antrages<br />
28. Juni. Ende der Berufungsfrist jedenfalls 30. Juni.<br />
2. Bescheidzustellung 10. Oktober; rechtzeitiger Fristverlängerungsantrag;<br />
beantragte Frist 25. November; Finanzamt reagiert nicht. Ende der<br />
Berufungsfrist daher 25. November.<br />
Verspätete Berufungen sind zurückzuweisen (§ 273 Abs 1 lit b BAO).<br />
Bei nicht grob verschuldeter Fristversäumung kommt eine Wiedereinsetzung<br />
in den vorigen Stand (§ 308 BAO) in Betracht.<br />
25.3 Berufungsbefugnis (§§ 246 und 248 BAO)<br />
Zur Einbringung einer Berufung ist jeder befugt, an den der anzufechtende Bescheid<br />
wirksam ergangen ist; bei Feststellungs- und Grundsteuermessbescheiden auch<br />
jeder, gegen den ein solcher Bescheid wirkt (§ 246 BAO).<br />
Ein (persönlich) Haftungspflichtiger kann innerhalb der Berufungsfrist für<br />
den Haftungsbescheid auch gegen den (gegebenenfalls rechtskräftigen)<br />
Bescheid über den Abgabenanspruch berufen (§ 248 BAO).<br />
Durch einen Antrag auf Mitteilung des dem Haftungspflichtigen noch nicht<br />
zur Kenntnis gebrachten Abgabenanspruches wird der Lauf der Berufungsfrist<br />
gehemmt (§ 248 zweiter Satz BAO).<br />
Berufungen eines hiezu nicht Befugten sind als nicht zulässig zurückzuweisen<br />
(§ 273 Abs 1 lit a BAO).<br />
25.4 Einbringungsbehörde (§§ 93 Abs 4 und 249 BAO)<br />
Die Berufung ist einzubringen bei<br />
• der Bescheidbehörde,<br />
• der Abgabenbehörde zweiter Instanz,<br />
• im Fall eines Zuständigkeitsüberganges bei der neu zuständigen<br />
Abgabenbehörde erster Instanz oder bei<br />
• der in der Rechtsmittelbelehrung unrichtig angegebenen Abgabenbehörde.<br />
69
Wird die Berufung bei einer unzuständigen Behörde eingereicht, so ist sie ohne<br />
unnötigen Aufschub (auf Gefahr des Einschreiters) an die zuständige Behörde<br />
weiterzuleiten (§ 50 BAO).<br />
25.5 Inhalt der Berufung (§ 250 BAO)<br />
Die Berufung hat folgende Bestandteile zu enthalten:<br />
a) die Bezeichnung des angefochtenen Bescheides,<br />
b) die angefochtenen Teile des Bescheides,<br />
c) die beantragten Änderungen (Berufungsbegehren),<br />
d) eine Begründung.<br />
Fehlen solche Inhaltserfordernisse, so ist ein Mängelbehebungsauftrag (§ 275 BAO)<br />
zu erlassen. Zum Mängelbehebungsverfahren siehe Abschnitt 25.12.3.<br />
Der Umfang der Anfechtung kann im Berufungsverfahren nachträglich erweitert oder<br />
eingeschränkt werden (kein Neuerungsverbot, § 115 Abs 4 BAO und § 280 BAO).<br />
25.6 Umfang der Anfechtbarkeit (§§ 251 und 252 BAO)<br />
Die BAO kennt (grundsätzlich) keine Teilrechtskraft. Die volle Anfechtbarkeit<br />
bedeutet, dass der Bescheid auch in gegenüber früheren Bescheiden nicht<br />
geänderten Bereichen (auch nochmals) bekämpfbar ist.<br />
Daher sind voll anfechtbar<br />
• Bescheide, die an die Stelle früherer Bescheide treten<br />
(zB bei Änderung gemäß § 295 Abs 1 BAO),<br />
• endgültige Bescheide nach vorläufigen sowie endgültig erklärende Bescheide<br />
(§ 200 Abs 2 BAO),<br />
• neue Sachbescheide bei Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 303 BAO) und<br />
bei Aufhebung gemäß § 299 Abs 1 BAO.<br />
Treten Bescheide zu Bescheiden hinzu, so sind nur die hinzutretenden Bescheide<br />
(zB gemäß § 293 BAO oder § 293b BAO berichtigende Bescheide) anfechtbar.<br />
Ein Bescheid, der von einem Grundlagenbescheid (zB Feststellungsbescheid<br />
nach § 188 BAO) abgeleitet ist, kann nicht mit der Begründung angefochten werden,<br />
dass die in dem Grundlagenbescheid getroffenen Entscheidungen unzutreffend sind<br />
(§ 252 BAO). Ein solcher Einwand könnte nur gegen den Grundlagenbescheid<br />
erhoben werden.<br />
70
Eine gegen den (abgeleiteten) Bescheid eingebrachte Berufung ist, wenn<br />
darin lediglich die Unrichtigkeit des Grundlagenbescheides behauptet wird,<br />
als unbegründet abzuweisen.<br />
Beispiel:<br />
Der Bescheid über die einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften (§ 188 BAO)<br />
ist Grundlagenbescheid zB für die Einkommensteuerbescheide der Beteiligten.<br />
Die Bindung (§ 192 BAO) bzw die Anwendbarkeit des § 252 BAO setzt voraus, dass<br />
der Grundlagenbescheid dem Betreffenden gegenüber wirksam erlassen wurde.<br />
25.7 Keine aufschiebende Wirkung (§ 254 BAO)<br />
Durch Einbringung einer Berufung wird die Wirksamkeit des angefochtenen<br />
Bescheides nicht gehemmt, insbesondere die Einhebung und zwangsweise<br />
Einbringung der Abgabe nicht aufgehalten (§ 254 BAO).<br />
Nach Maßgabe des § 212a BAO ist die Aussetzung der Einhebung strittiger Beträge vorzunehmen.<br />
Auch Zahlungserleichterungen (§ 212 BAO) dürfen gegebenenfalls für berufungsverfangene Beträge<br />
bewilligt werden.<br />
25.8 Rechtsmittelverzicht ( § 255 BAO)<br />
Auf die Einbringung einer Berufung kann schriftlich oder mündlich (zur Niederschrift)<br />
verzichtet werden.<br />
Ein vor der Bescheiderlassung abgegebener Rechtsmittelverzicht ist nur wirksam,<br />
wenn aus der Verzichtserklärung hervorgeht, dass dem Verzichtenden im Zeitpunkt<br />
der Abgabe dieser Erklärung<br />
- der Bescheidinhalt (bei Abgabenbescheiden idR ohne Fälligkeitsangabe),<br />
- die Abgabenbelastung (Grundlagen und Höhe der Abgabe) und<br />
- eine allfällige Mehrbelastung (Abweichungen gegenüber der bisherigen<br />
Belastung)<br />
bekannt waren und die Abgabenbehörde von diesen Grundlagen<br />
im Bescheid nicht abweicht.<br />
Der Rechtsmittelverzicht bindet nicht die Abgabenbehörde. Sie kann von den dem<br />
Verzicht zugrunde gelegten Auffassungen abweichen; dadurch verliert der Verzicht<br />
allerdings seine Wirksamkeit.<br />
71
Ungültig ist ein Rechtsmittelverzicht, der auf Willensmängeln beruht, etwa auf<br />
• einem von der Abgabenbehörde verursachten Irrtum,<br />
• physischem oder psychischem Zwang,<br />
• einer Drohung,<br />
• einer Verweigerung der erbetenen Bedenkzeit.<br />
Die Verzichtserklärung ist nicht zurücknehmbar.<br />
Ein Teilverzicht ist unzulässig und somit unwirksam.<br />
Der Rechtsmittelverzicht eines Gesamtschuldners wirkt nicht auch<br />
für die übrigen Gesamtschuldner.<br />
Trotz Rechtsmittelverzichts sollte der Bescheid eine positive Rechtsmittelbelehrung enthalten.<br />
Fehlt sie nämlich, so wird die Frist zur Einbringung einer Berufung, in der die Wirksamkeit oder<br />
die Gültigkeit des Rechtsmittelverzichts bekämpft wird, nicht in Lauf gesetzt (§ 93 Abs 4 BAO).<br />
Eine trotz wirksamen und gültigen Rechtsmittelverzichts eingebrachte Berufung<br />
ist unzulässig und daher zurückzuweisen (§ 273 Abs 1 lit a BAO).<br />
Die Möglichkeit, den Bescheid hinsichtlich der Fälligkeit einer festgesetzten Abgabe<br />
anzufechten, bleibt unberührt (§ 255 Abs 3 zweiter Satz BAO).<br />
Ein Rechtsmittelverzicht bedeutet keinen Verzicht auf einen Wiederaufnahmsantrag<br />
oder auf einen Antrag auf Aufhebung gemäß § 299 Abs 1 BAO.<br />
Ein Verzicht auf die Einbringung eines Vorlageantrages ist möglich<br />
(nach § 276 Abs 4 zweiter Satz BAO).<br />
25.9 Zurücknahme der Berufung (§ 256 BAO)<br />
Berufungen können bis zur Bekanntgabe der Entscheidung über die Berufung<br />
schriftlich oder mündlich (zur Niederschrift) zurückgenommen werden.<br />
Die Zurücknahme ist unwiderruflich. Die Berufung kann nicht - innerhalb<br />
der noch offenen Monatsfrist - neuerlich eingebracht werden. Ebenso wie der<br />
Rechtsmittelverzicht ist auch die Zurücknahme bei Willensmängeln ungültig.<br />
Eine teilweise "Zurücknahme" ist als Einschränkung des Berufungsbegehrens zu werten. Eine solche<br />
Einschränkung führt zum Verlust des Anspruches auf Entscheidung im Umfang der Einschränkung.<br />
72
Wurden Beitrittserklärungen abgegeben, so ist die Zurücknahme der Berufung<br />
nur wirksam, wenn ihr alle Beigetretenen zustimmen (§ 256 Abs 2 BAO).<br />
Wurde eine Berufung zurückgenommen, so hat die Abgabenbehörde (erster<br />
oder zweiter Instanz) die Berufung mit Bescheid als gegenstandslos zu erklären<br />
(§ 256 Abs 3 BAO).<br />
Dies gilt auch, wenn die Berufung nach Erlassung einer Berufungsvorentscheidung<br />
(nach Stellung eines Vorlageantrages) zurückgenommen wird. Diesfalls führt der<br />
Gegenstandsloserklärungsbescheid zur Aufhebung der Berufungsvorentscheidung<br />
(und damit zum Wiederaufleben des angefochtenen erstinstanzlichen Bescheides).<br />
Auch Vorlageanträge können zurückgenommen werden<br />
(§ 276 Abs 4 zweiter Satz BAO).<br />
25.10 Beitritt zur Berufung (§§ 257 bis 259 BAO)<br />
Einer Berufung, über die noch nicht rechtskräftig entschieden wurde, kann jeder<br />
beitreten, der für die den Gegenstand des angefochtenen Bescheides bildende<br />
Abgabe als Gesamtschuldner oder als Haftungspflichtiger in Betracht kommt<br />
(§ 257 Abs 1 BAO), aber noch nicht in Anspruch genommen wurde.<br />
Beispiel:<br />
Der Arbeitnehmer kann einer Berufung des Arbeitgebers gegen<br />
einen Lohnsteuerhaftungsbescheid (§ 82 EStG 1988) beitreten.<br />
Der Beigetretene kann die gleichen Rechte geltend machen,<br />
die dem Berufungswerber zustehen (§ 257 Abs 2 BAO).<br />
Er kann zB das Berufungsbegehren erweitern, hat Anspruch auf Zustellung<br />
der Berufungsvorentscheidung bzw der Berufungsentscheidung, kann einen<br />
Vorlageantrag bzw eine VwGH (VfGH)-Beschwerde einbringen.<br />
Der Beitritt ist bei der Behörde, die den angefochtenen Bescheid erlassen hat,<br />
schriftlich zu erklären (§ 258 Abs 1 BAO).<br />
73
Die Bescheidbehörde hat die Beitrittserklärung mit Bescheid zurückzuweisen, wenn<br />
• im Zeitpunkt des Einlangens der Beitrittserklärung über die Berufung<br />
bereits rechtskräftig entschieden war,<br />
• die Beitrittserklärung von einem hiezu nicht Befugten abgegeben wurde,<br />
doch darf in diesem Fall die Berufungsvorentscheidung bzw die Berufungsentscheidung<br />
erst nach Rechtskraft des Zurückweisungsbescheides ergehen.<br />
Die Beitrittserklärung ist der Berufungsvorlage an die Abgabenbehörde<br />
zweiter Instanz anzuschließen bzw nachträglich vorzulegen.<br />
Der Beitritt zu einer Berufung schließt bei späterer Inanspruchnahme des<br />
Beigetretenen als Gesamtschuldner oder als Haftungspflichtiger dessen<br />
Berufungsrecht nicht aus.<br />
25.11 Berufungsbehörde (§§ 260 bis 272 BAO und § 282 BAO)<br />
Berufungsbehörde ist der unabhängige Finanzsenat als Abgabenbehörde<br />
zweiter Instanz. Er entscheidet durch den Referenten (namens des<br />
Berufungssenates), außer<br />
• wenn in der Berufung, im Vorlageantrag oder in der Beitrittserklärung die<br />
Entscheidung durch den gesamten Berufungssenat beantragt wird, oder<br />
• wenn der Referent verlangt, dass der gesamte Berufungssenat zu entscheiden<br />
hat.<br />
Ein solches Verlangen des Referenten ist nur zulässig,<br />
• wenn die zu entscheidenden Fragen besondere Schwierigkeiten<br />
tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweisen, oder<br />
• wenn der Entscheidung grundsätzliche Bedeutung zukommt, oder<br />
• wenn die Verbindung von Berufungen, über die der gesamte Berufungssenat<br />
zu entscheiden hat, mit Berufungen, über die ansonsten der Referent zu<br />
entscheiden hätte, zu einem gemeinsamen Verfahren (insbesondere zur<br />
Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens) zweckmäßig ist.<br />
Das Verlangen ist zu begründen. Es kann bis zur Bekanntgabe (§ 97 BAO)<br />
der Entscheidung über die Berufung gestellt werden.<br />
74
Der Berufungssenat besteht (nach § 270 Abs 5 BAO) aus folgenden vier Personen:<br />
1. Der Vorsitzende,<br />
2. der Referent, wenn jedoch der Vorsitzende selbst Referent ist,<br />
ein weiteres hauptberufliches Mitglied,<br />
3. zwei entsendete Mitglieder, wobei je ein Mitglied von einer gesetzlichen<br />
Berufsvertretung selbständiger Berufe und von einer gesetzlichen<br />
Berufsvertretung unselbständiger Berufe entsendet sein muss.<br />
Wirtschaftstreuhänder, Rechtsanwälte und Notare dürfen nicht entsendet werden<br />
(§ 264 Abs 2 BAO).<br />
Die Geschäftsverteilung ist durch Anschlag an der Amtstafel des unabhängigen<br />
Finanzsenates zu veröffentlichen (§ 11 Abs 4 UFSG).<br />
Der Grundsatz der festen Geschäftsverteilung gilt für den Vorsitzenden, für die<br />
beiden entsendeten Mitglieder und (wenn der Vorsitzende selbst Referent ist)<br />
für das zweite hauptberufliche Mitglied.<br />
Der Vorsitzende hat ein (von höchstens neun ihm zugewiesenen) hauptberufliches<br />
Mitglied oder sich selbst zum Referenten zu bestellen. Rückwirkende Änderungen<br />
der Bestellung sind nur ausnahmsweise (nach § 270 Abs 4 BAO) und nur mit<br />
Zustimmung des Präsidenten des unabhängigen Finanzsenates zulässig.<br />
Die Mitglieder des unabhängigen Finanzsenates sind in Ausübung ihres Amtes<br />
an keine Weisungen gebunden (§ 271 BAO).<br />
25.12 Berufungsverfahren (§§ 273 bis 277 BAO)<br />
25.12.1 Zurückweisung (§ 273 BAO)<br />
Eine Berufung ist von der Abgabenbehörde mit Bescheid zurückzuweisen,<br />
wenn die Berufung<br />
• unzulässig ist oder<br />
• nicht fristgerecht eingebracht wurde.<br />
Eine Berufung ist insbesondere unzulässig<br />
• bei mangelnder Berufungsbefugnis des Einschreiters,<br />
• bei mangelndem Bescheidcharakter,<br />
• bei Rechtsmittelausschluss,<br />
• bei Rechtsmittelverzicht (§ 255 BAO).<br />
75
In den Fällen des § 274 BAO gilt die Berufung als auch gegen den neuen<br />
(zB gemäß § 295 Abs 1 BAO erlassenen) Bescheid gerichtet.<br />
Nur der Spruch ist rechtskraftfähig; nur er kann mit Berufung angefochten werden.<br />
Daher ist eine lediglich gegen die Begründung gerichtete Berufung als unzulässig<br />
zurückzuweisen.<br />
Eine Berufung darf nicht deshalb zurückgewiesen werden, weil sie vor Beginn<br />
der Berufungsfrist eingebracht wurde (§ 273 Abs 2 BAO).<br />
25.12.2 Gegenstandsloserklärung bzw Weitergeltung von Berufungen<br />
(§ 274 BAO)<br />
Tritt ein Bescheid an die Stelle eines mit Berufung angefochtenen Bescheides,<br />
so gilt die Berufung als auch gegen späteren Bescheid gerichtet. Soweit der<br />
spätere Bescheid dem Berufungsbegehren Rechnung trägt, ist die Berufung<br />
als gegenstandslos zu erklären (§ 274 BAO).<br />
§ 274 BAO ist beispielsweise anwendbar<br />
• für den neuen Sachbescheid nach Wiederaufnahme des Verfahrens,<br />
• für den neuen Sachbescheid nach Aufhebung gemäß § 299 Abs 1 BAO,<br />
• für gemäß § 295 Abs 1 BAO ändernde Bescheide,<br />
• für endgültige Bescheide, die vorläufige Bescheide ersetzen.<br />
Der Gegenstandsloserklärungsbescheid ist abgesondert anfechtbar.<br />
Eine Berufung ist weiters als gegenstandslos zu erklären<br />
• bei Zurücknahme der Berufung (§ 256 BAO),<br />
• bei Berufung gegen den Sachbescheid, wenn der Berufung<br />
gegen die Verfügung der Wiederaufnahme stattgegeben wird.<br />
25.12.3 Mängelbehebung (§ 275 BAO)<br />
Wenn eine Berufung nicht den im § 250 BAO genannten Inhaltserfordernissen<br />
entspricht, ist ein Mängelbehebungsauftrag zu erlassen. Er hat den Hinweis<br />
zu enthalten, dass die Berufung nach fruchtlosem Ablauf einer gleichzeitig zu<br />
bestimmenden (verlängerbaren) angemessenen Frist als zurückgenommen gilt.<br />
Der Mängelbehebungsauftrag ist eine verfahrensleitende Verfügung<br />
iSd §§ 94 und 244 BAO. Er ist daher nicht abgesondert anfechtbar.<br />
76
Zu seiner Erlassung ist auch die Abgabenbehörde zweiter Instanz zuständig.<br />
Ist eine (inhaltlich mangelhafte) Berufung unzulässig oder verspätet,<br />
so ist kein Mängelbehebungsauftrag zu erlassen.<br />
Der Mängelbehebungsauftrag darf nur zur Beseitigung der inhaltlichen Mängel ergehen<br />
(nicht zB um die Vorlage von Abgabenerklärungen oder von anderen Beweismitteln zu erreichen).<br />
Die Befolgung des Auftrages ist nicht mit Zwangsstrafe (§ 111 BAO) erzwingbar.<br />
Wird dem Auftrag zur Mängelbehebung nicht, nicht rechtzeitig oder nicht ausreichend<br />
entsprochen, so ist die Zurücknahme der Berufung bescheidmäßig festzustellen.<br />
Der Zurücknahmebescheid ist mit Berufung (bzw mit Beschwerde beim VwGH und<br />
beim VfGH) anfechtbar.<br />
25.12.4 Berufungsvorentscheidung und Vorlageantrag (§ 276 BAO)<br />
Die Erlassung einer Berufungsvorentscheidung setzt voraus, dass die Berufung<br />
• zulässig ist,<br />
• rechtzeitig ist und<br />
• keine Formgebrechen oder inhaltlichen Mängel (von vornherein oder<br />
nach Durchführung eines Mängelbehebungsverfahrens) aufweist.<br />
Die Erlassung einer Berufungsvorentscheidung (§ 276 Abs 1 BAO) liegt<br />
im Ermessen der Abgabenbehörde erster Instanz.<br />
Normzweck des § 276 Abs 1 BAO ist die Beschleunigung des Verfahrens. Daher darf eine<br />
Berufungsvorentscheidung idR nur erlassen werden, wenn damit zu rechnen ist, dass damit<br />
das Berufungsverfahren beendet wird. Zur Verzögerung oder um die Partei davon abzuhalten,<br />
"Anlassfall" in einem Gesetzesprüfungsverfahren vor dem VfGH zu werden, darf sie nicht ergehen.<br />
Mit Berufungsvorentscheidung kann<br />
• die Berufung abgewiesen werden,<br />
• der angefochtene Bescheid nach jeder Richtung abgeändert werden,<br />
• der angefochtene Bescheid aufgehoben werden, wenn ein solcher Bescheid<br />
nicht hätte erlassen werden dürfen (zB Zwangsstrafenfestsetzung ohne vorherige<br />
Androhung der Zwangsstrafe, Abgabenfestsetzung trotz Verjährung, Bescheiderlassung<br />
durch unzuständige Abgabenbehörde).<br />
77
Die Berufungsvorentscheidung beendet das Berufungsverfahren, es sei denn,<br />
ein Vorlageantrag wird (rechtzeitig, zulässigerweise) eingebracht.<br />
Vorlageantragsberechtigt ist<br />
• der Berufungswerber und<br />
• jeder, dem gegenüber die Berufungsvorentscheidung wirkt.<br />
Die Frist zur Einbringung eines Vorlageantrages beträgt 1 Monat. Die Frist ist<br />
verlängerbar. Sie wird gehemmt durch einen Antrag auf Fristverlängerung<br />
oder durch einen Antrag auf Mitteilung der einer Berufungsvorentscheidung<br />
ganz oder teilweise fehlenden Begründung (§ 276 Abs 4 zweiter Satz BAO).<br />
Der Vorlageantrag kann bei der Abgabenbehörde erster oder zweiter Instanz<br />
eingebracht werden.<br />
Durch den Vorlageantrag gilt die Berufung wieder als unerledigt. Er berührt<br />
die Berufungsvorentscheidung nicht in ihrer Wirksamkeit. Die Berufungsvorentscheidung<br />
scheidet erst durch die abschließende Berufungserledigung<br />
(zB Zurückweisungsbescheid, Zurücknahmebescheid, Berufungsentscheidung)<br />
aus dem Rechtsbestand aus.<br />
Der Vorlageantrag ist zurücknehmbar. Durch die Zurücknahme gilt die Berufung als<br />
durch die Berufungsvorentscheidung erledigt. Der zurückgenommene Vorlageantrag<br />
ist mit Bescheid für gegenstandslos zu erklären.<br />
Ein verspäteter oder unzulässiger Vorlageantrag ist zurückzuweisen (§ 276<br />
Abs 4 zweiter Satz BAO). Unzulässig ist ein Vorlageantrag etwa dann, wenn er<br />
vor Erlassung der Berufungsvorentscheidung eingebracht wird.<br />
Eine zweite Berufungsvorentscheidung darf - außer bei vollinhaltlicher Stattgabe -<br />
nur erlassen werden, wenn alle Parteien, die einen Vorlageantrag gestellt haben,<br />
zustimmen und die Antragsfrist für alle Antragsberechtigten abgelaufen ist.<br />
Die Zustimmung ist schriftlich oder zur Niederschrift zu erklären (§ 276 Abs 5 BAO).<br />
Wurde eine Berufungsvorentscheidung nicht erlassen oder wurde nach ihrer<br />
Erlassung rechtzeitig ein Vorlageantrag gestellt, so ist die Berufung nach<br />
Durchführung allenfalls erforderlicher Ermittlungen ohne unnötigen Aufschub<br />
der Abgabenbehörde zweiter Instanz vorzulegen (§ 276 Abs 6 erster Satz BAO).<br />
78
25.13 Berufungsverfahren vor der Abgabenbehörde zweiter Instanz<br />
Die Abgabenbehörde zweiter Instanz hat im Berufungsverfahren dieselben<br />
Obliegenheiten und Befugnisse wie die Abgabenbehörde erster Instanz<br />
(§ 279 Abs 1 BAO).<br />
Sie kann notwendige Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens auch durch<br />
eine Abgabenbehörde erster Instanz vornehmen lassen (§ 279 Abs 2 BAO);<br />
zulässig wäre daher etwa die Anordnung, einen Augenschein (§ 182 BAO)<br />
vorzunehmen, Zeugen einzuvernehmen, eine Nachschau (§ 144 BAO) oder<br />
eine Außenprüfung (§ 147 BAO) durchzuführen.<br />
Die Berufungsbehörde darf zB Zeugen einvernehmen, Amtshilfeersuchen stellen,<br />
Mängelbehebungsaufträge (nach § 85 Abs 2 BAO bzw nach § 275 BAO) erlassen.<br />
Die Berufungsbehörde hat das Parteiengehör (§ 115 Abs 2 BAO) zu beachten.<br />
Der Referent kann (Ermessen) die Parteien (insbesondere den Berufungswerber<br />
und das Finanzamt) zur Erörterung der Sach- und Rechtslage sowie zur Beilegung<br />
des Rechtsstreites laden (§ 279 Abs 3 BAO, "Erörterungstermin").<br />
Die Berufungsbehörde ist verpflichtet, den angefochtenen Bescheid auch<br />
außerhalb des Berufungsbegehrens auf seine Rechtsrichtigkeit zu überprüfen.<br />
Auf der Abgabenbehörde zur Kenntnis gelangende neue Tatsachen, Beweise und Anträge<br />
(zB Änderung oder Ergänzung des Berufungsbegehrens) ist Bedacht zu nehmen<br />
(§ 280 BAO, kein Neuerungsverbot).<br />
25.14 Aussetzung der Berufungsentscheidung (§ 281 BAO)<br />
Die Aussetzung der Berufungsentscheidung ist zulässig, wenn<br />
- wegen einer gleichen oder ähnlichen Rechtsfrage eine Berufung anhängig ist<br />
oder<br />
- vor einem Gericht oder einer Verwaltungsbehörde ein Verfahren anhängig ist,<br />
dessen Ausgang von wesentlicher Bedeutung für das Berufungsverfahren ist,<br />
und der Aussetzung nicht überwiegende Interessen der Partei (§ 78 BAO)<br />
entgegenstehen (§ 281 Abs 1 BAO).<br />
Ein entgegenstehendes Interesse der Partei besteht vor allem dann, wenn<br />
sie "Anlassfall" eines Normenprüfungsverfahrens vor dem VfGH werden will.<br />
79
Im Aussetzungsbescheid ist das Verfahren, dessentwegen ausgesetzt wird,<br />
genau zu bezeichnen (Angabe der Geschäftszahl wird idR reichen).<br />
Die Partei hat keinen Rechtsanspruch auf Aussetzung.<br />
Nach rechtskräftiger Beendigung des "Anlassverfahrens" ist das ausgesetzte<br />
Berufungsverfahren von Amts wegen fortzusetzen.<br />
Zur Erlassung von Aussetzungsbescheiden ist sowohl die Abgabenbehörde<br />
erster Instanz als auch jene zweiter Instanz zuständig.<br />
Von der Abgabenbehörde erster Instanz erlassene Aussetzungsbescheide<br />
verlieren ihre Wirksamkeit, sobald die Partei (§ 78 BAO) die Fortsetzung<br />
des Berufungsverfahrens beantragt (§ 281 Abs 3 BAO).<br />
25.15 Senatsverfahren (§§ 282 bis 287 BAO)<br />
Dem Referenten obliegt<br />
• die Durchführung des Ermittlungsverfahrens (zB Einvernahme von Zeugen),<br />
• die Erteilung von Ermittlungsaufträgen an eine Abgabenbehörde erster Instanz,<br />
• die Erlassung von Mängelbehebungsaufträgen nach § 85 Abs 2 BAO<br />
(zB bei fehlender Unterschrift) oder nach § 275 BAO (bei inhaltlichen Mängeln<br />
der Berufung),<br />
• die Verfügung der Aussetzung nach § 281 Abs 1 BAO,<br />
• die Abhaltung von "Erörterungsterminen" (§ 279 Abs 3 BAO).<br />
Eine mündliche Berufungsverhandlung hat stattzufinden<br />
• auf Antrag (in der Berufung, Vorlageantrag oder Beitrittserklärung),<br />
• wenn es der Referent oder (bei Senatszuständigkeit) der Vorsitzende<br />
für erforderlich hält,<br />
• wenn es der Berufungssenat auf Antrag eines Mitglieds beschließt.<br />
Ungeachtet eines (rechtzeitigen) Antrages kann die mündliche Verhandlung<br />
unterbleiben<br />
• bei Zurückweisung (§ 273 BAO),<br />
• bei Zurücknahmebescheiden (§ 85 Abs 2 BAO, § 86a Abs 1 BAO, § 275 BAO),<br />
• bei Gegenstandsloserklärungen (§ 256 Abs 3 BAO, § 274 BAO) und<br />
• wenn eine Aufhebung unter Zurückverweisung der Sache an die<br />
Abgabenbehörde erster Instanz (§ 289 Abs 1 BAO) erfolgt.<br />
80
Die mündliche Verhandlung vor dem Berufungssenat ist öffentlich.<br />
Die Öffentlichkeit ist vom Vorsitzenden auszuschließen,<br />
• soweit eine Partei (§ 78 BAO) es verlangt,<br />
• von Amts wegen oder auf Antrag der Abgabenbehörde erster Instanz<br />
(§ 276 Abs 7 BAO), eines Zeugen, einer Auskunftsperson oder eines<br />
Sachverständigen,<br />
- soweit unter eine Geheimhaltungspflicht fallende Umstände erörtert<br />
werden oder<br />
- soweit die Öffentlichkeit der Verhandlung die Interessen der<br />
Abgabenerhebung beeinträchtigen würde.<br />
Mündliche Verhandlungen, die nicht vor dem Berufungssenat erfolgen,<br />
sind nicht öffentlich.<br />
Die Mitglieder des Berufungssenates und die Parteien sind berechtigt, an Personen<br />
(zB Zeugen, Sachverständige), die in der Verhandlung einvernommen werden,<br />
Fragen zu stellen (§ 285 Abs 6 BAO).<br />
Die Verhandlung endet mit der Verkündung der Entscheidung über die Berufung<br />
oder mit der Verkündung des Beschlusses, dass die Entscheidung der schriftlichen<br />
Ausfertigung vorbehalten bleibt (§ 287 Abs 4 BAO).<br />
Bei Verkündung der Entscheidung ist der Tag der Zustellung<br />
der schriftlichen Ausfertigung maßgeblich für die<br />
- Fälligkeitsfrist (bei Verböserung),<br />
- Beschwerdefristen vor dem VwGH und VfGH.<br />
Hingegen ist der Tag der Verkündung bedeutsam für § 280 BAO (kein<br />
Neuerungsverbot während des Berufungsverfahrens) und für den Zeitpunkt<br />
der Wirksamkeit einer aus der Berufungserledigung resultierenden Gutschrift.<br />
Der unabhängige Finanzsenat ist ein Gericht iSd Art 234 EGV. Er ist daher berechtigt<br />
(bzw bei Bedenken hinsichtlich der Primärrechtskonformität des anzuwendenden<br />
Sekundärrechts verpflichtet), beim EuGH Anträge auf Vorabentscheidung ua über<br />
die Auslegung oder Gültigkeit von Gemeinschaftsrecht (zB Richtlinien und Verordnungen<br />
des Rates bzw der Kommission) zu stellen.<br />
81
25.16 Entscheidungen über die Berufung (§§ 288 bis 291 BAO)<br />
25.16.1 Inhalt von Berufungserledigungen (§ 288 BAO)<br />
Das Berufungsverfahren abschließende Erledigungen der Abgabenbehörde<br />
zweiter Instanz haben (nach § 288 Abs 1 BAO) zu enthalten<br />
1. den Namen der Parteien und ihrer Vertreter,<br />
2. die Bezeichnung des angefochtenen Bescheides,<br />
3. den Spruch,<br />
4. die Begründung (auch bei vollinhaltlicher Stattgabe),<br />
5. bei Senatsentscheidungen weiters die Namen der Senatsmitglieder<br />
und des (etwa beigezogenen) Schriftführers.<br />
Erledigungen des gesamten Berufungssenates sind vom Vorsitzenden<br />
des Berufungssenats zu unterfertigen (§ 288 Abs 2 BAO).<br />
25.16.2 Aufhebung unter Zurückverweisung (§ 289 Abs 1 BAO)<br />
Ist über die Berufung keine Formalentscheidung (zB Zurückweisung) zu treffen,<br />
so kann die Abgabenbehörde zweiter Instanz die Berufung durch Aufhebung<br />
des angefochtenen Bescheides (und allfälliger Berufungsvorentscheidungen)<br />
unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde erster Instanz<br />
erledigen, wenn Ermittlungen (§ 115 Abs 1 BAO) unterlassen wurden, bei deren<br />
Durchführung<br />
• ein anders lautender Bescheid hätte erlassen werden oder<br />
• eine Bescheiderteilung hätte unterbleiben können (§ 289 Abs 1 BAO).<br />
Nach § 115 Abs 1 BAO sind von Amts wegen die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse<br />
zu ermitteln, die für die Abgabepflicht und die Erhebung der Abgaben wesentlich sind.<br />
Durch die Aufhebung des angefochtenen Bescheides tritt das Verfahren in die Lage<br />
zurück, in der es sich vor Erlassung dieses Bescheides befunden hat (§ 289 Abs 1<br />
letzter Satz BAO).<br />
Die Aufhebung unter Zurückverweisung liegt im Ermessen der Abgabenbehörde<br />
zweiter Instanz. Sie ist mit Beschwerde beim VfGH und beim VwGH anfechtbar<br />
(auch mit Amtsbeschwerde nach § 292 BAO).<br />
Im weiteren Verfahren sind die Behörden (zB Finanzamt, unabhängiger Finanzsenat)<br />
an die für die Aufhebung maßgebliche, im Aufhebungsbescheid dargelegte Rechtsanschauung<br />
gebunden. Diese Bindungswirkung besteht nur bei unveränderter Sachund<br />
Rechtslage.<br />
82
25.16.3 Berufungsentscheidung (§ 289 Abs 2 und 3 BAO)<br />
Ist keine Formalentscheidung über die Berufung (zB Zurückweisung)<br />
zu treffen und erfolgt keine Aufhebung unter Zurückverweisung der Sache<br />
an die Abgabenbehörde erster Instanz, so ist eine Berufungsentscheidung<br />
(Entscheidung "in der Sache selbst") zu erlassen.<br />
Die Abgabenbehörde zweiter Instanz kann mit einer Berufungsentscheidung<br />
• den angefochtenen Bescheid (ersatzlos) aufheben oder<br />
• ihn (auch über das Berufungsbegehren hinaus) nach jeder Richtung<br />
(Spruch und Begründung) abändern oder<br />
• die Berufung als unbegründet abweisen.<br />
Eine ersatzlose Aufhebung des angefochtenen Bescheides hat beispielsweise<br />
bei Unzuständigkeit der Abgabenbehörde erster Instanz oder bei Rechtswidrigkeit<br />
infolge Eintritts der Verjährung zu erfolgen.<br />
Die Abänderungsbefugnis ist (ebenso wie bei der Berufungsvorentscheidung)<br />
durch die "Sache" beschränkt. Sache ist die Angelegenheit, die den Inhalt des<br />
Spruches erster Instanz bildet.<br />
Zulässig ist etwa die<br />
• Erhöhung oder Minderung der Vorschreibung derselben Abgabe,<br />
• Ersetzung eines Abgabenbescheides durch einen Nichtveranlagungsbescheid,<br />
• Endgültigerklärung eines vorläufigen Bescheides (und umgekehrt).<br />
Nicht zulässig wäre beispielsweise<br />
• der Austausch des Bescheidadressaten,<br />
• die Vorschreibung einer anderen Abgabe (als im angefochtenen Bescheid).<br />
Die Berufungsentscheidung wirkt (einheitlich) für und gegen dieselben Personen<br />
wie der angefochtene Bescheid. Sie muss diesen Personen (um wirksam zu werden)<br />
auch zugestellt werden.<br />
Im Verfahren betreffend Bescheide, die Berufungsentscheidungen abändern<br />
(zB gemäß § 295 Abs 1 BAO), aufheben (zB gemäß § 303 Abs 4 BAO) oder<br />
ersetzen (zB gemäß § 200 Abs 2 BAO), sind die Behörden an die für die<br />
Berufungsentscheidung maßgebliche, dort dargelegte Rechtsanschauung<br />
gebunden (§ 289 Abs 3 BAO).<br />
Die Bindung setzt eine unveränderte Sach- und Rechtslage voraus.<br />
83
26. Beschwerde an VwGH oder VfGH (§§ 291 und 292 BAO)<br />
Gegen Bescheide der Abgabenbehörde zweiter Instanz ist kein ordentliches<br />
Rechtsmittel zulässig (§ 291 BAO).<br />
Solche Bescheide sind mit Beschwerde an den VwGH oder VfGH anfechtbar;<br />
die Beschwerdefrist beträgt sechs Wochen (ab Zustellung).<br />
Die Abgabenbehörde erster Instanz (zB das Finanzamt) hat das Recht,<br />
gegen Entscheidungen über Berufungen des unabhängigen Finanzsenates<br />
- wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes oder<br />
- wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften<br />
Beschwerde ("Amtsbeschwerde") an den VwGH zu erheben.<br />
27. Berichtigung gemäß § 293 BAO<br />
Die Abgabenbehörde kann auf Antrag der Partei (§ 78 BAO) oder von Amts wegen<br />
einen Bescheid berichtigen, wenn ihr unterlaufen sind:<br />
• Schreib- oder Rechenfehler,<br />
• andere offenbar auf einem ähnlichen Versehen beruhende<br />
tatsächliche Unrichtigkeiten oder<br />
• ausschließlich auf dem Einsatz einer automationsunterstützten Datenverarbeitungsanlage<br />
beruhende Unrichtigkeiten (zB Eingabefehler,<br />
Programmfehler).<br />
Die Berichtigung ist innerhalb der Verjährungsfrist, jedenfalls jedoch innerhalb<br />
eines Jahres ab Eintritt der Rechtskraft, zulässig (§ 302 BAO).<br />
Die Berichtigung liegt im Ermessen (somit kein Rechtsanspruch der Partei).<br />
Nach dem Normzweck wird idR der Vorrang des Prinzips der Rechtsrichtigkeit<br />
(Gleichmäßigkeit der Besteuerung) vor jenem der Rechtsbeständigkeit für die<br />
Berichtigung sprechen (außer bei Geringfügigkeit der Auswirkungen des Fehlers).<br />
Berichtigungsfähig ist insbesondere der Spruch (zB Berichtigung der Schreibweise<br />
des Bescheidadressaten; aber kein Austausch des Bescheidadressaten zulässig),<br />
aber auch andere Bescheidbestandteile (zB die Begründung).<br />
84
Bei Entscheidungen eines Berufungssenates darf nur der Berufungssenat<br />
eine solche Berichtigung verfügen (§ 282 Abs 3 BAO).<br />
Der berichtigende Bescheid tritt nicht an Stelle des fehlerhaften Bescheides.<br />
Er ergänzt den berichtigten Bescheid. Er ist daher idR nur hinsichtlich des<br />
berichtigten Umfanges und Inhaltes anfechtbar.<br />
Eine Anfechtung des Bescheides in seiner berichtigten Fassung ist nur zulässig,<br />
wenn erst aus der berichtigten Fassung zu erkennen ist, dass und in welchem<br />
Ausmaß dieser einen Eingriff in die Rechte oder rechtlichen Interessen der Partei<br />
bedeutet.<br />
28. Berichtigung gemäß § 293b BAO<br />
Die Abgabenbehörde kann einen Bescheid<br />
- auf Antrag einer Partei oder<br />
- von Amts wegen<br />
insoweit berichtigen, als seine Rechtswidrigkeit auf der Übernahme<br />
offensichtlicher Unrichtigkeiten aus Abgabenerklärungen beruht (§ 293b BAO).<br />
Eine Unrichtigkeit ist dann offensichtlich, wenn sie ohne Durchführung<br />
eines diesbezüglichen Ermittlungsverfahrens erkennbar ist.<br />
Die Unrichtigkeit muss aus der Abgabenerklärung (= Erklärungsvordruck sowie<br />
sämtliche Beilagen) selbst oder aus ihr in Verbindung mit der übrigen Aktenlage<br />
erkennbar sein.<br />
Keine offensichtliche Unrichtigkeit liegt etwa vor, wenn die der Abgabenerklärung<br />
zugrunde liegende Rechtsansicht vertretbar ist, zB wenn eine Rechtsfrage in der<br />
Rechtsprechung uneinheitlich gelöst wird.<br />
Als offensichtliche Unrichtigkeit iSd § 293b BAO kommt in Betracht:<br />
• Ein unter dem Titel "Urlaubsreise" ausgewiesener Aufwand wird als<br />
Betriebsausgabe geltend gemacht,<br />
• im Einkommensteuererklärungsvordruck wird als Gewinn der Betrag der<br />
Einnahmen eingetragen, was aus der beiliegenden Einnahmen-Ausgaben-<br />
Rechnung ersichtlich ist,<br />
• Nichtberücksichtigung eines aktenkundigen Verlustvortrages.<br />
85
Berichtigungen können von Amts wegen oder auf Antrag vorgenommen werden.<br />
Antragsberechtigt ist jede Partei, der gegenüber der betreffende Bescheid wirksam<br />
geworden ist. Das Antragsrecht ist nicht befristet.<br />
Der Antrag unterliegt der Entscheidungspflicht (§ 311 Abs 1 BAO).<br />
Er ist daher mit Bescheid zu erledigen.<br />
Gemäß § 293b BAO berichtigende Bescheide dürfen nur die aus der<br />
Abgabenerklärung übernommenen offensichtlichen Unrichtigkeiten beseitigen.<br />
Berichtigende Bescheide ergänzen den fehlerhaften Bescheid und sind somit<br />
idR nur hinsichtlich des berichtigten Umfanges und Inhaltes anfechtbar.<br />
Die Berichtigung kann sowohl zu Gunsten als auch zum Nachteil der Partei erfolgen.<br />
Die Berichtigung liegt im Ermessen (auch bei Parteiantrag). Der Vorrang<br />
der Rechtsrichtigkeit (Gleichmäßigkeit der Besteuerung) ist das wesentlichste<br />
Ermessenskriterium; jedoch keine Berichtigung bei bloß geringfügigen Auswirkungen<br />
des Fehlers.<br />
Die Berichtigung darf (grundsätzlich) nur innerhalb der Verjährungsfrist<br />
erfolgen (§ 302 Abs 1 BAO).<br />
29. Änderung oder Zurücknahme eines Bescheides (§ 294 BAO)<br />
§ 294 BAO bezieht sich auf Bescheide, die Begünstigungen, Berechtigungen<br />
oder die Befreiung von Pflichten betreffen, und ist etwa anwendbar für:<br />
• Fristverlängerungs- oder Fristabweisungsbescheide,<br />
• Zahlungserleichterungen (§ 212 BAO),<br />
• Aussetzungen der Einhebung (§ 212a BAO),<br />
• Löschungen (§ 235 BAO).<br />
§ 294 BAO ermöglicht die Änderung bzw Zurücknahme solcher Bescheide, wenn<br />
• sich die tatsächlichen Verhältnisse geändert haben, die für die Erlassung<br />
des Bescheides maßgebend waren, oder<br />
• das Vorhandensein dieser Verhältnisse auf Grund unrichtiger oder irreführender<br />
Angaben zu Unrecht angenommen wurde.<br />
86
Eine rückwirkende Änderung oder Zurücknahme ohne Zustimmung der betroffenen<br />
Parteien ist nur zulässig, wenn der Bescheid durch wissentlich unwahre Angaben<br />
oder durch eine strafbare Handlung herbeigeführt wurde.<br />
Die Änderung oder Zurücknahme liegt im Ermessen.<br />
Solche Maßnahmen dürfen nur innerhalb der Verjährungsfrist vorgenommen<br />
werden (§ 302 Abs 1 BAO).<br />
Ist im Bescheidspruch der Widerruf vorbehalten (üblich zB bei Nachsicht),<br />
so ist dieser Widerrufsvorbehalt der Verfahrenstitel für einen allfälligen Widerruf.<br />
30. Anpassung abgeleiteter Bescheide (§ 295 BAO)<br />
Ein abgeleiteter Bescheid ist durch einen neuen Bescheid zu ersetzen oder, wenn<br />
die Voraussetzungen für die Erlassung des abgeleiteten Bescheides nicht mehr<br />
vorliegen, aufzuheben,<br />
• wenn ein Bescheid von einem Feststellungsbescheid abgeleitet ist und<br />
• der Feststellungsbescheid nachträglich abgeändert, aufgehoben oder erstmals<br />
erlassen wird (§ 295 Abs 1 BAO).<br />
Beispiel:<br />
Von einem Bescheid über die einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften<br />
(§ 188 BAO) sind die Einkommensteuerbescheide (Körperschaftsteuerbescheide) der<br />
an den Einkünften beteiligten Personen abgeleitet.<br />
Die Änderung bzw Aufhebung ist zwingend vorzunehmen; dies unabhängig davon,<br />
ob der abgeleitete Bescheid (formell) rechtskräftig ist.<br />
Solche Maßnahmen dürfen grundsätzlich nur innerhalb der Verjährungsfrist<br />
vorgenommen werden (Ausnahme: § 209a Abs 2 BAO; siehe Abschnitt 17.7).<br />
Mit der Erlassung des neuen Bescheides kann gewartet werden, bis die Abänderung<br />
oder Aufhebung des Feststellungsbescheides oder der nachträglich erlassene<br />
Feststellungsbescheid (formell) rechtskräftig geworden ist.<br />
Auf § 295 BAO gestützte Bescheide dürfen (grundsätzlich) in allen Bereichen<br />
den Bescheid abändern. Sie sind (grundsätzlich) voll anfechtbar.<br />
87
Ausnahmen hievon ergeben sich etwa aus der Bindung gemäß § 289 Abs 3 BAO<br />
(siehe Abschnitt 25.16.3).<br />
31. Abänderung gemäß § 295a BAO<br />
Ein Bescheid kann auf Antrag der Partei (§ 78 BAO) oder von Amts wegen insoweit<br />
abgeändert werden, als ein Ereignis eintritt, das abgabenrechtliche Wirkung für<br />
die Vergangenheit auf den Bestand oder Umfang eines Abgabenanspruches hat<br />
(§ 295a BAO).<br />
Beispiele für solche rückwirkende Ereignisse:<br />
1. Entrichtung von Erbschaftssteuer (für die Anrechnung nach § 24 Abs 5 EStG 1988).<br />
2. Entrichtung ausländischer Abgaben (für die Anrechnung auf inländische Abgaben<br />
zB auf Grund eines Doppelbesteuerungsabkommens).<br />
3. Ersatz von Aufwendungen durch die Versicherung (für die Nichtberücksichtigung<br />
als außergewöhnlicher Belastung iSd § 34 EStG 1988).<br />
4. Erfolgreiche Anfechtung eines Vertrages wegen eines Willensmangels, wie etwa<br />
wegen eines Irrtums iSd § 871 ABGB (für die Rechtsgeschäftsgebühren des<br />
§ 33 GebG).<br />
Die Abänderung liegt im Ermessen; dies gilt unabhängig davon, ob sie auf Antrag<br />
oder von Amts wegen erfolgt.<br />
Bei der Ermessensübung wird idR dem Grundsatz der Rechtsrichtigkeit der Vorrang<br />
vor jenem der Rechtsbeständigkeit zukommen.<br />
Gegen eine Abänderung können die Geringfügigkeit der Auswirkungen<br />
oder der Grundsatz von Treu und Glauben sprechen.<br />
Die Abänderung darf nur, "insoweit" sich das Ereignis auf den Abgabenanspruch<br />
auswirkt, erfolgen. Der Bescheid darf somit nur diesbezüglich abgeändert werden.<br />
Der gemäß § 295a BAO abändernde Bescheid ist daher nur hinsichtlich der<br />
Abänderung mit Berufung anfechtbar.<br />
Abänderungen (§ 295a BAO) sind grundsätzlich nur innerhalb der Verjährungsfrist<br />
zulässig; Ausnahmen hievon ergeben sich etwa aus § 209a Abs 2 BAO.<br />
88
32. Aufhebung nach § 299 Abs 1 BAO<br />
Die Abgabenbehörde erster Instanz kann auf Antrag der Partei oder von<br />
Amts wegen einen Bescheid der Abgabenbehörde erster Instanz aufheben,<br />
wenn sich der Spruch des Bescheides als nicht richtig erweist.<br />
Die Aufhebung liegt im Ermessen (Vorrang der Rechtsrichtigkeit; außer<br />
insbesondere bei Geringfügigkeit der Auswirkungen, wegen Treu und Glauben<br />
oder bei Uneinbringlichkeit der Nachforderung).<br />
Mit dem aufhebenden Bescheid ist der neue Sachbescheid zu verbinden<br />
(§ 299 Abs 2 BAO).<br />
Der Aufhebungsbescheid ist (ebenso wie der neue Sachbescheid) mit Berufung<br />
anfechtbar.<br />
Aufhebungen gemäß § 299 Abs 1 BAO sind bis zum Ablauf eines Jahres<br />
ab Bekanntgabe (§ 97 BAO) des aufzuhebenden Bescheides zulässig,<br />
außer wenn der Antrag auf Aufhebung innerhalb dieser Jahresfrist eingebracht ist<br />
(§ 302 Abs 2 lit b BAO).<br />
Aufhebungen wegen Widerspruches mit zwischenstaatlichen abgabenrechtlichen<br />
Vereinbarungen (insbesondere Doppelbesteuerungsabkommen) oder mit<br />
Gemeinschaftsrecht der Europäischen Union sind zulässig,<br />
• innerhalb der Verjährungsfrist oder<br />
• wenn der Antrag auf Aufhebung innerhalb dieser Frist eingebracht ist,<br />
auch nach Ablauf der Frist.<br />
Durch die Aufhebung des aufhebenden Bescheides tritt das Verfahren in die Lage<br />
zurück, in der es sich vor der Aufhebung (nach § 299 Abs 1 BAO) befunden hat<br />
(§ 299 Abs 3 BAO).<br />
89
33. Klaglosstellung nach § 300 BAO<br />
Das BMF und die Abgabenbehörde zweiter Instanz (vor allem der unabhängige<br />
Finanzsenat) können einen von ihnen selbst erlassenen Bescheid, der beim VwGH<br />
oder beim VfGH mit Beschwerde angefochten ist, aufheben<br />
a) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, oder<br />
b) wenn er von einer unzuständigen Behörde, von einem hiezu nicht berufenen<br />
Organ oder von einem nicht richtig zusammengesetzten Kollegialorgan einer<br />
Behörde erlassen wurde, oder<br />
c) wenn der dem Bescheid zugrunde liegende Sachverhalt in einem wesentlichen<br />
Punkt unrichtig festgestellt oder aktenwidrig angenommen wurde, oder<br />
d) wenn Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung<br />
ein anders lautender Bescheid hätte erlassen werden oder eine Bescheiderteilung<br />
hätte unterbleiben können (somit etwa bei Unterlassung entscheidungserheblicher<br />
Ermittlungen oder bei Verletzung des Parteiengehörs).<br />
Die Aufhebung darf in jedem Verfahren nur einmal erfolgen (§ 300 Abs 2 BAO).<br />
Durch die Aufhebung tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor<br />
Erlassung des aufgehobenen Bescheides befunden hat (§ 300 Abs 3 BAO).<br />
34. Wiederaufnahme des Verfahrens (§§ 303 bis 307 BAO)<br />
34.1 Wiederaufnahmsgründe<br />
Wiederaufnahmsgründe liegen vor, wenn<br />
• der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere<br />
gerichtlich strafbare Tat herbeigeführt oder sonstwie erschlichen wurde, oder<br />
• Tatsachen oder Beweismittel (die vor Abschluss des Verfahrens bereits existent<br />
waren) neu hervorgekommen sind, die im abgeschlossenen Verfahren<br />
nicht geltend gemacht worden sind, oder<br />
• der Bescheid von Vorfragen (§ 116 BAO) abhängig war und nachträglich über<br />
eine solche Vorfrage von der hiefür zuständigen Behörde in wesentlichen<br />
Punkten anders entschieden wurde und<br />
die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis<br />
des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.<br />
90
Beispiele (für Tatsachen iSd § 303 BAO):<br />
• Zufluss von Einnahmen, die Betriebseinnahmen sind,<br />
• Zahlung von als Werbungskosten abziehbaren Aufwendungen,<br />
• Mängel der Buchführung.<br />
Zur Vorfrage (§ 116 BAO) siehe Abschnitt 12.6.<br />
34.2 Wiederaufnahme auf Antrag<br />
Das Antragsrecht der Partei ist befristet (drei Monate ab nachweislicher Kenntnis<br />
des Wiederaufnahmsgrundes). Diese Frist ist nicht verlängerbar.<br />
Der Antrag ist einzubringen<br />
• bei der Abgabenbehörde erster Instanz, die den Bescheid erlassen hat, oder<br />
• nach Übergang der Zuständigkeit auch bei der neu zuständig gewordenen<br />
Abgabenbehörde erster Instanz.<br />
Eine Wiederaufnahme auf Antrag setzt beim Neuerungstatbestand (Neuhervorkommen<br />
von Tatsachen oder Beweismitteln) voraus, dass diese Umstände im<br />
abgeschlossenen Verfahren ohne grobes Verschulden der Partei nicht geltend<br />
gemacht werden konnten (§ 303 Abs 1 lit b BAO).<br />
Eine Wiederaufnahme auf Antrag setzt die formelle Rechtskraft des Bescheides,<br />
der durch die Wiederaufnahme aufgehoben werden soll, voraus.<br />
Der Wiederaufnahmsantrag hat (nach § 303a Abs 1 BAO) zu enthalten:<br />
a) die Bezeichnung des Verfahrens, dessen Wiederaufnahme beantragt wird,<br />
b) die Bezeichnung der Umstände, auf die der Antrag gestützt wird,<br />
c) die Angaben, die zur Beurteilung der Rechtzeitigkeit des Antrags notwendig<br />
sind,<br />
d) bei einem auf neu hervorgekommene Tatsachen oder Beweismittel gestützten<br />
Antrag weiters Angaben, die zur Beurteilung des fehlenden groben Verschuldens<br />
an der Nichtgeltendmachung im abgeschlossenen Verfahren notwendig sind.<br />
Entspricht der Wiederaufnahmsantrag nicht diesen Inhaltserfordernissen, so ist ein<br />
Mängelbehebungsauftrag zu erlassen. Er hat den Hinweis zu enthalten, dass der<br />
Antrag nach fruchtlosem Ablauf einer gleichzeitig zu bestimmenden (verlängerbaren)<br />
Frist als zurückgenommen gilt.<br />
91
Der Mängelbehebungsauftrag ist eine verfahrensleitende Verfügung iSd §§ 94<br />
und 244 BAO (daher nicht abgesondert anfechtbar). Die Mängelbehebungsfrist<br />
ist verlängerbar; der Fristverlängerungsantrag hat keine fristhemmende Wirkung.<br />
Wird dem Mängelbehebungsauftrag nicht, nicht rechtzeitig oder nicht ausreichend<br />
entsprochen, so ist die Zurücknahme des Wiederaufnahmsantrags bescheidmäßig<br />
festzustellen. Dieser Bescheid ist mit Berufung anfechtbar.<br />
Die Ablehnung des Wiederaufnahmsantrags hat bescheidmäßig durch<br />
die Wiederaufnahmsbehörde (§ 305 BAO; siehe Abschnitt 34.4) zu erfolgen.<br />
Sie kann mit Berufung angefochten werden.<br />
Nach Eintritt der Verjährung ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens<br />
ausgeschlossen, sofern ihr nicht ein<br />
• innerhalb des Zeitraumes, bis zu dessen Ablauf die amtswegige Wiederaufnahme<br />
unter der Annahme einer Verjährungsfrist (§§ 207 bis 209 Abs 2 BAO) von sieben<br />
Jahren zulässig wäre, oder<br />
• vor dem Ablauf einer Frist von fünf Jahren nach Eintritt der Rechtskraft des<br />
das Verfahren abschließenden Bescheides<br />
eingebrachter Wiederaufnahmsantrag zugrunde liegt (§ 304 BAO).<br />
34.3 Wiederaufnahme von Amts wegen (§ 303 Abs 4 BAO)<br />
Eine amtswegige Wiederaufnahme setzt (abgesehen vom Vorliegen von Wiederaufnahmsgründen)<br />
voraus, dass das Verfahren mit Bescheid abgeschlossen ist.<br />
Dieser Bescheid muss noch nicht formell rechtskräftig sein.<br />
Für den Neuerungstatbestand (Neuhervorkommen von Tatsachen oder<br />
Beweismitteln) ist der behördliche Wissensstand im jeweiligen Verfahren<br />
(im Zeitpunkt der seinerzeitigen Bescheiderlassung) maßgebend.<br />
Ein Verschulden der Abgabenbehörde daran, nicht bereits damals die<br />
maßgebenden Umstände ermittelt zu haben, steht einer amtswegigen<br />
Wiederaufnahme grundsätzlich nicht entgegen.<br />
Die amtswegige Wiederaufnahme liegt im Ermessen. Nach dem Normzweck ist idR<br />
dem Prinzip der Rechtsrichtigkeit (Gleichmäßigkeit der Besteuerung) der Vorrang<br />
vor jenem der Rechtsbeständigkeit zu geben. Dies gilt auch für sich zu Gunsten der<br />
Partei auswirkende Wiederaufnahmen (zB wenn eine Schätzung wegen Nichteinreichung<br />
der Abgabenerklärung erfolgte).<br />
92
Gegen die Verfügung einer Wiederaufnahme können ua sprechen<br />
• Geringfügigkeit der Auswirkungen,<br />
• Missverhältnis zwischen den Folgen des Wiederaufnahmsgrundes<br />
und den abgabenrechtlichen Auswirkungen insgesamt,<br />
• Treu und Glauben (siehe Abschnitt 12.7),<br />
• Uneinbringlichkeit der Nachforderung.<br />
In der Begründung des Wiederaufnahmsbescheides sind ua die<br />
Wiederaufnahmsgründe anzuführen und die für die Ermessensübung<br />
maßgeblichen Überlegungen darzustellen.<br />
Die Nichtanführung der Wiederaufnahmsgründe ist im Berufungsverfahren<br />
nicht sanierbar.<br />
Nach Ablauf der Verjährungsfrist ist eine amtswegige Wiederaufnahme<br />
des Verfahrens ausgeschlossen (§ 304 BAO).<br />
34.4 Zuständigkeit zur Wiederaufnahme (§ 305 BAO)<br />
Die Entscheidung über die Wiederaufnahme steht der Abgabenbehörde zu,<br />
die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat.<br />
Nach dem Übergang der Zuständigkeit hat die neu zuständige Abgabenbehörde<br />
über die Wiederaufnahme zu entscheiden.<br />
34.5 Wiederaufnahmsverfahren (§ 307 BAO)<br />
Mit dem die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligenden oder verfügenden<br />
Bescheid ist unter gleichzeitiger Aufhebung des früheren Bescheides die das<br />
wiederaufgenommene Verfahren abschließende Sachentscheidung zu verbinden<br />
(§ 307 Abs 1 BAO).<br />
Der die Wiederaufnahme bewilligende oder verfügende Bescheid und der neue<br />
Sachbescheid sind zwei voneinander unabhängig anfechtbare Bescheide.<br />
Wird der die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligende oder verfügende<br />
Bescheid aufgehoben (zB mit Berufungsvorentscheidung oder gemäß § 299 BAO),<br />
so tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor seiner Wiederaufnahme<br />
befunden hat (§ 307 Abs 3 BAO).<br />
93
In der neuen Sachentscheidung sind, soweit die Änderungsbefugnis nicht<br />
eingeschränkt ist (zB zufolge § 289 Abs 3 BAO; siehe Abschnitt 26.16.3),<br />
Änderungen nicht nur hinsichtlich von Wiederaufnahmsgründen berührter<br />
Bescheidelemente zulässig.<br />
35. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§§ 308 bis 310 BAO)<br />
35.1 Fristversäumnis, Wiedereinsetzungsgründe<br />
Gegen die Versäumung einer Frist ist auf Antrag der Partei, die durch die<br />
Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen<br />
Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein<br />
unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist<br />
einzuhalten (§ 308 Abs 1 BAO).<br />
Trifft die Partei (bzw ihren Vertreter) an der Fristversäumung ein Verschulden,<br />
so steht dies einer Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht entgegen, wenn es<br />
sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.<br />
Minderer Grad des Versehens ist leichte Fahrlässigkeit. Sie liegt nicht vor, wenn<br />
jemand auffallend sorglos handelt. Auffallend sorglos handelt, wer die im Verkehr<br />
mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und<br />
nach den persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht lässt.<br />
Wiedereinsetzbar sind Fristen unabhängig davon, ob sie gesetzliche<br />
oder behördliche, materiellrechtliche oder verfahrensrechtliche sind.<br />
Wiedereinsetzbar sind zB Berufungsfristen, Vorlageantragsfristen, Zahlungsfristen,<br />
Mängelbehebungsfristen, Abgabenerklärungsfristen, Wiedereinsetzungsfristen.<br />
Ein Ereignis ist jedes Geschehen, also nicht nur ein Vorgang in der Außenwelt,<br />
sondern auch ein psychischer Vorgang wie Vergessen, Verschreiben, sich Irren.<br />
Unvorhergesehen ist ein Ereignis, das die Partei nicht einberechnet hat und<br />
dessen Eintritt sie auch unter Bedachtnahme auf die ihr persönlich zumutbare<br />
Aufmerksamkeit und Sorgfalt nicht erwarten konnte.<br />
94
Unabwendbar ist ein Ereignis dann, wenn es die Partei mit den einem Durchschnittsmenschen<br />
zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nicht verhindern konnte,<br />
auch wenn sie dessen Eintritt voraussah.<br />
35.2 Antrag auf Wiedereinsetzung<br />
Einzubringen ist der Antrag binnen einer Frist von drei Monaten nach Aufhören<br />
des Hindernisses<br />
• bei der Abgabenbehörde, bei der die Frist versäumt wurde,<br />
• bei Versäumung der Berufungsfrist oder der Vorlageantragsfrist bei der<br />
Abgabenbehörde erster oder zweiter Instanz (§ 308 Abs 3 BAO),<br />
• bei Übergang der Zuständigkeit auch bei der neu zuständigen Abgabenbehörde<br />
erster Instanz (§ 308 Abs 4 BAO).<br />
Die Antragsfrist ist eine nicht verlängerbare Ausschlussfrist.<br />
Der Wiedereinsetzungsantrag hat (nach § 309a Abs 1 BAO) zu enthalten:<br />
a) die Bezeichnung der versäumten Frist,<br />
b) die Bezeichnung des unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignisses,<br />
c) die Angaben, die zur Beurteilung des fehlenden groben Verschuldens an der<br />
Fristversäumung notwendig sind,<br />
d) die Angaben, die zur Beurteilung der Rechtzeitigkeit des Antrags notwendig sind.<br />
Fehlen diese Inhaltserfordernisse, so ist mit Mängelbehebungsauftrag vorzugehen<br />
(§ 309a Abs 2 BAO).<br />
Der Antragsteller hat die versäumte Handlung spätestens gleichzeitig<br />
mit dem Wiedereinsetzungsantrag nachzuholen (§ 308 Abs 3 BAO).<br />
Nach Ablauf von fünf Jahren ab dem Ende der versäumten Frist ist ein Antrag<br />
auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht mehr zulässig (§ 309 BAO).<br />
35.3 Bewilligung der Wiedereinsetzung (§ 310 BAO)<br />
Zuständig zur Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag ist<br />
• die Abgabenbehörde, bei der die Handlung versäumt wurde,<br />
• bei Versäumung einer Berufungsfrist oder einer Vorlageantragsfrist<br />
die Abgabenbehörde erster Instanz,<br />
• bei Übergang der Zuständigkeit die neu zuständige Abgabenbehörde.<br />
95
Wird die Wiedereinsetzung bewilligt, so tritt das Verfahren in die Lage zurück,<br />
in der es sich vor dem Eintritt der Versäumung befunden hat (§ 310 Abs 3 erster<br />
Satz BAO). Ein Bescheid über die Zurückweisung des Anbringens (zB der Berufung)<br />
als verspätet scheidet somit durch die Bewilligung der Wiedereinsetzung aus dem<br />
Rechtsbestand aus.<br />
Soweit die versäumte Handlung erst die Einleitung eines Verfahrens zur Folge gehabt hätte<br />
(zB Antrag auf Veranlagung gemäß § 41 Abs 2 EStG 1988), ist durch die Bewilligung der<br />
Wiedereinsetzung die ursprünglich versäumte Handlung als rechtzeitig vorgenommen anzusehen<br />
(§ 310 Abs 3 zweiter Satz BAO).<br />
Die Ablehnung (Zurückweisung, Abweisung) des Wiedereinsetzungsantrages<br />
ist mit Berufung bzw mit Beschwerde beim VfGH und beim VwGH anfechtbar.<br />
96