Konzeption und Evaluation eines Kinematik/Dynamik-Lehrgangs zur ...
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20 2 Schülervorstellungen <strong>zur</strong> <strong>Kinematik</strong> <strong>und</strong> <strong>Dynamik</strong><br />
Eng damit verb<strong>und</strong>en sind Vorstellungen von Absichten <strong>und</strong> Zielen. Aktive Kräfte dienen in Schülervorstellungen<br />
einem bestimmten Ziel, d.h. sie können mit einem bestimmten Ziel auf sich oder<br />
auf andere Körper einwirken. Passive Widerstände sind ohne Absicht nur Hemmnisse. Demnach<br />
sind Reibungskräfte immer nur Widerstände gegen Bewegungen, aber keine wirklichen Kräfte.<br />
Beispielsweise wurden Schüler mit der Aussage konfrontiert, dass es beim Anfahren <strong>eines</strong> Autos<br />
die Straße ist, die die beschleunigende Kraft ausübt, was von den Schülern entschieden als völlig<br />
absurd abgelehnt wurde: Die Straße, die einfach nur so daliege (passiv, absichtslos), könne doch<br />
keine Kraft ausüben <strong>und</strong> kein Auto beschleunigen (aktiv, zielgerichtet) (Jung, Wiesner, 1980, S.<br />
117, <strong>und</strong> Engelhardt, Wiesner, 1983, S. 18, <strong>und</strong> Schecker, 1985, S. 195). Ebenso gilt für die Schüler,<br />
dass ein Sprinter sich selbst durch seine eigene Kraft vom Startblock abstoßen kann, während<br />
der Startblock keine Kraft ausübt, sondern als Widerstand ein Wegrutschen des Fußes verhindert<br />
(Schecker, 1985, S. 310). „Ein Tisch übt auf ein auf ihm liegendes Buch keine Kraft aus. Er verhindert<br />
lediglich als Hemmnis, dass das Buch auf den Boden fällt“ (Schecker, 1985, S. 311).<br />
Bei diesen Aussagen merkt man schon, dass das 3. newtonsche Axiom überhaupt nicht verstanden<br />
wird. Die Formulierungen „actio gleich reactio“ bzw. „Kraft gleich Gegenkraft“ verleiten allerdings<br />
auch zu der beschriebenen Einteilung in eine aktive Ursache <strong>und</strong> in eine passive Wirkung. In der<br />
newtonschen Sichtweise sind jedoch beides völlig gleichberechtigte Kräfte. Das 3. Axiom wird von<br />
den Schülern meistens so verstanden, dass beide Kräfte am gleichen Körper angreifen. „Die 'Gegenkraft'<br />
wird von einem Körper als passiver Widerstand gegen eine von außen einwirkende Kraft<br />
mobilisiert“ (Schecker, 1985, S. 311). Wirkt also auf einen ruhenden Körper eine äußere Kraft ein,<br />
bewirkt seine Gegenkraft, dass er sich nicht oder nur allmählich in Bewegung setzen lässt. „Eine<br />
Beeinflussung des in Wechselwirkung stehenden Körpers wird aus drei Gründen oft nicht ins Auge<br />
gefasst:<br />
- Die Gegenkraft ist die Reaktion <strong>eines</strong> passiven Körpers.<br />
- Sie hat nicht das 'Ziel', den anderen Körper zu beeinflussen.<br />
- Die Bewegungsrichtung des in Gang gesetzten Körpers ist entgegengesetzt zu der Richtung, in<br />
der er die Kraft ausüben müßte“ (Schecker, 1985, S. 311).<br />
Bei den beschriebenen Vorstellungen spielen auch Überwindungsvorstellungen eine entscheidende<br />
Rolle. Damit ein Körper beschleunigt wird, muss für manche Schüler die von außen wirkende Kraft<br />
größer sein als die Gegenkraft bzw. größer als die Trägheit des Körpers, die als Gegenkraft bezeichnet<br />
wird. Aber „der ganze Vorgang wird nicht unter dem Aspekt von Größen auf einer einheitlichen<br />
Dimension gesehen“ (Jung, 1980a, S. 112 - 113), denn die Trägheit bzw. die Gegenkraft sind<br />
in der Schülervorstellung keine Kräfte. Ist die äußere Kraft nicht groß genug, bewegt sich nach dieser<br />
Vorstellung der Körper nicht; das bedeutet, dass hier eine Schwellenvorstellung vorliegt.<br />
Insgesamt kann man sagen, dass viele Aspekte der Schülervorstellungen zum Begriff „Kraft“ stark<br />
an Aspekte der Aristotelischen Bewegungslehre bzw. ihrer scholastischen Interpretation oder mehr<br />
noch an Aspekte der Impetustheorie erinnern. Hier sei nochmals erwähnt, dass diese Vorstellungen<br />
„relativ geschlossene <strong>und</strong> widerspruchsarme Strukturen [haben], die diesen Aussagen eine erstaunliche<br />
Leistungsfähigkeit <strong>und</strong> Beständigkeit verleihen“ (Weber, 1989, S. 22).