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PH Publico 1 - Pädagogische Hochschule Burgenland

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4. Was bedeutet Neue Lernkultur für den Unterricht?<br />

Dieses Lernen verläuft von uns weitgehend<br />

unbemerkt, metakognitiv nicht kontrolliert,<br />

unbewusst und begleitet alle unsere Aktivitäten<br />

in der Auseinandersetzung mit unserer<br />

sozialen und natürlichen Umwelt. Wir, d.h.<br />

in diesem Fall, unsere Gehirne können gar<br />

nicht anders, als zu lernen. Dies ist auch sehr<br />

sinnvoll, da wir in eine Umwelt hineingeboren<br />

werden, die von uns in vielen Fällen fordert,<br />

unser Verhalten schnell und ohne mentale<br />

Mühen an sie anzupassen. Die genetisch<br />

angelegten, primären psychischen Funktionen<br />

sind strukturelle Voraussetzungen für<br />

den Aufbau primärer kognitiver Fähigkeiten<br />

und Fertigkeiten durch Lernen (z.B. Erwerb<br />

grundlegender sprachlicher Kompetenz, sensumotorischer<br />

Koordinierungsleistungen,<br />

elementare numerische Informationsverarbeitung,<br />

mentale Repräsentation der physischen<br />

und sozialen Umwelt und für die daraus<br />

abgeleiteten Handlungsorientierungen<br />

– vgl. Geary 1995). Sprechen, laufen, Fahrrad<br />

fahren, fangen, springen usf. lernen wir<br />

weitgehend auf der Grundlage der uns angeborenen<br />

Lernmöglichkeiten bzw. der sich<br />

auf dieser Grundlage im Rahmen der aktiven<br />

Auseinandersetzung des Kindes mit seiner<br />

Umwelt entwickelnden psychischen Funktionen<br />

– mehr oder weniger leicht und belastungsfrei,<br />

sobald unser Gehirn die erforderlichen<br />

Leistungspotenziale vorhält (vgl. auch<br />

Spitzer 2007, Singer 2006).<br />

Ungeachtet aller berechtigten Bemühungen,<br />

die dem Menschen artspezifische Lernfähigkeit<br />

auch in pädagogischen Zusammenhängen<br />

besser zu nutzen, verweist uns die Tatsache,<br />

dass es Schule gibt darauf, dass offenbar<br />

nicht alle Dinge in der oben beschriebenen<br />

natürlichen, d.h. uns in die Wiege gelegten<br />

Art und Weise des Lernens erworben werden<br />

können. Die Ursache dafür liegt aber<br />

nicht in der Schule oder im pädagogischen<br />

Unvermögen der Lehrkräfte, sondern sowohl<br />

in der Besonderheit des anzueignenden<br />

Wissens, der zu erwerbenden Kompetenzen<br />

als auch im Wesen der dazu erforderlichen<br />

psychischen Funktionen.<br />

32<br />

Auf der Basis der ihm von der Natur mitgegebenen,<br />

d.h. genetisch bedingten primären<br />

psychischen Funktionen hat der Mensch im<br />

Verlauf seiner kultur-historischen Entwicklung,<br />

durch diese bedingt, eine neue Klasse<br />

(sekundärer) kulturell bedingter psychischer<br />

Funktionen hervorgebracht.<br />

Anders als Tiere passt sich der (soziale)<br />

Mensch wesentlich nicht an die Natur und<br />

Umwelt an, sondern verändert sie seinen Bedürfnissen<br />

entsprechend. Er gestaltet in gemeinsamer<br />

Tätigkeit (intentionale, bewusste,<br />

in Kooperation und Kommunikation vollzogene<br />

menschliche Aktivität) Natur und soziale<br />

Umwelt um, schafft eine neue Qualität der<br />

Umwelt, seine Kultur. Im Ergebnis seiner die<br />

Umwelt gestaltenden, menschliche Kultur<br />

schaffenden Tätigkeit (=Arbeit) verändert<br />

sich der Mensch auch selbst. Phylogenetisch<br />

betrachtet ist Ergebnis dieser Veränderung<br />

der kulturelle Mensch, welcher spezifische<br />

psychische Voraussetzungen (kulturelle, höhere,<br />

sekundäre psychische Funktionen wie<br />

die willkürliche Aufmerksamkeit, das logisches<br />

Gedächtnis, die bewusste Begriffsbildung,<br />

die metakognitive Kontrolle, die<br />

Einheit von Denken und Sprechen usf.) aufweist,<br />

die nicht natürlichen, sondern kulturellen<br />

Ursprungs sind (Vygotskij 2002). Geary<br />

(1995) bezeichnet diese als biotisch sekundäre<br />

Fähigkeiten (z.B. Lesen, arithmetische<br />

Operationen und andere in höherer Kultur<br />

wurzelnde Fähigkeiten) und verweist darauf,<br />

dass ihre Entwicklung an explizites Lernen<br />

gebunden ist und gezielter soziokultureller<br />

Unterstützung bedarf. Auch die moderne<br />

Hirnforschung macht darauf aufmerksam,<br />

dass unser Gehirn die für kulturelle Anforderungen<br />

(z.B. das Lesen und Schreiben, das<br />

Erlernen der Wissenschaften) erforderlichen<br />

Lernleistungen auf natürlichem Wege nicht<br />

ausbildet (es gibt keine dafür einsetzbaren<br />

angeborenen Programme – Spitzer 2007,<br />

Singer 2006). Daher müssen sie kulturell erzeugt<br />

werden, was bedeutet, dass sie im Rahmen<br />

der Ontogenese im darauf bezogenen<br />

sozialen Verkehr angeeignet werden müssen.

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