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Betrifft: Betreuung 10

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Teil II Göttinger Workshop zur Sachverhaltsaufklärung nach § 8 BtBG<br />

I. Inklusion als Aufgabe des <strong>Betreuung</strong>swesens<br />

Das Arbeitsfeld der <strong>Betreuung</strong> gehört zu den originären Aufgabenstellungen der<br />

Sozialen Arbeit mit ‚hard-to-reach’-Klientel in Multiproblemsituationen und erfordert<br />

neben medizinischer und psychologischer Versorgung insbesondere einen Fokus<br />

auf Inklusionsprozesse (Pantucek, 2008). Nach der Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung<br />

1986 ist Gesundheit ein Gut, an dem allen Menschen gleichermaßen Teilhabe<br />

ermöglicht werden soll. Demnach sollen „sowohl einzelne als auch Gruppen<br />

ihre Bedürfnisse befriedigen, ihre Wünsche und Hoffnungen wahrnehmen und verwirklichen<br />

sowie ihre Umwelt meistern bzw. verändern können“ (WHO, 1986, Abs. 3).<br />

In der tagtäglichen Lebensrealität betreuter Menschen kommt es jedoch zahlreich zu<br />

Diskriminierungs-, Stigmatisierungs- und Separationsprozessen (Goffman, 1963/<br />

1967). Bezeichnungen wie z. B. ‚unfähig’ oder ‚inadäquat’, gehören bis heute zur<br />

gängigen Nomenklatur für psychisch oder anderweitig beeinträchtigte Menschen.<br />

Dieses „dominant nihilistische Menschenbild“ (Theunissen, 2000, S. 17) ist aktuell<br />

auch in den Vorstellungswelten vieler helfender Disziplinen zu finden. Es durchzieht<br />

die Gesellschaft als Ganzes und begegnet uns bei Normalbürgerinnen und -bürgern<br />

ebenso hartnäckig wie bei den Betroffenen selbst (Rommelspacher, 1995). Diese<br />

überraschende Einmütigkeit ist bereits ein Teil des Problems und eine der Ursachen<br />

der immer wieder erfolgenden (Selbst-)Zuschreibungen (ebd.).<br />

Exklusion ist also nicht nur als individuelles Schicksal zu begreifen, sondern als ein<br />

Phänomen der gesellschaftlichen Realität, als ein „sozial vermittelter Tatbestand“<br />

(Thimm, 1990, S. 11). Das Erkenntnis- und Interventionskonzept Sozialer Arbeit versteht<br />

Gesundheit, Krankheit und Beeinträchtigung daher wesentlich biografisch und<br />

in soziokulturellen Milieus verankert. Bedingungen des Entstehens und Verlaufs von<br />

Beeinträchtigungen sind der Ausgangspunkt für Überlegungen zur Entwicklung dialogischer<br />

Hilfeformen sowie von geeigneten Setting-Projekten zum Abbau sozial<br />

bedingter gesundheitlicher Ungleichheit (Pauls & Mühlum, 2005; Pauls, 2004). Aufgabe<br />

ist, das Unterstützungspotenzial durch Kompensation defizitärer sozialstruktureller<br />

Situationsfaktoren im Alltag zu mobilisieren. Dies kann jedoch ohne eine<br />

hinreichende Betrachtung der individuellen Faktoren ebenso wenig zielführend sein<br />

wie durch eine zu enge Fokussierung auf psychophysische Aspekte (Pauls, 2004).<br />

Aufgrund dieser anspruchsvollen Aufgabe hat sich in den letzten zehn Jahren Klinische<br />

Sozialarbeit als Spezialisierungstendenz herausgebildet.<br />

Eine im Interventionsprozess brauchbare diagnostische Abklärung ist eine lebens-,<br />

subjekt- und situationsnahe Diagnostik, die die klassifikatorische Diagnostik und<br />

grundlegende Aspekte der Biografie und Lebenswelt zusammenträgt. Es empfiehlt<br />

sich daher eine Systematik im Vorgehen, die einen gezielten Blick auf alle diese Phänomene<br />

wirft. Gerade um der (un-)sozialen Chancenstruktur und den bis in das<br />

Selbsterleben und in die Verarbeitungs- und Bewältigungsstrategien vorgedrungenen<br />

psycho-sozialen Beeinträchtigungen angemessen begegnen – und damit auf<br />

Inklusionsprozesse hinwirken – zu können, bedarf es nach dem Konzept der Klinischen<br />

Sozialarbeit daher einer ‚psycho-sozialen Diagnostik und Behandlung’ (Gahleitner,<br />

2006; Pauls, 2004), auf deren Konzepte in den folgenden Ausführungen<br />

Bezug genommen wird (ausführlicher an einem Fallbeispiel für das <strong>Betreuung</strong>swesen<br />

siehe Gahleitner & Pauls, 2008).<br />

II. Interdisziplinär informiert sein als Aufgabe des<br />

<strong>Betreuung</strong>swesens<br />

Klassifikatorische Diagnostik gibt Einteilungen vor, um Symptome jeweils einer oder<br />

mehreren Diagnosen zuordnen zu können und damit eine Suchrichtung für wichtige<br />

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