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Eingliederungshilfe - FdR

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fachverband<br />

drogen- und<br />

suchthilfe e.V.<br />

Marina Knobloch / Rüdiger Lenski<br />

Stellungnahme<br />

zu Leistungen der<br />

<strong>Eingliederungshilfe</strong><br />

für abhängigkeitskranke<br />

Menschen


Inhaltsverzeichnis<br />

Stellungnahme zu Leistungen der <strong>Eingliederungshilfe</strong> für abhängigkeitskranke Menschen<br />

1. Einleitung .................................................................................................................... 3<br />

2. Leistungen der <strong>Eingliederungshilfe</strong> für abhängigkeitskranke Menschen ............................. 4<br />

2.1 Gesetzliche Zuordnung der <strong>Eingliederungshilfe</strong> .............................................................. 4<br />

2.2 Einrichtungen und Hilfen der <strong>Eingliederungshilfe</strong> für abhängigkeitskranke Menschen4<br />

2.2.1 Ambulante und teilstationäre Hilfen für abhängigkeitskranke Menschen .................. 5<br />

2.2.2 Wohnheime als stationäre Einrichtungen für abhängigkeitskranke Menschen............ 8<br />

2.3 Andere Leistungen der <strong>Eingliederungshilfe</strong> ........................................................... 11<br />

2.3.1 Leistungen zur Pflege ......................................................................................... 11<br />

2.3.2 Trägerübergreifendes Persönliches Budget ............................................................ 11<br />

3. Überlegungen zur Zukunft von <strong>Eingliederungshilfe</strong>leistungen für die Suchthilfe .............. 13<br />

4. Quellenverzeichnis ...................................................................................................... 15<br />

Marina Knobloch ist Referentin und Leiterin des Büros für Suchthilfe des ( fdr ) in Erfurt<br />

Rüdiger Lenski ist im Fachbereich Jugend des Jugend- und Sozialamt der Stadt Frankfurt tätig und<br />

Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des ( fdr ) .<br />

„ Fachverband Drogen- und Suchthilfe e.V.<br />

Odeonstr. 14 30159 Hannover<br />

Tel.: 0511 18333 Fax 0511 18326<br />

Email: mail@fdr-online.info<br />

www.fdr.online.info<br />

August 2011<br />

2


1. Einleitung<br />

Stellungnahme zu Leistungen der <strong>Eingliederungshilfe</strong> für abhängigkeitskranke Menschen<br />

Abhängigkeitserkrankungen zählen zu den häufigsten psychischen Erkrankungen. Menschen, die<br />

von einem Suchtmittel abhängig sind, können in der Regel für einen bestimmten Zeitraum nicht<br />

mehr uneingeschränkt an den verschiedenen Lebensbereichen teilnehmen. In der Sozialgesetz-<br />

gebung werden diese Menschen, bei denen entsprechend der Klassifikation der Weltgesundheitsor-<br />

ganisation (WHO) die individuellen Fähigkeiten nicht nur vorübergehend eingeschränkt sind, als<br />

behindert (§ 2, Absatz 1, Sozialgesetzbuch IX) bezeichnet.<br />

Abhängigkeitserkrankungen sind per Gesetz den seelischen Störungen zugeordnet. Eine Klassifizie-<br />

rung des Schweregrades der Erkrankung ist die Voraussetzung, um entsprechende Interventionen<br />

vorzubereiten. Neben der ICD-10 (Internationale Klassifikation der Krankheiten) und DSM IV (Diag-<br />

nostisches und Statistisches Handbuch Psychischer Störungen) beschreibt die ICF (Internationale<br />

Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit) fachübergreifend den funkti-<br />

onalen Gesundheitszustand, die Behinderung, die soziale Beeinträchtigung und relevante Umge-<br />

bungsfaktoren. Mit der ICF ist es möglich, eine wesentliche Einschränkung der Teilhabefähigkeit<br />

als Folge einer wesentlich seelischen Behinderung nach dem Sozialgesetzbuch XII (SGB XII) zu di-<br />

agnostizieren.<br />

Abhängigkeitskranke Menschen, die wesentlich seelisch behindert sind, benötigen Hilfen, die eine<br />

Teilhabe am Arbeitsleben und am Leben in der Gemeinschaft zum Ziel haben. Diese Hilfen sollten<br />

dem individuellen Bedarf des einzelnen Menschen entsprechen und nicht an Institutionen und Ein-<br />

richtungen halt machen. Eine schrittweise Heranführung an den Arbeitsmarkt und eine (Wieder-)<br />

Eingliederung in die Gesellschaft schließen ein, dass multiple Vermittlungshemmnisse wie Bil-<br />

dungsdefizite, körperliche und psychische Einschränkungen, fehlendes Selbstbewusstsein, Kommu-<br />

nikationsdefizite und Delinquenz im Rahmen der <strong>Eingliederungshilfe</strong> individuell bearbeitet werden<br />

können. Hierzu steht eine Reihe von Möglichkeiten zur Verfügung.<br />

Voraussetzung zur Umsetzung der <strong>Eingliederungshilfe</strong> ist eine ineinandergreifende Arbeit von<br />

Fachkräften der Medizin, Psychologie und Sozialarbeit. Entsprechend der Diagnose sind - unter<br />

Einbeziehung des Hilfe Suchenden - individuelle Maßnahmen zu planen und in definierten zeitli-<br />

chen Abständen zu überprüfen. Eine Leistungsbewilligung darf nicht daran scheitern, dass gefor-<br />

derte passgenaue Hilfen vor Ort bzw. in der Region nicht vorhanden sind, jedoch in einem anderen<br />

Bundesland durchgeführt werden könnten.<br />

<strong>Eingliederungshilfe</strong> sollte für diejenigen Menschen in Anspruch genommen werden dürfen, die sie<br />

benötigen, also Menschen, die wesentlich seelisch behindert sind. <strong>Eingliederungshilfe</strong> sollte ent-<br />

sprechend des individuellen Bedarfes jeder einzelnen Person greifen. Menschen, die mittel- bis<br />

langfristig in die Gesellschaft eingegliedert werden, finden wieder einen Sinn im Leben, haben eine<br />

Perspektive und nützen unserer Gesellschaft.<br />

Die 87. Arbeits- und Sozialministerkonferenz (ASMK) hat am 25./26. November 2010 eine Neu-<br />

strukturierung der <strong>Eingliederungshilfe</strong> zur Entlastung der Kommunen beschlossen. Zur Zeit ist<br />

nicht absehbar, welche Auswirkungen das haben wird,<br />

3


Stellungnahme zu Leistungen der <strong>Eingliederungshilfe</strong> für abhängigkeitskranke Menschen<br />

2. Leistungen der <strong>Eingliederungshilfe</strong> für abhängigkeitskranke<br />

Menschen<br />

2.1 Gesetzliche Zuordnung der <strong>Eingliederungshilfe</strong><br />

Die <strong>Eingliederungshilfe</strong> für behinderte Menschen ist eine Leistung der Sozialhilfe, die seit dem<br />

1. Januar 2005 in das Sozialgesetzbuch - Zwölftes Buch (SGB XII) übernommen wurde. Nach §<br />

53 SGB XII erhält derjenige Leistungen der <strong>Eingliederungshilfe</strong>, der wesentlich in seiner Fä-<br />

higkeit, an der Gesellschaft teilzunehmen, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen<br />

Beeinträchtigung bedroht ist, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalls, insbe-<br />

sondere nach Art und Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgaben der Ein-<br />

gliederungshilfe erfüllt werden können.<br />

Neben der <strong>Eingliederungshilfe</strong> in der Sozialhilfe (SGB XII) existiert auch eine Eingliederungs-<br />

hilfe in der Jugendhilfe (SGB VIII). Es handelt sich um Leistungen für seelisch behinderte Ju-<br />

gendliche und junge Volljährige (bis 27 Jahre). Rechtsgrundlage ist § 35 a SGB VIII und – in-<br />

soweit es sich um junge Volljährige handelt - § 41 SGB VIII. Der Jugendhilfeträger ist Kosten-<br />

träger, soweit die Krankenkasse die Aufwendungen für die notwendige Behandlung nicht<br />

übernimmt bzw. ein Versicherungsschutz nicht besteht.<br />

Nach § 54 SGB XII gehören zu den Leistungen der <strong>Eingliederungshilfe</strong> auch Leistungen zur<br />

Teilhabe am Arbeitsleben nach § 33 SGB IX. Um die Erwerbsfähigkeit behinderter und von Be-<br />

hinderung bedrohter Menschen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu verbes-<br />

sern, herzustellen oder wiederherzustellen, werden nach § 33 Abs. 6 SGB IX medizinische,<br />

psychologische und pädagogische Hilfen angeboten. Dazu zählen u. a. die Aktivierung von<br />

Selbsthilfepotentialen, Hilfen zur seelischen Stabilisierung und zur Förderung der sozialen<br />

Kompetenz, Training lebenspraktischer Fähigkeiten, Anleitung und Motivation zur Inan-<br />

spruchnahme von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben usw.<br />

Anspruch auf <strong>Eingliederungshilfe</strong> besteht nur nachrangig, wenn die Hilfe nicht von einem<br />

vorrangig verpflichteten Leistungsträger gewährt wird. Auch Einkommen und Vermögen<br />

des/der Klienten/in sind vorrangig einzusetzen.<br />

Leistungsempfänger nach dem SGB XII erhalten regelhaft nur dann Leistungen vom Träger der<br />

Sozialhilfe, wenn eine Vereinbarung nach §§ 75 ff. SGB XII geschlossen wird. § 79 SGB XII<br />

sieht ferner Landesrahmenverträge zwischen den Spitzenverbänden vor.<br />

2.2 Einrichtungen und Hilfen der <strong>Eingliederungshilfe</strong> für abhängig-<br />

keitskranke Menschen<br />

§ 13 SGB XII Leistungen für Einrichtungen, Vorrang anderer Leistungen<br />

(1) Die Leistungen können entsprechend den Erfordernissen des Einzelfalles für die Deckung des<br />

Bedarfs außerhalb von Einrichtungen (ambulante Leistungen), für teilstationäre oder stationäre<br />

Einrichtungen (teilstationäre oder stationäre Leistungen) erbracht werden. Vorrang haben ambu-<br />

lante Leistungen vor teilstationären und stationären Leistungen sowie teilstationäre vor stationä-<br />

ren Leistungen. Der Vorrang der ambulanten Leistung gilt nicht, wenn eine Leistung für eine ge-<br />

4


Stellungnahme zu Leistungen der <strong>Eingliederungshilfe</strong> für abhängigkeitskranke Menschen<br />

eignete stationäre Einrichtung zumutbar und eine ambulante Leistung mit unverhältnismäßigen<br />

Mehrkosten verbunden ist. Bei der Entscheidung ist zunächst die Zumutbarkeit zu prüfen. Dabei<br />

sind die persönlichen, familiären und örtlichen Umstände angemessen zu berücksichtigen. Bei Un-<br />

zumutbarkeit ist ein Kostenvergleich nicht vorzunehmen.<br />

(2) Einrichtungen im Sinne des Absatzes 1 sind alle Einrichtungen, die der Pflege, der Behandlung<br />

oder sonstigen nach diesem Buch zu deckenden Bedarfe oder der Erziehung dienen.<br />

Die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen hat in der Bundesrepublik Gesetzeskraft.<br />

Artikel 19 Abs. 2 sieht vor, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt die Möglichkeit ha-<br />

ben, ihren Aufenthaltsort zu wählen und zu entscheiden, wo und mit wem sie leben und nicht<br />

verpflichtet sind, in besonderen Wohnformen zu leben. Der Sozialhilfeträger kann daher nicht<br />

mehr auf eine kostengünstigere stationäre Versorgung bestehen, wenn der Klient in seiner ge-<br />

wohnten Umgebung verbleiben möchte. Das gilt allerdings nicht, wenn ein Ortwechsel medizinisch<br />

indiziert ist.<br />

2.2.1 Ambulante und teilstationäre Hilfen für abhängigkeitskranke<br />

Menschen<br />

Betreutes Wohnen als ambulante Leistung außerhalb einer Einrichtung<br />

Nach § 53 SGB XII kann im Sinne der <strong>Eingliederungshilfe</strong> ambulante Leistung zum betreuten<br />

Wohnen erbracht werden. Das Prinzip „ambulant vor stationär“ stützend soll mit dieser Maß-<br />

nahme stationäre Hilfe vermieden werden. Andererseits kann ambulantes betreutes Wohnen<br />

eine Möglichkeit sein, eine vorangegangene stationäre Maßnahme auf dem Weg der Wieder-<br />

eingliederung zu unterstützen und damit erneute stationäre Aufenthalte verhindern helfen.<br />

Das ambulante betreute Wohnen richtet sich an über 18-jährige Frauen und Männer mit einer<br />

drohenden oder bereits vorhandenen wesentlichen (seelischen) Behinderung im Sinne des Ge-<br />

setzes. Die Hilfeempfänger/-innen wohnen im eigenen oder von Hilfeeinrichtungen zur Ver-<br />

fügung gestellten Wohnraum und werden dort von entsprechend ausgebildetem Fachpersonal<br />

(i. d. R. Sozialpädagogen/Sozialarbeiter) über einen bestimmten Zeitraum begleitet bzw. be-<br />

treut. Im Betreuten Wohnen können im Rahmen der sachlichen Zuständigkeit der Jugendhilfe<br />

auch 16- und 17-Jährige Aufnahme finden.<br />

Ziel der Betreuung ist es, die Hilfe Suchenden zu einer möglichst autonomen Lebensführung<br />

zu befähigen, eine Unabhängigkeit von fremden Hilfen zu erlangen und eine vollständige In-<br />

tegration in die Gesellschaft zu ermöglichen. Dazu ist es notwendig, die Folgen der aktuell<br />

existierenden Behinderung zu mildern oder zu beseitigen, um eine stationäre Behandlung zu<br />

vermeiden.<br />

Zur Erreichung der Ziele wird auf Grundlage der individuellen Fähigkeiten und Ressourcen<br />

gemeinsam mit dem Hilfe Suchenden ein Hilfeplan erstellt, der in regelmäßigen Abständen<br />

überprüft und ggf. nachgebessert wird.<br />

5


Stellungnahme zu Leistungen der <strong>Eingliederungshilfe</strong> für abhängigkeitskranke Menschen<br />

Wenn es um die Bewältigung des Alltags geht, müssen gesundheitliche, finanzielle, berufliche<br />

und soziale Aufgaben in Angriff genommen werden. Dazu gehören die Auseinandersetzung<br />

mit der Krankheit, die Motivation zu einer abstinenten Lebensweise oder die Handlungsfähig-<br />

keit bei einem drohenden Rückfall genauso wie die Unterstützung bei der wirtschaftlichen<br />

Haushaltsführung oder Schuldenregulierung. Lebenspraktische Beratungen im Kontakt und<br />

Umgang mit Behörden, beim Ausfüllen von Formularen und Anträgen, bei der Erarbeitung ei-<br />

ner Tagesstruktur oder Freizeitgestaltung helfen, den Alltag zu erleichtern und sinnvoll aus-<br />

zufüllen. Zur Erarbeitung einer beruflichen Perspektive kann die Zusammenstellung von Be-<br />

werbungsunterlagen unterstützt, Maßnahmen der beruflichen Fort- und Weiterbildung recher-<br />

chiert, Gespräche bei potentiellen Arbeitgebern vorbereitet und Praktika organisiert werden.<br />

Da aufgrund der Suchterkrankung nicht selten Beziehungen zu Bruch und Freundschaften<br />

auseinander gegangen sind, ist es in dieser Phase wichtig, einer völligen Isolation und Verein-<br />

samung vorzubeugen. Hierzu sollten soziale Kontakte gefördert und neue Beziehungen unter-<br />

stützt werden. Dabei ist es wichtig, den Umgang mit Konflikten zu üben und Frustration aus-<br />

zuhalten.<br />

Unterstützend sind Gruppengespräche mit anderen Hilfe Suchenden, die sich in der Regel in<br />

einer ähnlichen Situation befinden, um miteinander Erfahrungen auszutauschen und sich ge-<br />

genseitig zu motivieren.<br />

Die Leistungserbringer sind im Rahmen des ambulanten betreuten Wohnens sowohl für die di-<br />

rekten Leistungen am Hilfe Suchenden (klientenbezogene Aufgaben) als auch für koordinie-<br />

rende Leistungen (klientenübergreifende Aufgaben) und für indirekte Leistungen (Arbeitsab-<br />

lauf, Qualität) verantwortlich.<br />

Die Dauer der Hilfe im betreuten Wohnen richtet sich nach den Erfordernissen des Einzelfalls.<br />

Hierzu ist regelmäßig (aber mindestens einmal im Jahr) zwischen Leistungserbringer und<br />

Leistungsträger zu vereinbaren, mit welcher Hilfe dem Bedarf entsprochen werden kann. Die<br />

Vergütung erfolgt in der Regel über Fachleistungsstunden.<br />

Zielunterstützend ist es, wenn die abhängigkeitskranke Person im Rahmen des betreuten<br />

Wohnens begleitende Hilfe erhält und gleichzeitig ein tagesstrukturierendes Angebot wahr-<br />

nehmen kann. Tagesstrukturierende Möglichkeiten bieten Tagesstätten als teilstationäre Ein-<br />

richtungen der <strong>Eingliederungshilfe</strong>, tagesstrukturierende Angebote innerhalb einer stationä-<br />

ren Einrichtung (Wohnheim/Übergangswohnheim) der <strong>Eingliederungshilfe</strong> und der Hilfe zur<br />

Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten sowie ambulante Maßnahmen der Arbeit<br />

und Beschäftigung der <strong>Eingliederungshilfe</strong> und der Eingliederungsleistungen nach dem Sozi-<br />

algesetzbuch II (SGB II).<br />

Arbeitsbezogene tagesstrukturierende Hilfen<br />

Neben den Eingliederungsleistungen nach dem SGB II (für erwerbsfähige behinderte Hilfebe-<br />

dürftige) können als tagesstrukturierende Maßnahme mit dem Ziel der Eingliederung in Arbeit<br />

auch Leistungen der <strong>Eingliederungshilfe</strong> nach dem SGB XII in Anspruch genommen werden.<br />

Nach § 54 Absatz 1 Nr. 4 SGB XII sind Leistungen der <strong>Eingliederungshilfe</strong> in vergleichbaren<br />

sonstigen Beschäftigungsstätten nach § 56 möglich. Im § 56 SGB XII wird Bezug genommen<br />

auf § 41 des Neunten Buches (SGB IX), wonach Hilfe in vergleichbaren sonstigen Beschäfti-<br />

gungsstätten einer anerkannten Werkstatt für behinderte Menschen geleistet werden kann.<br />

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Stellungnahme zu Leistungen der <strong>Eingliederungshilfe</strong> für abhängigkeitskranke Menschen<br />

Leistungen für behinderte Menschen können laut § 41 Absatz 1 Nr. 1 und 2 SGB IX in einer<br />

anerkannten Werkstatt dann erbracht werden, wenn eine Beschäftigung auf dem allgemeinen<br />

Arbeitsmarkt oder Berufsvorbereitung, berufliche Anpassung und Weiterbildung oder berufli-<br />

che Ausbildung (§ 33 Abs. 3 Nr. 2 bis 4) wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht, noch<br />

nicht oder nicht wieder in Betracht kommen und die in der Lage sind, wenigstens ein Min-<br />

destmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung zu erbringen. Die Leistungen sind u.<br />

a. gerichtet auf die Erhaltung und Verbesserung der im Berufsbildungsbereich erworbenen<br />

Leistungsfähigkeit und zur Weiterentwicklung der Persönlichkeit sowie zur Förderung des<br />

Übergangs auf den allgemeinen Arbeitsmarkt.<br />

Tagesstätten als teilstationäre Einrichtungen nach § 13 Absatz 1 SGB XII<br />

Leistungen der <strong>Eingliederungshilfe</strong> nach dem SGB XII können Menschen mit Suchtproblemen<br />

in Tagesstätten als einer teilstationären Einrichtung nach § 13 Abs. 1 SGB XII erhalten.<br />

Die teilstationäre Betreuung muss mit einer Aufnahme in ein Gebäude oder in irgendeine an-<br />

dere Räumlichkeit verbunden sein. Der Unterschied zur ambulanten Betreuung liegt einmal im<br />

zeitlichen Moment und zum anderen in einer Erweiterung des Verantwortungsbereichs für den<br />

Träger der Einrichtung. Voraussetzung ist, dass eine umfassende Hilfe gewährt wird und diese<br />

sich in der Regel nicht lediglich auf einen unbedeutenden Teil des Tages erstreckt (s. auch Ur-<br />

teil des Bundesverwaltungsgerichts vom 22.05.1975 VC 9/74 FEVS Bd. 23 S. 403). Anderenfalls<br />

handelt es sich um eine ambulante Betreuung. Für die ebenfalls die Zuständigkeit des Trägers<br />

der Sozialhilfe gegeben ist.<br />

Zielgruppe der Tagesstätte der <strong>Eingliederungshilfe</strong> sind seelisch wesentlich behinderte Men-<br />

schen, die mit ihrer Substanzabhängigkeit multiple Problemstrukturen aufweisen. Eine famili-<br />

äre Anbindung ist meistens noch gegeben. Die Hilfebedürftigen wohnen entweder in einer<br />

Einrichtung des ambulanten betreuten Wohnens, bei der eigenen Familie oder selbständig in<br />

der eigenen Wohnung.<br />

Seelisch wesentlich behinderte Menschen sind nach § 3 der Verordnung zu § 60 SGB XII (Ein-<br />

gliederungshilfe-Verordnung) Menschen, deren seelische Störungen eine wesentliche Ein-<br />

schränkung der Teilhabefähigkeit im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII zur Folge haben<br />

können. Dies sind<br />

1. körperlich nicht begründbare Psychosen,<br />

2. seelische Störungen als Folge von Krankheiten oder Verletzungen des Gehirns, von<br />

Anfallsleiden oder von anderen Krankheiten oder körperlichen Beeinträchtigungen,<br />

3. Suchtkrankheiten,<br />

4. Neurosen und Persönlichkeitsstörungen.<br />

Hierbei kann es sich um Erwerbsfähige im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB II handeln, aber auch um<br />

voll Erwerbsgeminderte im Sinne des § 41 Abs. 1 SGB XII.<br />

Der Bezug von Grundsicherung für Arbeitsuchende schließt den Bezug von <strong>Eingliederungshilfe</strong><br />

für Behinderte gem. §§ 53 ff. SGB XII nicht aus. § 21 SGB XII besagt lediglich, dass Erwerbsfä-<br />

hige im Sinne des SGB II keine Hilfe zum Lebensunterhalt gem. §§ 27 ff. SGB XII erhalten<br />

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Stellungnahme zu Leistungen der <strong>Eingliederungshilfe</strong> für abhängigkeitskranke Menschen<br />

können. <strong>Eingliederungshilfe</strong> gem. SGB XII und Leistungen zum Lebensunterhalt gem. SGB II<br />

sind im Einzelfall gleichzeitig von verschiedenen Leistungsträgern zu bewilligen.<br />

Der Besuch einer Tagesstätte im Rahmen der <strong>Eingliederungshilfe</strong> und die gleichzeitige Gewäh-<br />

rung von Grundsicherung für Arbeitsuchende können sich sinnvoll ergänzen. Aufgrund einer<br />

vorangegangenen medizinischen Rehabilitation oder anderer Suchthilfemaßnahmen können z.<br />

B. die physischen Folgen einer langjährigen Abhängigkeitserkrankung wirksam bearbeitet<br />

werden. Das gilt auch für psychische und soziale Schädigungen aufgrund Arbeits- bzw. Lang-<br />

zeitarbeitslosigkeit. Alltagspraktische und soziale Kompetenzen und Fertigkeiten, die für eine<br />

berufliche Eingliederung förderlich sind, sind nicht mehr abrufbar und müssen neu erlernt<br />

werden. Die Fähigkeit, Aufgaben selbständig zu übernehmen oder in der Gemeinschaft zu ar-<br />

beiten, ist stark beeinträchtigt und bedarf eines breiten Übungsfeldes.<br />

In einer Tagesstätte werden diese Fähigkeiten und Fertigkeiten im Rahmen einer teilstationä-<br />

ren Betreuung gefördert. Die dort aufgenommenen Personen werden bei der Gestaltung des<br />

Tages- und Wochenablaufes und bei der Behandlung und Krankheitsbewältigung unterstützt.<br />

Es findet eine realistische Förderung statt, die ihre Grundlagen in der Einschätzung der be-<br />

stehenden Fertigkeiten und Möglichkeiten hat. Arbeits- und ergotherapeutische Maßnahmen<br />

unterstützen die Motorik, Ausdauer, Koordination, Konzentrationsfähigkeit, Sorgfalt und re-<br />

gen die Phantasie an. Die Erwerbsfähigkeit wird in jedem Fall verbessert und somit eine Teil-<br />

habe am Arbeitsleben im Sinne des SGB IX ermöglicht. Eine gesellschaftliche Eingliederung<br />

wird vorbereitet.<br />

Bei Tagesstätten im Rahmen der teilstationären <strong>Eingliederungshilfe</strong> für Behinderte handelt es<br />

sich nicht um eine vollstationäre Unterbringung im Sinne des § 7 Abs. 4 SGB II. Aus den Ge-<br />

setzesmaterialen geht hervor, dass unter "stationärer Einrichtung" stets eine Vollzeiteinrich-<br />

tung verstanden wird, die infolge der zeitlichen Inanspruchnahme jegliche andere berufliche<br />

Tätigkeit des Hilfebedürftigen ausschließt. Genau diese Merkmale liegen jedoch bei einer teil-<br />

stationären Einrichtung bzw. Tagesstätte, die sich auch auf eine Vormittags- oder Nachmit-<br />

tagsbetreuung beschränken kann, nicht vor. Der Besuch einer Tagesstätte schließt folglich ei-<br />

ne Erwerbstätigkeit nicht aus. Eine teilstationäre Einrichtung bzw. Tagesstätte wird von der<br />

Ausschlussregelung des § 7 Abs. 4 SGB II nicht erfasst.<br />

Der Aufenthalt in einer teilstationären Einrichtung ermöglicht es ferner Hilfebedürftigen, in<br />

den Genuss von Eingliederungsleistungen des § 16 Abs. 1 SGB II (SGB III - Leistungen) zu ge-<br />

langen.<br />

2.2.2 Wohnheime als stationäre Einrichtungen für abhängigkeitskran-<br />

ke Menschen<br />

Wohnheime im Rahmen der <strong>Eingliederungshilfe</strong><br />

Nach § 53 Abs. 1 SGB XII erhalten Personen dann <strong>Eingliederungshilfe</strong>, wenn sie durch eine<br />

Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Ge-<br />

sellschaft teilzuhaben, eingeschränkt sind. Nach der Besonderheit des Einzelfalls muss Aus-<br />

sicht bestehen, dass die Aufgabe der <strong>Eingliederungshilfe</strong> erfüllt werden kann. Nach § 2 Abs. 1<br />

SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder see-<br />

lische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Le-<br />

8


Stellungnahme zu Leistungen der <strong>Eingliederungshilfe</strong> für abhängigkeitskranke Menschen<br />

bensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft<br />

beeinträchtigt ist. Von Behinderung bedroht sind sie dann, wenn die Beeinträchtigung zu er-<br />

warten ist.<br />

Besondere Aufgabe der <strong>Eingliederungshilfe</strong> nach § 53 Abs. 3 SGB XII ist es, eine drohende Be-<br />

hinderung zu verhüten oder eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mil-<br />

dern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört insbe-<br />

sondere, den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermögli-<br />

chen oder zu erleichtern, ihnen die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer<br />

sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen oder sie so weit wie möglich unabhängig<br />

von Pflege zu machen.<br />

Seelisch wesentlich behindert zu sein muss nicht heißen, auch erwerbsunfähig zu sein. So<br />

können in einem Wohnheim der <strong>Eingliederungshilfe</strong> auch suchtkranke Menschen leben, die<br />

mindestens drei Stunden erwerbsfähig sein können. Die Krankheit Sucht betrifft den ganzen<br />

Menschen, so dass multiple Faktoren eine Rolle spielen und darüber entscheiden, ob und wie<br />

jemand fähig ist, einer Arbeit nachzugehen.<br />

Ein Wohnheim bietet hierzu alle Voraussetzungen, um die Arbeit und das Leben betreffende<br />

Schlüsselqualifikationen (wieder) zu erlernen, für ein selbständiges Lebens ohne fremde Hilfe<br />

einzuüben und zu festigen. Die (Wieder-)Erlangung der Fähigkeit zur Teilnahme an der Ge-<br />

meinschaft steht im Mittelpunkt dieser Hilfeform.<br />

Zu unterscheiden ist, ob es sich um eine Wohneinrichtung oder um eine vollstationäre Ein-<br />

richtung handelt.<br />

Übergangswohnheim ohne Heimcharakter<br />

Das Sozialgericht Berlin hat mit Beschluss vom 15.09.2006, S 94 AS 7728/06 ER (siehe An-<br />

hang) einem Hilfebedürftigen, der in einem Übergangswohnheim lebt, einen Anspruch auf<br />

Hilfe zum Lebensunterhalt im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitssuchende zugesprochen,<br />

weil er nach den Feststellungen des Gerichts in seinem Tagesablauf nicht räumlich oder zeit-<br />

lich derart fremdbestimmt ist, dass er Vermittlungsbemühungen des Antragsgegners (Arbeits-<br />

gemeinschaft gem. § 44 b SGB II) nicht zur Verfügung steht bzw. stehen kann. Indizien dafür<br />

waren, dass der Antragsteller seit März 2006 regelmäßig einer Beschäftigung außerhalb des<br />

Übergangswohnheimes nachging und er offenbar auch zur Selbstversorgung in der Lage war.<br />

Insbesondere betreutes Einzelwohnen und betreutes Wohnen in Wohngruppen, ggf. in kom-<br />

pletten Häusern, steht einem Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht entge-<br />

gen.<br />

Die Betreuungskosten trägt der Träger der Sozialhilfe im Rahmen der <strong>Eingliederungshilfe</strong> für<br />

Behinderte gem. SGB XII, die Aufwendungen für den Lebensunterhalt und die<br />

Unterkunftskosten die Arbeitsgemeinschaft gem. § 44 b SGB II oder die optierende Kommune.<br />

Übergangswohnheim/Wohnheim mit Heimcharakter<br />

Zielgruppe der Wohnheime der stationären <strong>Eingliederungshilfe</strong> sind seelisch wesentlich be-<br />

hinderte Menschen, die mit ihrer Substanzabhängigkeit (oder wegen psychischer Erkrankun-<br />

gen) multiple Problemstrukturen aufweisen. Im Gegensatz zum betreuten Wohnen benötigt<br />

9


Stellungnahme zu Leistungen der <strong>Eingliederungshilfe</strong> für abhängigkeitskranke Menschen<br />

diese Klientel eine umfassende Hilfestellung, die nur in einer vollstationären Einrichtung vor-<br />

gehalten wird. Auch hier trifft die Definition für seelisch wesentlich behinderte Menschen<br />

nach § 3 der <strong>Eingliederungshilfe</strong>-Verordnung zu.<br />

Zu diesen vollstationären Einrichtungen zählen drei Heimtypen:<br />

1. Einrichtungen bzw. Wohnheime, in denen Suchtkranke Aufnahme finden, die für eine<br />

Entwöhnungsbehandlung (noch) nicht zu motivieren sind oder für die aufgrund ihres<br />

schlechten gesundheitlichen/seelischen Zustandes oder anderer Umstände (z.B. Schwan-<br />

gerschaft) eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme (zur Zeit) ausscheidet und die ggf.<br />

ein Substitut wie Methadon oder Subutex oder auch Heroin im Rahmen eines besonderes<br />

Programms erhalten.<br />

Aufnahme finden v. a. auch suchtkranke Menschen, die aufgrund des langjährigen Sub-<br />

stanzkonsums mehrfach beeinträchtigt sind und zur Bewältigung des Alltags Eingliede-<br />

rungshilfe benötigen. Der Aufenthalt kann zum Teil auf Dauer angelegt sein.<br />

Zum Konzept dieses Einrichtungstyps gehören vor allem sozialtherapeutische Elemente,<br />

die auf alltagspraktische Hilfen ausgerichtet sind und das Leben der Hilfe Suchenden er-<br />

leichtern und damit lebenswürdiger gestalten.<br />

2. Übergangswohnheime, in denen Hilfebedürftige nach dem klinischen Entzug übergangs-<br />

weise Aufnahme finden, deren weitere Versorgung wie Entwöhnungsbehandlung oder di-<br />

rekt in das betreute Wohnen oder andere Betreuungsformen noch nicht abschließend ge-<br />

klärt ist bzw. die für einen Platz in einer Entwöhnungseinrichtung bzw. Fachklinik vorge-<br />

merkt sind.<br />

Übergangswohnheime der <strong>Eingliederungshilfe</strong> unterstützen die aktuelle Motivationslage<br />

suchtkranker Menschen, weiterführende Behandlungs- und Betreuungselemente anschlie-<br />

ßend in Anspruch zu nehmen. Rückfälle können dadurch vermieden werden.<br />

Zum Konzept dieses Einrichtungstyps zählen in der Regel bereits therapeutische Elemente.<br />

3. Wohnheime im Sinne einer stationären Nachsorgeeinrichtung für Suchtkranke, die nach<br />

der Entwöhnungsbehandlung für das betreute Wohnen noch nicht ausreichend gefestigt<br />

sind und bei denen die akute Möglichkeit des Rückfalls besteht.<br />

Das Konzept hierzu ist auf die Unterstützung einer selbständigen Lebensführung ausge-<br />

richtet, um baldmöglichst in die Gesellschaft eingegliedert werden zu können.<br />

Nach § 7 Abs. 4 SGB II sind Personen, die sich in vollstationären Einrichtungen aufhalten, von<br />

Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende grundsätzlich ausgenommen. Das gilt nach<br />

Satz 3 der genannten Vorschrift jedoch nicht, wenn sich der Hilfebedürftige für weniger als<br />

sechs Monate in einem Krankenhaus im Sinne des § 107 SGB V aufhält oder in einer stationä-<br />

ren Einrichtung untergebracht ist und unter den allgemeinen Bedingungen des Arbeitsmark-<br />

tes 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist, d. h. nicht sein könnte, sondern tatsächlich in<br />

Arbeit steht.<br />

Nach den Gesetzesmaterialien des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Ar-<br />

beitsuchende, das am 01.08.2006 in Kraft getreten ist, sind Einrichtungen der medizinischen<br />

Rehabilitation Krankenhäusern gleichgestellt. Hierzu zählen eindeutig Fachkliniken, die der<br />

10


Stellungnahme zu Leistungen der <strong>Eingliederungshilfe</strong> für abhängigkeitskranke Menschen<br />

Entwöhnungsbehandlung dienen. Auch die oben genannten Übergangswohnheime, die einer<br />

Entwöhnungsbehandlung vorgeschaltet sind (2. Spiegelstrich), dürften hierunter zu subsu-<br />

mieren sein.<br />

Anspruch auf (ergänzende) Hilfe zum Lebensunterhalt der Grundsicherung für Arbeitsuchende<br />

gem. §§ 19 SGB II und Eingliederungsmaßnahmen gem. § 16 Abs. 1 SGB II in vollstationären<br />

Nachsorgeeinrichtungen der <strong>Eingliederungshilfe</strong> für Behinderte (3. Spiegelstrich) haben nur<br />

Hilfebedürftige, die sich tatsächlich bereits in Arbeit befinden. Die Dauer des Aufenthalts in<br />

diesem Einrichtungstyp ist im Gegensatz zu Krankenhäusern und Einrichtungen der Entwöh-<br />

nungsbehandlung für den Bezug von SGB II-Leistungen unerheblich.<br />

2.3 Andere Leistungen der <strong>Eingliederungshilfe</strong><br />

2.3.1 Leistungen zur Pflege<br />

Die Sonderregelung für behinderte Menschen in Einrichtungen tritt nach § 55 SGB XII dann<br />

ein, wenn Leistungen der <strong>Eingliederungshilfe</strong> für behinderte Menschen in einer vollstationä-<br />

ren Einrichtung (z.B. ein Wohnheim) der Hilfe für behinderte Menschen im Sinne des § 43a<br />

des Elften Buches (SGB XI) erbracht werden. Diese Leistungen umfassen gleichzeitig auch die<br />

Pflegeleistungen in dieser Einrichtung. Kann die Pflege in dieser Einrichtung nicht sicherge-<br />

stellt werden, vereinbaren Sozialhilfeträger, zuständige Pflegekasse und Einrichtungsträger<br />

unter Berücksichtigung des Wunsches der behinderten Personen die Verlegung in eine andere<br />

Einrichtung.<br />

Abhängigkeitserkrankungen können zahlreiche Folgeerkrankungen nach sich ziehen, die u.a.<br />

auch pflegerische Leistungen erfordern. Abhängigkeitskranke Menschen, die sich in einem<br />

Wohnheim der <strong>Eingliederungshilfe</strong> befinden, können demnach auch Pflegeleistungen erhal-<br />

ten.<br />

2.3.2 Trägerübergreifendes Persönliches Budget<br />

Nach § 57 SGB XII können Leistungsberechtigte der <strong>Eingliederungshilfe</strong> nach § 53 SGB XII auf<br />

Antrag diese Leistungen auch als Teil eines trägerübergreifenden Persönlichen Budgets erhal-<br />

ten. § 17 Abs. 2bis 4 Neuntes Buch (SGB IX) in Verbindung mit der Budgetverordnung und §<br />

159 SGB IX sind insoweit anzuwenden.<br />

Seit dem 01. Januar 2008 hat jeder behinderte Mensch einen Rechtsanspruch auf ein Persönli-<br />

ches Budget. Dieser Anspruch bedeutet, dass jeder selbst darüber entscheiden kann, welche<br />

Leistungen wann, wie und von wem ausgeführt werden. Das Persönliche Budget ist keine<br />

Muss-Leistung. Nach wie vor besteht die Möglichkeit für jeden behinderten Menschen, die<br />

bisherige Leistungsform auch weiterhin in Anspruch zu nehmen.<br />

Der behinderte Mensch wird bei dieser Leistungsform zum handelnden Subjekt, denn er be-<br />

stimmt selbst, welche Hilfen er in Anspruch nehmen möchte. Um diese Hilfen eigenverant-<br />

wortlich gestalten und beschaffen zu können, wird den Budgetberechtigten der notwendige<br />

Geldbetrag zur Verfügung gestellt. Die Ansprüche auf Teilhabe werden statt der früher er-<br />

brachten Sachleistungen in Form von Geld gewährleistet.<br />

11


Stellungnahme zu Leistungen der <strong>Eingliederungshilfe</strong> für abhängigkeitskranke Menschen<br />

Das Persönliche Budget ist aber nur im ambulanten Bereich praktikabel. Im stationären Be-<br />

reich stehen dem Persönlichen Budget die Vorgaben des Pflegesatzrechts entgegen.<br />

Das Persönliche Budget wird auch deswegen nur in geringem Umfang in Anspruch genommen,<br />

weil der Klient die Arbeitgeberfunktion und alle damit im Zusammenhang stehenden Risiken<br />

zu erfüllen hat.<br />

12


Stellungnahme zu Leistungen der <strong>Eingliederungshilfe</strong> für abhängigkeitskranke Menschen<br />

3. Überlegungen zur Zukunft von <strong>Eingliederungshilfe</strong>leistungen für<br />

die Suchthilfe<br />

Die <strong>Eingliederungshilfe</strong> nach §§ 53 ff. SGB XII und § 35 a SGB VIII hat eine ersetzende und eine er-<br />

gänzende Funktion. Eine ersetzende Funktion besteht dort, wo keine den konkreten Bedarf abde-<br />

ckende Leistungsansprüche gegen vorrangige Träger der gesetzlichen Sozialversicherung vorliegen.<br />

Ihr kommt ferner eine ergänzende Aufgabe zu, wenn die erforderlichen Hilfen nicht zum Leis-<br />

tungsspektrum der gesetzlichen Krankenversicherung und gesetzlichen Rentenversicherung zäh-<br />

len. Das gilt besonders für die „Soziale Rehabilitation“. Bei dieser Hilfeform wird die Funktion der<br />

Sozialhilfe als unterstes Netz im System der sozialen Sicherung in der Bundesrepublik Deutschland<br />

deutlich. Sie greift dann, wenn ein konkreter Bedarf besteht, der Klient nicht über eigenes Ein-<br />

kommen und Vermögen verfügt und vorrangige Sozialleistungsträger nicht einsatzpflichtig sind.<br />

Durch die Lebenssituation vieler abhängigkeitskranker Menschen und die aktuellen Entwicklungen<br />

in der gesetzlichen Sozialversicherung kann die <strong>Eingliederungshilfe</strong> möglicherweise größere Bedeu-<br />

tung in der Finanzierung von Suchthilfeangeboten bekommen.<br />

Die Deutsche Suchthilfestatistik (2009) erfasst 779 ambulante Beratungsstellen mit 316.075 Klien-<br />

tinnen und Klienten. Da über 1.100 ambulante Suchthilfeeinrichtungen bekannt sind, muss die Ge-<br />

samtzahl der Suchthilfeklientel daher um etwa 1/3 höher angesetzt werden. Aus den statistischen<br />

Aussagen lassen sich Trends ableiten:<br />

39,5 % der Betreuten mit der Hauptdiagnose „Alkoholabhängigkeit“ waren in den sechs Mona-<br />

ten vor Betreuungsbeginn arbeitslos. Bei „Opioidabhängigkeit“ waren es 60,2 %.<br />

46 % der Betreuten aus allen Diagnosegruppen verfügen „nur“ über einen Hauptschulabschluss.<br />

Etwa 20 % der Abhängigen von illegalen Drogen haben gerichtliche Auflagen.<br />

Nur etwa 75 % wohnen „selbständig“.<br />

Etwa 11.000 Betreute sind über 60 Jahre alt, von den Opioidabhängigen ca. 3.000 über 50 Jahre.<br />

Soziale Ausgrenzung, multiple Störungen und das zunehmende Alter der Betroffenen, die aus die-<br />

sen Zahlen zu erkennen sind, lassen erwarten, dass es in Zukunft Veränderungen im Hilfesystem<br />

geben muss.<br />

Die Begrenzung des Budgets in der Medizinischen Rehabilitation lässt einige Regionalträger die<br />

Kriterien an die „Reha-Fähigkeit“ schärfer auslegen. Dazu gehören der Ausbildungsstand, die Be-<br />

rufstätigkeit in der Zeit vor der Therapie und Hafterfahrungen. Das ist auf dem Hintergrund ver-<br />

ständlich, dass die Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit nur gelingen kann, wenn Basisqualifika-<br />

tionen vorhanden sind und die Möglichkeit einer anschließenden Erwerbstätigkeit besteht.<br />

Es wird dann einen Zuwachs an Leistungen im (ambulanten) Betreutes Wohnen geben müssen und<br />

erhebliche Anstrengungen im Bereich „Arbeit und Beschäftigung“, wobei Leistungen nach SGB II<br />

und III der Suchthilfeklientel eher zurückhaltend gewährt werden dürften und eine kurzfristige<br />

Eingliederung auf dem ersten Arbeitsmarkt nur selten möglich ist.<br />

Vor allem Opioidabhängige kommen in ein Alter, in dem die Teilhabe wahrscheinlich nur mit Hilfe<br />

von Pflegeleistungen sicher gestellt werden kann.<br />

13


Stellungnahme zu Leistungen der <strong>Eingliederungshilfe</strong> für abhängigkeitskranke Menschen<br />

Noch immer ungeklärt ist die Finanzierung der „Psychosozialen Begleitung Substituierter“. Etwa 40<br />

% der in der Deutschen Suchthilfestatistik erfassten Opiatabhängigen (über 9.000 Personen) erhal-<br />

ten durch ambulante Einrichtungen eine „Psychosoziale Begleitbetreuung bei Substitution“, die<br />

zur Zeit überwiegend über Pauschalen finanziert wird.<br />

Suchtkranke Menschen werden sozialrechtlich den seelisch Behinderten zugeordnet und können<br />

demnach auch das Persönliche Budget nach § 17 SGB IX in Anspruch nehmen. Leistungen für<br />

Suchtkranke können ambulant, teilstationär und stationär durch unterschiedliche Leistungsträger<br />

erbracht werden. Hilfen werden von verschiedenen Trägern erbracht, was ein trägerübergreifendes<br />

Persönliches Budget notwendig macht. Budgetfähig sind alle alltäglichen, regelmäßig wiederkeh-<br />

renden Bedarfe, die bisher mit Hilfe von individuell zuordenbaren, zeitbezogenen (Stunde, Tag,<br />

Woche, Monat) verpreisten Sachleistungen gedeckt wurden, so dass diese Bedarfe auch als (pau-<br />

schalierter) individueller Geldbetrag benennbar sind. Dies gilt für alle laufenden ambulanten, teil-<br />

stationären und stationären <strong>Eingliederungshilfe</strong>n, die nach § 75 SGB XII vereinbart sind und einer<br />

Person bewilligt werden. Seit 2003 wird in verschiedenen Modellregionen in Deutschland die Um-<br />

setzung des Persönlichen Budgets erprobt. Bisher haben nur wenige abhängigkeitskranke Men-<br />

schen das Persönliche Budgets genutzt. Erfahrungen aus dem Bereich der Suchthilfe liegen also<br />

kaum vor - das sollte aber niemanden hindern, auch diesen Weg der <strong>Eingliederungshilfe</strong> zu gehen.<br />

Die Verfahren zur Hilfegewährung sind in den letzten Jahren nicht einfacher geworden und variie-<br />

ren zwischen den kommunalen Gebietskörperschaften erheblich, so dass die gesetzlichen Vorgaben<br />

durch regionale Vereinbarungen eingeschränkt werden können. Steuerung erfolgt dann (auch)<br />

über Hilfeplangestaltung. Auch wenn die <strong>Eingliederungshilfe</strong> ihre Aufgaben auch in Zukunft wahr-<br />

nehmen wird und zwar entweder im Rahmen des SGB XII und des SGB VIII oder – worauf die Kom-<br />

munen drängen – im Rahmen eines ausschließlich vom Bund finanzierten Leistungsgesetzes, gibt<br />

es keinen Hinweis darauf, dass die für Suchtkranke notwendigen Leistungen einfach durchsetzbar<br />

sein werden.<br />

Zum Beispiel erwartet die Europäische Union zunehmend eine Priorisierung des freien Marktes.<br />

Grundlage sind dafür die ökonomischen Prinzipien des Kontraktmanagements und des Preis-<br />

Leistungs-Verhältnisses. Damit geht die Entwicklung weg vom von der Freien Wohlfahrtspflege<br />

postulierten „wertgebundenen Engagement“ hin zur Kosten-Nutzen-Rechnung, die Güterabwägun-<br />

gen unausweichlich werden lässt. Die finanziellen Probleme der Kommunen führen zu unter-<br />

schiedlichen Auswirkungen: Befürchtet wird z.B. eine verstärkte Konkurrenz im Niedrigpreisniveau<br />

oder eine „Arbeitsverdichtung“ aufgrund reduzierter Gesamtvergütung, so dass der „Spagat zwi-<br />

schen hohem Leistungsniveau und Einsparmaßnahmen auch im Suchtbereich zu einem neuen<br />

fragwürdigen Standard zu werden droht“. Bisher als selbstverständlich geltende Leistungen und<br />

Dienste der <strong>Eingliederungshilfe</strong> unterliegen verstärkt der Prüfung auf Bedarfs- und Zielgerechtig-<br />

keit sowie auf Effizienz und Effektivität. Das kann zu fachlich und zeitlich engen Steuerungskrite-<br />

rien führen, die nachhaltige Eingliederhilfe erschweren. (DPWV 2011)<br />

Suchthilfe braucht rechtliche Beratung im Interesse ihrer Klienten/-innen und zur Absicherung ih-<br />

rer Angebote. Wenn die Abwehr berechtigter Leistungsansprüche neue Strategie der Sozialleis-<br />

tungsträger ist, dann muss die Klientel der Suchthilfe ermutigt und unterstützt werden, sich ihr<br />

Recht zu erstreiten. Jedes Handeln des Leistungsträgers ist ein Verwaltungsakt, der rechtlich über-<br />

prüfbar ist und immer öfter auch werden muss.<br />

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Stellungnahme zu Leistungen der <strong>Eingliederungshilfe</strong> für abhängigkeitskranke Menschen<br />

Zwischen Leistungsträgern und Leistungsanbietern kann es gut laufen, wenn zur Fachkompetenz<br />

eine kontinuierliche Beziehung zwischen Führungskräften auf der Einrichtungsebene und dem/der<br />

Verantwortlichen des zuständigen Sozialamtes hinzukommt, wenn zwischen beiden Seiten verläss-<br />

liche Absprachen getroffen werden und die Qualität der Arbeit in der Einrichtung stimmt. Solch ei-<br />

ne Beziehung muss seitens der Einrichtung aufgebaut und gepflegt werden. Das setzt voraus, dass<br />

das Personal in der Einrichtung stabil ist und auch im Sozialamt personelle Kontinuität herrscht.<br />

Nicht alle diese Faktoren können wir beeinflussen. Aber ignoriert werden dürfen sie auch nicht.<br />

4. Quellenverzeichnis<br />

Der PARITÄTISCHE Gesamtverband, -Hrsg,-, (2011), Kommunalisierungsprozesse und Suchthilfe.<br />

Eckpunktepapier des Arbeitskreises Suchtfragen (AKS), Berlin (MS)<br />

Deutsche Suchthilfestatistik 2009, Tabellenband für ambulante Beratungs- und/oder Behandlungs-<br />

stellen, Fachambulanzen und Institutsambulanzen (Typ 3 und 4), www.suchthilfestatistik.de, Zu-<br />

griff am 16.3.2011<br />

Frankenstein, M., Knobloch, M., Viernickel, S. (2006), Handreichung zur Implementierung<br />

personenzentrierter Hilfen und Persönlicher Budgets in der Suchthilfe, Leitfaden für die Pra-<br />

xis, Fachverband Drogen und Rauschmittel e.V., Hannover<br />

Knobloch, M., Lenski, R. (2006), Handreichung zur Klärung von Schnittstellen in der Anwen-<br />

dung der Sozialgesetzbücher II und XII in Einrichtungen der <strong>Eingliederungshilfe</strong> bei Menschen<br />

mit Abhängigkeitserkrankungen, Leitfaden für die Praxis, Fachverband Drogen und Rausch-<br />

mittel e.V., Hannover<br />

Marburger, H. (2004), SGB II, Umsetzung von Hartz IV, Grundsicherung für Arbeitsuchende;<br />

Kommentierte Textausgabe des Zweiten Sozialgesetzbuches, Walhalla Fachverlag, Regensburg,<br />

BerlinHandreichung<br />

Marburger, H. (2004), SGB XII, Die neue Sozialhilfe; Textausgabe des Zwölften Sozialgesetzbu-<br />

ches mit ausführlicher Kommentierung der neuen Gesetzgebung, Walhalla Fachverlag, Re-<br />

gensburg, Berlin<br />

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