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Narrheit kurz - Ortenauer Narrenbund eV

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Rubrik: Brauchtum<br />

Narr als Beruf<br />

Nicht jeder träumt davon, als „Narr“ sein Leben zu verbringen und sein Brot zu<br />

verdienen. Doch haben viele Menschen Spaß daran, anderen Menschen Freude<br />

zu bereiten. Doch das war nicht immer so. Dem Berufsbild „Narr“ machte sich<br />

ONB Präsident, Rainer Domfeld, auf die Spur. Lesen Sie im Folgenden eine<br />

Zusammenfassung. Sein umfänglicher Bericht kann bei Bedarf vollständig<br />

bestellt werden.<br />

„Narrenhände beschmieren Tische und Wände“, diesen Satz mag man kennen, nicht aber<br />

die Bedeutung, die er hatte. Als Narr, althochdeutsch Narro, bezeichnete man einen<br />

Spaßmacher im Mittelalter, der für Unterhaltung und Belustigung sorgen sollte. Der<br />

»Narro« der Oberkircher Narrenzunft trägt beispielsweise diese historische Bezeichnung<br />

in seinem Zunftnamen.<br />

Die Wortherkunft des Begriffes im Mittelhochdeutschen narre, im Althochdeutschen<br />

narro, ist nicht geklärt. Möglich ist eine Ableitung aus dem spätlateinischen nario, was<br />

»Nasenrümpfer und Spötter« bedeutet. Manche Dialekte bezeichnen verkrümmte Früchte<br />

als „Narren“ und das war ursprünglich nicht nett gemeint. Da Gott den Menschen nach<br />

seinem Ebenbild erschaffen hatte, galten verkrüppelte, bzw. geistig zurückgebliebene<br />

Menschen als „Narren“, eben nicht dem göttlichen Bild gleichend. Der Begriff grenzte aus<br />

und polarisierte zugleich.<br />

Man muss sich das einmal vorstellen. Kaum eine andere Figur beherrschte den<br />

mittelalterlichen Alltag so wie der Narr. Der Narrenbegriff war allgegenwärtig, in Wort<br />

und Bild. Man ging sogar soweit, den Begriff zu unterteilen. Ihrem ursprünglichen Sinne<br />

nach bedeutete <strong>Narrheit</strong> Geistesblindheit, Gottesleugnen und menschliche<br />

Unzulänglichkeiten. Sie stand für jegliche Art von innerer und äußerlicher<br />

Unvollkommenheit, für Willensschwäche und Sündhaftigkeit. Selbst die von Urmutter Eva<br />

verursachte Erbsünde wurde zum Symbol für Narretei. Diese Erkenntnis der<br />

menschlichen Sterblichkeit, die durch den Sündenfall entstand, hatte Auswirkungen auf<br />

die Bedeutung des Narren.<br />

Fürderhin versinnbildlichte der Narr keineswegs nur menschliche Torheit und<br />

Sündhaftigkeit, vielmehr wurde er zum Symbol irdischer Hinfälligkeit und<br />

Vergänglichkeit. Spätestens seit etwa 1450 standen Narr und Tod in engster Beziehung<br />

zueinander.<br />

Ständeordnung und Stand<br />

Die mittelalterliche Ständeordnung kannte ein abgestuftes System, an dessen Spitze der<br />

Papst, zu seiner Rechten Kaiser, Kardinal, Kurfürst und weitere Stände bis hinab zum<br />

Bauern und zu seiner Linken König, Herzog, Graf und so weiter bis hinunter zum<br />

Soldaten. Anders konnte sich der mittelalterliche Mensch die Welt nicht vorstellen. Der<br />

eigene Stand war Halt und zugleich Zwang – gesellschaftliche Wechsel waren nahezu<br />

undenkbar. Nur der Narr und das Kind standen außerhalb. Das wiederum spiegelt sich in<br />

dem Satz: „Narren und Kinder sagen die Wahrheit!“ Im Gegensatz zum<br />

Heranwachsenden wir der Narr sein Leben lang mit Torheit, Geistesblindheit oder<br />

körperlichen Gebrechen geschlagen bleiben und folglich ein Außenseiter bleiben.<br />

Dieser Tatsache dankt sich die Karriere als „Hofnarr“, wenn die Bedeutung ihrem tieferen<br />

Sinne nach auch viel tiefer geht.<br />

Die seltsamen Käuze an den Höfen galten als zutiefst beunruhigende Gestalten, die an<br />

Endlichkeit, Schicksal und das Elend der Welt gemahnten. Und gerade diese Nähe zu den<br />

dunklen Gestalten verschaffte den Narren die Freiheit des Wortes. Doch wurde zwischen<br />

„natürlichen“ und „künstlichen“ Narren unterschieden. Galten Geisteskranke, geistig


Behinderte und Missgestaltete als »natürliche« Narren, so waren „künstliche“ Narren<br />

solche, die sich dumm oder tölpelhaft stellten und der Unterhaltung dienten.<br />

Die Wiege des europäischen Hofnarrentums stand wohl in Frankreich; dort gab es<br />

möglicherweise schon im 10. Jahrhundert »Entertainer« in fürstlichen Diensten. Der<br />

Gegensatz der durch „Gottes Gnade“ erlangten Macht des Königs und der in der<br />

göttlichen Nicht-Erkennung entstandenen Narretei spiegelt sich auch in der Kleidung des<br />

Schelms. Größtenteils trug jeder Narr eigene Farben. Dabei handelte es sich um<br />

modische Phantasiegewänder, reich an Stoff und Ausstattung, wie sie für den Hof üblich<br />

waren. Heraldische Anspielungen, zum Beispiel geteilte Tracht und Farben, sind dadurch<br />

erklärbar, dass Narren - wie Knappen und Söldner - die Farben ihrer Herrschaft trugen.<br />

Ihren Ursprung aber hat die auffällige Kleidung vermutlich in der mittelalterlichen<br />

Rechtsordnung, nach welcher der Narr nicht straffähig war und dies schon von weitem an<br />

seinem Äußeren, seinem Gewand und den daran befestigten Schellen, zu erkennen<br />

geben musste.<br />

Eine Kappe mit auffälligen Eselsohren umschloss den Kopf des Narren, wodurch er an<br />

einen Esel mit menschlichem Antlitz erinnerte. Esel galten seit Urzeiten als Sinnbild der<br />

Unwissenheit, aber auch der Sinnlichkeit. Der am unteren Rand gezackte Rock des<br />

Narren weist auf dessen Unstetigkeit hin. Gehalten wurde das Kleidungsstück gewöhnlich<br />

durch einen Gürtel, an dessen Seite sich meist ein Degen aus Holz befand, an der<br />

anderen eine aufgeblähte Schweinsblase gefüllt mit getrockneten Erbsen, die wiederum<br />

auf die Leere des Narrenhirns anspielte. Zahlreiche Glöckchen am Gewand und ein<br />

Narrenzepter als Gegenstück zum Herrscherstab rundeten das unorthodoxe<br />

Erscheinungsbild ab.<br />

Erst später trat in der Entwicklung des Narrentyps der Spiegel an die Stelle des Zepters.<br />

Die Franzosen nennen das Narrenzepter übrigens „marotte“; Nicht nur Narren haben<br />

Marotten. Die gelb-grüne Farbgebung in der Narrenkleidung wies auf seine Tollheit.<br />

Bekannte Narren<br />

Zahlreiche Narrenpersönlichkeiten mit eigenem Profil sind bekannt. Einer davon war ein<br />

gewisser Claus Narr am Hofe des Kurfürsten von Sachsen. Ihm schrieb man eine<br />

herausragende Weisheit zu. Gemeint ist eine Gabe des natürlichen Narren, dem<br />

zugetraut wurde, aufgrund seiner Einfalt einen direkten Zugang zu höheren Einsichten bis<br />

hin zur Kraft der Prophezeiung zu besitzen.<br />

Die fromme „Närrin Mathurine“ vom Hof Heinrichs des IV. von Frankreich, genannt<br />

Mathurine, das Mannweib, ursprünglich Kantinenwirtin in der Armee, war stark und<br />

konnte fluchen wie ein Mann. Der homosexuelle König Heinrich der III. war begeistert<br />

von ihrer Derbheit und ernannte sie zur Hofnärrin. Der englische Historiker Sir Welsford<br />

berichtet von zwei italienischen Närrinnen der Herzogin Isabella d'Este, Giovanna und<br />

Caterina Matta, von denen die zweite nachweislich irrsinnig war. Russische Kaiserinnen<br />

hielten ganze Scharen frommer, schwachsinniger Weiber, die halb als Heilige und halb als<br />

närrische Clowns betrachtet wurden. Auch „Hofzwerge“ waren bei August dem Starken<br />

beliebt. So wird von Hante, einem geschickten jungen Holländer berichtet, der<br />

zweieinviertel Fuß – höchstens 76 cm – maß. Er starb mit etwa dreißig Jahren.<br />

Gelegentlich durften sich Hofnarren erlauben, mit dem Herrscher frech zu reden. Ihre<br />

Freiheit des Wortes hatte zwei Ursachen: Das Wohlwollen des Herren und den alten<br />

Glauben, dass Narren besessen sind und mit der Zunge höherer Mächte sprechen. Die<br />

Rolle, die der Narr speziell für den König spielte, war heikel. Er duzte ihn, er durfte ihn<br />

unterbrechen, er konnte ihn nachahmen und sogar kritisieren. Ihm war fast alles erlaubt,<br />

was anderen verboten war. Allerdings musste er das Gewand der <strong>Narrheit</strong> tragen, das<br />

ihm Straffreiheit garantierte.<br />

Irgendwann in der wechselvollen Rolle der Hofnarren deutet sich an, was später in der<br />

Literatur eine immer wichtigere Bedeutung gewinnen sollte: der Narr als Weiser inmitten


einer Welt voller Toren. So beeindruckend diese Wendung auch sein mag, so markiert<br />

sie doch das Ende der alten Hofnarrenidee. Doch fand die Gestalt des Hofnarren in der<br />

Literatur ihren Nachhall. Vor allem William Shakespeare verlieh ihnen in seinen Dramen<br />

Unsterblichkeit: „Foolery Sir, walks about the orb like the sun. It shines everywhere!“ -<br />

„<strong>Narrheit</strong>, mein Herr, zieht über den Erdkreis wie die Sonne. Sie scheint überall!“

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