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NFV_12_2009 - Rot Weiss Damme

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warf. Als Person aber blieb er abstrakt<br />

und fern.<br />

Das ist beim modernen Helden, geschaffen<br />

und in Szene gesetzt von den Medien,<br />

anders. Hierzu schreibt Schwabe:<br />

„Ihn kennt man. Besser: Man meint, ihn zu<br />

kennen. Es vergeht kein Tag, an dem man<br />

ihm nicht begegnen kann. Alles ist über ihn<br />

zu lesen: jeder Schmerz in seinem Knie, jedes<br />

Virus, das ihn plagt. Über den medizinischen<br />

Zustand seines Körpers wissen wir<br />

besser Bescheid als über unseren eigenen.<br />

Nach jedem Spiel können wir ihn treffen,<br />

im eigenen Wohnzimmer. Er ist uns vertrauter<br />

als der Nachbar, dem wir ab und an im<br />

Treppenhaus begegnen.“<br />

Jedes Jahr nehmen sich 9.000 Menschen<br />

das Leben. Im vergangenen Jahr<br />

warf sich der Milliardär Adolf Merckle vor<br />

den Zug. Allerdings war der schwäbische<br />

Unternehmer kein Mann der Öffentlichkeit,<br />

das Publikum kannte ihn kaum. Der<br />

Tod von Robert Enke geht den Menschen<br />

aber noch aus einem weiteren Grund näher.<br />

Merckle suchte den Freitod aus Angst<br />

um sein Finanzimperium, Enke dagegen<br />

aus „Angst vor dem Leben“ (DER<br />

SPIEGEL). Hierzu kommentiert Harald Pistorius<br />

in der Neuen Osnabrücker Zeitung:<br />

„Das Gefühl der Überforderung und der<br />

Zwang zum Funktionieren sind vielen von<br />

uns vertraut aus einem Alltag, in dem für<br />

Schwächen wenig Platz ist.“<br />

Die Depression ist wegen ihres extremen<br />

Leidendrucks die Krankheit mit dem<br />

höchsten Selbsttötungsrisiko. Ihr Wesen<br />

ist, dass der Kranke sich seelisch nur noch<br />

um sich selbst dreht, Zuspruch nicht mehr<br />

wahrnimmt. Bei Robert Enke kommt es<br />

nach seiner im Dezember 2003 erfolgreich<br />

abgeschlossenen Therapie im<br />

Oktober 2008 wieder zu einer ersten<br />

Stimmungseintrübung. Beim Training<br />

der Deutschen Nationalmannschaft bricht<br />

er sich das Kahnbein im linken Handgelenk.<br />

Wieder einmal umweht ihn ein<br />

Hauch von Tragik.<br />

Erst spät, mit 29 Jahren, hatte Enke im<br />

Frühjahr 2007 sein Debüt im Nationalteam<br />

gegeben. Nach dem Abgang von Jens Lehmann<br />

im Anschluss an die Europameisterschaft<br />

2008 ernennt ihn Bundestrainer<br />

Joachim Löw im Hinblick auf die WM 2010<br />

in Südafrika zur Nummer eins. Der Mann,<br />

der seinem Vater einst in Jena sagte, er<br />

werde der Nachfolger von Andreas Köpke,<br />

scheint endlich am Ziel zu sein. Doch die<br />

Verletzung, die er sich drei Tage vor dem<br />

wichtigen WM-Qualifikationsspiel gegen<br />

Russland zuzieht, wirft ihn abermals zurück.<br />

Er muss monatelang pausieren.<br />

Nach exakt 100 Tagen kehrt er im Januar<br />

<strong>2009</strong> ins Tor zurück und erlebt, so<br />

Jörg Neblung, „ein tolles erstes Halbjahr“.<br />

In allen Qualifikationsspielen hütet er das<br />

deutsche Tor, glänzt beim Erfolg in Wales<br />

und spielt auch in Aserbaidschan zu Null.<br />

Auf das Rückspiel am 9. September freut<br />

er sich besonders: Es findet in „seinem“<br />

Stadion statt. Doch als die Nationalmannschaft<br />

am 7. September ihr Quartier im<br />

Sporthotel Fuchsbachtal in Barsinghausen<br />

bezieht, in dem sich der DFB traditionell<br />

auf seine Partien in Hannover vorbereitet,<br />

fehlt Enke. Als Grund wird eine Bakterieninfektion<br />

des Darmes angegeben, die ihn<br />

aber nicht nur sein „Heimspiel“ in der<br />

AWD-Arena kostet, sondern auch das<br />

Rückspiel im Oktober gegen die Russen.<br />

Einem Duell, dem vorentscheidende Bedeutung<br />

hinsichtlich der Torwartfrage zugemessen<br />

wird. Wer in Moskau spielt,<br />

spielt auch in Südafrika – so die einhellige<br />

Meinung der Experten. Deutschland löst<br />

mit einem 1:0-Erfolg das Ticket, René<br />

Adler hält stark, punktet enorm.<br />

„Ich habe mich während dieser Pause<br />

oft gefragt: Warum? Warum ich schon wieder?“,<br />

sagt Robert Enke in Interviews. Die<br />

Wahrheit indes geht viel tiefer: Im Zusammenhang<br />

mit einer zunächst unklaren<br />

Infektion war Enke seit dem Sommer wieder<br />

in eine Krise geraten. „Er hatte morgens<br />

wieder ähnliche Symptome wie in Barcelona:<br />

Angst vorm Aufstehen, Versagensängste,<br />

Panik – das potenzierte sich“, erklärte<br />

Jörg Neblung gegenüber BILD. Enke<br />

nimmt die Therapie bei Dr. Markser wieder<br />

auf. Seine Erkrankung öffentlich zu thematisieren,<br />

wie es sein ehemaliger Mannschaftskollege<br />

Sebastian Deisler gemacht<br />

hat, lehnt er indes kategorisch ab. Zu groß<br />

ist die Befürchtung, Karriere und Privatleben<br />

zu riskieren.<br />

„Die Depressionen und die Angst,<br />

dass es herauskommt, haben ihn immer<br />

begleitet. Der Fußball war alles für ihn, er<br />

hat ihm Halt und Kraft gegeben“, sagt<br />

seine Frau Teresa am Tag nach seinem<br />

Suizid auf einer Pressekonferenz in der<br />

AWD-Arena. Ihr Auftritt ist zutiefst anrührend.<br />

Sie berichtet davon, dass ihr Mann<br />

der Meinung gewesen sei, als Depressionspatient<br />

das Sorgerecht für die im Mai<br />

adoptierte Tochter Leila zu verlieren. Und<br />

schließlich sagt sie drei Sätze, die kollektiv<br />

im Gedächtnis bleiben werden: „Wir<br />

dachten, wir schaffen alles. Wir dachten<br />

halt auch, mit Liebe geht das. Man<br />

schafft es aber doch nicht immer.“<br />

Zum Schluss täuschte Robert Enke neben<br />

seiner Frau auch seinen Arzt. Der Suizid<br />

war geplant, aber es durfte keiner merken.<br />

Dafür hat er sich in einem Abschiedsbrief<br />

entschuldigt. Am 8. November steht er gegen<br />

den Hamburger SV (2:2) zum zweiten<br />

Mal nach seiner neunwöchigen Pause wieder<br />

im Hannoveraner Tor. Als Enke zwei Tage<br />

später nach dem Frühstück sein Haus in<br />

Empede verlässt, sagt er, er wolle an diesem<br />

Tag zweimal trainieren. Doch in Wirklichkeit<br />

hat er keinen Termin bei 96. Am<br />

Nachmittag tankt er in der Ortschaft Hagen,<br />

die ebenfalls zu Neustadt gehört, sein<br />

Auto. Am Abend fährt er in das Nachbardorf<br />

Eilvese. Er biegt in einen Feldweg ab,<br />

parkt seinen Wagen direkt neben den Gleisen.<br />

Dann geht er los, stellt sich auf die<br />

Schienen und wartet. Um 18.17 Uhr erfasst<br />

ihn ein Regionalexpress auf dem Weg von<br />

Bremen nach Hannover. In den folgenden<br />

Stunden erschüttert Deutschland eine<br />

Nachricht, von der Niedersachsens Ministerpräsident<br />

Christian Wulff auf der Trauerfeier<br />

sagt, dass sie zu einem veränderten<br />

Zusammenleben in Deutschland führen<br />

kann: „Robert Enke ist tot.“ ■<br />

Abschied von Robert Enke, von links: 96-Präsident Martin Kind und Frau Renate, Pfarrer Heinrich Plochg, Deutschlands Innenminister Thomas de<br />

Maizière mit Frau Martina, DFB-Präsident Dr. Theo Zwanziger, DFL-Chef Dr. Reinhard Rauball, Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff mit<br />

Frau Bettina, <strong>NFV</strong>-Präsident Karl <strong>Rot</strong>hmund, Steffi Jones (Präsidentin des Organisationskomitees für die Frauenfußball-WM 2011), Hannovers Oberbürgermeister<br />

Stephan Weil, Franz Beckenbauer. Foto: imago<br />

Titel<br />

Dezember <strong>2009</strong> 11

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