Konzeption und Evaluation eines Kinematik/Dynamik-Lehrgangs zur ...

Konzeption und Evaluation eines Kinematik/Dynamik-Lehrgangs zur ... Konzeption und Evaluation eines Kinematik/Dynamik-Lehrgangs zur ...

thomas.wilhelm.net
von thomas.wilhelm.net Mehr von diesem Publisher
27.02.2013 Aufrufe

8 2 Schülervorstellungen zur Kinematik und Dynamik 1996, S. 22). Lehrbedingte Schwierigkeiten ergeben sich wie genannt aus dem Unterricht, wobei nicht optimale Elementarisierungen und Vorgehensweisen Ursachen sind. Innenbedingte Lernschwierigkeiten liegen am kognitiven Apparat des Schülers, wobei sich Gedächtniskapazität, Konzentrationsvermögen, vorhandene Vorstellungen u.a. auswirken. 2.1.3 Eigenschaften von Schülervorstellungen Die Schülervorstellungen können zwar von Schüler zu Schüler variieren, sie weisen aber gemeinsame Grundzüge auf, die es ermöglichen, im Rahmen didaktischer Forschung verallgemeinerbare Aussagen zu machen, obwohl es Vorstellungen individueller Schüler sind (Hericks, 1993, S. 129). Unterscheiden muss man zwischen spontan erzeugten Vorstellungen, auch „ad-hoc-konstruierte Vorstellungen“ genannt (Häußler et al., 1998, S. 177), die durch eine Befragung in einer konkreten Situation erzeugt werden und Vorstellungen, die fest verwurzelt sind und immer wieder zum Tragen kommen. NIEDDERER und SCHECKER verwenden dafür die beiden Begriffe „current construction“ und „deep structure“ (Niedderer, Schecker, 1992b, S. 79 f.). DYKSTRA ET AL. (1992) unterscheiden deshalb auch zwischen • Fehlkonzepten im Sinne „falscher“ Antworten, • Fehlkonzepten im Sinne von Vorstellungen über bestimmte Phänomene, die zu „falschen“ Antworten führen und • grundlegende Überzeugungen, die in verschiedenen Situationen immer wieder zum Vorschein kommen. Die physikalischen Begriffe sind in den Schülervorstellungen wie in der Umgangssprache Sammelbegriffe, die vielfältige Bedeutungen haben können. Die konkret gemeinte Bedeutung eines Begriffs ergibt sich häufig erst an dem jeweiligen Kontext, in dem das Wort benutzt wird (current construction). Die Begriffe selbst und ihre Beziehungen bleiben meist relativ unbewusst und können nicht an sich, sondern nur unter dem Einfluss konkreter Aufgabenstellungen, also bezüglich konkreter Situationen geäußert werden. Auffällig ist auch, dass ein Schüler oft gleichzeitig vielfältige und widersprüchliche Vorstellungen hat. So können in physikalisch äquivalenten Situationen ganz unterschiedliche Vorstellungen aktiviert werden, wofür äußere, physikalisch unbedeutende Aspekte entscheidend sind. Ein außenstehender Beobachter bekommt dann leicht den Eindruck, dass die Schülervorstellungen inkohärent sind. Folglich ist die Überzeugungskraft eines Demonstrationsexperimentes oder einer Analogie beschränkt, da es für den Schüler nicht unbedingt auf andere Kontexte übertragbar ist. Schülervorstellungen können auch sinnstiftend miteinander vernetzt sein, so wie auch eine physikalische Theorie durch ein Netz von Begriffen, Regeln und Vorstellungen beschrieben werden kann (deep structure). Deshalb ist beim Lernen oft nicht nur eine Vorstellung, sondern ein ganzes Netz, eine ganze Sichtweise zu ändern, was viel schwieriger ist als eine einzelne, isolierte Vorstellung zu ändern. Erschwerend für den Unterricht ist, dass Schülervorstellungen außerordentlich stabil und dauerhaft sind. Selbst wenn die Schüler die physikalische Vorstellung verstehen, glauben sie entsprechende Behauptungen häufig nicht. So sind meist auch nach dem entsprechenden Unterricht immer noch dieselben Vorstellungen vorhanden, obwohl der Lehrer sich sehr um eine Veränderung bemühte. Gerade nach dem Unterricht, wenn das oberflächlich angelernte Sachwissen wieder vergessen wurde, treten die alten Vorstellungen wieder stärker hervor (Demidow et al., 1997, S. 196). Das ist

2 Schülervorstellungen zur Kinematik und Dynamik 9 recht verständlich, da die oben dargelegten Quellen für die Alltagserkenntnisse ständig vorhanden sind. So wurden auch prinzipiell gleiche Vorstellungen bei Menschen unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Vorbildung - lediglich mit verschiedenen Häufigkeiten - gefunden. Die Vorstellungen bleiben außerdem dadurch stabil, dass Schüler im Unterricht in Experimenten häufig genau das sehen, was sie aufgrund ihrer Vorstellungen erwarten (Ein Beispiel beschriebt SCHLICHTING, (1991, S. 77), weitere nennt DUIT (1992, S. 283, oder 1989, S. 37 f., oder 1996, S. 154)). Aber selbst wenn sie sehen, dass ein einziger Versuchsausgang ihren Vorstellungen widerspricht, ändern sie deshalb noch nicht ihre Sichtweise (Duit, 1993a, S. 5). Die bekannte Tendenz, von den vorhandenen Ansichten und Bewertungen möglichst wenig abzuweichen, wird in der Psychologie „Perseverationstendenz“ genannt. Bei Schülern sind aber nicht nur inkorrekte oder unvollständige Vorstellungen zu finden, sondern auch der unangemessene Einsatz eines an sich korrekten Konzeptes, d.h. ein richtiges Konzept wird überstrapaziert und auch dann immer wieder verwendet, wenn gerade ein anderes Konzept angemessen wäre (Mandl, Gruber, Renkl, 1993a, S. 25). 2.1.4 Kompartmentalisierung von Schülervorstellungen Der Physikunterricht in der Schule geht häufig nicht auf die vorhandenen Schülervorstellungen ein, sondern stellt das physikalische Konzept vor, das sich jeder Schüler anzueignen hat. Das führt zum Entstehen gewisser Wissensstrukturen, die von MANDL, GRUBER und RENKL (1993a, S. 27) mit dem Begriff „Wissenskompartmentalisierung“ (im Englischen: „knowledge compartmentalization“ (Mandl, Gruber, Renkl, 1993b, S. 162)) bezeichnet werden. Gemeint ist, dass das Wissen über einen bestimmten Bereich aus verschiedenen, separat gehaltenen und nicht miteinander verknüpften Teilen zusammengesetzt ist. MANDL, GRUBER und RENKL unterscheiden drei Arten von Wissenskompartmentalisierung: Als erstes ist die Kompartmentalisierung von korrekten und inkorrekten Konzepten zu nennen. Im Schulunterricht wird häufig nicht versucht, die vorhandenen Fehlkonzepte durch korrekte Konzepte zu ersetzen, sondern es wird ein zusätzliches Wissen vermittelt, so dass dann korrekte und inkorrekte Konzepte unberührt nebeneinander stehen bleiben. Das größte Problem bei dieser Art von Wissenskompartmentalisierung ist, dass in Situationen, in denen Wissen angewendet werden soll, die Schüler oft auf ihre alten Fehlkonzepte vertrauen, anstatt auf das neu erworbene, adäquatere wissenschaftliche Wissen. Im Gespräch mit Schülern ist häufig auch ein Hin- und Herspringen zwischen den zwei Theorien festzustellen. Spontan verwendet der Schüler eher sein altes Modell, wechselt aber bei einem kleinen Hinweis sofort zum neugelernten Modell über. WILHELM (1994, S. 81) berichtet von einem Beispiel für dieses Verhalten in einem Interview, bei dem zwei Schülerinnen mit lautem Denken den Fragebogen „Fragen zu Kraft und Bewegung“ bearbeiten sollten (siehe Kapitel 6.4.2.1). Dabei haben sie fast durchgehend und überzeugt aristotelisch geantwortet. Anschließend wollten sie die richtigen Antworten wissen. Nachdem mit wenigen Worten das newtonsche Konzept in Erinnerung gerufen wurde, konnte eine Schülerin plötzlich selbst die gleichen Aufgaben richtig beantworten. Solche Verständnistests zeigen also nur, welche

8 2 Schülervorstellungen <strong>zur</strong> <strong>Kinematik</strong> <strong>und</strong> <strong>Dynamik</strong><br />

1996, S. 22). Lehrbedingte Schwierigkeiten ergeben sich wie genannt aus dem Unterricht, wobei<br />

nicht optimale Elementarisierungen <strong>und</strong> Vorgehensweisen Ursachen sind. Innenbedingte Lernschwierigkeiten<br />

liegen am kognitiven Apparat des Schülers, wobei sich Gedächtniskapazität, Konzentrationsvermögen,<br />

vorhandene Vorstellungen u.a. auswirken.<br />

2.1.3 Eigenschaften von Schülervorstellungen<br />

Die Schülervorstellungen können zwar von Schüler zu Schüler variieren, sie weisen aber gemeinsame<br />

Gr<strong>und</strong>züge auf, die es ermöglichen, im Rahmen didaktischer Forschung verallgemeinerbare<br />

Aussagen zu machen, obwohl es Vorstellungen individueller Schüler sind (Hericks, 1993, S. 129).<br />

Unterscheiden muss man zwischen spontan erzeugten Vorstellungen, auch „ad-hoc-konstruierte<br />

Vorstellungen“ genannt (Häußler et al., 1998, S. 177), die durch eine Befragung in einer konkreten<br />

Situation erzeugt werden <strong>und</strong> Vorstellungen, die fest verwurzelt sind <strong>und</strong> immer wieder zum Tragen<br />

kommen. NIEDDERER <strong>und</strong> SCHECKER verwenden dafür die beiden Begriffe „current construction“<br />

<strong>und</strong> „deep structure“ (Niedderer, Schecker, 1992b, S. 79 f.). DYKSTRA ET AL. (1992) unterscheiden<br />

deshalb auch zwischen • Fehlkonzepten im Sinne „falscher“ Antworten, • Fehlkonzepten im Sinne<br />

von Vorstellungen über bestimmte Phänomene, die zu „falschen“ Antworten führen <strong>und</strong> • gr<strong>und</strong>legende<br />

Überzeugungen, die in verschiedenen Situationen immer wieder zum Vorschein kommen.<br />

Die physikalischen Begriffe sind in den Schülervorstellungen wie in der Umgangssprache Sammelbegriffe,<br />

die vielfältige Bedeutungen haben können. Die konkret gemeinte Bedeutung <strong>eines</strong> Begriffs<br />

ergibt sich häufig erst an dem jeweiligen Kontext, in dem das Wort benutzt wird (current construction).<br />

Die Begriffe selbst <strong>und</strong> ihre Beziehungen bleiben meist relativ unbewusst <strong>und</strong> können nicht<br />

an sich, sondern nur unter dem Einfluss konkreter Aufgabenstellungen, also bezüglich konkreter<br />

Situationen geäußert werden. Auffällig ist auch, dass ein Schüler oft gleichzeitig vielfältige <strong>und</strong><br />

widersprüchliche Vorstellungen hat. So können in physikalisch äquivalenten Situationen ganz unterschiedliche<br />

Vorstellungen aktiviert werden, wofür äußere, physikalisch unbedeutende Aspekte<br />

entscheidend sind. Ein außenstehender Beobachter bekommt dann leicht den Eindruck, dass die<br />

Schülervorstellungen inkohärent sind. Folglich ist die Überzeugungskraft <strong>eines</strong> Demonstrationsexperimentes<br />

oder einer Analogie beschränkt, da es für den Schüler nicht unbedingt auf andere Kontexte<br />

übertragbar ist.<br />

Schülervorstellungen können auch sinnstiftend miteinander vernetzt sein, so wie auch eine physikalische<br />

Theorie durch ein Netz von Begriffen, Regeln <strong>und</strong> Vorstellungen beschrieben werden kann<br />

(deep structure). Deshalb ist beim Lernen oft nicht nur eine Vorstellung, sondern ein ganzes Netz,<br />

eine ganze Sichtweise zu ändern, was viel schwieriger ist als eine einzelne, isolierte Vorstellung zu<br />

ändern.<br />

Erschwerend für den Unterricht ist, dass Schülervorstellungen außerordentlich stabil <strong>und</strong> dauerhaft<br />

sind. Selbst wenn die Schüler die physikalische Vorstellung verstehen, glauben sie entsprechende<br />

Behauptungen häufig nicht. So sind meist auch nach dem entsprechenden Unterricht immer noch<br />

dieselben Vorstellungen vorhanden, obwohl der Lehrer sich sehr um eine Veränderung bemühte.<br />

Gerade nach dem Unterricht, wenn das oberflächlich angelernte Sachwissen wieder vergessen wurde,<br />

treten die alten Vorstellungen wieder stärker hervor (Demidow et al., 1997, S. 196). Das ist

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!