Konzeption und Evaluation eines Kinematik/Dynamik-Lehrgangs zur ...

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22 2 Schülervorstellungen zur Kinematik und Dynamik eine konstante Geschwindigkeit ist eine konstante Antriebskraft nötig“. Reibung wird als ein stets vorhandener Einfluss aus allen Beschreibungen alltäglicher Bewegungen herausgehalten. Die Reibungswiderstände im newtonschen Sinne als Kräfte anzusehen, würde die Beschreibung dieser Bewegungen auch nur unnötig kompliziert werden lassen (Hericks, 1993, S. 130). Da also für jede unnatürliche Bewegung ein Aufwand von Kraft benötigt wird, wird auch nicht zwischen Bewegungen mit gleich bleibender oder sich verändernder Schnelligkeit unterschieden; jede Bewegung hat einen dynamischen Aspekt und beinhaltet Kraft. Deshalb kann auch nicht zwischen Geschwindigkeit und Beschleunigung unterschieden werden. Die Schüler kennen keine rein kinematischen, bewegungsbeschreibenden Begriffe. Vorwissenschaftliche Lernertheorien (KM 2): Das charakteristische Element der vorwissenschaftlichen Lernertheorien, das gegenüber den Alltagstheorien neu dazugekommen ist, ist die Beschleunigung. Sie wird als positive Änderung der Schnelligkeit angesehen (skalare Größe). Entsprechend wird eine negative Änderung der Schnelligkeit als Bremsen (oder negative Beschleunigung) verstanden. Das Cluster Antriebskraft/-energie wird von der Bewegung an sich auf das Beschleunigen übertragen. Man braucht also Kraft/Energie zum Beschleunigen und zum Bremsen. Bewegungen werden somit in Bewegungen mit konstanter Geschwindigkeit und beschleunigte Bewegungen unterteilt. Die Unterscheidung „natürliche“ oder „unnatürliche“ Bewegungen ist hinfällig geworden. Alle Bewegungen einschließlich Fallbewegungen sind mechanisch erklärungsbedürftige Bewegungen. Die beschriebene Vorstellung „aktive Körper üben Kräfte aus, passive Körper leisten Widerstand“ gehört zu den vorwissenschaftlichen Lernertheorien. Hier wird in einer Art Aktivitätsdenken zwischen aktiven, wirkenden Ursachen (= Kräfte) und passiven, verursachten Folgen (= Widerstände) unterschieden. Es wird zwar akzeptiert, Widerstände als Kräfte zu bezeichnen, aber trotzdem werden sie von Antriebskräften unterschieden. Die Antriebskraft bewirkt Bewegung bei Anwesenheit von Widerständen und Beschleunigung bei Abwesenheit von Widerständen. Bei einer Bewegung mit konstanter Geschwindigkeit unter Einfluss von sowohl Reibung als auch einer konstanten Kraft sieht der Schüler zwar, dass sich die gerichtete Antriebskraft (echte Kraft) und die ungerichteten Widerstände aufheben, er kann diese Bewegung aber nicht wie der Physiker als „kräftefrei“ bezeichnen (Hericks, 1993, S. 134). Auch das Missverstehen des dritten newtonschen Axioms als Folge des Aktivitätsdenkens gehört zu den vorwissenschaftlichen Lernertheorien. Hier wird deutlich, dass die Vorstellungen der vorwissenschaftlichen Lernertheorien erst durch den Physikunterricht entstehen. Wissenschaftliche Lernertheorien (KM 3): Auf dieser Niveaustufe werden Bewegungen unter dem Einfluss von Kräften zutreffend beschrieben. SCHENK (1984, S. 117) bezieht das allerdings nur auf eindimensionale Bewegungen eines Körpers, während mehrdimensionale Bewegungen und die Bewegung zweier Körper wie Mond und Erde nicht korrekt beschrieben werden können. Kritisch regredierte Konzeptualisierung der Mechanik (KM 0): Die Schüler dieser Stufe vermeiden jede mechanische Konzeptualisierung und wollen Aufgaben nur über Gleichungen und Rechnungen lösen, was ihnen bei konventionellen Aufgaben durchaus gelingt.

2 Schülervorstellungen zur Kinematik und Dynamik 23 2.2.5 Schülervorstellungen über Physik PRIEMER (2003, S. 161 f.) versteht unter „epistemologischen Überzeugungen“ Vorstellungen über die Praxis des naturwissenschaftlichen Arbeitens, den epistemologischen Status von naturwissenschaftlichem Wissen, die Strukturierung und Klassifikation von Wissen und die persönliche Bedeutung naturwissenschaftlicher Inhalte für den Lernenden. URHAHNE und HOPF (2004, S. 71) verstehen unter „epistemologischen Überzeugungen“ sowohl Vorstellungen über die Struktur des Wissens als auch über den Wissenserwerb. GRYGIER ET AL. (2004, S. 1) (Günther et al., 2003, S. 150) verwenden dagegen den Begriff „Wissenschaftsverständnis“ als einen vereinfachenden, elementarisierten Begriff, der erkenntnistheoretische, wissenschaftstheoretische und wissenschaftliche Aspekte der Philosophie einschließt. Sie betonen, dass das Verstehen der Natur der Naturwissenschaften erfolgreiches Lernen naturwissenschaftlicher Inhalte unterstützt (Grygier et al., 2004, S. 5), und legen dar, dass empirische Untersuchungen diese These für Schüler der Sekundarstufe I bestätigen, während es für die Sekundarstufe II nur punktuelle Untersuchungen gibt (z.B. Mikelskis-Seifert, 2002). PRIEMER (2003, S. 160 f.) gibt auch mehrere internationale Untersuchungen an, die zeigen, dass individuelle Ansichten über Wissen und Lernen große Bedeutung für Lernerfolge haben. Schülervorstellungen über Naturwissenschaften sind sehr heterogen und die entsprechende Studien zeigen kein einheitliches Bild (Höttecke, 2001, S. 71). Hier können nur solche Vorstellungen beschrieben werden, die bei vielen Schülern vorkommen. Nach DEANNA KUHN (1989) liegt ein Problem darin, dass Schüler nicht zwischen Theorie und experimentellen Belegen differenzieren und so zu einer einzigen Darstellung der Dinge kommen, wie sie sind („a single representation of ‚the way things are’“, KUHN, 1989, S. 687). So verstehen sie den Zusammenhang zwischen Theorie und Experiment nicht. Schüler tendieren damit häufig zu der Auffassung, die Physik bilde die Wirklichkeit eins-zu-eins ab, sie entwerfe eine wahrheitsgetreue Kopie der Welt; Schüler sind also naive Realisten (Kircher, 1995, S. 246 f., Priemer, 2003, S. 161). Alles, was wir über die Wirklichkeit wissen, ist aber menschliche Konstruktion, was für Schüler eine fremde Vorstellung ist. Das konstruierte Wissen muss sich im Einklang mit der Realität erweisen und die Wissenschaftsgeschichte hat gezeigt, dass immer wieder Widersprüche zwischen physikalischen Wissen und der Realität auftraten, die zu einer Veränderung der physikalischen Sicht führten. Physik ist eine theoriebildende Wissenschaft und „‚Physik lernen’ bedeutet […] ‚physikalische Modellbildung’“ (Kircher, 1995, S. 91). Unter diesem umfassenden Begriff „Modell“ fallen Schülervorstellungen und physikalische Hypothesen genauso wie bewährte Theorien. Für Schüler aber sind die wissenschaftlichen Objekte (wie z.B. Atom, Lichtstrahl, Elektron) genauso real wie Gegenstände des Klassenzimmers. MEYLING (1990, S. 154 f.) gibt einen Überblick über Schülervorstellungen von S II-Schülern zu wissenschaftstheoretischen Begriffen und naturwissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung (Kircher, 1995, S. 247 f.). Demnach sind die Schüler sehr am Begreifen der Realität interessiert, die sie für erkennbar halten. Nach ihrer Ansicht besteht das physikalische Wissen aus wahren Aussagen über diese Realität, während physikalische Theorien nach ihrer Meinung nur hypothetische, noch nicht bewiesene Aussagen sind. Erkenntnisse werden nicht durch Intuition, sondern nur empirisch aus dem Experiment oder durch deduktives Ableiten aus bekannten Naturgesetzen gewonnen. Auch die TIMS/III-Studie ergab, dass Schüler glauben, dass Physiker die in der Natur existierenden physika-

2 Schülervorstellungen <strong>zur</strong> <strong>Kinematik</strong> <strong>und</strong> <strong>Dynamik</strong> 23<br />

2.2.5 Schülervorstellungen über Physik<br />

PRIEMER (2003, S. 161 f.) versteht unter „epistemologischen Überzeugungen“ Vorstellungen über<br />

die Praxis des naturwissenschaftlichen Arbeitens, den epistemologischen Status von naturwissenschaftlichem<br />

Wissen, die Strukturierung <strong>und</strong> Klassifikation von Wissen <strong>und</strong> die persönliche Bedeutung<br />

naturwissenschaftlicher Inhalte für den Lernenden. URHAHNE <strong>und</strong> HOPF (2004, S. 71) verstehen<br />

unter „epistemologischen Überzeugungen“ sowohl Vorstellungen über die Struktur des Wissens<br />

als auch über den Wissenserwerb. GRYGIER ET AL. (2004, S. 1) (Günther et al., 2003, S. 150) verwenden<br />

dagegen den Begriff „Wissenschaftsverständnis“ als einen vereinfachenden, elementarisierten<br />

Begriff, der erkenntnistheoretische, wissenschaftstheoretische <strong>und</strong> wissenschaftliche Aspekte<br />

der Philosophie einschließt. Sie betonen, dass das Verstehen der Natur der Naturwissenschaften<br />

erfolgreiches Lernen naturwissenschaftlicher Inhalte unterstützt (Grygier et al., 2004, S. 5), <strong>und</strong><br />

legen dar, dass empirische Untersuchungen diese These für Schüler der Sek<strong>und</strong>arstufe I bestätigen,<br />

während es für die Sek<strong>und</strong>arstufe II nur punktuelle Untersuchungen gibt (z.B. Mikelskis-Seifert,<br />

2002). PRIEMER (2003, S. 160 f.) gibt auch mehrere internationale Untersuchungen an, die zeigen,<br />

dass individuelle Ansichten über Wissen <strong>und</strong> Lernen große Bedeutung für Lernerfolge haben.<br />

Schülervorstellungen über Naturwissenschaften sind sehr heterogen <strong>und</strong> die entsprechende Studien<br />

zeigen kein einheitliches Bild (Höttecke, 2001, S. 71). Hier können nur solche Vorstellungen beschrieben<br />

werden, die bei vielen Schülern vorkommen. Nach DEANNA KUHN (1989) liegt ein Problem<br />

darin, dass Schüler nicht zwischen Theorie <strong>und</strong> experimentellen Belegen differenzieren <strong>und</strong> so<br />

zu einer einzigen Darstellung der Dinge kommen, wie sie sind („a single representation of ‚the way<br />

things are’“, KUHN, 1989, S. 687). So verstehen sie den Zusammenhang zwischen Theorie <strong>und</strong> Experiment<br />

nicht. Schüler tendieren damit häufig zu der Auffassung, die Physik bilde die Wirklichkeit<br />

eins-zu-eins ab, sie entwerfe eine wahrheitsgetreue Kopie der Welt; Schüler sind also naive Realisten<br />

(Kircher, 1995, S. 246 f., Priemer, 2003, S. 161). Alles, was wir über die Wirklichkeit wissen,<br />

ist aber menschliche Konstruktion, was für Schüler eine fremde Vorstellung ist. Das konstruierte<br />

Wissen muss sich im Einklang mit der Realität erweisen <strong>und</strong> die Wissenschaftsgeschichte hat gezeigt,<br />

dass immer wieder Widersprüche zwischen physikalischen Wissen <strong>und</strong> der Realität auftraten,<br />

die zu einer Veränderung der physikalischen Sicht führten. Physik ist eine theoriebildende Wissenschaft<br />

<strong>und</strong> „‚Physik lernen’ bedeutet […] ‚physikalische Modellbildung’“ (Kircher, 1995, S. 91).<br />

Unter diesem umfassenden Begriff „Modell“ fallen Schülervorstellungen <strong>und</strong> physikalische Hypothesen<br />

genauso wie bewährte Theorien. Für Schüler aber sind die wissenschaftlichen Objekte (wie<br />

z.B. Atom, Lichtstrahl, Elektron) genauso real wie Gegenstände des Klassenzimmers.<br />

MEYLING (1990, S. 154 f.) gibt einen Überblick über Schülervorstellungen von S II-Schülern zu<br />

wissenschaftstheoretischen Begriffen <strong>und</strong> naturwissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung (Kircher,<br />

1995, S. 247 f.). Demnach sind die Schüler sehr am Begreifen der Realität interessiert, die sie für<br />

erkennbar halten. Nach ihrer Ansicht besteht das physikalische Wissen aus wahren Aussagen über<br />

diese Realität, während physikalische Theorien nach ihrer Meinung nur hypothetische, noch nicht<br />

bewiesene Aussagen sind. Erkenntnisse werden nicht durch Intuition, sondern nur empirisch aus<br />

dem Experiment oder durch deduktives Ableiten aus bekannten Naturgesetzen gewonnen. Auch die<br />

TIMS/III-Studie ergab, dass Schüler glauben, dass Physiker die in der Natur existierenden physika-

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