PH Publico 1 - Pädagogische Hochschule Burgenland
PH Publico 1 - Pädagogische Hochschule Burgenland
PH Publico 1 - Pädagogische Hochschule Burgenland
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
vorweggenommen worden wären, scheint er<br />
zu übersehen, so Giesinger, dass jene vom<br />
Kind und Menschen redeten und nicht von<br />
Gehirnen. Im Zentrum des traditionellen<br />
pädagogischen Handelns steht die Person<br />
und mit ihr im Zusammenhang, Begriffe wie<br />
Handlungsfähigkeit, Selbstbewusstsein, Willensfreiheit<br />
oder Verantwortlichkeit. Erziehung<br />
richte sich auf Wesen, die die Fähigkeit<br />
besitzen, Personalität und Willensfreiheit zu<br />
entwickeln. Intention von Erziehung ist es zu<br />
Erziehende zu autonomen Persönlichkeiten<br />
zu machen. Äußerungen von Seiten der Gehirnforschung,<br />
dass die Willensfreiheit eine<br />
Illusion sei, führen traditionelle Erziehungsziele<br />
ad absurdum (vgl. Giesinger 2006, S.<br />
97ff).<br />
Der nächste Abschnitt widmet sich der Frage<br />
der Freiheit des Willens, um danach auf die<br />
Bedeutung eines willenlosen Individuums für<br />
die pädagogische Praxis einzugehen.<br />
Willensfreiheit aus der Sicht der Hirnforschung<br />
Die Hirnforschung sieht das Gehirn als Teil<br />
der Natur und untersucht es mit naturwissenschaftlichen<br />
Methoden. Natürliche Gesetzmäßigkeiten<br />
bestimmen neuronale Prozesse,<br />
die wiederum das menschliche Wollen und<br />
das menschliche Handeln determinieren. Wovon<br />
wir Menschen meinen, es sei unser Wille,<br />
der der gesetzten Handlung vorausgeht,<br />
wird von einer Instanz verursacht, über die<br />
der Mensch keine Kontrolle hat. Neuronale<br />
Prozesse gehen der bewussten Entscheidung<br />
voran (vgl. Giesinger 2006, S.99).<br />
Neurophysiologisch gesehen ist der freie<br />
Wille eine Illusion, da die Ausführung jedes<br />
Wollens an neuronale Prozesse gebunden<br />
ist, die wiederum den determinierenden<br />
Naturgesetzen unterliegen (vgl. Speck 2008,<br />
S.43). Alle menschlichen Entscheidungen<br />
sind demnach vom determinierenden Gehirn<br />
gesteuert, und der Mensch habe keine<br />
Wahlmöglichkeit in seinem Handeln. Diese<br />
Erkenntnisse stützen sich im Wesentlichen<br />
auf Experimente, die in den 80er Jahren der<br />
Neurobiologe Benjamin Libet durchführte<br />
(ebd., S.37). Versuchspersonen wurden an ein<br />
EEG angeschlossen und aufgefordert, eine<br />
einfache Bewegung durchzuführen. Danach<br />
sollten sie über eine speziell angefertigte Uhr<br />
angeben, zu welchem Zeitpunkt sie sich zu<br />
dieser Bewegung entschlossen hatten. Schon<br />
in den 60er Jahren war entdeckt worden, dass<br />
einer bewussten Handlung eine elektrische<br />
Veränderung im Gehirn voranging.<br />
Die Ergebnisse von Libet‘s Experimenten<br />
zeigten jedoch, dass erst nach dieser elektrischen<br />
Veränderung ( nach etwa 400 ms )<br />
der Entschluss gefasst wurde, die Bewegung<br />
auszuführen. Sie wurde durchschnittlich<br />
etwa 150 ms nach dem Entschluss, also etwa<br />
550 ms nach der elektrischen Veränderung<br />
im Gehirn ausgeführt (vgl. Giesinger 2006,<br />
S.100).<br />
„Die Folgerung dieser Erkenntnisse in zugespitzter<br />
Form: ‚Wir tun nicht, was wir wollen,<br />
sondern wir wollen, was wir tun’“ (Speck<br />
2008, S. 38, zit. n. Prinz 2004, 22).<br />
Einfache Handlungen, wie z. B. das Greifen<br />
nach einem Glas, werden vom Gehirn und<br />
nicht vom eigenen Willen entschieden. Dass<br />
der Mensch sich in seinem Wollen als real<br />
und frei erlebt, erklärt die Hirnforschung als<br />
„Erste Person Phänomene“, die durch individuelle<br />
Erfahrung erklärt werden, die aber<br />
nach Singer aus naturwissenschaftlicher Sicht<br />
nicht existieren.<br />
„Intentionales, also absichtliches Handeln,<br />
auch die Orientierung an Wertesystemen,<br />
seien nur subjektiv erfahrbar“ (Speck, 2008,<br />
S. 38).<br />
Daraus würden sich für den Menschen zwei<br />
voneinander getrennte Erfahrungsbereiche<br />
ergeben, einerseits der naturwissenschaftliche<br />
mit der „Dritte- Person“ Perspektive und<br />
77<br />
8. Lernen an der Schnittstelle