PH Publico 1 - Pädagogische Hochschule Burgenland
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8. Lernen an der Schnittstelle<br />
forderung hat sich die pädagogische Praxis<br />
durch neurowissenschaftlich Erkenntnisse zu<br />
stellen? Braucht es Begriffe wie Erziehung,<br />
Sozialisation, Lehren und Lernen überhaupt<br />
noch? Können die Neurowissenschaften die<br />
Probleme der Pädagogik lösen? Verfügt der<br />
Mensch über eigenen Willen oder ist er determiniert<br />
durch das Gehirn?<br />
Die nächsten Seiten beleuchten die für das<br />
Lehren und Lernen relevanten Erkenntnisse<br />
der Hirnforschung und ihre Bedeutung für<br />
die Pädagogik aus der Sicht der Neurowissenschaften.<br />
Danach werde ich mich der Annahme<br />
der Hirnforschung, dass der Mensch<br />
über keinen eigenen Willen verfüge, sondern<br />
in seinem Tun von seinem Gehirn bestimmt<br />
ist, widmen. Schließlich soll aber auch die pädagogische<br />
Haltung und Sicht zu dieser Entwicklung<br />
betrachtet werden.<br />
Experiment über menschliches Lernverhalten<br />
Über die Betten von acht Wochen alten Säuglingen<br />
brachten Forscher täglich für zehn Minuten<br />
unterschiedliche Arten von Mobiles<br />
an. Die Säuglinge wurden in drei Gruppen<br />
geteilt. Bei der Gruppe A wurden gewöhnliche<br />
Mobiles verwendet. Über den Betten<br />
der Gruppe B hingen Mobiles, die in regelmäßigen<br />
Abständen eine Drehbewegung<br />
ausführten, während bei der Gruppe C Mobiles<br />
verwendet wurden, die mit Drucksensoren<br />
in Verbindung standen, welche in den<br />
Kopfkissen eingenäht waren. Durch Kopfbewegungen<br />
der Säuglinge konnten diese<br />
aktiviert werden.<br />
Die Ergebnisse nach drei Wochen:<br />
In den Gruppen A und B veränderte sich<br />
die Häufigkeit der Kopfbewegungen nicht,<br />
wohl aber bei den Säuglingen der Gruppe<br />
C. Das Interesse an den Mobiles nahm bei<br />
den Gruppen A und B ab, während es in der<br />
Gruppe C zunahm.<br />
Dies ließ darauf schließen, dass die Säuglin-<br />
68<br />
ge der Gruppe C in kurzer Zeit gelernt hatten,<br />
dass die Mobiles durch eigene Aktivität<br />
beeinflusst werden konnten. Säuglinge der<br />
Gruppe C lächelten mehr, hatten einen lebhafteren<br />
Gesichtsausdruck und versuchten<br />
durch Artikulation von Tönen, Freude auszudrücken.<br />
Aus diesen Ergebnissen folgerte Remo H.<br />
Largo (Professor für Entwicklungspädiatrie<br />
am Züricher Kinderspital):<br />
1. Die kindliche Neugier, die in Form von<br />
Interesse, Wohlbehagen und Lebhaftigkeit<br />
ausgedrückt wird, wird geweckt und lange<br />
erhalten, wenn sich das Kind aktiv betätigt.<br />
2. Neugier ist nicht beliebig. Sie ist festgelegt<br />
durch Fähigkeiten, die heranreifen und durch<br />
Erfahrungen, die in der Umwelt gesucht werden<br />
gefestigt. Neugier leitet das Kind beim<br />
Lernen.<br />
3. Neugier und Aktivität bringt das Kind mit.<br />
Eltern müssen Erfahrungsmöglichkeiten anbieten<br />
(vgl. Herrmann 2006,S. 85f).<br />
Die Kognitionsforschung schließt aus diesem<br />
Experiment, dass das Kind „von sich<br />
aus“, „von selber“ lernt, wenn Gelegenheiten<br />
vorhanden sind. Diese Erkenntnis ist<br />
transferierbar auf die Fähigkeit des Lernens<br />
der Muttersprache, ohne die Grammatik der<br />
Sprache zu beherrschen.<br />
„ Daraus formuliert die kognitive Gehirnforschung<br />
[…]: Was das Kind „von selber“<br />
gelernt hat- in diesem Fall die Grammatik<br />
der gesprochenen Sprache-, das hat das<br />
Gehirn selber erzeugt“ (Herrmann 2006, S.<br />
87). Jene Lernprozesse verlaufen sehr langsam<br />
und müssen durch ständiges Üben und<br />
Wiederholen unterstützt werden. Ansonsten<br />
bleibt Gelerntes im Kurzzeitgedächtnis und<br />
wird vergessen.<br />
Das Gehirn erzeugt Wissen und die zugehörige<br />
Bedeutung, ohne unsere willentliche