Residentenkurier Nr. 21, März/April 2011
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Der Junge von der Hühnerfarm<br />
Página 20<br />
Jenseits von Andalusien<br />
Ein Andalusier ist mit 16 Jahren nach Deutschland ausgewandert, um in der Gastronomie zu<br />
arbeiten. Mit 60 Jahren kehrt er als Rentner nach Andalusien zurück und erzählt uns seine Geschichte.<br />
Gerade weil er beide Mentalitäten und Kulturen kennt, sind seine Erfahrungen für uns<br />
Residenten sehr interessant. Hier Teil 17 : „ DIE spanisch deutsche HOCHZEIT“<br />
(die vorherigen Kapitel sind in den jeweiligen Ausgaben im Archiv)<br />
Vor dem Tag der Hochzeit gibt es in<br />
Deutschland den Brauch des Polterabends.<br />
Ich selbst kannte mich da noch<br />
nicht so aus und war gespannt, wie alles<br />
ablaufen würde. Ich bemerkte, dass Gabys<br />
Mutter am 20. September 1970, dem Tag<br />
des Polterabends, aufpasste, dass keiner in<br />
der Strasse parkte und abends um 18 Uhr<br />
wusste ich auch, warum: Es wurden zwei<br />
Müllcontainer angeliefert. Aber was die<br />
mit uns zu tun hatten, konnte ich mir<br />
nicht so recht vorstellen. Eine Stunde<br />
später sollte ich es erfahren. Viele Menschen<br />
kamen in unsere Strasse und schienen<br />
auf etwas zu warten.<br />
Und dann ging es los: Jeder hatte Teller,<br />
Vasen, Schüsseln und Ähnliches dabei.<br />
… und warf es mit Schwung nach<br />
draußen auf den Boden, damit es<br />
zerbrach.<br />
Meine Eltern und ich schauten fassungslos<br />
aus dem Fenster und sahen, wie der Scherbenhaufen<br />
immer größer wurde. Freunde<br />
kamen und stellten einen dicken Holzklotz<br />
von 1 m Länge und einem Durchmesser<br />
von 50 cm auf. Gaby und ich mussten<br />
ihn unter lauten Anfeuerungsrufen<br />
und großem Gelächter durchsägen. Das<br />
war ein gutes Stück Arbeit und sollte wohl<br />
die Anstrengungen in einer Ehe darstellen,<br />
und zeigen, dass beide an einem<br />
Strang ziehen müssen. Nachdem wir es<br />
endlich geschafft hatten, mussten wir noch<br />
alle Scherben und das Holz zusammenkehren<br />
und in die beiden Container füllen.<br />
Sie waren fast voll. Tja, manchmal hat es<br />
eben auch Nachteile, wenn man so viele<br />
Leute kennt.. Aber es war eine Mordsgaudi<br />
und wir hatten trotzdem viel Spaß.<br />
Meine Mutter war ganz erstaunt darüber,<br />
wie der Junggesellenabschied in Deutschland<br />
gefeiert wird. Wir hatten ein Lokal<br />
gemietet und feierten dort mit allen<br />
Freunden, Bekannten und den beiden<br />
Familien bis zum frühen Morgengrauen<br />
um 4 Uhr.<br />
Mein Vater nahm mich später zur Seite<br />
und meinte: „A partir de ahora tu vida<br />
serà màs dificil que hasta ahora!―<br />
Ab heute wird dein Leben schwerer als<br />
bisher) Damit sollte er zwar Recht behalten,<br />
aber es gab auch viele glückliche Stunden<br />
mehr als bisher. Ich war doch immer<br />
recht einsam gewesen. Allein wegen meiner<br />
Arbeitszeiten konnte ich wenige<br />
Freundschaften pflegen.<br />
22.September: Unser Hochzeitstag!<br />
Jeder ging mit seinen Gefühlen anders<br />
um. Meine Mutter ließ alles raus und<br />
weinte schon den ganzen Morgen. Mein<br />
Vater hingegen machte alles allein mit sich<br />
selbst aus und unternahm einen langen<br />
Spaziergang, um seine Gedanken zu ordnen.<br />
Meine Geschwister versuchten, sich<br />
abzulenken und suchten spanische Programme<br />
im TV. Ich versuchte ruhig zu<br />
bleiben und zog mich unter den strengen<br />
Augen und den helfenden Händen meiner<br />
Mutter für die Trauung an. Als wir dann<br />
zur Kirche kamen, war alles voller Menschen.<br />
Neugierige Menschen, die der ersten<br />
spanisch-deutschen Hochzeit in Bernkastel-Kues<br />
beiwohnen wollten. Auch in<br />
der Kirche war jeder Platz besetzt.<br />
Ich war sehr nervös und habe vor lauter<br />
Aufregung fast kein Wort während der<br />
Messe verstanden. Ich hörte meine Mutter<br />
im Hintergrund leise weinen und mir<br />
schossen tausend Gedanken durch den<br />
Kopf. Wie würde sich mein Leben nun<br />
verändern? Ich war total durch den<br />
Wind.<br />
Fast hätte ich den Ehering an den<br />
falschen Finger gesteckt!<br />
Irgendwann war die Messe vorbei und<br />
wir traten nach draußen ins Sonnenlicht.<br />
Die Gäste applaudierten laut und stürmisch,<br />
und jede Menge Reis flog als<br />
Glückssymbol auf unserem Weg. Die<br />
Hochzeitsfeier fand im Lokal<br />
„Hubertusklause“ auf der Kueser Seite<br />
im Kreise der Familie statt. Am späteren<br />
Abend kam noch der Gesangsverein, in<br />
dem meine Frau Mitglied war. Auch das<br />
Musik- Duo aus dem Hotel, in dem ich<br />
arbeitete, war dabei.<br />
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