Konzeption und Evaluation eines Kinematik/Dynamik-Lehrgangs zur ...

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16 2 Schülervorstellungen zur Kinematik und Dynamik dem entsprechenden Unterricht auch negative Beschleunigungen meistens kaum Probleme. „Beschleunigen“ heißt demnach „schnellerwerden“, auch als „positive Beschleunigung“ bezeichnet; „negative Beschleunigung“ bedeutet dann „langsamerwerden“, „verzögern“, „bremsen“. Wird nun Beschleunigung als eine solche skalare Größe betrachtet, die die Änderung des Geschwindigkeitsbetrages (pro Zeiteinheit) angibt und deren Vorzeichen die Zu- bzw. Abnahme des Geschwindigkeitsbetrages anzeigt, führt dies zunächst kaum zu Problemen, da sich ein Körper in der Schule meist in positive Richtung bewegt. Erst bei Bewegungen in negative Richtung - wie sie bei Bewegungen mit Richtungswechsel auftreten - führt diese Vorstellung zu entgegengesetzten Ergebnissen als das physikalische Konzept (siehe Kapitel 6.4.3.1), bei dem die vektorielle Beschleunigung der Quotient aus der Änderung des Geschwindigkeitsvektors durch zugehöriges Zeitintervall ist (Beispiel: In negative Richtung schneller werden ist eine negative Beschleunigung). Besonders schwierig wird es dann bei der zweidimensionalen Bewegung, da eine Kreisbewegung mit konstantem Geschwindigkeitsbetrag dann keine Beschleunigung ergibt und eine Zentripetalbeschleunigung nicht verstehbar ist. Entsprechend wird bei einer Kurvenfahrt mit veränderlicher Geschwindigkeit von den Schülern nur die tangentiale Komponente der Beschleunigung angegeben (siehe Kapitel 6.4.1.1). Diese unangemessenen Reduktion findet man sogar in Universitätslehrbüchern, in denen beim mathematischen Pendel die tangentiale Beschleunigung als die (gesamte) Beschleunigung dargestellt wird, ohne darauf zu verweisen, dass die Bewegung auf dem Kreisbogen einen radialen Beschleunigungsanteil ergibt (Reusch, Heuer, 2000, S. 349). Die Kraft durch das Seil kompensiert eben nicht die radiale Komponente der Gewichtskraft, sondern ist (außer in den Umkehrpunkten) größer, sonst könnte sich der Pendelkörper nicht auf einer Kreisbahn bewegen. Die Untersuchungen in den Kapiteln 6.4.1.1, 6.4.2.3 und 6.4.3.1 zeigen insgesamt, dass im herkömmlichen Unterricht nur ein recht kleiner Teil der Schüler so ein physikalisches Verständnis der Beschleunigung erreichen, dass sie auch bei Kurvenfahrten und eindimensionalen Bewegungen mit Richtungsumkehr physikalisch korrekte Antworten geben können. Der traditionelle Unterricht erreicht also nicht viel mehr, als dass ein großer Teil der Schüler Beschleunigung als Änderung des Geschwindigkeitsbetrages konzeptualisieren. In der Regel lassen sich nach dem Mechanikunterricht � � � � � alle drei verschiedenen Vorstellungen ( a ~ v , a ~ ∆ v und a ~ ∆v ) gleichzeitig in einer Klasse finden, wobei es von der Aufgabenstellung abhängt, welche dieser Vorstellung überwiegend genutzt wird. Sollen Gymnasiasten nach dem Mechanikunterricht bei einer eindimensionalen Bewegung die Beschleunigungsrichtung als Pfeil einzeichnen (siehe 6.4.1.1), wird dies noch von fast allen richtig gelöst (ca. 90 %). Bei einer zweidimensionalen Bewegung lösen nur 5 % bis 12 % die Aufgabe richtig, während die Hälfte bis Dreiviertel der Schüler nur eine Art tangentiale Beschleunigung angibt (siehe 6.4.1.1). Auch die Untersuchungen von REIF und ALLEN (1992) sowie von HESTENES und WELLS (1992) zeigen große Schwierigkeiten von amerikanischen Schülern und Studenten bei der Richtung der Beschleunigung bei krummlinigen Bewegungen.

2 Schülervorstellungen zur Kinematik und Dynamik 17 Sollen die Gymnasiasten nach dem Mechanikunterricht bei den eindimensionalen Bewegungen aber Zeit-Graphen auswählen, geben ca. 50 % eine Antwort, die wenigstens einem gewissen Beschleu- � � � nigungsverständnis entspricht ( a ~ ∆ v oder a ~ ∆v ), während ca. 40 % nur der Geschwindigkeit � � entsprechend ( a ~ v ) antworten (siehe 6.4.2.3). Die Kombination von „Beschleunigungsrichtung ermitteln“ und „Graphen interpretieren“ ist bei eindimensionalen Bewegungen offensichtlich deutlich schwerer als jede dieser Aufgaben allein. Sollen aber bei einer eindimensionalen Bewegung mit Richtungsumkehr nur Vorzeichen angegeben werden, geben ebenso ca. 40 % Antworten, als wäre nach der Geschwindigkeit gefragt worden (siehe 6.4.3.1). Ca. ein Drittel antwortet entsprechend der � Schnelligkeitsänderung a ~ ∆ v und ca. ein Sechstel schafft eine Antwort, die wenigstens bis auf den Umkehrpunkt richtig ist. 2.2.4 Zum Begriff „Kraft“ Zu Schülervorstellungen zum Begriff „Kraft“ wurden schon viele Untersuchungen durchgeführt. SCHECKER (1985) legte in seiner Dissertation eine kurze Zusammenfassung der bis dahin gemachten Untersuchungen über Schülervorstellungen vor (Es handelt sich hierbei um die Untersuchungen von ARONS (1981), CHAMPAGNE et al. (1980), CLEMENT (1982), MCCLOSKEY (1983), JUNG, WIES- NER, ENGELHARDT (1981), LEBOUTET-BARELL (1976), SCHENK (unveröffentlichtes Manuskript von 1983), TROWBRIDGE ET AL. (1980 und 1981), VIENNOT (1979), WARREN (1979), WATTS (1983) und WHITAKER (1983)). Es kann hier nicht darum gehen, alle Ergebnisse der vielen bisher durchgeführten Studien darzulegen, sondern lediglich darum, einen Überblick über die wichtigsten Erkenntnisse zu geben. Andere neuere Übersichten über Schülervorstellungen zur Mechanik findet man z.B. bei WIESNER (1994) und bei MÜLLER ET AL. (2004). 2.2.4.1 Der Clusterbegriff „Kraft“ Der Begriff „Kraft“ ist bei den Schülern - wie viele andere Worte der Umgangssprache - ein Sammelbegriff, der nicht scharf definiert ist und vielfältige Bedeutungen haben kann. SCHECKER bezeichnet einen solchen Begriff als „Clusterbegriff“ (Schecker, 1985, S. 270, oder Schecker, 1984b, S. 196). „Kraft“ ist dabei nur ein sprachliches Zeichen für den Clusterbegriff Energie/Kraft/ Schwung/Wucht/Stärke/Gewalt usw.; es sind verschiedene Namen, die den gleichen Clusterbegriff beschreiben. So ist auch „ F = m ⋅ a “ nur eine Formel für „Kraft“, wobei es für den Schüler noch ganz andere Formeln geben kann. „Alle mechanischen Vorgänge (In-Bewegung-Setzen, Bewegung, Bewegungsänderung, Verformung) erfolgen unter dem Einfluss von Kräften. Körper können Kraft haben, Kraft ausüben, eine Kraft erfahren, Kraft speichern, Kraft verbrauchen usw. Kräfte sind die bestimmenden Antriebe für alle Veränderungen in den Konfigurationen der materiellen Dinge“ (Schecker, 1985, S. 270). Die physikalischen Begriffe „kinetische Energie“, „Impuls“, „Leistung“, „Kraft“ und „Kraftstoß“ passen so zu einzelnen Aspekten des Clusterbegriffes „Kraft“, jedoch stimmen die Schülervorstellungen zum Teil mit keinem physikalischen Konzept überein. Es ist nicht so, dass der Schüler das eine Wort „Kraft“ für verschiedene Begriffe verwendet, die er inhaltlich trennen kann, oder dass er nur die Begriffe wie Vokabeln verwechselt; vielmehr sieht er keinen

2 Schülervorstellungen <strong>zur</strong> <strong>Kinematik</strong> <strong>und</strong> <strong>Dynamik</strong> 17<br />

Sollen die Gymnasiasten nach dem Mechanikunterricht bei den eindimensionalen Bewegungen aber<br />

Zeit-Graphen auswählen, geben ca. 50 % eine Antwort, die wenigstens einem gewissen Beschleu-<br />

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nigungsverständnis entspricht ( a ~ ∆ v oder a ~ ∆v<br />

), während ca. 40 % nur der Geschwindigkeit<br />

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entsprechend ( a ~ v ) antworten (siehe 6.4.2.3). Die Kombination von „Beschleunigungsrichtung<br />

ermitteln“ <strong>und</strong> „Graphen interpretieren“ ist bei eindimensionalen Bewegungen offensichtlich deutlich<br />

schwerer als jede dieser Aufgaben allein. Sollen aber bei einer eindimensionalen Bewegung mit<br />

Richtungsumkehr nur Vorzeichen angegeben werden, geben ebenso ca. 40 % Antworten, als wäre<br />

nach der Geschwindigkeit gefragt worden (siehe 6.4.3.1). Ca. ein Drittel antwortet entsprechend der<br />

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Schnelligkeitsänderung a ~ ∆ v <strong>und</strong> ca. ein Sechstel schafft eine Antwort, die wenigstens bis auf<br />

den Umkehrpunkt richtig ist.<br />

2.2.4 Zum Begriff „Kraft“<br />

Zu Schülervorstellungen zum Begriff „Kraft“ wurden schon viele Untersuchungen durchgeführt.<br />

SCHECKER (1985) legte in seiner Dissertation eine kurze Zusammenfassung der bis dahin gemachten<br />

Untersuchungen über Schülervorstellungen vor (Es handelt sich hierbei um die Untersuchungen<br />

von ARONS (1981), CHAMPAGNE et al. (1980), CLEMENT (1982), MCCLOSKEY (1983), JUNG, WIES-<br />

NER, ENGELHARDT (1981), LEBOUTET-BARELL (1976), SCHENK (unveröffentlichtes Manuskript von<br />

1983), TROWBRIDGE ET AL. (1980 <strong>und</strong> 1981), VIENNOT (1979), WARREN (1979), WATTS (1983) <strong>und</strong><br />

WHITAKER (1983)). Es kann hier nicht darum gehen, alle Ergebnisse der vielen bisher durchgeführten<br />

Studien darzulegen, sondern lediglich darum, einen Überblick über die wichtigsten Erkenntnisse<br />

zu geben. Andere neuere Übersichten über Schülervorstellungen <strong>zur</strong> Mechanik findet man z.B. bei<br />

WIESNER (1994) <strong>und</strong> bei MÜLLER ET AL. (2004).<br />

2.2.4.1 Der Clusterbegriff „Kraft“<br />

Der Begriff „Kraft“ ist bei den Schülern - wie viele andere Worte der Umgangssprache - ein Sammelbegriff,<br />

der nicht scharf definiert ist <strong>und</strong> vielfältige Bedeutungen haben kann. SCHECKER bezeichnet<br />

einen solchen Begriff als „Clusterbegriff“ (Schecker, 1985, S. 270, oder Schecker, 1984b,<br />

S. 196). „Kraft“ ist dabei nur ein sprachliches Zeichen für den Clusterbegriff Energie/Kraft/<br />

Schwung/Wucht/Stärke/Gewalt usw.; es sind verschiedene Namen, die den gleichen Clusterbegriff<br />

beschreiben. So ist auch „ F = m ⋅ a “ nur eine Formel für „Kraft“, wobei es für den Schüler noch<br />

ganz andere Formeln geben kann. „Alle mechanischen Vorgänge (In-Bewegung-Setzen, Bewegung,<br />

Bewegungsänderung, Verformung) erfolgen unter dem Einfluss von Kräften. Körper können Kraft<br />

haben, Kraft ausüben, eine Kraft erfahren, Kraft speichern, Kraft verbrauchen usw. Kräfte sind die<br />

bestimmenden Antriebe für alle Veränderungen in den Konfigurationen der materiellen Dinge“<br />

(Schecker, 1985, S. 270). Die physikalischen Begriffe „kinetische Energie“, „Impuls“, „Leistung“,<br />

„Kraft“ <strong>und</strong> „Kraftstoß“ passen so zu einzelnen Aspekten des Clusterbegriffes „Kraft“, jedoch<br />

stimmen die Schülervorstellungen zum Teil mit keinem physikalischen Konzept überein. Es ist<br />

nicht so, dass der Schüler das eine Wort „Kraft“ für verschiedene Begriffe verwendet, die er inhaltlich<br />

trennen kann, oder dass er nur die Begriffe wie Vokabeln verwechselt; vielmehr sieht er keinen

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