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Rüdiger Heins<br />

Lonely Stranger<br />

Das Wasser <strong>de</strong>s Aquariums ist durch die Kälte <strong>de</strong>r Nacht gefroren. Der einsame Goldfisch darin<br />

hat gera<strong>de</strong> noch so viel Platz, dass er seine Flossen sanft bewegen kann. Benedikt geht in die<br />

Küche, um einen Kessel heißen Wassers aufzustellen. Er will mit <strong>de</strong>m kochen<strong>de</strong>n Wasser das Eis<br />

zum Schmelzen bringen, damit <strong>de</strong>r Goldfisch wie<strong>de</strong>r schwimmen kann.<br />

Dann ist da noch das Loch in <strong>de</strong>r Küchentür. Onkel Franz hat es am Abend zuvor hineingetreten,<br />

um sich Eintritt zu verschaffen. Die hinter <strong>de</strong>r Küchentür stan<strong>de</strong>n, seine Mutter, seine bei<strong>de</strong>n<br />

Brü<strong>de</strong>r und Benedikt, hatten Angst. Keiner sprach ein Wort, sie sahen sich nicht an, weil sie<br />

Angst davor hatten, sich ihre Angst zu zeigen. Onkel Franz stolperte fluchend die Treppenstufen<br />

hinunter, nach<strong>de</strong>m er vor seiner eigenen Wut erschrocken war.<br />

Sie stan<strong>de</strong>n noch lange so hinter <strong>de</strong>r Küchentür mit <strong>de</strong>m Loch. Niemand bewegte sich. Nur<br />

leise atmeten sie, Benedikt schluchzte leise in sich hinein, er hielt die Katze im Arm, um sie zu<br />

trösten. Sie schnurrte. Seine Katze gab ihm ein Gefühl von Geborgenheit. Das war <strong>de</strong>r Abend vor<br />

Heilig Abend, das Loch in <strong>de</strong>r Küchentür und dann das Eis, am nächsten Morgen im Aquarium.<br />

Benedikt Grüns erste Erinnerung an Weihnachten. Damals war er vier Jahr alt. Danach gab es für<br />

ihn kein Weihnachten mehr. „Wenn das Weihnachten ist“, sagte er zu sich „soll für mich nie mehr<br />

Weihnachten sein!“<br />

In <strong>de</strong>n Straßen <strong>de</strong>r kleinen Stadt ist ein geschäftiges Treiben. Menschen eilen durch die Straßen,<br />

um die letzten Geschenke einzukaufen.<br />

Eric Clapton ist wie<strong>de</strong>r in sein Leben zurückgekehrt und während die Eiskappen <strong>de</strong>r Pole vor<br />

Wärme schmelzen, wer<strong>de</strong>n die Herzen <strong>de</strong>r Menschen immer... Da ist noch <strong>de</strong>r Blues, <strong>de</strong>r in jenen<br />

Menschen pocht, die nicht aufgegeben haben zu träumen. Dieser ungestillte Wunsch nach einem<br />

Miteinan<strong>de</strong>r. In einer Zeit, in <strong>de</strong>r keiner mehr mit jeman<strong>de</strong>m spricht und: Niemand mehr einem<br />

zuhört. Es ist Advent. Grün schleppt sich durch diese seltsame Zeit. Die Zeit <strong>de</strong>r Erwartung. Er<br />

hat das Gefühl für <strong>de</strong>n Advent verloren. Da ist nicht mehr <strong>de</strong>r Traum von innerer Harmonie, selbst<br />

<strong>de</strong>r Duft von Zimtgebäck bringt ihn nicht in Weihnachtsstimmung.<br />

Einen Tag vor Heilig Abend irrt auch er durch die Straßen dieser kleinen Stadt. Der Stadt, an <strong>de</strong>r<br />

die Nahe in <strong>de</strong>n Rhein fließt. Auch er macht noch die letzten Besorgungen für Weihnachten.<br />

Seit vielen Jahren hat es zum ersten Mal wie<strong>de</strong>r geschneit. An einer Straßenecke stehen ein paar<br />

russische Musiker, die Lie<strong>de</strong>r aus ihrer Heimat spielen. Der Hut, <strong>de</strong>r vor ihnen liegt, ist leer. Nur<br />

wenige Passanten beachten die Männer. Auch Grün nimmt keine Notiz von ihnen.<br />

Ein Weihnachtsmarkt, <strong>de</strong>r gar keiner ist, aber <strong>de</strong>r so aussehen soll, als wäre er einer, zieht sich<br />

durch die Straßen <strong>de</strong>r Fußgängerzone. Hinter <strong>de</strong>n Stän<strong>de</strong>n erwartungsvolle Menschen, die auf<br />

Käufer warten. Handgezogene Kerzen, Weihnachtsgebäck, Holzspielzeug, Räuchermännchen,<br />

bleiben auf <strong>de</strong>n Tischen liegen, einfach liegen.<br />

In einem Tabakwarenla<strong>de</strong>n kauft er sich eine kleine Holzschachtel mit kubanischen Panatellas.<br />

Zehn Stück zu 5 Euro 70. Draußen vor <strong>de</strong>r Tür zün<strong>de</strong>t er sich eine an und geht weiter. Grün hatte<br />

schon immer ein ambivalentes Verhältnis zu <strong>de</strong>n Menschen in dieser Stadt. Umgekehrt, gab es<br />

auch Menschen, die zu ihm ebenso zwiespältig begegneten. Schon früh wur<strong>de</strong> er Mitglied <strong>de</strong>r<br />

Kommunistischen Partei, um im gleichen Atemzug aus <strong>de</strong>r katholischen Kirche auszutreten. In<br />

einer Stadt wie dieser hatte jemand, <strong>de</strong>r etwas wer<strong>de</strong>n wollte, katholisch zu sein. Wollte man<br />

aber wirklich erfolgreich sein, war es nützlich Mitglied – wenn auch nur passives – <strong>de</strong>r CDU<br />

www.<strong>eXperimenta</strong>.<strong>de</strong><br />

28 Dezember 2012

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