PH Publico 1 - Pädagogische Hochschule Burgenland
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S.43). Alle menschlichen Entscheidungen<br />
sind demnach vom determinierenden Gehirn<br />
gesteuert, und der Mensch habe keine<br />
Wahlmöglichkeit in seinem Handeln. Diese<br />
Erkenntnisse stützen sich im Wesentlichen<br />
auf Experimente, die in den 80er Jahren der<br />
Neurobiologe Benjamin Libet durchführte<br />
(ebd., S.37). Versuchspersonen wurden an ein<br />
EEG angeschlossen und aufgefordert, eine<br />
einfache Bewegung durchzuführen. Danach<br />
sollten sie über eine speziell angefertigte Uhr<br />
angeben, zu welchem Zeitpunkt sie sich zu<br />
dieser Bewegung entschlossen hatten. Schon<br />
in den 60er Jahren war entdeckt worden, dass<br />
einer bewussten Handlung eine elektrische<br />
Veränderung im Gehirn voranging.<br />
Die Ergebnisse von Libet‘s Experimenten<br />
zeigten jedoch, dass erst nach dieser elektrischen<br />
Veränderung ( nach etwa 400 ms )<br />
der Entschluss gefasst wurde, die Bewegung<br />
auszuführen. Sie wurde durchschnittlich<br />
etwa 150 ms nach dem Entschluss, also etwa<br />
550 ms nach der elektrischen Veränderung<br />
im Gehirn ausgeführt (vgl. Giesinger 2006,<br />
S.100).<br />
„Die Folgerung dieser Erkenntnisse in zugespitzter<br />
Form: ‚Wir tun nicht, was wir wollen,<br />
sondern wir wollen, was wir tun’“ (Speck<br />
2008, S. 38, zit. n. Prinz 2004, 22).<br />
Einfache Handlungen, wie z. B. das Greifen<br />
nach einem Glas, werden vom Gehirn und<br />
nicht vom eigenen Willen entschieden. Dass<br />
der Mensch sich in seinem Wollen als real<br />
und frei erlebt, erklärt die Hirnforschung als<br />
„Erste Person Phänomene“, die durch individuelle<br />
Erfahrung erklärt werden, die aber<br />
nach Singer aus naturwissenschaftlicher Sicht<br />
nicht existieren.<br />
„Intentionales, also absichtliches Handeln,<br />
auch die Orientierung an Wertesystemen,<br />
seien nur subjektiv erfahrbar“ (Speck, 2008,<br />
S. 38).<br />
Daraus würden sich für den Menschen zwei<br />
voneinander getrennte Erfahrungsbereiche<br />
ergeben, einerseits der naturwissenschaftliche<br />
mit der „Dritte- Person“ Perspektive und<br />
andererseits der soziokulturelle Bereich, den<br />
er in der “Erste- Person“ Perspektive erfährt<br />
und in dem es um sinnhafte Zuschreibungen<br />
geht. Dies bedeutet, dass von der realen<br />
Erfahrung auszugehen ist, und Menschen in<br />
ihren individuellen Entscheidungen „subjektiv“<br />
frei sind (vgl. Speck, 2008, S. 39).<br />
Zu erwähnen bleibt, dass Libet selbst betont,<br />
dass bewusste geistige Phänomene nicht auf<br />
neuronale Prozesse reduzierbar seien.<br />
Aus psychologischer und pädagogischer<br />
Sicht stellt sich nun die Frage, welche Rolle<br />
die „Person“ nun spiele. Ist er/sie in der<br />
Position eines passiven Ichs? Ein Zuschauer,<br />
der seinem Gehirn ausgeliefert ist? „Ist<br />
er dann gewissermaßen ein bloßer Beifahrer<br />
eines neuronalen Auto- mobile, also einer<br />
Maschine?“ ( Speck 2008, S. 51).<br />
Die Neurophysiologie betont, dass der<br />
Mensch eine Fähigkeit besäße, die ihn doch<br />
von Maschinen unterscheide. Sie bezieht sich<br />
dabei auf das Vermögen des Selbstbewusstseins<br />
von Handlungen und die daraus folgende<br />
von Erfahrung geleitete Selbststeuerung<br />
(vgl. Speck 2008, S.51).<br />
Treffe die Willenlosigkeit des Menschen nun<br />
zu, so würde dies übertragen auf die pädagogische<br />
Praxis bedeuten, dass man lerneifrigen<br />
SchülerInnen erklären müsste, dass er/<br />
sie die Leistungen nur seinem/ ihrem unbewusst<br />
arbeitenden Gehirn verdanke, und<br />
nicht dem eigenen persönlichen Einsatz (vgl.<br />
Speck 2008, S. 52).<br />
Die Konsequenzen eines determinierten<br />
Willens für unser Zusammenleben, z. B. auf<br />
die Ebene von Verantwortung und Schuld<br />
übertragen, wären fatal. Wenn das Gehirn<br />
und nicht das Selbst den Menschen steuert,<br />
so kann es keine persönliche Schuld geben,<br />
und Menschen könnten für ihre Taten nicht<br />
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8. Lernen an der Schnittstelle