Betrifft: Betreuung 10
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B. Selbstbestimmung und Teilhabe – aus richterlicher Sicht<br />
sollte, hat doch in der Behindertenhilfe ein Paradigmenwechsel stattgefunden,<br />
wonach es als eher anrüchig gilt, die Sterilisation zu befürworten. Frauen mit geistiger<br />
Behinderung sind so natürlich auch gegen Missbrauch besser geschützt.<br />
Die Beteiligten des <strong>Betreuung</strong>sverfahrens sollten also darauf dringen, dass die Betroffenen<br />
die gesellschaftlichen Strukturen und ihre persönlichen Chancen auf Selbstbestimmung<br />
und Teilhabe kennen lernen und sie in der Umsetzung unterstützen.<br />
Allerdings müssen Menschen mit Behinderung nicht wollen, was sie dürfen. Sie können<br />
sich Freiheit oder Geborgenheit wünschen, jeweils unterschiedlich in den verschiedenen<br />
Lebensbereichen oder auch Lebensabschnitten. „Egenkultur“ –<br />
Eigenkultur nennt man in Dänemark die Wünsche behinderter Menschen, einerseits<br />
an der Gesellschaft teilzuhaben, andererseits aber auch unter sich zu sein und das<br />
Recht, in ihrer Meinung dazu ernst genommen zu werden. 3 Es ist auch in der rechtlichen<br />
<strong>Betreuung</strong> nicht Aufgabe des Betreuers, z.B. die sogenannte Ambulantisierung<br />
(= Auszug aus dem Heim in eigenen Wohnraum) über den Kopf des Betroffenen<br />
durchzusetzen. Es kann sein, dass er dem Wunsch der Betreuten eher entspricht,<br />
wenn er sich für einen Verbleib im Heim engagiert. Selbstbestimmung kann also konservative<br />
Ziele verfolgen, die den Betreuer nach §1901 Absatz 3, S. 1 BGB binden.<br />
Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Möglichkeiten des <strong>Betreuung</strong>sverfahrens<br />
besser genutzt werden könnten, um Menschen mit Behinderung ein befriedigendes<br />
Leben zu ermöglichen, in dem sie sich so kompetent bewegen können, wie im Eingangsbeispiel<br />
beschrieben.<br />
III. Ältere Menschen mit hirnorganischen Erkrankungen und<br />
Behinderungen<br />
Ältere Menschen, die an Demenz, Schlaganfallsfolgen und anderen hirnorganischen<br />
Erkrankungen leiden, stoßen bei der Gesellschaft auf Verantwortungsgefühl, aber<br />
auch auf Hilflosigkeit und Verärgerung. Die üblichen gesellschaftlichen Problemlösungsmuster<br />
funktionieren hier nicht. Wegen dieser Erkrankungen kann niemand<br />
moralisch belangt oder haftbar gemacht werden, sie lassen sich nicht verdrängen<br />
oder wegbesprechen, man muss sich ihnen stellen.<br />
Während die Öffentlichkeit hier noch recht konfus diskutiert, haben sich im <strong>Betreuung</strong>sverfahren<br />
bereits sichere Haltungen entwickelt. Eine engagierte, an den Prinzipien<br />
des § 1901 BGB orientierte <strong>Betreuung</strong> ist der beste Garant für Selbstbestimmung<br />
und Teilhabe alter, erkrankter Menschen. So haben es unzählige alte Menschen ihren<br />
gesetzlichen Betreuern zu verdanken, dass sie gegen die Meinung ihrer Angehörigen<br />
noch in ihrer Wohnung leben und über ihre Aktivitäten, vor allem über den Umfang<br />
medizinischer Behandlung selbst entscheiden. Das <strong>Betreuung</strong>srecht und seine<br />
Umsetzung durch Betreuer und Betreuerinnen hat die Bevölkerung mit dem Gedanken<br />
vertraut gemacht, dass man mit kranken, alten Menschen nicht nach Gutdünken<br />
verfahren kann.<br />
Dennoch gibt es in einigen Bereichen noch Entwicklungsbedarf.<br />
1. Heimübersiedlung nach Krankenhausaufenthalt<br />
Gerichte sollten sich Anträgen aus Krankenhäusern auf einstweilige Betreuerbestellung<br />
zum Zwecke rascher Heimaufnahme weitgehend verschließen und stattdessen<br />
ordentliche Verfahren – im Gegensatz zu Eilverfahren – durchführen. Die Patienten<br />
3 Wolf in: Heß, Kagemann-Harnack, Schlummer, Wir wollen – wir lernen – wir können! Marburg<br />
2008, S.78.<br />
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