Konzeption und Evaluation eines Kinematik/Dynamik-Lehrgangs zur ...
Konzeption und Evaluation eines Kinematik/Dynamik-Lehrgangs zur ...
Konzeption und Evaluation eines Kinematik/Dynamik-Lehrgangs zur ...
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
5 Entwicklung <strong>eines</strong> Gesamtkonzeptes <strong>zur</strong> <strong>Kinematik</strong> <strong>und</strong> <strong>Dynamik</strong> 107<br />
sondern stellen ein verwobenes Geflecht von Ideen dar. Um ein Bezugssystem zu finden, in dem<br />
das erste Axiom gilt, braucht man z.B. eine Definition von Kräftefreiheit, die man durch das zweite<br />
Axiom bekommt (Wodzinski, 1996, S. 36). Aus dem zweiten Axiom lässt sich aus unserer heutigen<br />
Sicht das erste Axiom ableiten, so dass man nach dem Sinn des ersten Axioms fragen kann (siehe<br />
z.B. Mach, 1921, <strong>und</strong> Dijksterhuis, 1983, S. 522). Für NEWTON (nicht für uns) sagt das zweite Axiom,<br />
dass für eine Impulsänderung die Wirkung einer Kraft hinreichend ist (die Folge einer Kraftwirkung<br />
ist Impulsänderung), während das erste Axiom feststellt, dass sie auch notwendig ist (von<br />
Impulsänderung kann man auf Kraft schließen), d.h. der Impuls nicht von selbst abnehmen kann<br />
(Kuhn, 2001, S. 220; Dijksterhuis, 1983, S. 529). NEWTON setzte Kraft <strong>und</strong> Impulsänderung auch<br />
nicht gleich, sondern erst LEIBNIZ forderte, dass Ursache <strong>und</strong> Wirkung zahlenmäßig <strong>und</strong> dem Wesen<br />
nach gleich sein sollen (Treitz, 2003, S. 100). Heute wird es aufgr<strong>und</strong> unseres heutigen Wissens<br />
über Raum <strong>und</strong> Zeit <strong>und</strong> aufgr<strong>und</strong> einer Auffassung vom zweiten Axiom als Definition häufig so<br />
gesehen, dass das erste Axiom für uns nur die Aufgabe hat, ein Inertialsystem zu finden, in dem<br />
dann das zweite Axiom gilt; das erste Axiom ist also heute eine Umschreibung der Definition der<br />
Inertialsysteme (einen Überblick über mögliche Interpretationen des ersten newtonschen Gesetzes<br />
gibt STEGMÜLLER (1970, S. 118 - 129)). Da Bezugssysteme in diesem Konzept aber kaum explizit<br />
behandelt <strong>und</strong> insbesondere Inertialsysteme nicht behandelt werden, macht es keinen Sinn, erst das<br />
erste Axiom zu unterrichten. Es wurde entschieden, dass erste Axiom als Spezialfall des zweiten zu<br />
behandeln (Stegmüller, 1970, S. 138).<br />
Eine andere Frage ist, ob es sich bei den drei Aussagen - speziell der zweiten - um Axiome, Definitionen<br />
oder beweisbare Gesetze handelt bzw. wie sie im Unterricht eingeführt werden sollen. Zu<br />
NEWTONs Zeiten wurde in der physikalischen Begriffsbildung noch nicht klar zwischen beweisbaren<br />
Gesetzen <strong>und</strong> nicht beweisbaren Definitionen unterschieden (Westphal, 1967, S. 561) <strong>und</strong> auch<br />
NEWTON hat sich nicht klar geäußert, ob die Gr<strong>und</strong>gleichung der Mechanik als ein Axiom, Gesetz<br />
oder eine Definition verstanden werden soll (Kuhn, 2001, S. 219). Da in NEWTONs vorausgehenden<br />
Definitionen <strong>und</strong> in den Axiomen, die er Gesetze nennt, aus der heutigen Sicht (nicht aus NEWTONs<br />
Sicht) z.T. ein <strong>und</strong> dieselbe Eigenschaft mechanischer Vorgänge mehrmals formuliert - in den Definitionen<br />
<strong>und</strong> den Gesetzen - erscheint (Mach, 1921, S. 237 – 243; Dijksterhuis, 1983, S. 522;<br />
Kuhn, 2001, S. 220), sagt es für uns wenig aus, wenn NEWTON von Gesetzen spricht. In der Forschergemeinschaft<br />
der damaligen Zeit war „Kraft“ noch ein Clusterbegriff, während NEWTON einen<br />
bestimmten Aspekt dieses Clusters verwendete statt besser einen neuen Begriff zu erfinden<br />
(Dijksterhuis, 1983, S. 520 f.). Das newtonsche Konzept wurde als mathematischer Formalismus<br />
von der Forschergemeinschaft zwar anerkannt, aber die Suche nach einem adäquaten physikalischen<br />
Kraftbegriff ging weiter (Schecker, 1985, S. 468). Erst durch die Quantifizierung des Energiebegriffs<br />
<strong>und</strong> der Bestimmung des mechanischen Wärmeäquivalents in der Mitte des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
kam es zu einer bewussten Trennung zwischen den Begriffen „Kraft“ <strong>und</strong> „Energie“. „Der<br />
abstrakte 'mathematische' Relationsbegriff Newtons ist zum physikalischen Kraftbegriff der klassischen<br />
Physik geworden. Die Suche nach der 'physikalischen' Kraft führte zum Energiebegriff“<br />
(Schecker, 1987, S. 473). Historisch gesehen hat also NEWTON mit seinen drei Axiomen festgelegt,<br />
was wir heute unter „Kraft“ verstehen. Aus heutiger Sicht ist das zweite Axiom weder ein Axiom