PH Publico 1 - Pädagogische Hochschule Burgenland
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Zufall überlassen bleibt – wie etwa in der<br />
freien Natur die Fortpflanzung –, sondern<br />
dass Lernen kultiviert, also gelenkt, verbessert<br />
werden soll. In diesem Zusammenhang<br />
ist vielleicht auch der Begriff „Ziel“ nicht<br />
fehl am Platz. Lernen findet geplant statt.<br />
Gerade in einer Zeit, in der auch Kinder mit<br />
einem Übermaß an Information konfrontiert<br />
werden (Fernsehen, Internet) und in der<br />
jahrhundertelang gültige Werte fragwürdig<br />
anmuten, erscheint es besonders dringlich,<br />
Orientierung zu ermöglichen und zu geben.<br />
Geplantes Lernen ist seit der Antike bekannt<br />
und hat sich seither immer wieder verändert,<br />
an veränderte Verhältnisse angepasst. Insofern<br />
kann vielleicht verstanden werden, warum<br />
der Begriff „neue Lernkultur“ geprägt<br />
wurde: die Rasanz, mit der sich zahlreiche<br />
Bereiche (Politik, Gesellschaft, Wirtschaft,<br />
Technik etc.) im 20. Jahrhundert veränderten,<br />
wirkte sich so radikal in der Pädagogik<br />
aus, dass dieses Kind einen Namen forderte<br />
– wie ehedem der Begriff „Reformpädagogik“<br />
kreiert wurde.<br />
Mit dem Ruf nach einer neuen Lernkultur<br />
erlebten Ende des 20. Jahrhunderts die reformpädagogischen<br />
Unterrichtsformen eine<br />
Renaissance. Der Frontalunterricht verlor<br />
seinen Stellenwert, „offene Lernformen“<br />
hielten Einzug in die Klassenzimmer. Der<br />
Zusammenhang scheint klar zu sein: Wenn<br />
der Lehrende die Bedeutung der Informationsweitergabe<br />
für das Kind nicht abschätzen<br />
kann, liegt nahe, dass das Kind wählen soll,<br />
wofür es gerade bereit ist – Montessori würde<br />
von der sensiblen Phase sprechen. Insofern<br />
ist die neue Lernkultur – bzw. ihr Kern<br />
− nicht so neu. Sie hat nur erneut Einzug<br />
in die Schule gehalten und beruft sich jetzt<br />
nicht mehr auf einzelne Reformpädagogen.<br />
Sie fußt zwar gleichsam auf der Reformpädagogik,<br />
sie umfasst aber mehr:<br />
„Neue Lernkultur ist der historisch verwurzelte<br />
und an modernen Wissensbeständen<br />
orientierte Versuch, auf die Herausforderungen<br />
dieser Zeit, Gesellschaft, Wissenschaft,<br />
Wirtschaft usw. eine pädagogisch, psycho-<br />
logisch und bildungstheoretisch reflektierte,<br />
praxiswirksame Antwort zu geben. Es geht<br />
weder um eine geradlinige Fortsetzung reformpädagogischer<br />
Einflüsse noch um blosse<br />
Erweiterung des Methodenrepertoires,<br />
weder um den konsequenten Verzicht auf<br />
Klassenunterricht oder Lektionen noch um<br />
das Durchsetzen einseitig humanistisch-psychologischer<br />
oder neurodidaktischer Ideen,<br />
weder um die Verteufelung darbietender Formen<br />
noch um die Beschränkung auf interaktive<br />
PC-gestützte Lerntechnologien. Jede<br />
Einseitigkeit und Ausschliesslichkeit verengt<br />
den Blick und greift meines Ermessens theoretisch<br />
zu kurz. Die „Neue Lernkultur“ führt<br />
die traditionelle Lernkultur fort, entwickelt<br />
sie weiter, gestaltet sie qualitativ um. Das<br />
Verhältnis von „neu“ zu „alt“ ist durch Integration,<br />
Entwicklung und qualitative Veränderung<br />
zu kennzeichnen. Das heisst: Die<br />
abendländische Geschichte des gelehrten<br />
Unterrichts offeriert uns ein vielfältiges Methodenangebot.<br />
Viele dieser Verfahren sind<br />
auch heute noch einsetzbar, und ich erkenne<br />
keinen stichhaltigen Grund, darauf zu verzichten“<br />
(Gasser 1999, S. 113 f.).<br />
Dieser Absatz aus Gassers Werk kann zum<br />
Verständnis, was unter neuer Lernkultur zu<br />
verstehen ist, beitragen. Vor allem wird mit<br />
einigen Missverständnissen aufgeräumt. Es<br />
kann nicht darum gehen, den Frontalunterricht<br />
insgesamt zu verteufeln und auch nicht<br />
darum, dem Lehrer als die Person, die weiß,<br />
welches Wissen und welche Fertigkeiten ein<br />
Kind am Ende der Grundschulzeit erworben<br />
haben sollte, abzuschwören.<br />
Vielmehr muss es – gerade auf Grund der<br />
genannten Auslöser für die veränderten Verhältnisse<br />
– darum gehen, dem Kind Sicherheit<br />
und Orientierung zu bieten. Die erfreuliche<br />
Fülle an Methoden schenkt dem Lehrer<br />
die Freiheit, wählen zu können.<br />
Freilich ist der Wissenszugang durch das Internet<br />
heute ein anderer geworden und es<br />
wäre unzeitgemäß, diese Option nicht zu nüt-<br />
47<br />
5. Die Neue Lernkultur und ihre Bedeutung