DSS-Heft 80-2006

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24 wonach der Osten immer nur im Nachzug zu entsprechenden Schritten des Westens gehandelt habe. In vielen anderen Publikationen hält man bis zur Gegenwart an diesem schiefen Bild fest. Gestützt auf die mit der Geschichte der Kasernierten Volkspolizei gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen, kann nunmehr die nächste geschichtliche Entwicklungsetappe von 1956 bis 1971 ins Blickfeld genommen werden. Dazu sind im Forschungsbereich Militärgeschichte der DDR im Bündnis des Warschauer Paktes nicht nur weiterführende Überlegungen, sondern auch konkrete Konzeptionen vorhanden. „Auf dem Fundament einer weiter fortgeschriebenen Grundlagenforschung deuten sich schließlich die Chancen vergleichender Untersuchungen an. Vergleiche zur Militarisierung mit den sozialistischen Nachbarstaaten könnten für die Forschung von großem Gewinn sein. Die Aufarbeitung der Militärgeschichte der ehemaligen Ostblockstaaten einschließlich der Sowjetunion reicht aus vielfältigen Gründen allerdings noch lange nicht an die Forschungsstandards zur Militärgeschichte der DDR heran. Etwas besser steht es um die Möglichkeiten deutsch-deutscher Vergleiche ... Wissenschaftliche Basisarbeiten, die noch ausstehen, könnten den allgegenwärtigen Phraseologien, in beiden Armeen sei ,alles anders‘ oder ,sehr vieles sehr ähnlich‘ gewesen, mit differenzierter Argumentation begegnen. Ähnliches gilt für die Einbindung und Spielräume in den jeweiligen Bündnissen, den Vergleich von ,Amerikanisierung‘ und ,Sowjetisierung‘ in den jeweiligen Armeen, die gegenseitigen Wahrnehmungen und Bedrohungsbilder oder das parallele Betrachten von Militärkarrieren in Ost und West.“ 49 In diesem Sinne wird die Militärgeschichtsschreibung auch weiterhin einen unverzichtbaren Beitrag zur Geschichte der DDR und zur Verifizierung der Geschichte der NVA als Teil deutscher Militärgeschichte leisten. Autor: Prof. Dr. Paul Heider, Dresdener Studiengemeinschaft Sicherheitspolitik e.V. 49 H. Ehlert, M. Rogg (Hrsg.), Militär, Staat und Gesellschaft in der DDR ..., a.a.O., S. 13.

Horst Sylla 50. Jahrestag der Gründung der Nationalen Volksarmee – ein Rückblick Einleitende Bemerkungen Seit der Gründung der Nationalen Volksarmee (NVA) sind 50 Jahre vergangen, seit ihrer Auflösung mehr als 15 Jahre. Damit haben wir einen ausreichenden Abstand, der einen sachdienlichen Rückblick gestattet und eine historisch gerechte Bewertung möglich macht, bevor das Bild des Kalten Krieges im Widerstreit der Meinungen zunehmend verwischt und die Rolle der NVA weiter verfälscht wird. Die 34 jährige Existenz und das Wirken der NVA bleiben auch nach ihrer Auflösung ohne Rest ein Teil der jüngsten deutschen Militärgeschichte, der nicht ignoriert werden kann. Dienstwillige Geschichtsschreiber erfüllen ihren Delegitimierungsauftrag und verbreiten ein Gemisch von Tatsachen, Erlebnissen, Erinnerungen und ein hohes Maß an politisch motivierten Klischees. Aber Tatsachen der Militärgeschichte kennen keine Varianten. Sie entwickelten sich in einer konkret-historischen Situation und ihre Existenz akzeptiert keinen Konjunktiv. Das Recht der DDR, zur Verteidigung eigene Streitkräfte zu besitzen, entsprach dem Völkerrecht und stand bei der Mehrheit ihrer Bürger nie in Frage. „Bei objektiver Bewertung ihrer Rolle wird man nicht an der Tatsache vorbei kommen, dass die NVA zu jeder Zeit dem Frieden verpflichtet und dem Volk der DDR verbunden war.“ 1 Urteile über die NVA fordern darum zwingend die Wahrung der historischen Kausalität, eine enge Beziehung zu den Realitäten ihrer Existenz und dem tatsächlichen Wirken ihrer Soldaten. 2 Deshalb darf die Darstellung der Geschichte der NVA nicht weiterhin Gegenstand von belastenden Enthüllungen der selbsternannten Sieger bleiben und ihrer negativen Deutungshoheit überlassen werden. Das verfälschte Bild über 1 H. Modrow, Frieden ist mehr als nur ein Wort …, in: DSS-Arbeitspapiere, Heft 70, Dresden 2004, S. 19. 2 In der NVA haben 2,5 Mio. Bürger der DDR ihren Ehrendienst geleistet. Im Januar 1989 erklärte eine stabile Mehrheit – 75 Prozent der Soldaten im Grundwehrdienst, 90 Prozent der Unteroffiziere und fast alle Offiziere, dass sie sich mit der DDR eng verbunden fühlen, Militärsoziologische Analyse vom Mai 1989. 25

Horst Sylla<br />

50. Jahrestag der Gründung der Nationalen<br />

Volksarmee – ein Rückblick<br />

Einleitende Bemerkungen<br />

Seit der Gründung der Nationalen Volksarmee (NVA) sind 50 Jahre vergangen,<br />

seit ihrer Auflösung mehr als 15 Jahre. Damit haben wir einen ausreichenden<br />

Abstand, der einen sachdienlichen Rückblick gestattet und eine historisch<br />

gerechte Bewertung möglich macht, bevor das Bild des Kalten Krieges<br />

im Widerstreit der Meinungen zunehmend verwischt und die Rolle der NVA<br />

weiter verfälscht wird.<br />

Die 34 jährige Existenz und das Wirken der NVA bleiben auch nach ihrer<br />

Auflösung ohne Rest ein Teil der jüngsten deutschen Militärgeschichte, der nicht<br />

ignoriert werden kann. Dienstwillige Geschichtsschreiber erfüllen ihren Delegitimierungsauftrag<br />

und verbreiten ein Gemisch von Tatsachen, Erlebnissen,<br />

Erinnerungen und ein hohes Maß an politisch motivierten Klischees. Aber<br />

Tatsachen der Militärgeschichte kennen keine Varianten. Sie entwickelten sich<br />

in einer konkret-historischen Situation und ihre Existenz akzeptiert keinen<br />

Konjunktiv.<br />

Das Recht der DDR, zur Verteidigung eigene Streitkräfte zu besitzen, entsprach<br />

dem Völkerrecht und stand bei der Mehrheit ihrer Bürger nie in Frage.<br />

„Bei objektiver Bewertung ihrer Rolle wird man nicht an der Tatsache vorbei<br />

kommen, dass die NVA zu jeder Zeit dem Frieden verpflichtet und dem Volk<br />

der DDR verbunden war.“ 1 Urteile über die NVA fordern darum zwingend<br />

die Wahrung der historischen Kausalität, eine enge Beziehung zu den Realitäten<br />

ihrer Existenz und dem tatsächlichen Wirken ihrer Soldaten. 2<br />

Deshalb darf die Darstellung der Geschichte der NVA nicht weiterhin Gegenstand<br />

von belastenden Enthüllungen der selbsternannten Sieger bleiben und ihrer<br />

negativen Deutungshoheit überlassen werden. Das verfälschte Bild über<br />

1 H. Modrow, Frieden ist mehr als nur ein Wort …, in: <strong>DSS</strong>-Arbeitspapiere, <strong>Heft</strong> 70,<br />

Dresden 2004, S. 19.<br />

2 In der NVA haben 2,5 Mio. Bürger der DDR ihren Ehrendienst geleistet. Im Januar 1989<br />

erklärte eine stabile Mehrheit – 75 Prozent der Soldaten im Grundwehrdienst, 90 Prozent der<br />

Unteroffiziere und fast alle Offiziere, dass sie sich mit der DDR eng verbunden fühlen,<br />

Militärsoziologische Analyse vom Mai 1989.<br />

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