Betrifft: Betreuung 10
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C. Wille des Betreuten und Handeln gegen den Willen<br />
Mehrdeutig kann eine Patientenverfügung oft bereits aus der Perspektive eines einzelnen<br />
Auslegenden – beispielsweise des Betreuers, des Bevollmächtigten oder des<br />
behandelnden Arztes – sein. Daneben oder ausschließlich kann der Inhalt einer Patientenverfügung<br />
an sich oder können einzelne Punkte der Erklärung auch zwischen<br />
verschiedenen, die Erklärung Auslegenden umstritten sein. Bei mehreren Auslegenden<br />
ist zunächst festzustellen, in welchen Punkten Meinungsdifferenzen bestehen.<br />
Sind sich die eine Patientenverfügung Auslegenden über deren Inhalt einig, so bedarf<br />
es keiner weiteren Auslegung der Erklärung und wird auch keine betreuungsgerichtliche<br />
Kontrolle33 der Entscheidung des Bevollmächtigten bzw. Betreuers erfolgen, da<br />
ein entsprechenden Verfahren nicht angeregt wird.<br />
Die Mehrzahl der Patientenverfügungen ist bereits deswegen mehrdeutig, weil der<br />
Betroffene in ihr seine Wünsche und Vorstellungen mit Begriffen umschreibt, deren<br />
Inhalt ausfüllungsbedürftig ist wie „erträgliches und umweltbezogenes Leben“, „menschenwürdiges<br />
(Weiter-)Leben“ oder „würdevolles Sterben“. Auch die abgelehnten<br />
ärztlichen Maßnahmen – „lebenserhaltende Maßnahmen“, „Gerätemedizin“ – oder<br />
die Situationen, für die die Patientenverfügung gelten soll, sind vielfach allein aus dem<br />
Wortlaut der Erklärung nicht feststellbar. Als Beispiel für derartige Unklarheiten wird<br />
im Folgenden aus einer Entscheidung des AG Siegen34 zitiert. Die Betroffene selbst<br />
ging ausweislich der Entscheidungsgründe davon aus, sie habe „das ja geregelt“:<br />
„Die Beweisaufnahme hat keinen näheren Aufschluss darüber erbracht, welche<br />
Bedeutung die Begriffe ‚lebenserhaltende Maßnahmen‘ und ‚Anwendung von Behandlungen‘<br />
für die Betroffene haben sollen. Deshalb bleibt auch insofern offen, in Bezug<br />
auf welche konkreten Umstände die Betroffene auf Lebenserhaltung verzichten wollte.<br />
Der Begriff des ‚menschenwürdigen Weiterlebens‘ erlaubt eine Vielzahl von Deutungen<br />
sowie Abwägungsmöglichkeiten in Bezug auf die konkreten Umstände des Einzelfalls.<br />
Mit der verlangten ‚Unmöglichkeit menschenwürdigen Weiterlebens‘ kann demnach<br />
eine Anknüpfung an den Ausfall wichtiger biologischer Körperfunktionen gemeint sein,<br />
aber auch eine geistig-seelische Entwicklung, welche die Persönlichkeit der Betroffenen<br />
zunehmend in ihren Entfaltungsmöglichkeiten beeinträchtigt, oder ein Zusammentreffen<br />
beider Voraussetzungen. In allen Fällen wäre weiter zu klären, ab welchem Stadium<br />
der Krankheit nach dem Willen des Erkrankten die ‚Unmöglichkeit‘ erreicht sein<br />
soll. […] Aufgrund dieser Unwägbarkeiten ist für das Gericht nicht feststellbar, ob die<br />
jetzige Situation der Betroffenen die von ihr gemeinte Bedingung erfüllt.“<br />
VI. Sodann: Ermitteln der Erkenntnisquellen<br />
1. Patientenverfügung als Erkenntnisquelle<br />
Die Entscheidung des AG Siegen verdeutlicht, eine Patientenverfügung wird als alleinige<br />
Quelle zur Ermittlung des (mutmaßlichen) Willens des Betroffenen nur in wenigen<br />
Fällen ausreichen. Auch wenn eine vorhandene Patientenverfügung und insoweit<br />
insbesondere ihr Wortlaut immer der erste Ausgangspunkt für die Ermittlung des Willens<br />
des Betroffenen zu sein hat, wird sich die Auslegung einer Patientenverfügung<br />
in der Regel nicht auf den Wortlaut der Erklärung beschränken können. 35<br />
33 Nach dem Entwurf von Bosbach et al. kann auch bei Einigkeit über den Inhalt der Verfügung<br />
eine gerichtliche Genehmigung erforderlich sein, § 1904 Abs. 2, Abs. 3 BGB-E, jetzt § 1904<br />
Abs. 4 BGB.<br />
34 AG Siegen, Beschluss vom 28.9.2007, Az. 33 XVII B 7<strong>10</strong>, BtMan 2008, 27 = GesR 2008, 247 =<br />
PflR 2008, 183.<br />
35 Ähnlich Lipp, Patientenautonomie und Lebensschutz, 2005, 25; Roth JZ 2004, 494, 499.<br />
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