27.02.2013 Aufrufe

Betrifft: Betreuung 10

Betrifft: Betreuung 10

Betrifft: Betreuung 10

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

231<br />

C. Kommentar aus Sicht der Sozialen Arbeit<br />

störungsspezifische Behandlungsentscheidungen und Vorgehensweisen zu erhalten.<br />

Standardisierte Klassifikationssysteme zur medizinischen und psychiatrischen<br />

Diagnostik wie das International Classification of Diseases (ICD-<strong>10</strong>) der WHO (2008),<br />

die im <strong>Betreuung</strong>swesen vorherrschen, werden in international besetzten Konsensgemeinschaften<br />

erarbeitet und erhalten dadurch überregionale Verbindlichkeit. In der<br />

Entstehung der Kategorien spielen Normalitätskonstruktionen eine große Rolle (vgl.<br />

u. a. Schulze, 2008) – ein Umstand, der berechtigterweise Kritik hervorruft, da damit<br />

Ethnozentrismen sowie Macht- und Lobbyinteressen verknüpft sind. Eine grundsätzliche<br />

Informiertheit über gängige Klassifikationssysteme ist allerdings für alle Professionen,<br />

die sich im <strong>Betreuung</strong>swesen einer Person annehmen, unausweichlich, da es<br />

als Grundlage für die wesentlichsten Entscheidungsvorgänge dient.<br />

Es ist daher nötig, sich in den Systemen zurechtzufinden sowie Einordnungen nachvollziehen,<br />

anwenden, jedoch auch kritisch auf Stigmatisierungs- und Diskriminierungsprozesse<br />

hinterfragen zu können. Inzwischen wurden auch Klassifikationssysteme<br />

für den stärkeren Einbezug sozialer Dimensionen entwickelt. Zu nennen ist hier<br />

u. a. die International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF) der<br />

WHO (2001; vgl. auch Schuntermann, 2007), die eine länder- und fachübergreifende<br />

einheitliche Sprache zur Beschreibung des funktionalen Gesundheitszustandes, der<br />

Behinderung, der sozialen Beeinträchtigung und der relevanten Umgebungsfaktoren<br />

einer Person entwickelt hat. Erfasst werden: Behinderungen und Beeinträchtigungen<br />

der Person, ihrer Aktivitäten und ihrer Situation einschließlich ihrer Teilhabemöglichkeiten<br />

im Alltag. Diese Entwicklungen lassen hoffen, dass es in Zukunft passgenauere<br />

Klassifikationssysteme im Bereich der Sozialen Arbeit geben kann und wird. Ein<br />

Zwischenschritt könnte ermöglichen, sich z. B. im <strong>Betreuung</strong>swesen auf das ICF zu<br />

beziehen. Die daraus resultierende größere Gesamtschau aus störungsbedingten<br />

Defiziten und vorhandenen Ressourcen und Kompetenzen könnte den sozialen Diagnostiker<br />

dann in einen Dialog mit der Klientel führen, der eine ganzheitlichere Sichtweise<br />

ermöglicht.<br />

III. Dialogisch, subjektorientiert und lebensweltorientiert vorgehen<br />

als Aufgabe des <strong>Betreuung</strong>swesens<br />

Der soeben genannten Gefahr, lebensgeschichtlich geprägtes, individuelles Leiden<br />

in ‚klinischen Störungsbildern’ zu fixieren und an wichtigen subjektiven wie biografischen<br />

Informationen vorbeizugehen, ist durch die Kompetenz vorzubeugen, die ‚diagnostische<br />

Situation’ dialogisch zu gestalten. Die dialogische Gestaltung von Hilfesituationen<br />

ist eine Vorgehensweise, der sich Klinische Sozialarbeit grundsätzlich<br />

verpflichtet fühlt (Pauls, 2004) und gilt insbesondere für das auf Macht basierende<br />

und auf Hierarchie ausgerichtete <strong>Betreuung</strong>swesen. Für einen biografisch kontextualisierten<br />

und subjektorientierten Zugang bietet sich die Forschungstradition rekonstruktiver<br />

Sozialforschung, insbesondere die Biografieforschung, an. Fallrekonstruktion<br />

wird aus dieser Perspektive zu einem Schlüssel verstehender Diagnostik, in der<br />

die Rekonstruktion von biografischen Entwicklungen und Verläufen eine zentrale<br />

Rolle spielt (vgl. u. a. Fischer, 2006; Hanses, 2000). In der Sozialen Arbeit haben<br />

diese Traditionen mit der Zeit einen immer höheren Stellenwert eingenommen (vgl.<br />

Miethe et al., 2007; Völter, 2008).<br />

Die hierzu entwickelten Erhebungsverfahren sind vielfältig. In der Integrativen Therapie<br />

und Beratung wird mit dem ‚Lebenspanorama’ gearbeitet (vgl. u. a. Gahleitner,<br />

2005; Petzold et. al., 2000), Methoden der narrativen Gesprächsführung und Intervention<br />

bewegen sich angelehnt an qualitative Forschungsmethoden im sprachlichen<br />

Bereich (vgl. zum Vorgehen u. a. Loch & Schulze, 2002). Die Relevanz solcher Selbstdeutungen<br />

bleibt im medizinischen und juristischen System oftmals unberücksich-

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!