PH Publico 1 - Pädagogische Hochschule Burgenland
PH Publico 1 - Pädagogische Hochschule Burgenland
PH Publico 1 - Pädagogische Hochschule Burgenland
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
3. Ist Bildung ohne Religion möglich?<br />
auch Werk der Gesellschaft ist, in seiner Bildung<br />
aber ist er Werk seiner selbst. Mit anderen<br />
Worten: Der Mensch muss sich selbst<br />
zu dem machen, der er sein soll. Er hat sein<br />
Sein zeithaft gedacht, sein Leben als Aufgabe.<br />
Sich zu bilden ist der Auftrag, Mensch zu<br />
werden; wie Pestalozzi formulierte, das Menschentum<br />
in sich zu verwirklichen. Fichte hat<br />
davon gesprochen, der zu werden, der man<br />
immer schon ist. Eine merkwürdige Formulierung,<br />
die besagt, dass mein Sein nur durch<br />
mich selbst wirklich werden kann.<br />
Vor Fichte hatte Kant in seiner kleinen Schrift<br />
zur Beantwortung der Frage, was Aufklärung<br />
sei, - wenn man so will – ein pädagogisches<br />
Grundsatzprogramm entworfen; Aufklärung,<br />
das sei das Heraustreten des Menschen<br />
aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.<br />
Selbstverschuldet sei sie, weil die Natur<br />
den Menschen längst freigesprochen habe.<br />
Dieser aber aus Bequemlichkeit und Faulheit,<br />
aus Feigheit und Opportunismus zu seiner<br />
Mündigkeit noch nicht gefunden habe. Es<br />
sei eben bequem, andere für sich denken zu<br />
lassen, es sei häufig genug nicht von Vorteil,<br />
frei und offen seine Meinung zu sagen. Das<br />
Selber-Denken, Urteilen, Entscheiden und<br />
Verantworten aber sei dem Menschen aufgegeben;<br />
das macht seine Bildung aus, seine<br />
Humanität, die Würde seines Menschseins.<br />
- In Anlehnung an diese Tradition und in Erinnerung<br />
an die schrecklichen Zeiten diktatorischer<br />
Bevormundung und Unterdrückung<br />
betont die gegenwärtige Pädagogik im Bildungsbegriff<br />
besonders den Anspruch von<br />
Mündigkeit, von Urteils- und Entscheidungsfähigkeit,<br />
von Kritik- und Verantwortungsfähigkeit.<br />
Ohne diese Unerschrockenheit<br />
im Fragen und Denken, in Urteil und Kritik<br />
kann eine freiheitliche Demokratie nicht<br />
gelingen, ist der Staat nicht vor der Diktatur<br />
der Mächtigen, sind die Bürger nicht vor der<br />
Manipulation durch die Medien und propagandistischen<br />
Rattenfänger zu schützen.<br />
12<br />
- Bildung ist Selbstbestimmung. 8 Sie kann<br />
weder von außen erzeugt werden, noch<br />
durch biologisches Wachsen hervorgebracht<br />
werden. Selbstbestimmung meint, dass der<br />
Mensch selbst über sich verfügt, dass er als<br />
Zweck seiner selbst von anderen geachtet<br />
und anerkannt wird. Das Wort Selbstbestimmung<br />
hat inflationäre Konjunktur. Deshalb<br />
übersieht man oft die in ihm enthaltenen und<br />
mitzudenkenden Probleme.<br />
Von Bestimmung kann man nur reden, wenn<br />
es um einen verbindlichen Anspruch geht.<br />
Um ihn muss man wissen, wenn Bestimmung<br />
verbindlich werden soll. Im Auftrag der<br />
Selbstbestimmung muss dieser Auftrag vom<br />
Selbst ausgehen; er darf nicht von fremder<br />
Vernunft vorgeschrieben sein, sondern vom<br />
Subjekt ausgehen, das sich selbst bestimmt.<br />
Die Bestimmung darf nicht Zwang sein; in<br />
ihr spricht sich ein Sollen, nicht ein Müssen<br />
aus. Selbstbestimmung ist Ausdruck und<br />
Auftrag menschlicher Freiheit. Selbstbestimmung<br />
setzt im Menschen selbst ein Maß voraus;<br />
Wer einen Irrtum aufzeigen will, muss<br />
ein Maß für das Wahre haben; wer urteilen<br />
will, muss ein Kriterium für sein Urteil voraus<br />
setzen. Wer nach gut und böse unterscheiden<br />
will, braucht einen Richterstuhl, vor<br />
dem dieses Urteil sich rechtfertigen kann.<br />
Dieser Richterstuhl für wahres und gutes<br />
muss im Menschen selbst vorausgesetzt<br />
werden, sonst wird Selbstbestimmung zur<br />
Fremdbestimmung, Bildung wird zur Anpassung.<br />
Wenn der Mensch selbst Maß ist, wenn<br />
Bildung sich in dieser Maßgeblichkeit bewährt,<br />
dann entsteht die Frage nach der Religion.<br />
Es könnte sein, dass Religion nicht nur<br />
überflüssig wird, sondern in Widerspruch<br />
zur Bildung gerät. Eine empirische Erhebung<br />
aus dem Jahre 1973 gibt folgendes Ergebnis:<br />
„Je höher der formale Bildungsstand,<br />
desto wahrscheinlicher wird, statistisch gesehen,<br />
ein kritisch distanziertes bis abständiges<br />
Verhalten zur Kirche. 9 Für Ernst Nipkow,<br />
8 Vgl. Heitger, M.: Bildung als Selbstbestimmung, Paderborn<br />
2004<br />
9 Hild, H.: Wie stabil ist die Kirche? Bestand und Erneuerung,<br />
Ergebnisse einer Umfrage. Gelnhausen/Berlin 1974, S 245