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Rolf Netzmann<br />
Nur 11 Tage<br />
Der Duft lag sehr <strong>de</strong>zent in <strong>de</strong>r Luft. Er blieb in <strong>de</strong>r Diele stehen und nahm ihn auf, einen sehr<br />
herben, fast schon stechen<strong>de</strong>n Duft. Ob es After Shave o<strong>de</strong>r Deo war, vermochte er nicht zu<br />
sagen. Nur eines wusste er ganz sicher, es war nicht seiner. Sie hat einen an<strong>de</strong>ren, dachte er. Er<br />
begann zu zittern, musste sich setzen, atmete tief durch. Er beschloss, das Ganze erst einmal<br />
weiter zu beobachten.<br />
Ich bin ein I<strong>de</strong>alist, dachte er wie<strong>de</strong>r, als er sich einloggte, um <strong>de</strong>n Kontostand abzufragen. Er<br />
kannte keinen seiner Freun<strong>de</strong>, <strong>de</strong>r mit seiner Frau ein gemeinsames Konto führte. Was war das?<br />
Eine Einzahlung in Höhe von 99,99 Euro war da verzeichnet, und kein Vermerk, wer diese Summe<br />
eingezahlt hatte. Gestern war sie <strong>de</strong>m Konto gut geschrieben wor<strong>de</strong>n. Sehr seltsam, er holte tief<br />
Luft. Als er seine Frau darauf ansprach, lächelte sie nur.<br />
Einige Tage später, am frühen Morgen, wollte er wie immer ein frisches Hemd aus <strong>de</strong>m Schrank<br />
nehmen. Er glaubte seinen Augen nicht zu trauen. 11 Stapel lagen da, immer zwei Hem<strong>de</strong>n<br />
übereinan<strong>de</strong>r.<br />
Als er seine Frau darauf ansprach, lächelte sie nur.<br />
Wenige Zeit später hing ein neuer Duft, fremd, doch nicht so herb wie <strong>de</strong>r erste, in <strong>de</strong>r Luft. Er<br />
konnte ihn nicht zuordnen. Seine Frau lächelte nur.<br />
88,88 Euro war <strong>de</strong>r Zahlungseingang auf <strong>de</strong>m Konto und das genau 11 Tage nach <strong>de</strong>m ersten,<br />
unbekannten Gel<strong>de</strong>ingang. Er begann ein System zu erkennen, nur verstand er nicht, was es<br />
be<strong>de</strong>utete. Und immer, wenn er seine Hem<strong>de</strong>n or<strong>de</strong>ntlich alle übereinan<strong>de</strong>r gelegt hatte, lagen<br />
sie nur wenig später wie<strong>de</strong>r als 11 Stapel nebeneinan<strong>de</strong>r.<br />
Er begann, heimlich die Emails seiner Frau zu lesen, ohne etwas Verdächtiges zu ent<strong>de</strong>cken. Ihre<br />
Freundinnen, viel Werbung, ein frem<strong>de</strong>r Mann war nicht dabei.<br />
Sie ist clever, sie versteckt ihn, das war es.<br />
Und küsste sie ihn nicht seit einiger Zeit immer elf Mal bei je<strong>de</strong>m Abschied und je<strong>de</strong>r Begrüßung<br />
und schmiegte sich dabei sogar noch an ihn? Das war neu, dieses Bedürfnis nach Zärtlichkeit<br />
hatte sie früher nicht.<br />
Er verließ mittags seine Arbeit, um die Post vor seiner Frau sehen zu können. Dass sie die Briefe<br />
ihres Lovers vor ihm versteckte, davon war er inzwischen überzeugt. Nach zwei Wochen war er nur<br />
noch enttäuscht. Viel Werbung, Rechnungen und mal eine Urlaubskarte von längst vergessenen<br />
Freun<strong>de</strong>n, das war alles.<br />
Er hatte es eilig an diesem Morgen. 500 km Autobahnfahrt lagen vor ihm. Als er einsteigen wollte,<br />
stutzte er. Auf <strong>de</strong>m Fahrersitz lagen, als Herz geformt, 11 seiner Lieblingszigarren. Sie liebt mich<br />
doch, er lachte leise.<br />
77,77 Euro, eingezahlt genau 11 Tage nach <strong>de</strong>n 88,88 Euro.<br />
Und nicht einen Cent hatte seine Frau bisher davon verbraucht, so, als ob das Geld nicht für sie<br />
wäre.<br />
War es jetzt <strong>de</strong>r zehnte o<strong>de</strong>r schon <strong>de</strong>r elfte Tag, an <strong>de</strong>m sie gekochte Kartoffeln zum Essen<br />
servierte? Er konnte es nicht sagen, nur war es ihm zuwi<strong>de</strong>r.<br />
Dezember 2012 31<br />
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